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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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Text

RTF

[1220] [Anlage:]

Memorandum zum Young-Plan4.

4

Der Text des Memorandums wurde dem RK in gedruckter Form zugestellt. Es wird wiedergegeben in Schultheß 1929, S. 215 ff. Schacht hatte das Memorandum den beiden deutschen Sachverständigen Melchior und Kastl zuvor nicht vorgelegt (Kastl an Hilferding 11. 12.; R 43 I /299 , Bl. 115, hier: Bl. 115. Schacht an Melchior 11.12.29; Institut für Zeitgeschichte: ED 93, Nachlaß Schäffer ). Schacht begründete das gegenüber Melchior mit der Überlegung, „Sie nicht für etwas mitverantwortlich zu machen, was Sie vielleicht nicht mitzuverantworten geneigt wären. Ich wollte meine eigene Verantwortung in keiner Weise abschwächen und Ihnen volle Freiheit für Ihr eigenes Urteil und Handeln lassen“ (Institut für Zeitgeschichte ED 93, Nachlaß Schäffer). Stellungnahmen zu den reparationspolitischen Ansichten Schachts verfaßten gemeinsam Kastl und Melchior (Melchior an Hilferding, 11.12.29; R 43 I /299 , Bl. 116-122, hier: Bl. 116-122) sowie MinDir. Schäffer unter dem Titel „Sachliche Bemerkungen zu dem Memorandum des RbkPräs.“ (vor dem 10.12.29, R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46; daß er der Verfasser ist, geht aus dem Entwurf in seinem Nachlaß beim Institut für Zeitgeschichte hervor). Zur offiziellen Gegenerklärung der RReg. vor dem RT siehe die Sitzung am 12. 12., RT-Bd. 426, S. 3535  ff.

Am 9. Januar d. J. hat mich die Reichsregierung zum Mitglied des Sachverständigenausschusses ernannt, der in Durchführung des Genfer Beschlusses vom 16. September 1928 zur Ausarbeitung von Vorschlägen für eine vollständige und endgültige Regelung des Reparationsproblems gebildet wurde.

Mit der Unterzeichnung des Young-Planes am 7. Juni d. J. hat zwar meine Tätigkeit in dieser Frage ihr Ende gefunden, nicht aber beseitigt ist damit die Tatsache, daß mein Name vor dem deutschen Volke und vor der Welt für die Inkraftsetzung und Durchführung des Young-Planes mit verantwortlich gemacht wird. Für diese Inkraftsetzung und Durchführung aber sind Entscheidungen und Maßnahmen von anderer Seite innerhalb und außerhalb Deutschlands getroffen worden, die es mir unmöglich machen, weiter zuzusehen, wie die Absichten des Young-Planes verschoben und seine Erfolgsaussichten gefährdet werden.

Die Voraussetzungen, unter denen ich die Annahme des Young-Planes durch meine Unterschrift empfohlen habe, waren zweierlei Art. Die erste war, daß die im Young-Plan enthaltenen gemeinsamen Empfehlungen und Vorschriften restlos von allen beteiligten Mächten angenommen und geachtet würden. Die zweite Voraussetzung war – und hierüber haben lange und immer wiederholte Besprechungen zwischen der Reichsregierung einerseits und meinen deutschen Sachverständigen-Kollegen und mir andererseits stattgefunden –, daß die deutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik geordnet und auf erleichterte Tragung der Lasten des Young-Planes abgestellt würde. Obwohl seit der Unterzeichnung des Young-Planes sechs Monate verstrichen sind, sehe ich nicht, daß die ausländischen Regierungen oder die Reichsregierung diesen beiden Voraussetzungen Rechnung getragen haben, vielmehr erfüllt mich das, was inzwischen geschehen ist oder angestrebt zu werden scheint, mit der allergrößten Besorgnis5.

5

Schäffer, der das Memorandum absatzweise durchgezählt hat, bemerkt hierzu: „Zu Ziffer 3 behauptet Dr. Schacht, daß er seine Unterschrift unter den Young-Plan an gewisse Voraussetzungen geknüpft habe, insbesondere an die Voraussetzung, daß die im Young-Plan enthaltenen gemeinsamen Empfehlungen und Vorschriften restlos von allen beteiligten Mächten angenommen und gezeichnet würden. Dabei gibt er diesen Empfehlungen an späterer Stelle ganz bestimmte Auslegungen. Er erweckt den Anschein, daß diese Auslegungen von ihm zur Voraussetzung seiner Unterschrift gemacht worden seien. Daß dies der Fall ist, war bis zum Memorandum der RReg. unbekannt. Auch von den anderen deutschen Sachverständigen ist eine Mitteilung darüber nicht gemacht worden“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46). Kastl und Melchior bemerkten: „Der Young-Plan ist von allen Sachverständigen ohne Reserve unterzeichnet worden. Eine Einschränkung der Unterschriften würde also nur insoweit Geltung haben, als sie sich ausdrücklich aus dem Text ergibt“ (R 43 I /299 , Bl. 117-122, hier: Bl. 117-122).

[1221] I.

Ich wende mich zunächst denjenigen Maßnahmen zu, die das Verhalten der Gläubigerregierungen und die geforderten oder beabsichtigten finanziellen Abmachungen mit ihnen betreffen. Hierzu sind nachstehende Punkte des Young-Planes von ausschlaggebender Bedeutung.

