2.126 (vpa1p): Nr. 125 Der Präsident der Landwirtschaftskammer Pommern v. Flemming an den Reichskanzler. Stettin, 3. September 1932

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[511] Nr. 125
Der Präsident der Landwirtschaftskammer Pommern v. Flemming an den Reichskanzler. Stettin, 3. September 1932

R 43 I /663 , Bl. 62–631

1

Am Kopf des Schreibens verfügte der RK eigenhändig: „Zur Frage der Zinssenkung vorlegen.“ – Die Vorlage erfolgte lt. Vermerk Ostertags vom 27. 9. (R 43 I /663 , Bl. 62) zur Ministerbesprechung vom 23. 9. (Dok. Nr. 153, P. 2).

[Auswirkungen einer allgemeinen Zinssenkung]

Mein lieber Franz!

Da ich nicht weiß, wann Du mich befehlen wirst und wann wir uns sehen, heute im Anschluß an unsere gestrige telefonische Unterhaltung kurz folgendes:

Die Gründe gegen eine Zinssenkung sind

1.) die Behauptung des Bankiers, daß mit einer solchen Zinssenkung die Spartätigkeit einen harten Schlag erhielte und daß auch später der Kredit für ländlichen und städtischen Grundbesitz auf das schwerste erschüttert würde2.

2

Zu den Zinsssenkungsforderungen der landwirtschaftlichen Spitzenverbände und zur Stellung der Banken (auch des RbkPräs.) vgl. Anm. 17 zu Dok. Nr. 111. – Am 3.9.32 schrieb der Direktor der Bayer. Handelsbank-Bodenkreditanstalt v. Pechmann an den Grafen Kalckreuth u. a.: Es könne nicht bezweifelt werden, daß die Wiederherstellung der Rentabilität der Landwirtschaft „unter den unabweislichen, ernsten Aufgaben der deutschen Wirtschaftspolitik in allererster Reihe steht, und gerade in diesem Zusammenhang würde ich auch eine Zinssenkung an sich lebhaft begrüßen. Aber nicht eine Zinssenkung im Wege abermaliger Vergewaltigung der Sparer: mit Folgen, welche den Pfandbrief selbst und damit den organisierten Realkredit, darüber hinaus aber die Rechtssicherheit und das öffentliche Vertrauen ganz allgemein so schwer treffen würden, daß man wird zugeben müssen: der Preis, der damit für die Zinssenkung bezahlt würde, wäre unverantwortlich hoch, und zwar vor allem auch für die Landwirtschaft. Oder sollte diese einer Zukunft entgegengehen, in welcher sie für den unkündbaren Tilgungskredit, dessen sie bedürftiger ist und bleibt als irgendein anderer Zweig der Wirtschaft, nicht mehr auf den Pfandbrief angewiesen sein wird? Ich glaube das nicht, wohl aber bin ich gewiß: wenn man jetzt dem Drängen der Landwirtschaft nachgeben und zum Abschluß einer stolzen Geschichte von 162 Jahren den Pfandbrief opfern wollte, so käme nur allzubald der Tag, an dem jedermann mit Schrecken erkennen würde, daß ohne ausreichenden Grund und ohne irgendwie nennenswerten und nachhaltigen Erfolg Unwiederbringliches geopfert worden sei. Es gibt nur einen gangbaren Weg zur Zinssenkung: er heißt Begünstigung alles dessen, was – in unserem blutleer gewordenen Lande – die hochnötige innere Kapitalbildung fördert, und Meidung alles dessen, was sie stört und zerstört.“ („DAZ“ vom 7. 9., Ausschnitt in R 43 I /663 , Bl. 88).

Ich behaupte, dies ist Unsinn. Der Kredit hängt nicht von der Höhe des Zinssatzes ab, sondern von der Sicherheit der Anlage. Wenn jetzt Kapital überhaupt noch vorhanden ist, so sucht es deswegen nicht Anlage, weil es keine rentablen Betriebe, sei es landwirtschaftliche oder industrielle, mehr gibt und es wenig verlockend ist, in einen mit Verlust arbeitenden Betrieb Leihkapital hineinzustecken. Es ist möglich, aber nicht einmal wahrscheinlich, daß die Pfandbriefe bei einer weiteren Zinssenkung zunächst einmal fallen. Wenn aber in Verbindung zwischen Zinssenkung und anderen Maßnahmen (Kontingentierung usw.) die Landwirtschaft wieder lebensfähig gemacht wird, werden die Pfandbriefe steigen, höher stehen als jetzt und die Nachfrage wird sehr viel stärker sein als in den letzten Jahren.

