2.96.1 (mu11p): Eintritt Stinnes in den Verlag Reimar Hobbing.

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Eintritt Stinnes in den Verlag Reimar Hobbing1.

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S. hierzu Dok. Nr. 81, P. 5.

Der Referent des Reichsjustizministeriums trug vor, daß sein Ressort eine Kündigung des mit Reimar Hobbing abgeschlossenen Vertrages über die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ aus Anlaß des Eintritts von Stinnes in den Verlag nicht empfehlen könne, obwohl nach Ansicht des Ministeriums die Kündigung rechtlich zulässig sei. Die Stellung des Gerichts sei jedoch fraglich. Man müsse einen Ausgleich suchen und eine neue Vereinbarung treffen. Das Reichsjustizministerium wird ein Gutachten mit tunlichster Beschleunigung vorlegen2.

2

In seinem Gutachten erklärte der RJM, es handele sich bei dem Vertrag mit Reimar Hobbing nicht um einen Verlagsvertrag, sondern um einen Vertrag zu Dienstleistungen „besonderer Art“. Zwischen den Partnern müsse ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen, „für das die Person gerade des zur Leistung der Dienste Verpflichteten von wesentlicher Bedeutung ist.“ Der Vertrag sei „nicht einfach unter eine der im Gesetz geregelten Kategorien zu stellen“. Da eine Schuldübernahme nunmehr vorliege, „die nach allgemeinen Grundsätzen ohne Genehmigung des Reiches nicht wirksam werden könnte“, stehe dem Reich frei, ob es den Vertrag fortsetzen wolle. Allerdings habe Hobbing in den Vorverhandlungen vor Vertragsabschluß sich dagegen verwahrt, „daß der Verleger nicht berechtigt sein sollte, ohne Zustimmung des RK seine Rechte aus dem Vertrage oder den Verlag der Zeitung auf einen anderen zu übertragen“. Vertragsverletzung werde erst dann als Kündigungsgrund anzusehen sein, wenn Verstöße gegen den Vertrag dreimal innerhalb von 12 Monaten schriftlich festgelegt worden seien. Auch ein Wechsel in der persönlichen politischen Einstellung des Verlegers sei zunächst noch kein Kündigungsgrund. „Es bleibe abzuwarten, ob der neue Verleger die Regierung in der von ihr betriebenen Politik vertragsgemäß unterstützt. Nur wenn er dies nicht über sich gewänne, würde das Reich daraus einen wichtigen Grund zur Kündigung des Vertrags (zu vgl. § 626 BGB.) einnehmen können.“ Der RJM faßte sein Gutachten dahin zusammen: „Bei dieser Sachlage glaube ich, empfehlen zu sollen, sich in Würdigung der immerhin zweifelhaften Rechtslage nicht schlechthin auf den hier in erster Linie eingenommenen Rechtsstandpunkt zu stellen, vielmehr nach Möglichkeit eine neue Regelung der Vereinbarung anzustreben“ (28.5.20; R 43 I /2469 , Bl. 92 f.).

Direktor Stollberg teilte mit, daß, soweit er informiert sei, Stinnes nur als Kommanditist eingetreten sei3.

3

Die Norddeutsche Buchdruckerei und Verlagsanstalt teilte dem PrMinPräs. am 18.5.20 mit, daß Zeitungsnachrichten nicht zuträfen, wonach die Druckerei verkauft worden sei: „Unsere Druckerei befindet sich nach wie vor im Besitz unserer Gesellschaft; auch ist im Aktienbesitz unserer Gesellschaft kein Besitzwechsel vor sich gegangen, da die Aktien nach wie vor im Besitz der Firma Reimar Hobbing sind.“ Dazu meinte StS Göhre in einem Schreiben an den RK: „Auch wenn die Angaben des Schreibens der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt A.G. zutreffen sollten, ist die Annahme einer Beteiligung des Herrn Stinnes an dem Druckunternehmen nicht widerlegt. Es ist sehr wohl möglich, ja wahrscheinlich, daß die Aktiengesellschaft formell unverändert bestehen geblieben ist und daß lediglich im Besitzstand der Firma Reimar Hobbing Veränderungen zugunsten des Herrn Stinnes vor sich gegangen sind.“ In dieser Hinsicht sei eine Klärung zu schaffen (22.5.20; R 43 I /2469 , Bl. 95).

[239] Der Kurator des Staats- und Reichsanzeigers Exzellenz von Rheinbaben gab Kenntnis von einem Briefwechsel mit dem verstorbenen Reimar Hobbing, wonach der Kurator sich verpflichtet hat, den Vertrag über den Reichs- und Staatsanzeiger4 über die in dem Vertrage vorgesehene Zeit hinaus als verbindlich anzusehen. Die Anwesenden sind einig darüber, daß durch diesen Briefwechsel die durch § 15 des Vertrages über den Reichs- und Staatsanzeiger gegebene Kündigungsmöglichkeit des Vertrages nicht berührt werde. Exzellenz von Rheinbaben wird Abschrift des Briefwechsels mit Reimar Hobbing alsbald vorlegen5.