1. Der Plan bezeichnet ausdrücklich als anerkennenswert die Entschlossenheit der deutschen Sachverständigen, keine unbedingte Haftung für eine Verpflichtung zu übernehmen, die nach ihrer Meinung nicht unter allen Umständen innerhalb der Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit liegt. Deshalb wird der Betrag der Gesamtannuitäten nicht von den deutschen, sondern nur von den Gläubiger-Sachverständigen als tragbar bezeichnet, während die deutschen Sachverständigen, wie der Plan ausdrücklich feststellt, lediglich durch die vorge sehenen Sicherungsmaßnahmen dazu veranlaßt worden sind, die Annahme des Planes als Ganzes zu empfehlen (Ziffer 76). Der Umstand, daß die deutschen Sachverständigen die Tragbarkeit der Young-Ziffern nicht anerkannt haben, legt auf das klarste die Größe der Verantwortung dar, die die Gläubiger-Sachverständigen auf sich genommen haben, indem sie ihrerseits die Ziffern für tragbar erklärten. Wenn in den Verhandlungen mit den auswärtigen Regierungen über die Inkraftsetzung des Young-Planes nunmehr von Deutschland über den Young-Plan hinaus weitere große Opfer verlangt werden, nämlich Verzicht auf berechtigte Eigentumsansprüche wie auch Zahlung zusätzlicher Beträge, so ist von vornherein klar, daß die Tragbarkeit der Ziffern des Young-Planes noch viel mehr in Frage gestellt und die Verantwortung der Gläubiger-Sachverständigen von den ausländischen Regierungen noch stärker belastet wird6.

6

Gegen diese Ansicht wandte Schäffer ein: „Die Opfer, die Deutschland zugemutet werden, forderte die andere Seite mit der Behauptung, daß sie entweder in den gemeinsamen Empfehlungen bereits enthalten seien oder sich aus den einseitigen Empfehlungen der Gläubigerseite ergeben. Die Abwehr dieser Ansprüche wird für die deutsche Regierung dadurch erschwert, daß: a) soweit die Auslegung der gemeinsamen Empfehlungen in Betracht kommt, der deutsche Standpunkt, obwohl die Verschiedenheit der Meinungen bei den Verhandlungen hervorgetreten war, im Plan keinen klaren Ausdruck gefunden hat (vergleiche Kontenschluß- und Liquidationsüberschüsse), b) soweit die einseitigen Empfehlungen der Gläubigerseite in Frage kommen ([Ziffer] 143) zwar der Gläubiger-Standpunkt in dem Plane entwickelt worden ist, dagegen nicht einmal die Aufnahme der deutschen Auffassung und ihre Begründung in dem Plan durchgesetzt worden ist, c) es ist danach in beiden Fällen der Regierung überlassen worden, ohne eine Stütze im Wortlaut des Plans den deutschen Standpunkt durchzusetzen. Durch das Memorandum wird demgegenüber der Eindruck erweckt, als ob von den Sachverständigen bereits Errungenes von der deutschen Regierung preisgegeben werden sollte. Dieser Eindruck wird namentlich dadurch erweckt, daß in den Ziffern 6–8 des Memorandums von zusätzlichen Leistungen die Rede ist, während es sich tatsächlich um von den Sachverständigen im Streit belassene Leistungen oder Verzichte handelt“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46). Die beiden Delegationskollegen Schachts bemerkten: „In den Pariser Verhandlungen hat die deutsche Delegation eine Reihe von Forderungen erhoben, die nicht durchzusetzen waren. Teilweise sind diese Forderungen in dem Young-Plan überhaupt nicht mehr erwähnt, teilweise sind die entsprechenden Fragen ausdrücklich als offen und daher als von den Regierungen zu regeln bezeichnet worden. So wünschenswert es gewesen wäre, wenn die deutsche Regierung die Punkte, die die deutsche Delegation in Paris nicht durchsetzen konnte, ihrerseits durchgesetzt hätte, so wenig kann man der Regierung einen Vorwurf machen, wenn ihr dieses nicht gelang. Denn schon die Tatsache, daß von der deutschen Delegation in Paris erhobene Forderungen dort nicht erreicht werden konnten, erschwerte die Verhandlungsgrundlage für die deutsche Regierung. Es ist unrichtig, daß derartige, in Streit befindliche Punkte, die weder die deutsche Delegation in Paris noch später die Regierung erreichen konnten, ‚neue Belastungen‘ oder ‚Verfälschungen‘ des Young-Plans darstellen“ (R 43 I /299 , Bl. 117-122, hier: Bl. 117-122).

[1222] 2. Der Young-Plan stellt eindeutig fest, daß die Lösung des Reparationsproblems nicht nur eine Aufgabe Deutschlands ist, sondern daß sie im gemeinschaftlichen Interesse aller beteiligten Länder liegt und daher die Zusammenarbeit aller Beteiligten verlangt (Ziffer 168). Damit, daß jetzt nahezu jede einzelne Gläubigerregierung versucht, über den Young-Plan hinaus weitere finanzielle und wirtschaftliche Leistungen aus Deutschland herauszupressen, verstoßen die ausländischen Regierungen gegen die ausdrücklich im Young-Plan ihnen zur Pflicht gemachte Zusammenarbeit.

3. Die Verringerung der Budgetbelastung aus dem Young-Plan gegenüber dem Dawes-Plan wird im Sachverständigenbericht als ein wesentliches Moment bezeichnet für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, insbesondere für die zur Durchführung des Planes erforderliche Bildung von neuem Kapital (Ziffer 113). Diese finanzielle Entlastung wird durch die zusätzliche Belastung, die man Deutschland außerhalb des Planes zumutet, illusorisch gemacht.

