1.205 (mu22p): Nr. 461 Der Reichsminister der Finanzen an Staatssekretär Pünder. 5. März 1930

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[1532] Nr. 461
Der Reichsminister der Finanzen an Staatssekretär Pünder. 5. März 1930

R 43 I /2363 , Bl. 83-115, hier: Bl. 83-115 Umdruck

[Betrifft: Gesetze zur Deckung des Haushalts 1930.]

In der Anlage beehre ich mich folgende Entwürfe mit der Bitte vorzulegen, ihrer sofortigen Vorlage an die gesetzgebenden Körperschaften zuzustimmen1:

1

Die Anlagen werden hier nicht abgedruckt.

I.

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Biersteuergesetzes,

II.

Entwurf eines Gesetzes über Zolländerungen,

III.

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tabak- und Zuckersteuergesetzes,

IV.

Entwurf eines Mineralwassersteuergesetzes,

V.

Entwurf des 2. Gesetzes zur Übergangsregelung des Finanzausgleichs zwischen Ländern und Gemeinden,

VI.

Entwurf eines Gesetzes über die Aufbringungsumlage für 1930 und 1931,

VII.

Entwurf eines Gesetzes zur Senkung der Einkommensteuer,

VIII.

Programm für ein Gesetz zur Vorbereitung der Finanzreform.

Der Entwurf zu I. enthält die Erhöhung der Biersteuer um 75%. Das Aufkommen ist auf 240 Mio RM geschätzt, von denen 150 Mio dem Reich, 90 Mio den Ländern zugutekommen sollen.

Der Entwurf zu II. bringt die Mineralölzölle mit einem Aufkommen von 65 Mio RM, das zu 25 Mio dem Reich, zu 40 Mio den Ländern zufließen soll.

Der Entwurf zu III. enthält die Verkürzung der Fälligkeitstermine bei der Tabak- und Zuckersteuer. Aus dieser Maßnahme wird ein Aufkommen von 30 Millionen erwartet, das dem Reich verbleibt.

Der Entwurf zu IV. sieht ein Aufkommen von 40 Millionen vor, das den Ländern für die Gemeinden zugutekommen soll.

Der Entwurf zu V. bringt die erforderlichen Bestimmungen über die Beteiligung der Länder an der Biersteuer, den Mineralölzöllen und der Mineralwassersteuer.

Der Entwurf zu VI. erhöht die im Jahr 1930 aufzubringende Industriebelastung auf 350 Millionen an Stelle der ursprünglich beabsichtigten Ermäßigung der Industriebelastung. Von den 350 Millionen sollen 280 Millionen in zwei Raten, im August 1930 und Februar 1931, aufgebracht, 70 Millionen aus dem den Aufbringungsbelasteten gehörenden Reservefonds der Industrieobligationenbank entnommen werden. Von dem Aufkommen von 350 Millionen sollen 50 Millionen dem für die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vorgesehenen Notstock zugeführt werden.

[1533] Die Gesamtregelung scheint mir wirtschaftlich und politisch nur vertretbar zu sein, wenn vier Voraussetzungen erfüllt werden, wenn nämlich

1.

laufende Ausgaben 1931 nicht höher angesetzt werden dürfen als 1930,

2.

im Jahre 1931 mindestens 600 Millionen RM auf der Ausgabenseite erspart und zur Steuersenkung verwendet werden,

3.

der Ausgleich der Einnahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung hinreichend gesichert wird,

4.

die Einkommensteuersenkung, die am 1. April 1931 eintreten soll, schon jetzt gesetzlich festgelegt wird.

Diese vier Voraussetzungen sind in den Entwürfen zu VII. und VIII. enthalten. Die in dem Entwurf zu VII. vorgesehene Senkung der Einkommensteuer soll sich in gleichem Ausmaß halten, wie sie im Reformprogramm des Ministers Hilferding für die erste Etappe (d. h. für die Zeit vom 1. Juli 1930 bis 31. Dezember 1931) vorgesehen war. Die Senkung würde nur um ¾ Jahr später, vom 1. April 1931 an, aber sonst im gleichen Ausmaß eintreten. Die wichtigsten Programmpunkte sind:

Erhöhung des steuerfreien Lohnbetrages auf

1440 RM

feste Kinderermäßigung für das erste Kind

480 RM

für das zweite Kind

720 RM

für das dritte Kind und

jedes folgende Kind je …

900 RM

Steuersatz für Ledige 9%,

für Verheiratete und Pflichtige mit Kindern 8%,

Auseinanderziehung des Tarifs, durchschnittliche Senkung der Einkommensteuer um 12½%. Der Höchstsatz wird statt bisher bei 80 000 erst bei 270 000 RM erreicht.

Eine wesentliche Belastung der Verwaltung stellen die Lohnsteuererstattungen dar (im Jahre 1929 3½ Millionen Anträge, 66 Millionen RM erstattet, im Durchschnitt also 20 RM pro Antrag). Schon im Dezemberprogramm war eine Einschränkung der Lohnsteuererstattung insofern vorgesehen, als der Mindestbetrag, der im einzelnen Fall erstattet werden kann, von 4 RM auf 20 RM erhöht werden sollte. Dadurch wären etwa die Hälfte der Anträge unterblieben. Jetzt soll im Zusammenhang mit der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung, die Erstattung von Lohnsteuern an den einzelnen Arbeitnehmer ganz aufgehoben und statt dessen ein bestimmter Betrag von 60 Millionen RM jährlich der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung zur Bildung und Auffüllung des Notstocks überwiesen werden. Dadurch entsteht zudem eine sehr wesentliche Ersparung von Verwaltungskosten.

