1.92 (mu22p): Nr. 348 Der Reichsminister der Finanzen an den Reichswehrminister. 12. November 1929

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Text

RTF

[1139] Nr. 348
Der Reichsminister der Finanzen an den Reichswehrminister. 12. November 1929

R 43 I /880 , Bl. 82 f., hier: Bl. 82 f. Abschrift1

1

Das Schreiben war an den RWeM „persönlich“ gerichtet. Die Abschrift trägt die Paraphe des RK.

[Betrifft: Haushalt der Reichswehr für 1930.]

I. Nach der Besprechung, die heute morgen zwischen uns stattgefunden hat, ermäßigen Sie die Anforderungen für den Haushaltsplan 1930 beim Heer von ursprünglich 530,6 Mio RM auf 513 Mio RM und bei der Marine von ursprünglich rund 231 Mio RM auf 210 Mio RM. Vergleicht man diese letzten Anforderungen mit den Bewilligungen im Haushaltsplan 1929, so ergibt sich folgende Rechnung. Beim Heer betrugen die Bewilligungen 1929 472,5 Mio RM, so daß also die jetzige Anforderung diese Bewilligungen um 40,5 Mio RM überschreitet; hiervon sind bereits im geplanten Nachtrag 1929 7,6 Mio RM zugestanden, so daß rund ein Mehr von 33 Mio verbleibt. Bei der Marine betrugen die Bewilligungen des Haushaltsplans 1929 177 Mio RM, so daß also die Anforderungen für 1930 diesen Betrag um 33 Mio RM übersteigen würden; hiervon sind im Nachtrag rund 3 Mio RM bereits hinzugetreten, so daß eine Mehranforderung von 30 Mio RM verbleibt. Rechnet man die Zahlen für Heer und Marine zusammen, so ergibt sich, daß Ihre letzten Anforderungen für 1930 um 63 Mio RM über den Bewilligungen von 1929, einschließlich des geplanten Nachtragsetats, stehen2.

2

In der Chefbesprechung hatte der RFM den RWeM aufgefordert, den Etatansatz von 759,8 Mio RM auf 684,9 Mio RM zu kürzen. Damit hätte der Betrag um 24,4 Mio RM über dem Etat von 1929 gelegen (Vermerk Plancks vom 2. 12.; R 43 I /880 , gefunden in R 43 I /606 , Bl. 265 f., hier: Bl. 265 f.).

II. Aus diesem Zahlenbild bitte ich die großen Schwierigkeiten zu entnehmen, die für mich und, wie ich glaube, für das Gesamtkabinett in allgemeinpolitischer Beziehung entstehen müssen. Es ist Ihnen bekannt, daß gerade die Bewilligungen für Heer und Marine in der Öffentlichkeit und im Reichstag eine besondere Kritik erfahren. Es ist nicht zu vermeiden, daß diese Bewilligungen in Zusammenhang gebracht werden sowohl mit der Lage der Reichsfinanzen überhaupt, als auch insbesondere mit den Bewilligungen auf sozialpolitischem Gebiete. Wie Sie aus dem Gesamtetat ersehen werden, den ich demnächst dem Kabinett vorlegen werde, muß auch bei den sozialpolitischen Bewilligungen größte Zurückhaltung geübt werden; ich bin als Finanzminister nicht in der Lage, in dieser Beziehung all den Anforderungen gerecht zu werden, die der Herr Reichsarbeitsminister glaubt vertreten zu können. Danach besteht kein Zweifel, daß bei einer Reihe von Parteien, auf die sich die gegenwärtige Regierung stützt, starker Unwille über die Mehrforderungen von Heer und Marine ausgelöst werden. Die besondere Rolle, die dabei das Ansetzen der ersten Rate des Panzerschiffes B spielen wird, bedarf keiner Hervorhebung; von der Mehrbewilligung[1140] für die Marine in Höhe von 30 Mio entfällt ein Betrag von 10,75 Mio RM auf die erste Rate dieses zweiten Panzerschiffes. Ich bin danach nicht in der Lage, mich mit den von Ihnen angeforderten Bewilligungen einverstanden zu erklären und bitte Sie, auch vom allgemeinpolitischen Standpunkt aus noch einmal eingehend zu erwägen, ob nicht, auch abgesehen von dem Panzerschiff B, wesentliche Streichungen noch an Ihren letzten Anforderungen vorgenommen werden können. Ich verweise bezüglich der Zugeständnisse, die ich glaube machen zu können, auf meine Schreiben vom 8. November 19293 […].