4. Eine sofortige Erleichterung gegenüber den Dawes-Zahlungen ist seitens des Young-Planes vorgesehen durch den niedrigen Beginn und das langsame Ansteigen der Annuitäten in den ersten Jahren, um hierdurch Sicherheit dafür zu schaffen, daß das neue System von Anfang an ohne Reibung und Störung arbeitet (Ziffer 114). Gerade hiergegen besonders verstößt die Gläubigertaktik, im finanziell schwächsten Augenblick weitere Lasten von Deutschland zu verlangen.

5. Der Young-Plan empfiehlt, daß Deutschlands frühere Verpflichtungen vollständig durch die im Plan festgelegten Verpflichtungen ersetzt werden sollen, und daß etwaige Streitfragen über den Umfang der früheren Verpflichtungen dem Auslegungsschiedsgericht zu unterbreiten sind (Ziffer 96). Diese Bestimmung, die als sogenannte „all inclusive amounts“ Klausel bekannt ist, muß von Deutschland restlos in Anspruch genommen werden. Es liegt keinerlei Veranlassung vor, ohne gleichwertige Gegenleistung freiwillig in irgendeinem Punkte auf die Geltendmachung dieser Klausel zu verzichten, Zahlungen zu leisten oder Verzichte auszusprechen7.

7

Schäffer vertrat hierzu die Meinung: „Auf die inclusive amount Klausel hat die Regierung nicht verzichtet. Im Gegenteil. Sie hat sie in den Herren Schacht bekannten Verhandlungen des Pariser Komitees im Anschluß an den von den Gläubigersachverständigen empfohlenen deutschen Verzichten dadurch ausgebaut, daß sie auch den Verzicht der Gläubiger auf solche Ansprüche erreicht hat, die nicht durch die inclusive amount Klausel gedeckt waren. – Da die inclusive amount Klausel nur den Inhalt hat, durch die deutschen Annuitäten die Ansprüche der Gegenseite als erledigt zu erklären, kann aus ihr der Schluß, daß sie den von den Gläubigersachverständigen empfohlenen deutschen Verzichten entgegensteht, niemals hergeleitet werden. Im Gegenteil haben die Sachverständigen der Gläubigerseite in dem Plan selbst aus ihren Zugeständnissen der inclusive amount Klausel die Notwendigkeit des deutschen Verzichts abgeleitet, ohne daß eine Widerlegung dieses Arguments durch Herrn Schacht im Plane erfolgt ist“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46).

[1223] 6. Die Verteilung der deutschen Zahlungen unter dem Young-Plan gemäß Ziffer 97 ist eine Empfehlung, die die deutschen Sachverständigen nicht mit unterschrieben haben (Anlage VII). Einseitige Empfehlungen der Gläubiger-Sachverständigen im Young-Plan aber haben ebensowenig bindende Kraft wie die einseitigen Empfehlungen, die die deutschen Sachverständigen gemacht haben. Sie können insbesondere den rechtlichen Charakter der vor der Zeit des Young-Planes vorhandenen internationalen Verhältnisse in keiner Weise berühren. Wenn Deutschland sich bereit erklärt, solche einseitigen Empfehlungen zu befolgen, so muß dagegen verlangt werden, daß die Empfehlungen der deutschen Sachverständigen, die im Young-Plan enthalten sind, ebenfalls befolgt oder andere Gegenleistungen geboten werden8.

8

Zu den einseitigen Empfehlungen der deutschen Sachverständigen bemerkte Schäffer: „Trotz eifrigsten Suchens findet sich nur eine einzige Empfehlung, die möglicherweise gemeint sein könnte (Ziffer 153), im Plan, die aber leider im Gegensatz zu den sehr bestimmten Empfehlungen der Gläubigersachverständigen sehr schwach gefaßt ist. Daß die deutsche Regierung bei ihren Verhandlungen versucht und zum Teil auch erreicht hat, Gegenleistungen herauszuholen, ist selbstverständlich. Der Polen-Vertrag beruht auf diesem Bestreben“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46).

II.

Nach dem, was bisher verlautet, sind seit der Unterzeichnung des Young-Planes folgende neue finanzielle Zumutungen an Deutschland gestellt worden:

1. Deutschland soll laut Haager Protokoll auf den fünfmonatlichen Überschuß von 400 Millionen RM verzichten, der sich daraus ergibt, daß die Dawes-Zahlungen bis Ende August 1929 vorgesehen sind, die Zahlungsperiode des Young-Planes aber bereits am 1. April 1929 einsetzt9.

9

Kastl und Melchior stellten zu dieser Behauptung Schachts fest: „In Paris hat die deutsche Delegation die Auskehrung des Überschusses von rund 379 000 000,– an Deutschland verlangt, während die Alliierten diese Forderung abgelehnt haben. Es ist infolgedessen beschlossen worden, die Regelung dieser Angelegenheit der Regierung zu überlassen. Im Haag war es leider nicht mehr möglich, die alliierten Regierungen zu einer entgegenkommenden Haltung zu bringen. Das ist zwar bedauerlich, war aber ein Ergebnis, das im Young-Plan selbst vorausgesehen worden ist. Die besonderen Umstände, aus denen Herr Kastl eine Durchsetzung der Auskehrung dieses Überschusses von vornherein nicht für möglich hielt, sind gelegentlich der Aussprache im Haag genau erörtert worden“ (R 43 I /299 , Bl. 117-122, hier: Bl. 117-122).