Der Ausfall durch die Senkungen beträgt bei der Lohnsteuer 208 Millionen RM jährlich, bei der Einkommensteuer 195 Millionen RM. Im ersten Jahre (1931) wird der letztere Betrag sich infolge der anderweitigen Berechnung der Vorauszahlungen auf 152 Millionen RM mindern. Auch wenn geltend gemacht werden sollte, daß der Ausfall an Lohnsteuer um den Erstattungsbetrag (60 Millionen RM) gekürzt werden müsse, würde das Verhältnis der Senkung der Lohnsteuer zur übrigen Einkommensteuer durchaus gerechtfertigt werden können,[1534] zumal seit dem Einkommensteuergesetz von 1925 die Lohnsteuer bereits um mehr als 500 Millionen RM, die veranlagte Einkommensteuer nur um etwa 100 Millionen, und zwar auch nur für Einkommen bis zu 15 000 RM gesenkt worden ist.

An sich müßte, da die Einkommensteuer zu 75% den Ländern überwiesen wird, auch der Finanzausgleich gleich mit geregelt werden. Denn die Länder könnten darauf hinweisen, daß jetzt zwar die Einkommensteuer, also eine ihrer Einnahmen, gesenkt wird, sie aber noch nicht wissen könnten, wie der Finanzausgleich im nächsten Jahre aussehen wird. Nun läßt sich aber der Finanzausgleich in diesem Augenblick noch nicht regeln. Daher wird man damit helfen müssen, daß den Ländern schon jetzt für das Jahr 1931 und ev. 1932 eine Garantie unter Berücksichtigung des durch die Senkung bei ihnen entstehenden Ausfalls an Einkommensteuer gesetzlich gegeben wird; etwas derartiges war auch bereits in dem Finanzausgleichsentwurf vom Dezember 1929 vorgesehen.

In dem Entwurf zu VIII. soll in Artikel I. Ziffer 1 die Selbstverantwortung der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung geregelt werden. Ziffer 2 bestimmt, daß der Notstock der Reichsanstalt aus folgenden Quellen gespeist werden soll:

1.

mit 50 Millionen aus der Industriebelastung,

2.

mit 30 Millionen aus der Lex Brüning,

1930

3.

mit 60 Millionen aus der Lohnsteuererstattung

1931.

Artikel II sieht die notwendige Änderung der Lex Brüning vor.

Artikel III trifft die Bestimmung über die Ausgaben und die Steuersenkung im Jahre 1931. Der als Mindestsumme für die aus Wegfall oder Kürzung von Ausgaben zu bestreitende Steuersenkung vorgeschlagene Betrag von 600 Millionen ist wie folgt errechnet:

450 Millionen Schuldentilgung,

60 Millionen innere Kriegslasten (Besatzungskosten u. a.),

25 Millionen Reparationsleistungen,

30 Millionen Versorgung und Ruhegehälter,

35 Millionen sonstige vor der Etatsaufstellung 1931 festzusetzende Ersparnisse.

Ich gestatte mir schließlich noch auf folgendes hinzuweisen:

Wenn die zur Deckung des Fehlbetrages im Reichshaushalt bestimmten Steuererhöhungen nicht am 1. April in Kraft treten, stellen sich alsbald Schwierigkeiten in der Kassenführung ein, und es erhöht sich der Fehlbetrag im Reichshaushalt; dies würde dazu nötigen, gleichzeitig mit der Übernahme der bisher vorgeschlagenen Deckungen weitere Steuererhöhungen eintreten zu lassen. Diese Erhöhungen würden ausschließlich durch die nicht rechtzeitige Verabschiedung der Steuererhöhungsvorlagen verursacht sein und um deswillen mit Recht wirtschaftlich wie politisch entscheidenden Schwierigkeiten begegnen. Unter diesen Umständen ist die sofortige Vorlage der Entwürfe, die den Fehlbetrag des Reiches decken sollen, in jedem Falle notwendig.

Um die zur Durchführung der Gesetze erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können, müssen die Gesetzentwürfe spätestens am 24. März verabschiedet sein. Für die Beratung der Entwürfe in den Ausschüssen und im Plenum des[1535] Reichstags stände die Woche vom 17.–22. März zur Verfügung. Für die Beratung in den Ausschüssen und im Plenum des Reichsrats würde die Woche vom 10.–15. März erforderlich sein. Dabei wird der Reichsrat auf die gesetzliche Einlassungsfrist verzichten müssen. Dieser Verzicht wird aber nur dann zu erreichen sein, wenn die Vorlagen am 5. März an den Reichsrat gebracht werden können.

Ich darf daher meine Bitte um schleunige Verabschiedung, mindestens der Vorlagen zu I.–V., wiederholen2.

2

Zur Behandlung im Kabinett siehe Dok. Nr. 462.

[…]

Moldenhauer

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