2.97.6 (str1p): f) Arbeitszeit.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 7). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Stresemann I und II. Band 1Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

Extras:

 

Text

RTF

f) Arbeitszeit.

Der Achtstundentag in der bestehenden Form könne nicht aufrecht erhalten werden. Er müsse sich für die Einführung eines sogenannten sanitären Maximalarbeitstages aussprechen. Für den Bergbau müsse 8 Stunden Arbeit (einschließlich Ein- und Ausfahrt) wieder eingeführt werden50.

50

Zur Behandlung der Arbeitszeit durch den RArbM s. die Anlage zu diesem Ministerrat; vgl. außerdem U. Oltmann, Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns in der Staats- und Währungskrise 1923/24, S. 194 ff.

Der Reichswirtschaftsminister Er halte es für nicht möglich, daß jeder Ressortminister in Wirtschafts- und Finanzfragen ein Sonderprogramm aufstelle. Alle diese Fragen hingen aufs engste miteinander zusammen. Es könne seines Erachtens nur ein gemeinsames Finanz-, Wirtschafts- und soziales Programm der drei beteiligten Ressorts aufgestellt werden.

Man müsse sich dem grundsätzlichen Problem zuwenden, die deutsche Wirtschaft für die Zukunft aufzubauen ohne Rhein- und Ruhrgebiet. Immer wieder komme es letzten Endes auf die Produktionssteigerung an. Eine Besserung der Qualität der deutschen Arbeit könne vielleicht durch starke Lohndifferenzierung erreicht werden. An den Löhnen, die die Jugendlichen bekämen, ginge die ganze Jugend zu Grunde. Die Arbeitsdisziplin müsse außerdem wieder hergestellt werden. Furcht vor Entlassungen erhöhe den Trieb zur Arbeit. Besondere Aufmerksamkeit müsse die Regierung dem Schutz der lebenswichtigen Betriebe zuwenden. Landarbeiterstreiks in Erntezeit müßten unter Strafe gestellt werden51. Eine völlige Zerschlagung der Kartelle und Syndikate halte er nicht für zweckmäßig. Jedoch müßte eine Anzeigenpflicht und eine staatliche Beaufsichtigung der Kartelle Platz greifen. Letzten Endes seien ja auch die Kartelle eine Folge des allgemeinen Währungsverfalls52.

51

Im Jahr 1923 gab es in Dtld. im Bereich der Land- und Forstwirtschaft 70 Streiks (1922: 331), von ihnen waren 2526 Betriebe betroffen (1922: 2853). Die Höchstzahl der gleichzeitig streikenden Arbeitnehmer betrug 159 639 (1922: 69 093), die Zahl der verlorenen Arbeitstage 1 521 587 (1922: 468 207) (Statist. Jb. 1924/25, S. 303).

52

S. hierzu Dok. Nr. 203, P. 2.

Der Vizekanzler In der morgigen Erklärung des Reichskanzlers könnten seines Erachtens nur ganz allgemeine Gesichtspunkte zur Sprache kommen. Er halte es für zweckmäßig, über das Gebiet der Arbeitszeit möglichst wenig zu sprechen, um nicht eine vorzeitige umfangreiche Diskussion in der Öffentlichkeit über diese Frage zu entfesseln. Man sollte gerade in dieser Frage handeln, ohne viel zu reden. Die Lohnfrage könne durch Gesetzgebung schwer beeinflußt[430] werden. Das widerspräche dem allgemein anerkannten Grundsatz des freien Arbeitsvertrages. Was die Lage im Bergbau anbetreffe, so müsse er zugeben, daß es nicht zu entschuldigen sei, daß gegenwärtig, wo wir gezwungen seien, Kohlen im großen Ausmaße aus England einzuführen, die Bergarbeiter in Schlesien nur 7 Stunden arbeiteten53.

53

Im Jahr 1923 hatte im Oberschlesischen Revier bei einer Arbeitszeit von 9½ Stunden die Leistung des Untertagearbeiters 188,0 kg betragen; bei einer Schichtzeit von 7½ Stunden betrug sie im Juli 1923 126,7 kg. S. zu dieser Angabe sowie zur Einfuhr engl. Kohle Anm. 21 u. 25 zu Dok. Nr. 128.

Der Reichskanzler Er bitte die Herren Minister, sich nochmals dazu zu äußern, ob nunmehr Klarheit darüber bestehe, daß er morgen etwa folgendes erkläre: Die Reichsregierung brauche ein Ermächtigungsgesetz, um die für die Erhaltung der Wirtschaft notwendigen Maßnahmen auf finanzpolitischem, sozialpolitischem und wirtschaftspolitischem Gebiete zu ergreifen. Die Reichsregierung müsse ferner die Möglichkeit haben, in lebenswichtigen Betrieben eine Verlängerung der Arbeitszeit vorzusehen durch behördliche Regelung. Sie müsse im Anschluß hieran ferner das Recht haben, auch die Arbeitszeit der Beamten entsprechend zu erhöhen. Auch für Tarifverträge müsse die Berechtigung für die Zulassung von Überstunden anerkannt werden54.

54

Vgl. hierzu Dok. Nr. 99.

Der Reichsarbeitsminister stimmt dieser Formulierung des Herrn Reichskanzlers im wesentlichen zu und betont nochmals, daß eine Erhöhung der Arbeitszeit im Bergbau notwendig sei, und daß man dann natürlich auch in anderer Beziehung über den Achtstunden-Arbeitstag hinausgehen müsse, sonst könnten wir wirtschaftlich nicht mehr in die Höhe kommen.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft ist der gleichen Auffassung. Er hält den vom Herrn Reichsarbeitsminister formulierten Begriff des sanitären Maximalarbeitstages für sehr annehmbar. An der Formulierung des Herrn Reichskanzlers habe er auszusetzen, daß ihm der Begriff „lebenswichtige Betriebe“ nicht weitgenug sei. Man müsse hier eine andere Formulierung finden.

Auch der Reichsarbeitsminister bemerkt im Anschluß hieran, daß die Formel „lebenswichtige Betriebe“ den Kernpunkt nicht treffe. Er schlage etwa eine Formel vor, daß die Arbeitszeit geändert werden müsse, um eine Steigerung der Produktion u.s.w. zu erreichen.

Der Reichswirtschaftsminister bittet auch zu erwägen, ob die Formel des Herrn Reichskanzlers bezüglich der lebenswichtigen Betriebe nicht anders gefaßt werden könnte, etwa unter Berücksichtigung des Merkmals der wirtschaftlichen Notlage.

Der Reichspräsident stellt sodann als Ergebnis der Besprechung fest, daß das Kabinett der Formulierung des Herrn Reichskanzlers grundsätzlich zustimme unter Vorbehalt einer noch zu findenden anderen Formulierung für den Begriff der lebenswichtigen Betriebe55.

55

S. hierzu die Anlage zu diesem Ministerrat.

Der Reichsminister der Justiz verliest sodann den Entwurf eines Ermächtigungsgesetzes56.

56

Dieser Entw. ließ sich in R 43 I nicht einwandfrei ermitteln. Vgl. aber Dok. Nr. 102.

[431] Der Reichswehrminister bittet, in diesem Entwurf die Punkte zu streichen, die von einer Mitwirkung des Reichsrats und eines Reichstagsausschusses handeln. Er bitte außerdem die Ermächtigung auch auf soziale Maßnahmen auszudehnen.

Das Kabinett stimmte diesem Antrage zu.

Extras (Fußzeile):