2. Deutschland soll laut Haager Protokoll gerade in den ersten Jahren des Young-Planes, deren Erleichterung für das Gelingen des Ganzen von entscheidender Bedeutung ist, eine Erhöhung der ungeschützten Annuitäten vornehmen, die im ersten Jahre 40,5 Millionen RM beträgt, bis zur zwanzigsten Annuität absinkt, um erst danach wieder langsam ausgeglichen zu werden10.

10

Schäffer vertrat zu diesem Punkt die Meinung: „Die Darstellung Dr. Schachts erweckt den Anschein, als ob die Erhöhung der ungeschützten Annuität während der ersten Jahre der beabsichtigten Erleichterung der Last für diese Zeit entgegensteht. Tatsächlich bleibt die jährliche Belastung völlig gleich. Nur im Falle eines Transfermoratoriums wäre der zu übertragende Betrag um eine verhältnismäßig geringe Summe höher. In einem solchen Falle kommt es aber nicht darauf an, ob 660 oder 700 Millionen jährlich übertragen werden müssen, sondern es handelt sich in diesem Augenblick um die Übertragung oder Nichtübertragung der viel größeren Ziffern der Gesamtleistung“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46). „Redaktionell“ bemerkten Kastl und Melchior, „daß der Text im Publikum mehrfach irrtümlich insofern falsch aufgefaßt worden ist, als ob durch die Erhöhung der ungeschützten Annuität eine Erhöhung der Gesamtlast eingetreten sei. Es handelt sich vielmehr nur um eine in Anbetracht der ganzen Größenordnung nach unserer Ansicht nicht ausschlaggebende Verschiebung innerhalb der ungeschützten und geschützten Annuität. Die Haager Regelung ist allerdings gegenüber dem Young-Plan insofern nachteilig, als der ungeschützte Teil der Annuität zunächst um etwa 40 000 000,– RM steigt. Zu berücksichtigen ist aber, daß Deutschland, abgesehen davon, daß die Belastung später auf 612 000 000,– sinkt, nach der Haager Regelung die Chance einer Verringerung des ungeschützten Teiles der Annuität hat, falls es gelingen sollte, den Zinsfuß der Dawes-Anleihe im Wege einer freiwilligen Konversion herabzusetzen“ (R 43 I /299 , Bl. 117-122, hier: Bl. 117-122).

[1224] 3. Deutschland soll laut Erklärung des britischen Finanzministers auf rund 300 Millionen RM aus liquidiertem deutschen Eigentum verzichten11.

11

Schäffer hielt Schachts Standpunkt für „völlig ungerechtfertigt“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46). In der Begründung bezieht er sich auf die Ziffern 142 und 147 des Young-Plans, siehe u. Anm. 14. Melchior und Kastl äußerten hierzu: „Die deutsche Delegation hat in Paris versucht, die Auskehrung der Liquidationserlöse zu erreichen. Das haben die alliierten Sachverständigen abgelehnt. Infolgedessen ist dieser Punkt im Young-Plan überhaupt nicht erwähnt worden. Es ist also keine zusätzliche Belastung, wenn jetzt die Engländer, so sehr es zu bedauern ist, die Auskehrung der Liquidationserlöse verweigern. Der Young-Plan stellt nicht fest, daß Deutschland auf diese Auskehrung einen Anspruch hat. Im Young-Plan konnten durch eine geschickte Formulierung nur die Möglichkeiten für eine nochmalige Erörterung der Herausgabe der Liquidationsüberschüsse geschaffen werden“ (R 43 I /299 , Bl. 117-122, hier: Bl. 117-122).

4. Deutschland soll laut deutsch-polnischem Vertragsentwurf auf außerordentlich hohe Eigentumsansprüche gegen Polen verzichten, eine Maßnahme, die zwangsweise die volle Entschädigung der deutschen Enteigneten durch die deutsche Regierung zur Folge haben muß.

5. Deutschland soll nach den Vorschlägen des Pariser Unterausschusses über die „Liquidierung der Vergangenheit“ auf eine ganze Reihe von finanziellen Rechten verzichten, deren Ausmaß zwar noch schwer übersehbar ist, jedenfalls aber sehr erhebliche Werte umfaßt12.

12

Hierzu bemerkte Schäffer: „Die Verzichte, die Deutschland aussprechen muß, haben ihre Grundlage in der […] Verzichtempfehlung der Gläubigermächte, deren Annahme durch Deutschland die Gläubigermächte zur Voraussetzung der Annahme des Young-Plans machten. Demgegenüber ist es gelungen, bei den Verhandlungen in Paris die Beschränkungen auf eine erheblich engere Fassung zu erreichen und, soweit Polen in Betracht kommt, die Sache aus dem Rahmen des unentgeltlichen Verzichts der Gläubigerempfehlung herauszunehmen und in ein allgemeineres auf nationalpolitischem Gebiet Gegenleistungen gewährendes Abkommen einzubauen“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46).

6. In vorstehender Aufzählung sind die im deutsch-belgischen Markabkommen Deutschland für 37 Jahre auferlegten Lasten von jährlich durchschnittlich 19,5 Millionen RM noch nicht enthalten13.

