1.195.1 (mu22p): 1. Deutsch-österreichische Handelsvertragsverhandlungen.

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1. Deutsch-österreichische Handelsvertragsverhandlungen.

Zunächst führte Staatssekretär Dr. von Schubert aus, daß wegen der Anwesenheit des Bundeskanzlers Dr. Schober eine grundsätzliche Entscheidung über die noch offenen Fragen hinsichtlich des Abschlusses eines Handelsvertrages zwischen Österreich und Deutschland getroffen werden müsse1.

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Zum Aufenthalt Bundeskanzler Schobers in Berlin siehe J. Curtius, Bemühungen um Österreich, S. 17 ff. – Mit Österreich schwebten seit 1928 Handelsvertragsverhandlungen über die Einfuhr von Holz und landwirtschaftlichen Produkten nach Deutschland. Seit September 1929 waren die Verhandlungen in Anbetracht der dt. Agrarzollfragen zum Erliegen gekommen (Material in R 43 I /1105 ). Das AA hatte in seiner Vorlage vom 15. 2. aus politischen Erwägungen die österr. Wünsche auf Beseitigung der Handelshindernisse unterstützt (R 43 I /1105 , Bl. 112 f., hier: Bl. 112 f.).

Ministerialdirektor Dr. Ritter gab alsdann einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen unter Anlehnung an die Ausführungen der Kabinettsvorlage. Er erklärte, daß ohne ein Entgegenkommen gegenüber Österreich im Schnittholzzoll ein Abschluß der Verhandlungen nicht möglich sein werde. In beiden Ländern habe sich aber der Druck, zu einem Abschluß zu kommen, so gesteigert, daß es nicht mehr möglich sei, die endgültigen Entscheidungen[1473] länger hinauszuziehen2. Um mit Rücksicht auf den deutschen Waldbesitz und die Sägewerke ein Entgegenkommen im Schnittholzzoll zu vermeiden, sei erwogen worden, die Schnittholztarife, die für Österreich in Frage kämen, zu ermäßigen. Verhandlungen mit der Reichsbahn hierüber hätten aber ergeben, daß es nicht möglich wäre, diese Ermäßigungen auf die für Österreich in Frage kommenden Strecken zu beschränken. Würden die Tariferhöhungen aber auch auf die Strecken Anwendung finden, die für die Tschechoslowakei und Polen in Frage kämen, so würde der Nutzen beseitigt, der für Österreich aus den Tarifermäßigungen erwachsen sollte.

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In diesem Sinn hatte Paul Löbe in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des österr.-dt. Volksbundes zu den Handelsvertragsverhandlungen gefordert, die deutsche Vertretung nicht wirtschaftlichen Interessenvertretern allein zu überlassen, sondern vorwiegend dem politischen Grundsatz Geltung zu verschaffen, daß die Verhandlungen im Sinne einer künftigen Wirtschaftseinheit zu führen sind (22.11.29; R 43 I /1105 , Bl. 100, hier: Bl. 100). Darauf hatte der RK geantwortet, die Verhandlungen lägen in Händen von Organen der RReg., „die ihrerseits ihr besonderes Interesse diesen Verhandlungen zuwendet und darauf hinwirkt, daß bei diesen in dem zur Zeit möglichen Ausmaß die Annäherung zwischen der deutschen und österreichischen Wirtschaft gefördert wird“ (12.12.29; R 43 I /1105 , Bl. 104, hier: Bl. 104).

Bei dieser Sachlage würde eine Herabsetzung des Schnittholzzolles von 1 RM auf 85 Rpfg. für den Doppelzentner nicht zu vermeiden sein. Sie entspräche auch den Wünschen der holzverarbeitenden Industrie.

Der Generaldirektor der Reichsbahn Dr. Dorpmüller gab dann einen Überblick über die Wirkungen, die eine Tarifermäßigung zu Gunsten Österreichs auslösen würde. Nach den Verträgen, die die Reichsbahn mit der Tschechoslowakei, mit Polen und Jugoslawien getroffen habe, würden diese Länder entsprechende Tarifermäßigungen auch für sich in Anspruch nehmen. Dadurch würden für Bayern, Preußen und Oberschlesien schwere Schäden entstehen. Die Reichsbahn sprach sich deswegen und aus den vom Auswärtigen Amt angegebenen Gründen gegen Tarifermäßigungen zu Gunsten Österreichs aus3.

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Die RB hatte aus Konkurrenzgründen den östl. Staaten für den Holztransport nach Westen die gleichen Vorzugstarife wie Österreich eingeräumt, so daß die Tschechoslowakei ihr Holz um 60% billiger nach Frankreich transportierte als dt. Holzverkäufer (Vermerk in der Rkei vom 17.2.30; R 43 I /1105 , Bl. 110 f., hier: Bl. 110 f.).

Staatssekretär Dr. Heukamp wies darauf hin, daß ähnliche Erwägungen, wie hinsichtlich der Tarife, auch gegen die Zollermäßigungen sprächen. Die Zollsenkung käme auch den anderen Schnittholz liefernden Ländern zugute. Österreich würde also durch die Ermäßigung keine Begünstigung erfahren. Im übrigen sei der Anteil Österreichs an der Gesamteinfuhr von Schnittholz verhältnismäßig gering.

Ministerialdirektor Dr. Ritter entgegnete, Österreich wolle keine Bevorzugung vor anderen Ländern, sondern die Zollherabsetzung zur Erleichterung seiner Einfuhr nach Deutschland.

Der Reichskanzler wies auf die verhältnismäßig geringe Bedeutung der Frage im Vergleich zu den großen politischen Fragen, insbesondere der Anschlußfrage, hin, die zwischen Deutschland und Österreich noch der Lösung harren. Wenn nicht einmal eine Einigung über den Schnittholzzoll möglich wäre, so wären die Aussichten, mit Österreich in anderen zu einer Übereinstimmung zu[1474] gelangen, sehr gering. Ohne Entgegenkommen im Schnittholzzoll würden sich die Handelsvertragsverhandlungen wohl noch über Jahre hinziehen4.

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Schober hatte in Rom dem dt. Botschafter v. Neurath erklärt, er sähe die Bedeutung der Handelsvertragsverhandlungen „hauptsächlich auf politischem Gebiet“ und hoffe, sie zum Abschluß zu bringen (Telegramm v. Neuraths Nr. 25 vom 5.2.30; R 43 I /1105 , Bl. 105 f., hier: Bl. 105 f.).

Der Reichsminister der Finanzen erklärte sich mit der Herabsetzung des Schnittholzzolles einverstanden. Vom fiskalischen Standpunkte sei zu erwarten, daß die Einfuhr steige und daß sich damit auch die Zolleingänge so gestalten würden, daß kein Ausfall eintrete.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Kabinett grundsätzlich damit einverstanden ist, wenn der Schnittholzzoll bei den Handelsvertragsverhandlungen mit Österreich auf 85 Rpfg. für den Doppelzentner ermäßigt wird.

Ministerialdirektor Dr. Ritter erläuterte noch den Beschluß dahin, daß das Zugeständnis von entsprechend bedeutsamen Zugeständnissen auf der Gegenseite abhängig sei5.

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Zu den Besprechungen mit Schober siehe Dok. Nr. 453.

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