4

Der Vertrag mit dem Reichs- und Staatsanzeiger war von der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt am 25.1.12 geschlossen worden (R 43 I /2469 , Bl. 64-68).

5

Dem RK gegenüber erklärte der PrMinPräs. zu dem diskutierten § 15: „§ 15 begründet ein Kündigungsrecht des Kurators für den Fall des Verkaufs oder der Verpachtung der Druckerei durch die ‚Druckunternehmerin‘. Der Verkauf der Druckerei an Reimar Hobbing ist 1917 in der Weise erfolgt, daß Hobbing den gesamten Aktienbesitz der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt A.G. erwarb, die Aktiengesellschaft als solche aber formell bestehen blieb. Wie die Übertragung an Stinnes erfolgt ist, steht noch nicht fest. Es ist indessen anzunehmen, daß die Firma erhalten bleibt.“ Da möglicherweise der Besitzwechsel „formell überhaupt nicht, materiell nur teilweise“ vollzogen worden sei, wäre ein Rechtsstreit im Ausgang zweifelhaft. „Dagegen gewährt § 13 des Vertrages dem Kurator ein jederzeitiges Kündigungsrecht für den Fall, daß die Druckunternehmerin ihren vertraglichen Verbindlichkeiten nicht nachkommt. Der Druck des Reichs- und Staatsanzeigers läßt seit einiger Zeit so viel zu wünschen übrig, daß der Kurator unabhängig von dem Besitzverhältnis seit einiger Zeit mit dem Gedanken umgeht, von dem Kündigungsrecht des § 13 Gebrauch zu machen. – Es dürfte sich empfehlen, bei den Auseinandersetzungen mit Stinnes neben dem immerhin nicht ganz zweifelsfreien § 15 den § 13 des Vertrages im Auge zu behalten und gegebenenfalls auszuspielen“ (17.5.20; R 43 I /2469 , Bl. 59).

Assessor Kohn teilt mit, daß in § 10 des mit Preußen abgeschlossenen Vertrages über die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ die Verpflichtung der Preußischen Regierung zum Bezug von 5000 Stück der Zeitung für amtliche Zwecke von der Bewilligung der erforderlichen Mittel durch das Parlament abhängig gemacht worden sei. Der Preußische Staat habe hierdurch ein starkes Druckmittel gegen den Verlag in der Hand. Assessor Kohn wird für baldige Übersendung einer Abschrift des Preußischen Vertrags sorgen.

Es wurde beschlossen, die Frage, ob gekündigt werden oder der Weg der Verhandlungen beschritten werden soll, noch einmal dem Kabinett zu unterbreiten6.

6

„Die gegenwärtige politische Lage“ ließ es dem StSRkei geraten erscheinen, wie er dem RJM am 10.6.20 mitteilte, eine Entscheidung über Rücktritt oder Neuregelung der Verträge mit dem Verlag Reimar Hobbing zurückzustellen (R 43 I /2469 , Bl. 97 f.). In einer „Notiz“ vom 22.7.20 stellte dann MinR Brecht die Situation folgendermaßen dar: „Als im Frühjahr dieses Jahres die Nachricht auftauchte, daß Stinnes in einer nicht näher bekannten Form die ‚Deutsche Allgemeine Zeitung‘ erworben habe, erhob sich die Frage, ob dies ein wichtiger Grund sei, von den Verträgen des Reichs mit der Norddeutschen Buchdruckerei ganz oder teilweise zurückzutreten. Die Regierung bestand damals nur aus Sozialdemokraten, Demokraten und Zentrum und stand in Opposition auch gegenüber der Deutschen Volkspartei, zu der sich Stinnes rechnete, der gleichzeitig als Großkapitalist und Großindustrieller namentlich den sozialdemokratischen Regierungsmitgliedern nicht als geeignete Persönlichkeit für ein enges Vertrauensverhältnis zu der Regierung erschien. Es ließen sich daher manche Gesichtspunkte dafür anführen, daß der Wechsel in der Beteiligung an dem Unternehmen einen wichtigen Grund für die Kündigung im Sinne des Gesetzes bildete, vorausgesetzt, daß die Bestimmungen über die Kündigung bei wichtigem Grunde rechtlich auf das vorliegende Vertragsverhältnis Anwendung fanden; auch hierfür sprachen wohl die überwiegenden Gründe. – Inzwischen ist infolge des Ausfalls der Wahlen am 6. Juni die Umbildung der Regierung erfolgt. Die Sozialdemokratie ist ausgetreten und die Deutsche Volkspartei eingetreten. Die Tatsache, daß der Verlag auf ein hervorragendes Mitglied der Deutschen Volkspartei übergegangen ist, wird für die jetzige Regierung wahrscheinlich nicht mehr als wichtiger Grund zur Änderung des Vertrags von den Gerichten eingeschätzt werden, auch wenn das Kabinett noch die Absicht hätte, von dem Vertrage sich zu befreien.“ Nach den von der Rkei getroffenen Feststellungen habe sich keine formelle Änderung in den Verträgen ergeben (R 43 I /2469 , Bl. 107 f.).

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