1.230.1 (mu22p): Finanzfragen.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

Extras:

 

Text

RTF

Finanzfragen.

Der Reichskanzler knüpfte an die Besprechung über den gleichen Gegenstand vom 25. März an und bat um Mitteilung der Stellungnahme der Fraktionen zu den am Vortage formulierten Vorschlägen:

1. zur Frage der Arbeitslosenversicherung (vgl. Anl. 1)2

2

Siehe Anlage I zu Dok. Nr. 484.

2. zur Frage der Steuersenkung (vgl. Anl. 2)3

3

Siehe Anlage III zu Dok. Nr. 484.

I. Arbeitslosenversicherung.

Die Vertreter des Zentrums, der Deutschen Demokratischen Partei und der Bayerischen Volkspartei erklärten, daß sie sich mit dem Vorschlag der Anlage 1 abfinden würden.

Die Vertreter der Sozialdemokratie erklärten, den Vorschlag in der vorliegenden Form nicht annehmen zu können und machten ihrerseits den in der Anlage 3 formulierten Gegenvorschlag4.

4

Siehe Anlage III zu diesem Dokument.

Die Vertreter der Deutschen Volkspartei erklärten, an ihrer am Vortage geäußerten Stellungnahme festhalten zu müssen und hoben insbesondere hervor, daß ihre Fraktion jedenfalls zur Zeit eine Erhöhung der Beiträge über 3½% ablehne.

Die anschließende weitere Aussprache führte nicht zur Einigung.

II. Steuersenkung.

Die Vertreter des Zentrums, der Deutschen Demokratischen Partei erklärten ihre Zustimmung zur Anlage 2.

Die Vertreter der Sozialdemokratischen Partei hielten an ihrem früheren Standpunkt fest, daß sie es nicht vertreten könnten, angesichts der Ungewißheit der zukünftigen Finanzentwicklung schon jetzt mit einem festen Steuersenkungsprogramm an die Öffentlichkeit zu treten.

Die Vertreter der Deutschen Volkspartei blieben gleichfalls bei ihrem früheren[1601] Standpunkt, daß der Ersparnisgedanke in dem vorgelegten Vorschlag nicht genügend zum Ausdruck komme und daß statt 600 Millionen eine Summe von 700 Millionen für Ersparnisse zu Steuersenkungszwecken vorgesehen werden müsse.

Der Vertreter der Bayerischen Volkspartei erklärte sich mit dem vorgelegten Vorschlag im großen und ganzen einverstanden, äußerte aber starke Bedenken gegen die Formulierung der Einzelheiten. Auf Grund der anschließenden, sehr eingehenden Aussprache glaubte der Reichskanzler feststellen zu können, daß eine Einigung der Parteien auf das vorgelegte Programm der Steuersenkungen letzten Endes möglich sein werde und daß der Hauptdifferenzpunkt wohl darin bestehe, daß die Deutsche Volkspartei für die zu Steuersenkungszwecken verfügbar zu machenden Ersparnisse statt 600 Millionen eine Summe von 700 Millionen festgelegt zu sehen wünsche.

III.

Sodann wurden die Deckungsfragen erörtert.

Gegen die Mineralwassersteuer wurden allseitig Bedenken geäußert, vorwiegend von den Vertretern der Sozialdemokraten.

Der Reichskanzler erklärte, daß die Reichsregierung auf die Beibehaltung der Mineralwassersteuer kein entscheidendes Gewicht lege, wenn für den Ausfall ein anderer Deckungsvorschlag gemacht werden könne.

Der Abgeordnete Hertz meinte, daß ein Ausgleich durch die Benzinsteuer gefunden werden könne.

Der Abgeordnete Leicht empfahl eine Erhöhung der Umsatzsteuer, der der Abgeordnete Reinhold jedoch entschieden widersprach.

Abschließende Ergebnisse wurden nicht erzielt.

Der Reichskanzler stellte jedoch fest, daß die Durchbringung der Deckungsvorlagen bei den Parteien nicht auf unüberwindbare Schwierigkeiten stoßen werde.

Der Reichskanzler faßte das Gesamtergebnis der Aussprache dahin zusammen, daß das Schwergewicht der Schwierigkeiten nach wie vor in der Frage der Sicherung der Arbeitslosenversicherung liege. Er richtete an die Parteien die Frage, ob sie eine Möglichkeit sähen, in diesem Punkte durch weitere interparlamentarische Besprechungen, ohne Zuziehung von Regierungsvertretern, noch im Laufe des Abends zu einer Einigung zu kommen.

Die Parteien erklärten sich bereit, eine solche Einigung nochmals zu versuchen.

Unter diesen Umständen vertagte der Reichskanzler die weitere Aussprache auf Donnerstag, den 27. vormittags 10 Uhr mit dem Bemerken, daß alsdann endgültig die letzte Entscheidung fallen müsse. Das Reichskabinett werde am Donnerstag, den 27. März anschließend zu einer entscheidenden Sitzung zusammentreten5.

5

Siehe Dok. Nr. 487 und 488, P. 2.

Anlage I [= Anl. I zu Dok. Nr. 484]

Anlage II [= Anl. II zu Dok. Nr. 484]

[1602] Anlage III [Durchschrift]

Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wird nach Maßgabe der folgenden Richtlinien geändert:

1. Kann der Bedarf der Reichsanstalt aus den Beiträgen und aus dem Notstock nicht völlig gedeckt werden, obwohl der Beitrag rechtzeitig einheitlich für das Reichsgebiet festgesetzt ist, so gewährt das Reich Zuschüsse, deren Höhe alljährlich im Reichshaushalt festgesetzt wird. Sofern die Zuschüsse des Reiches nicht ausreichen, deckt das Reich den notwendigen Bedarf durch Darlehen.

2. Der Reichszuschuß für das Rechnungsjahr 1930 beträgt 150 Millionen Reichsmark.

3. Um den Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben der Reichsanstalt zu erleichtern, soll der Vorstand der Reichsanstalt die erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiet der Verwaltung treffen. Zum gleichen Zweck kann er der Reichsregierung Vorschläge zur Reform des Gesetzes unterbreiten. Insoweit diese Maßnahmen nicht ausreichen, kann der Vorstand die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für das Rechnungsjahr 1930 bis auf 3¾ Prozent erhöhen.

4. Zu den Beschlüssen des Vorstandes nach Ziffer 3 ist die Mehrheit der Stimmen der Vertreter sowohl der Arbeitgeber wie auch der Arbeitnehmer erforderlich, die dem Vorstand angehören. Die Vertreter der öffentlichen Körperschaften wirken bei der Beschlußfassung nicht mit.

5. Beschließt der Vorstand innerhalb einer Frist, die die Reichsregierung bestimmt, die notwendigen Maßnahmen oder Beitragserhöhungen nicht, so hat die Reichsregierung anstelle des Vorstandes darüber Beschluß zu fassen. Eine Änderung der gesetzlich festgelegten Leistungen kann nur im Wege der Gesetzgebung erfolgen.

Extras (Fußzeile):