13

Am besten sei die Lektüre der Anlage VI des Young-Plans zur Widerlegung Schachts, meinte Schäffer bei diesem Punkt und weist darauf hin, daß nur bei Regelung des Markabkommens der Plan in Kraft treten konnte. In Stichworten fährt er fort: „Zusatz-Zahlungen zu den Annuitäten für diesen Zweck werden von allen Sachverständigen, also auch von Herrn Schacht, bereits ins Auge gefaßt. Danach kann man sagen, daß Zusatzleistungen, die nicht ihren letzten Grund in der von der RReg. zwar bedauerten, aber von ihr leider nicht zu ändernden Fassung des Young-Plans haben, von der Regierung nicht zugestanden worden sind und auch nicht werden“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46). Aus ihrer Erfahrung bei den Pariser Frühjahrsverhandlungen stellten Kastl und Melchior fest: „Ob eine etwaige Entschädigung Belgiens für seine Markforderungen in die Annuität fällt, war nach dem Dawes-Plan streitig. Die deutsche Delegation hatte sich in den Pariser Verhandlungen mit den alliierten Sachverständigen darüber verständigt, daß die belgische Markangelegenheit außerhalb des Rahmens der Verhandlungen bleiben sollte.“ An das schließlich von Schacht an Owen Young am 3. 6. gesandte Schreiben mit der Einwilligung zu Verhandlungen seien keine Reserven geknüpft worden: „Es ist also Mitinhalt des Young-Plans geworden, und die Entschädigung an Belgien kann daher nicht als neue zusätzliche Belastung angesehen werden“ (R 43 I /299 , Bl. 117-122, hier: Bl. 117-122).

[1225] Ob nicht noch weitere Verzichte oder Zahlungsverpflichtungen uns angesonnen werden, z. B. im Zusammenhang mit der Saarregelung, ist zur Zeit noch nicht zu übersehen. Die vorstehenden Verpflichtungen, die zusammen in die Milliarden gehen, sollen ohne irgendeine nennenswerte Gegenleistung erfolgen, die uns nicht schon aus dem Young-Plan voll zustände.

III.

Es erhebt sich sofort die Frage, ob denn irgendeine Verpflichtung aus dem Young-Plan für uns abgeleitet werden kann, solche Zahlungen und Verzichte vorzunehmen. Die einzigen Bestimmungen des Young-Planes, die hierfür in Frage kommen, befinden sich im Abschnitt 9 unter dem Titel „Liquidierung der Vergangenheit“ (Ziffer 141–147). Hiervon sind die Ziffern 145 und 146 für die vorliegende Betrachtung ohne Bedeutung. Ziffer 144 bezieht sich auf Liquidierungen deutschen Eigentums nach Annahme des Young-Planes.

Ziffer 141 empfiehlt allgemein die Bereinigung der Vergangenheit „im Geiste allseitigen Entgegenkommens“ (in a broad spirit of mutual concession). Dieser einleitende Satz, der für den ganzen Abschnitt über die Liquidierung der Vergangenheit gilt, besagt auf das deutlichste, daß jeder deutschen Konzession eine Konzession von der anderen Seite gegenüberstehen muß.

Ziffer 142 empfiehlt die baldmöglichste Schließung der Konten zwischen der Reparationskommission und Deutschland über die vor der Zeit des Dawes-Planes liegenden Vorgänge „nach obigen Grundsätzen“, (on these lines), d. h. wiederum im Geiste gegenseitiger Zugeständnisse. Daraus, daß der Kontenabschluß ausdrücklich auf die Vorgänge vor dem Inkrafttreten des Dawes-Abkommens beschränkt ist, ergibt sich, daß Deutschland alle bis dahin noch nicht auf Reparationskonto gutgeschriebenen Eigentumsansprüche zustehen, da mit dem Dawes-Abkommen die „all inclusive amounts“ Klausel in Kraft getreten ist. Dies betrifft insbesondere das in England liquidierte deutsche Eigentum, welches bisher auf Reparationskonto nicht gutgebracht wurde.

Durch Ziffer 147 erhält Ziffer 142 eine Ergänzung für diejenigen Staaten, die als Nachfolgestaaten bezeichnet werden. Hier wird den Gläubigerregierungen empfohlen, daß sie innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des neuen Planes (also nicht vor Inkrafttreten) für die in der Hand der Reparations-Kommission gegen die Nachfolgestaaten befindlichen Forderungen und Schulden aus dem abgetretenen Staatseigentum und aus der Befreiungsschuld eine endgültige Regelung finden. Aus dem Zusammenhalten von Ziffer 142 und 147 ergibt sich, daß bei dieser Regelung, die die Gläubigerregierungen vorzunehmen haben, alle Gutschriften, soweit sie früheres deutsches Staatseigentum betreffen, Deutschland zustehen. Diese Frage ist besonders für das früher deutsche Staatseigentum in Polen von Bedeutung, und Deutschland wird deshalb bei dieser Regelung mitzusprechen haben14.

