1.151 (mu22p): Nr. 407 Der Reichsausschuß für das Deutsche Volksbegehren an den Reichskanzler. 7. Januar 1930

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Nr. 407
Der Reichsausschuß für das Deutsche Volksbegehren an den Reichskanzler. 7. Januar 1930

R 43 I /1889 , Bl. 340 f., hier: Bl. 340 f.

[Betrifft: Ergebnis des Volksentscheids.]

Der von dem Reichsausschuß für das deutsche Volksbegehren über das Freiheitsgesetz eingeleitete Volksentscheid hat eine vorläufige Gesamtziffer von 6 293 109 abgegebenen Stimmen erzielt. Gegenüber 5 825 082 Ja-Stimmen sind nur 337 320 Nein-Stimmen abgegeben worden. Damit ist nach der von hervorragenden Staatsrechtlern gestützten Auffassung des Reichsausschusses die[1339] Volksbefragung dahin ausgefallen, daß das Freiheitsgesetz nunmehr durch Verkündung in Geltung zu setzen ist. Wir bitten, die entsprechenden Schritte einleiten zu wollen. Eine Politik, die dieser Rechtslage zuwider drei Generationen des deutschen Volkes unerträgliche Lasten aufbürden läßt, kann von uns und den künftigen Geschlechtern nicht als bindend anerkannt werden.

Der Verlauf der zweiten Haager Konferenz zeigt schon heute, daß Deutschland neben allem, was schon zugestanden ist, neue schwere Gefahren politischer und wirtschaftlicher Natur drohen. Wir sehen im Haag wieder das alte Spiel: Frankreich bestreitet unter Mithilfe anderer Mächte dem deutschen Volke Rechte, die Frankreich selbst in seinem Innern und nach den Abreden mit seinen Bundesgenossen längst preisgegeben hat – nur zu dem Zwecke, um Deutschlands Diplomaten zu neuen Opfern zu bestimmen. Diese Taktik soll den deutschen Diplomaten die Möglichkeit geben, ihre Zugeständnisse an die Gegner durch angebliche Erfolge zu verschleiern.

Von berufener Sachverständigen-Seite ist bereits darauf hingewiesen, daß Zusatzabmachungen, wie sie im Verlauf der ersten Haager Konferenz paraphiert wurden, den in Paris aufgestellten Plan von Grund aus ändern1.

1

Gemeint ist das Memorandum Schachts, siehe Anlage zu Dok. Nr. 369.

Die von der Reichsregierung für beseitigt gehaltene Befugnis zu neuen Sanktionen wird von den Gegnern ausdrücklich weiterhin beansprucht. Keine Formel, die irgendwie die Sanktionsbestimmungen aufrecht erhält, auch nicht die Einschaltung eines irgendwie gearteten Schiedsgerichtes würde der Voraussetzung genüge tun, die von der deutschen Regierung seinerzeit für die Annahme des Young-Planes gefordert war: Wiederherstellung der deutschen Souveränität.

In der Frage der Liquidationen hat es die deutsche Regierung unterlassen, das deutsche Volk über ihre Entschließungen und über bereits paraphierte Abmachungen zu unterrichten. Im Widerspruch zur gesamten öffentlichen Meinung in Deutschland ist der Text des deutsch-polnischen Vertragsentwurfes bei dem Vorsitzenden der Haager Konferenz niedergelegt und damit zu einem Gegenstand der im Haag stattfindenden Verhandlungen gemacht worden2. Damit ist die in diesem Vertragsentwurf bestehende Gefahr für den deutschen Osten zu einer unmittelbaren und unheimlichen Drohung geworden. Das deutsche Volk hat Anspruch darauf, zu erfahren, welche Vorgänge die deutsche Regierung und die Haager Delegation veranlaßt haben, ihren ursprünglichen Standpunkt in diesen Fragen aufzugeben. Das deutsche Volk ist weiter in keiner[1340] Weise über den Inhalt des Liquidationsabkommens unterrichtet, das zwischen Deutschland und Frankreich ausgearbeitet und Pressemeldungen zufolge in den letzten Tagen von dem deutschen Botschafter in Paris im Auftrage der deutschen Regierung paraphiert worden ist3. Die deutsche Öffentlichkeit lehnt mit den Liquidationsgeschädigten ebenso die Preisgabe bestehender materieller Rechte wie den Verzicht auf Nachprüfung der im Liquidationsverfahren vorgekommenen Unregelmäßigkeiten ab.

2

Der polnische Delegierte Mrozowski hatte in der ersten, nichtöffentlichen Sitzung der 2. Haager Konferenz vom dt.-poln. Liquidationsabkommen Kenntnis gegeben und erklärt, das Abkommen sei nach polnischer Ansicht „konstitutives Element der Konferenz-Arbeiten“. Auf den Widerspruch des RAM hin war vom Konferenzvorsitzenden, dem belg. MinPräs. Jaspar, festgestellt worden, „daß das Abkommen demzufolge lediglich bei der Konferenz deponiert werde, im übrigen aber nicht Gegenstand der Konferenzberatungen bilden werde“ (Pünders Telegramm Nr. 2 aus Den Haag vom 3.1.30; R 43 I /480 , Bl. 178-183, hier: Bl. 178-183). In einem Telefongespräch meinte Pünder zu dieser Angelegenheit, „daß es durch die Erwiderung des Herrn Ministers Curtius gelungen sei zu verhindern, daß ein junctim zwischen dem Haag und dem Polenabkommen hergestellt werde. Die Frage des junctims sei endgültig totgetreten. Das dt.-poln. Abkommen habe Rechtskraft in sich selbst“ (Vermerk v. Hagenows vom 4.1.30; R 43 I /305 , Bl. 138, hier: Bl. 138). Briand stimmte der Haltung des RAM zu (Pünders Telegramm Nr. 4 vom 4.1.30; R 43 I /480 , Bl. 172-177, hier: Bl. 172-177).

3

Das dt.-frz. Liquidationsabkommen war in Paris am 31.12.29 unterzeichnet worden (RGBl. 1930 II, S. 562  ff.).

Im Kampfe gegen das deutsche Volksbegehren haben Mitglieder der Reichsregierung nicht nur die völlige Räumung der Rheinlande und den Wegfall jeglicher Kontrolle in den ehemals besetzten Gebieten versprochen, sondern auch eine befriedigende Regelung der Saarfrage als eine unerläßliche Voraussetzung für die Annahme des Young-Planes bezeichnet. Es ist heute zu fragen, wie es mit der Erfüllung dieses dem deutschen Volke gegebenen Wortes steht4.

4

Zur Saarfrage hatte Curtius dem frz. Außenminister Briand erklärt, „daß zwar deutscherseits kein junctim verlangt, aber doch unter allen Umständen jede Panne in diesen Verhandlungen vermieden werden müsse“ (Pünders Telegramm Nr. 4 vom 4.1.30; R 43 I /480 , Bl. 172-177, hier: Bl. 172-177).

Der Reichsausschuß hat mit Volksbegehren und Volksentscheid das Seinige getan, um die Regierung vor dem Abschluß des Young-Planes und seiner Zusatzabkommen zu warnen und das deutsche Volk vor den verhängnisvollen Folgen dieser Politik zu schützen. Die Regierung und die hinter ihr stehenden Parteien tragen nunmehr allein die Verantwortung für die kommende Not, für das wirtschaftliche und soziale Elend, das die Haager Vereinbarungen unserem Lande bringen werden5.

5

Zur Antwort des RK siehe Dok. Nr. 410.

Für das Präsidium des Reichsausschusses

für das deutsche Volksbegehren

Franz Seldte

Hugenberg

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