3

Darüber handschriftlich: „hier nicht eingegangen“.

III. Auch abgesehen von den allgemeinpolitischen Erwägungen wird es erforderlich sein, Ihre Anforderungen im Zusammenhang mit der geplanten Reichsfinanzreform zu würdigen. Es ist eine Aufgabe, wie ich glaube, nicht nur des Finanzministeriums, sondern der gesamten Reichsregierung, im Zusammenhang mit dem Young-Plan eine Reichsfinanzreform durchzusetzen, die der Wirtschaft durch wesentliche Steuersenkungen eine fühlbare Erleichterung bringt. Diese Erleichterung ist nicht nur erforderlich, um allen deutschen Erwerbsstätten in tatsächlicher und psychologischer Beziehung einen Auftrieb zu geben, sondern es wird auch lediglich auf diesem Wege möglich sein, die steuerliche Ergiebigkeit der deutschen Wirtschaft in dem Maße zu erhalten und weiter zu fördern, was erforderlich ist, um der öffentlichen Wirtschaft für zukünftige Aufgaben wieder die nötige Grundlage zu geben. Ich glaube nicht zuviel zu sagen, wenn ich der Überzeugung Ausdruck gebe, daß die Entwicklung aller den Reichsressorts obliegenden Aufgaben und damit auch der Aufgaben des Reichswehrministeriums im engsten Zusammenhange mit der Durchführung einer Reichsfinanzreform großen Umfanges steht. Erfährt die Wirtschaft nicht die geplante Erleichterung, so könnte der heutige Stand der Reichsausgaben und damit wieder auch der Ausgaben für die Wehrmacht nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die Reichsfinanzreform ist aber nur durchführbar, wenn die nötigen Mittel dafür, abgesehen von einem gewissen Umbau des Steuersystems, durch sparsamste Aufstellung der Etats geschaffen werden. Die Einschränkungen, die infolgedessen von den einzelnen Ressorts gefordert werden müssen, werden durch die spätere bessere steuerliche Ergiebigkeit der Wirtschaft unmittelbar ihre Früchte auch für die einzelnen Ressorts tragen. In diesem Zusammenhang kann ich es nicht verantworten, den Anforderungen der Wehrmacht zuliebe, die Steuersenkungsaktion um einen Betrag von 63 Mio RM einzuschränken. Es würde das auf die Dauer, wie aufgeführt, unmittelbar auch den Reichswehretat auf das stärkste für die Zukunft gefährden.

Ich bitte danach, Ihre Anforderung noch einmal, losgelöst von den besonderen Bedürfnissen der Wehrmacht selbst, unter den vorgetragenen allgemeinpolitischen und finanzpolitischen Gesichtspunkten einer ernsten Nachprüfung zu unterziehen4. Mit Rücksicht darauf, daß ich den Etat möglichst bald dem[1141] Kabinett zuleiten möchte, wäre ich für eine weitere Mitteilung über Ihre endgültige Entschließung dankbar5. Ich habe mir gestattet, Abschrift dieses Schreibens dem Herrn Reichskanzler zu übermitteln6.

4

In Übereinstimmung setzten der RFM und der RSparKom. den Heeresetat für 1930 von 530,5 Mio RM auf 494,5 Mio RM herab und nahmen beim Marineetat mit Forderungen von 231,9 Mio RM Abstriche in Höhe von 40 Mio RM vor. Demgegenüber bestand der RWeM beim Heeresetat auf 513,5 MioRM und erkannte beim Marineetat nur Abstriche in Höhe von 17 Mio RM an (Gutachten des RSparKom. vom 30.11.29; R 43 I /880 , Bl. 133-140, hier: Bl. 133-140).

5

Siehe Dok. Nr. 350.

6

Der Abschrift war ein Absatz nachgestellt, in dem der RFM in Übereinstimmung mit dem RWeM um eine gemeinsame Aussprache beim RK vor der Kabinettssitzung bat. Dazu bemerkte der RK: „Wenn nötig, einverstanden.“

gez. Hilferding

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