14

Zu diesen Punkten wurde besonders ausführlich Stellung genommen. Schäffer schrieb: „Dr. Schacht begründet ihn in Ziffer 22 des Memorandums [nach Absätzen gezählt] mit einer neuen Auslegung, von der er bedauerlicherweise bisher weder der RReg. noch der Öffentlichkeit bei seinen verschiedenen öffentlichen Auslassungen Mitteilung gemacht hat. Hätte Herr Schacht das von ihm jetzt behauptete tatsächlich erreicht und bisher mit diesem aus dem Wortlaut nicht zu entnehmenden Erfolge zurückgehalten, so läge hierin eine schwere Versäumnis, da es sich dabei nach dieser jetzigen Darlegung nicht nur um erhebliche Beträge der deutschen Privatansprüche, sondern auch um die Ansprüche auf Ersatz für das Eigentum des deutschen Reichs handelt. – Diese neue Auslegung beruht aber in Wirklichkeit auf einer Reihe von schwer verständlichen Mißverständnissen des leider klaren Wortlauts. Nach Herrn Schacht empfiehlt die Ziffer 142 ‚die baldmöglichste Schließung der Konten zwischen der Reparationskommission und Deutschland über die vor der Zeit des Dawes-Plans liegenden Vorgänge ‚nach obigen Grundsätzen‘ (on these lines). Nach dem Wortlaut dagegen erklären sämtliche Sachverständigen also einschließlich des Herrn Schacht, ihre Auffassung gehe dahin, daß durch eine Regelung ‚nach obigen Grundsätzen‘ (on these lines) die Abrechnung zwischen der Reparationskommission und Deutschland über die vor der Zeit des Dawes-Plans liegenden Vorgänge ‚together with all accounts involving credits against the original capital debt‘ gegenstandslos werden. Dieselbe Gesamtheit der Sachverst. tritt dann ‚mit Entschiedenheit dafür ein, daß die Konten möglichst bald abgeschlossen werden.‘ Es ist danach festzustellen, daß a) es sich nicht nur um den Abschluß der Konten, sondern in erster Linie um das Gegenstandsloswerden der Abrechnungen handelt, als deren Folge der Kontenschluß empfohlen wird, b) daß dieses Gegenstandsloswerden nicht selbst von irgendeinem Entgegenkommen der Gegenseite abhängig gemacht, sondern als eine selbstverständliche und unbedingte Wirkung des Gesamtabkommens sichergestellt wird, c) daß mit diesen Abrechnungen zugleich alle Abrechnungen ‚involving credits against the original capital debt‘ gegenstandslos werden sollten. – Die Hervorhebung dieser 4 Punkte zeigt jedem, dem Inhalt und Bedeutung der Abrechnungen mit der Reparationskommission bekannt sind, daß hier eine Behauptung aufgestellt wurde, die mit dem klaren Wortlaut des Young-Planes unvereinbar ist. Gerade in den entscheidenden Punkten ist das Gegenteil dessen im Young-Plan gesagt, was der jetzigen Schachtschen Auffassung zur Seite stehen könnte. – Daß es sich bei der Übertragung des Staatseigentums an Polen ebenso wie bei der Überantwortung des deutschen Eigentums an die Gläubigermacht durch den Vertrag von Versailles um Vorgänge handelt, die vor dem Inkrafttreten des Dawes-Plans liegen, ist für das Staatseigentum tatsächlich außer Zweifel, für das liquidierte deutsche Staatseigentum überdies durch die Entscheidungen des Auslegungsschiedsgerichts außer Zweifel gestellt, deren Grundsätze der Young-Plan ausdrücklich als bindend anerkennt. Unter diesen Umständen würde man sich, wollte man die neue Schachtsche These den Gegnern gegenüber vertreten, nicht nur schärfste Ablehnung, sondern geradezu den Vorwurf der Illoyalität und der Verfälschung des Young-Planes aussetzen. – Die dem Wortlaut entsprechende Auselgung wird leider durch die Nr. 147 des Planes verstärkt, in der die Sachverständigen, einheitlich einschließlich des Herrn Schacht, dem Gläubigerregierungsorgan, und zwar ihm allein empfehlen, daß sie ‚innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des neuen Planes für die in der Hand der Reparationskommission gegen die sogenannten Nachfolgestaaten befindlichen Forderungen und Schulden aus dem abgetretenen Staatseigentum und aus der Befreiungsschuld eine endgültige Regelung finden. Deutschland ist durch diese Erklärung der deutschen Sachverständigen von vornherein also bei dieser Regelung ausgeschaltet worden. Herr Schacht behauptet demgegenüber, daß Deutschland bei dieser Regelung mitgesprochen habe, ja daß ihm alle Gutschriften für das frühere deutsche Staatseigentum noch zustehen“ (R 43 I /299 , Bl. 36-46, hier: Bl. 36-46). Melchior und Kastl vertraten zu diesen beiden Absätzen den folgenden Standpunkt: „1. In Ziffer 142 des Young-Planes erklären sämtliche Sachverständigen, also auch die deutschen, daß durch eine Regelung nach den Grundsätzen der Ziffer 141 die Abrechnung zwischen der Reparations-Kommission und Deutschland über die vor der Zeit des Dawes-Planes liegenden Vorgänge, einschließlich solcher Abrechnungen, die Gutschriften auf die ursprüngliche Kapitalschuld bedingen, gegenstandslos werden. Die Sachverständigen sind mit aller Entschiedenheit dafür eingetreten, daß die Konten baldmöglichst abgeschlossen werden sollten. Damit wollte man nach unserer Auffassung erreichen, daß derartige Abrechnungen nicht mehr eine gemeinsame Sache der Gläubiger bleiben und wollte die Möglichkeit für gesonderte Auseinandersetzungen mit den einzelnen Gläubigern schaffen (siehe Liquidationsüberschüsse). Das ist aber nur unsere Auslegung. Die der Gläubiger ist ganz anders. Sie vertreten die Ansicht, daß die Abrechnungen über alle vor dem Dawes-Plan liegenden Vorgänge gegenstandslos werden sollen, und daß insbesondere solche Abrechnungen, die Gutschriften auf die ursprüngliche Kapitalschuld bedingen, als erledigt gelten. Als Folge dieser Erledigung würde dann der Kontenschluß einzutreten haben. Auf jeden Fall kann ein Anspruch unsererseits aus der Fassung des Young-Plans nicht hergeleitet werden. – 2. Ziffer 147. Die Empfehlung dieser Ziffer ist von allen Sachverständigen, also auch den deutschen, ausgesprochen. Sie geht dahin, daß die Gläubigerregierungen innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des neuen Planes für die in der Hand der Reparations-Kommission gegen die sogenannten Nachfolgestaaten befindlichen Forderungen und Schulden aus dem abgetretenen Staatseigentum und aus der Befreiungsschuld eine endgültige Regelung finden. Nach diesem, auch von der deutschen Delegation angenommenen Vorschlage des Young-Planes hat sich Deutschland der Mitwirkung bei dieser Regelung begeben, da nur die Gläubigerregierungen genannt sind. Es ergibt sich das übrigens auch aus der Geschichte der Verhandlungen. Wir hatten verlangt, daß, wenn wir die Young-Annuitäten als endgültige und vollständige Reparationszahlung leisten, die Reparations-Kommission Deutschland die Ansprüche gegen die Nachfolgestaaten aus den oben genannten Titeln übertragen soll. Das haben die alliierten Sachverständigen, wie auch aus politischen Gründen vorauszusehen war, abgelehnt. Wir haben alsdann verlangt, daß die Reparationskommission auf diese Ansprüche verzichten solle. Auch das wurde abgelehnt, und es wurde die vorerwähnte Regelung einstimmig getroffen, nach der die Gläubiger-Regierungen diese Frage innerhalb eines Jahres regeln sollen. Von einem Anspruch Deutschlands auf die Forderungen kann daher weder nach dem Wortlaut noch nach der Entstehungsgeschichte die Rede sein. Deutschland steht nicht einmal das Recht der Mitwirkung bei dieser Regelung zu. Sie wurde von uns verlangt, ist aber ausdrücklich abgelehnt worden“ (R 43 I /299 , Bl. 117-122, hier: Bl. 117-122).