[512] 2.) Du hast durchaus recht, daß es schon fast paradox klingt, wenn Ihr die Deflation beenden wollt, ein gewisses Ansteigen der Preise dadurch erreichen wollt, dann gleichzeitig durch eine solche Maßnahme wie die der Zinssenkung die Einnahmen gewisser Kreise verringern. Es handelt sich im wesentlichen darum, wer diese Kreise sind. Die immer viel gebrauchte Redensart mit den unglücklichen Witwen und Waisen, die von den Zinsen der Pfandbriefe leben, ist ja glatter Unfug. Die Banken haben Angst für die bei ihnen liegenden Pfandbriefe und die Hypothekenbanken für die bei ihnen selbst ruhenden, nicht unerheblichen Mengen von Pfandbriefen. Gewiß mag in einzelnen Fällen die Zinskürzung eine Härte bedeuten. Ich behaupte aber folgendes:

Ohne Zinssenkung können im deutschen Osten schwankend zwischen 40 und 60% der Betriebe nicht umgeschuldet werden. Das bedeutet, daß bei allen diesen Betrieben alles, was hinter der ersten Hypothek steht, ausfällt. An diesen Stellen werden kleine Handwerker und unzählige einzelne Personen aus Handel und Handwerk stehen, die durch den Verlust ihres Geldes ruiniert werden und die Zahl ist sicher 100-fach höher als die derjenigen, die durch eine Zinssenkung schwer betroffen werden.

Diese Frage individuell lösen zu wollen, ist absolut phantastisch. Sie etwa verschieden lösen zu wollen zwischen den Pfandbriefinstituten einzelner Provinzen, ist genau so phantastisch. Außerdem halte ich es für unbedingt erforderlich, daß eine solche Maßnahme nicht nur dem Osten, sondern auch dem übrigen Teile Deutschlands zugute kommt. Im Osten liegen die Sachen aus vorerwähnten Gründen besonders ernst. Schon heute sind eigentlich die Kommissare3 verpflichtet, Betriebe, die ohne Zinssenkung der ersten Stelle nicht saniert werden können, aus dem Sicherungsschutz hinauszutun. Ich wiederhole: Das bedeutet im Schnitt etwa 50%. Wenn dies geschieht, weiß ich nicht, was dann kommt.

3

Leiter der von der RReg. auf Grund der NotVO des RPräs. vom 26.7.30 (RGBl. I, S. 311 ) im Osthilfegebiet errichteten „Landstellen“, die über Eröffnung und Durchführung des „Sicherungsverfahrens“ zu entscheiden hatten. Vgl. dazu auch die VO über „Sicherung der Ernte und der landwirtschaftlichen Entschuldung im Osthilfegebiet“ vom 17.11.31 (RGBl. I, S. 675 ).

Der Gedanke, solche nicht sanierungsfähigen Betriebe für den Wert der ersten Hypothek zu kaufen und mit einem Achselzucken über die hinter der ersten Hypothek stehenden Gläubiger hinwegzugehen, ist derartig unmoralisch, daß die Reichsregierung dazu nicht die Hand bieten kann.

Sei nicht böse, wenn ich mich so deutlich ausspreche. Ich bin wirklich kein Phantast und fordere ungern Sachen, die an sich so ungewöhnlich unsympathisch sind wie diese Eingriffe in ein bestehendes Recht. Ich wäge lediglich ab, wo das Unglück größer ist, und da besteht zwischen den Schäden durch eine Zinssenkung und denen einer Abschlachtung von Tausenden von Einzelgläubigern hinter der ersten Stelle überhaupt keine Vergleichsmöglichkeit.

Also weiter „Waidmannsheil“ und herzlichen Gruß!

Stets Dein

Richard Flemming

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