1.80.1 (mu22p): [Anlage:]

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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Richtlinien für eine künftige Osthilfe der Reichs- und Staatsregierung.

1. Osthilfe darf nicht mehr als Wiedergutmachung von Grenzzerreißungsschäden, soll auch nicht als Abwehr der Polengefahr, die nur Auftrieb für die Aktion geben kann, aufgezogen werden, sondern als wirklich großzügige Grenzhilfe zur Behebung der dauernd wachsenden Not des Ostens und zur Stärkung der Wirtschaft in dem gesamten Ostgebiet (einschließlich Nordmark?), wobei zu berücksichtigen ist, daß die schlechte Wirtschaftslage des Ostens von polnischer Seite immer wieder benutzt wird, um besonders die Bauern- und Arbeiterbevölkerung dahin zu beeinflussen, daß es ihr unter polnischer Herrschaft besser gehen würde.

[1095] 2. Daher Osthilfe nicht einmalig oder „abklingend“, sondern auf lange Sicht dauernd nach einheitlichem Plan (nicht Programm) zu gestalten; lieber weniger Mittel, aber das Wenige dauernd, damit systematisch gearbeitet werden kann. Angefangene Einrichtungen müssen aufrechterhalten, ausgebaut und wirksam gemacht werden. Neue Aufgaben sind nur im Notfall in Angriff zu nehmen.

3. Ein solcher Plan für die Osthilfe ist daher zwischen Reich und Preußen zu vereinbaren; Hauptträger der Aktion muß das Reich sein, in dessen Kompetenz ohnehin die Mehrzahl der Aufgaben fällt. Preußens Hilfe nur ergänzend, namentlich auf karitativem und kulturellem Gebiet. Zusammenarbeit schon deshalb erforderlich, weil Verwendungszwecke sachlich und territorial ineinandergreifen müssen. Deshalb soll

4. das Reich nur solche Aufgaben in Angriff nehmen, die ihm von Preußen in Vorschlag gebracht werden. Anderseits müßte

5. das Reich die Mittel für Preußen pauschaliter (global) geben, nach Vorlegung eines Verwendungsplans und bei nachträglichem Nachweis der Verwendung. Die globale Hingabe an Preußen ist schon deshalb erforderlich, weil

6. vermieden werden muß, daß die Destinatäre sich über die Zuschüsse deshalb beschweren, weil sie dadurch zu eigenen Ausgaben veranlaßt würden, die ihre Kräfte zum Teil übersteigen. Zu fordern ist daher, daß nur solche Aufgaben gefördert werden, die tatsächlich schon finanziert oder in absehbarer Zeit finanzierbar sind. Deshalb ist

7. jede bloße Dotationspolitik abzulehnen, die keinen wirtschaftlichen Nutzeffekt erzielen kann.

8. Nur große, als unbedingt notwendig erkannte, nicht rein örtliche Aufgaben auf wirtschaftlichem, verkehrspolitischem, sozialem und kulturellem Gebiet sind zu fördern, unter Vermeidung jeder Verzettelung, z. B. Straßen- und Wegebauten, Wasserleitung und Kanalisation, Brückenbau, Hafenbau, Landwirtschaft einschließlich Meliorationen, Krankenhäuser, Wohlfahrts- einschließlich Jugendpflege, Jugendfürsorge usw., Schulwesen (-bauten und -lasten), (Kleinbahnen?), Gasfernversorgung?

9. Zu erwägen bleibt, ob in den Plan einbezogen werden sollen:

a)

Frachtensenkung, auch soweit nicht bloß mit der Überbrückung des Korridors zu begründen,

b)

die Kreditgewährung an Handel und Industrie,

c)

das Eisenbahnbauprogramm,

d)

der Ausbau der Schiffahrtsstraßen (oder) und Kanäle.

10. Zu erwägen bleibt ferner, ob nicht, wie im Sofortprogramm 1926, neben verlorenen Zuschüssen auch Kredite gewährt werden können, um eine sparsame Wirtschaft, namentlich der Kommunen zu gewährleisten.

11. Für die auf die Provinzen und Bezirke entfallenden Gesamtsummen ist ein Verteilungsschlüssel aufzustellen; gleiches gilt für die einzelnen sachlichen Verwendungsgebiete, wobei eine gewisse Auswechselbarkeit im Rahmen desselben Aufgabenkreises vorzubehalten ist.

[1096] 12. Daneben muß bei den einzelnen Etats des Reichs und Preußens weitgehend auf die Notlage des Ostens Rücksicht genommen werden, – möglicherweise durch Reservestellung eines bestimmten Prozentsatzes.

13. Weiter muß die gesamte Finanz- und Wirtschaftspolitik von Reich und Staat darauf eingestellt werden, daß auf eine Reihe von Jahren auf die Not des Ostens besondere Rücksicht genommen wird, erforderlichenfalls dadurch, daß aus den Etatspositionen die Grenzgebiete bevorzugt berücksichtigt werden, entsprechend dem Beschluß des Preußischen Grenzausschusses vom 23. Oktober 1929, oder daß andere Haushaltstitel zu Gunsten der Grenzgebiete gekürzt werden (entsprechend dem Schreiben des Herrn Ministerpräsidenten an den Herrn Finanzminister vom 7. Oktober 1929 […]); daneben bleibt auch hier zu erwägen, ob nicht die bessergestellten Landesteile und Kommunen freiwillige Opfer zu Gunsten der östlichen Grenzgebiete bringen können, wie z. B. durch Übernahme von Patenschaften, Bürgschaften, Annahme von Pfandbriefen und dgl.

14. Grundsätzlich muß ausgesprochen werden, daß bei Vergebung von Arbeiten und Lieferungen Unternehmer des Bezirks, in dem die Arbeiten auszuführen sind, ceteris paribus bevorzugt werden.

15. Zur Ausarbeitung und Vorlage eines diesen Richtlinien entsprechenden Planes für eine Ostgrenzhilfe für die nächsten fünf Jahre wird eine Unterkommission eingesetzt, der unter dem Vorsitz des Herrn Reichsministers des Innern je drei Vertreter der Reichs- und Staatsressorts angehören sollten.

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