[1226] Ziffer 143 spricht als einseitige Erwartung der Gläubiger-Sachverständigen aus, daß Deutschland auf Ansprüche, die es wegen früherer Vorgänge mache, verzichten werde. Da die deutschen Sachverständigen in Paris dieser Erwartung durchaus widersprochen haben, so schließt Ziffer 143 mit der Feststellung, daß der Gesamtausschuß der Auffassung ist, daß die Regelung dieser Frage gänzlich den Regierungen überlassen bleiben soll. Aus dieser Formulierung geht deutlich hervor, daß die deutschen Sachverständigen, die schon die Ziffern des Young-Planes nicht für tragbar gehalten haben, erst recht nicht Verzichte auf deutsche Ansprüche zuzugestehen gewillt waren, die die Tragbarkeit der Young-Ziffern noch mehr in Frage gestellt hätten. Wenn die deutsche Regierung trotzdem jetzt auf solche Ansprüche verzichten sollte, so geht sie damit über den klar erkennbaren Willen der deutschen Sachverständigen hinaus und übernimmt eine Verantwortung, die ihre Sachverständigen ausdrücklich abgelehnt haben. Diese Verantwortung würde um so schwerer wiegen, als die Argumente der deutschen Sachverständigen gegen die Tragbarkeit der Young-Ziffern durch Zubilligung weiterer Leistungen seitens der deutschen Regierung einfach beiseite geschoben werden.

[1227] Aus allem Vorstehenden ergibt sich, daß auch nicht die leiseste Begründung im Young-Plan enthalten ist, die im Abschnitt II aufgezählten Verzichte und Zahlungen ohne gleichwertige Gegenleistungen zuzusagen.

IV.

Neben diesen außenpolitischen Voraussetzungen war eine weitere unerläßliche Voraussetzung für die deutschen Sachverständigen in Paris die Entschlossenheit der Reichsregierung, im finanziellen Gebaren von Reich, Ländern und Gemeinden eine dauernde Ordnung zu schaffen und die Tragung der schweren Lasten des Young-Planes durch eine innerwirtschaftliche Erleichterung der deutschen Produktion zu ermöglichen. In beider Hinsicht ist seit der Unterzeichnung des Young-Planes nicht das geringste geschehen. Die Reichsfinanzverwaltung hat trotz allen Drängens immer wieder erklärt, daß an die Ordnung des Haushaltes und an eine Lastenerleichterung der deutschen Wirtschaft nicht herangegangen[1228] werden könne, bevor nicht der Young-Plan angenommen und die Herabminderung der jährlichen Reparationszahlungen tatsächlich eingetreten sei.

Dieses Verhalten mag verständlich sein, so weit die Lastenerleichterung der deutschen Wirtschaft in Frage kommt. Man könnte die unter dem derzeitigen Lastendruck leidende deutsche Wirtschaft darauf vertrösten, daß die Annahme des Young-Planes ihr die erforderliche Entlastung bringen werde. Hierzu wäre aber erforderlich eine Finanzpolitik, die klar erkennen läßt, daß die Zahlungssenkung des Young-Planes auch wirklich zur Erleichterung des Lastendruckes für die Wirtschaft verfügbar sein und nicht für andere Zwecke benötigt werden wird.

In jedem Falle aber mußte, ganz abgesehen von dieser zugesagten Lastenerleichterung, die Ordnung des Haushaltes und der Finanzgebarung sofort in Angriff genommen werden. Auch das ist nicht geschehen. Das materielle Gleichgewicht des Haushalts ist nicht hergestellt worden; Schritte zur organischen Beseitigung des bisherigen Defizits sind nicht ergriffen worden; neue, sich ständig vermehrende Fehlbeträge und Neuanforderungen tauchen auf, die im wesentlichen nur durch weitere Steuern, also durch vermehrte Belastung, gedeckt werden können. Es ist schon heute mit Sicherheit zu übersehen, daß die Einsparung aus dem Young-Plan nicht nur nicht zu einer Lastenverminderung führen, sondern nicht einmal zur Deckung der jetzt bereits übersehbaren Fehlbeträge ausreichen wird. Besonders bedrohlich ist, daß die ständig steigenden Fehlbeträge zu einer ständig steigenden kurzfristigen Verschuldung der öffentlichen Hand geführt haben, für deren Konsolidierung geraume Zeit benötigt werden wird.

Die dringend notwendige Lastenerleichterung der Wirtschaft ist nur möglich, wenn die Ausgabenseite des Etats von Reich, Ländern und Gemeinden gekürzt wird. Eine solche Ausgabenkürzung wäre die Einsparung aus dem Young-Plan gewesen, wenn ihre anderweitige Inanspruchnahme vermieden worden wäre. Nun aber ist über die Einsparung des Young-Planes längst verfügt und die deutsche Wirtschaft steht nicht vor einer Lastensenkung, sondern vor einer Lastenerhöhung.

V.

Die Situation, vor der ich mich als deutscher Mitunterzeichner des Young-Planes befinde, ist demnach folgende:

In dem Young-Plan habe ich in gutem Glauben und mit gutem Willen ein Vertragswerk mit aufbauen helfen, für dessen restlose Durchführbarkeit ich zwar keine Mitverantwortung übernommen habe, das aber von mir und allen anderen an der Schaffung des Planes Beteiligten als die einzige Möglichkeit angesehen wurde, die Reparationsfrage zu regeln und der Welt durch gemeinschaftliche Zusammenarbeit den Frieden wiederzugeben. Dieser Plan ist nicht ein beliebiges schriftstellerisches Machwerk, sondern ist getragen von dem ganzen sittlichen Ernst und dem Verantwortungsgefühl seiner Verfasser nicht nur gegenüber ihren eigenen Völkern, sondern gegenüber der ganzen zivilisierten Welt. Es muß verlangt werden, daß die Regierungen nicht durch Hervorkehrung einseitiger Interessen dieses Friedenswerk gefährden. Ich für meinen Teil muß[1229] es auf das bestimmteste ablehnen, für die Inkraftsetzung des Young-Planes verantwortlich gemacht zu werden, wenn seine Absichten und Voraussetzungen in einer Weise mißachtet werden, wie es nach den derzeitigen Maßnahmen und Forderungen der Fall zu sein scheint.

Das deutsche Volk muß erwarten, daß die ausländischen Regierungen endgültig ihre Versuche aufgeben, über den Young-Plan hinaus Sonderleistungen und Sonderverzichte aus der deutschen Wirtschaft herauszupressen. Sie müssen wissen, daß sie durch eine solche falsche Politik die Verantwortung dafür auf sich laden, wenn der Young-Plan von vornherein mit schweren Störungen zu rechnen hat und die Mobilisierung der Annuitäten gefährdet wird.

Von der deutschen Regierung aber muß verlangt werden, daß sie keinerlei zusätzliche Leistungen bewilligt. Es muß ferner verlangt werden, daß sie, bevor der Young-Plan von ihr endgültig angenommen wird, Ordnung in den Haushalt von Reich, Ländern und Gemeinden bringt und die Zurückführung der Belastung des deutschen Volkes auf ein Maß vorsieht, das mit der Ertragsfähigkeit der deutschen Wirtschaft vereinbar ist.

Durch die derzeitigen ungeordneten finanziellen Verhältnisse und die ständige Bedrohung von seiten der schwebenden Verschuldung wird die deutsche Verhandlungsfreiheit über den Young-Plan unter einen Druck gesetzt, der für einen gedeihlichen Abschluß unerträglich ist.

Gerade diejenigen, die mit mir der Meinung sind, daß der Young-Plan ein endgültiges Friedensinstrument ist, ein Plan, der die internationale Zusammenarbeit und das Gedeihen der deutschen Wirtschaft voraussetzt und ohne diese beiden Voraussetzungen nicht durchführbar ist, müssen verlangen, daß alles getan wird, um diese Voraussetzungen zu erfüllen.

Ich habe mit allem Nachdruck die Agitation gegen den Young-Plan bekämpft, ich halte das eingeleitete Volksbegehren, das dieser Agitation dient, für einen schweren Fehler, weil es eine sinn- und kraftvolle Verteidigung unserer Interessen unter dem Young-Plan untergräbt. Aber gerade weil ich mich für die Annahme des Young-Planes einsetze, wünsche ich nicht, Teil zu haben an seiner Verfälschung. Es wäre eine Selbsttäuschung der Welt, zu glauben, wir könnten über die Young-Zahlungen hinaus noch weitere beliebige Millionen oder Milliarden zahlen oder auf Eigentumsrechte verzichten. Es wäre eine Selbsttäuschung des eigenen Volkes, zu glauben, daß es bei der heutigen oder womöglich noch gesteigerten Wirtschaftsbelastung die Young-Zahlungen und womöglich noch zusätzliche Beträge aufzubringen in der Lage ist.

Ich will und werde nicht dazu beitragen, daß eine solche Täuschung Platz greift.

gez. Dr. Hjalmar Schacht

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