1.61 (vpa2p): Nr. 190 Der Deutsche Industrie- und Handelstag an den Reichskanzler. 3. November 1932

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Nr. 190
Der Deutsche Industrie- und Handelstag an den Reichskanzler. 3. November 1932

R 43 I /1177 , Bl. 13–15

[Kontingentierung landwirtschaftlicher Einfuhren]

Nach Zeitungsnachrichten wird die Reichsregierung sich heute mit der Frage der Kontingentierung der Einfuhr von Lebensmitteln erneut beschäftigen1. Wir bitten, in letzter Stunde die Gesichtspunkte darstellen zu dürfen, die dagegen sprechen, eine autonome Festsetzung von Kontingenten in diesem Zeitpunkt vorzunehmen, nachdem die Butterkontingentierungsfrage sachlich erledigt[861] ist2. Ihre Prüfung dürfte übrigens auch zur Überzeugung der Landwirtschaft erwiesen haben, daß für die Preisgestaltung wichtiger als die Bemessung fremdländischer Einfuhr die Steigerung der inländischen Kaufkraft ist.

1

Zur diesbez. Kabinettsberatung s. Dok. Nr. 191, P. 1.

2

Hierzu vgl.Anm 2 und 4 zu Dok. Nr. 187.

1. Die Kontingentswelle ist in wichtigen Handelsländern im Abebben. Die handelspolitische Lage ist sohin nicht so, daß aus ihr heraus eine Verstärkung der deutschen Abschließung in diesem Augenblick Deutschland gewissermaßen auferlegt sein würde.

2. Die Lebensmitteleinfuhr, von der die Landwirtschaft Preisdruck besorgt und früher auch erfahren hat, ist zufolge des Rückgangs der Kaufkraft außerordentlich tief zurückgegangen. Eine Kontingentierung würde in diesem Augenblick der Landwirtschaft nichts Entscheidendes nützen.

3. Bei wichtigen Lebensmitteln wie Gemüse und Obst würde gerade in den nächsten Monaten die Einfuhr einen erheblichen Preisdruck nicht ausüben, demgemäß auch die Abriegelung der Einfuhr zu einer Preishebung nicht führen. Wie wir zu wissen glauben, wird an hervorragenden landwirtschaftlichen Stellen selbst anerkannt, daß eine autonome Kontingentsregelung im Augenblick sachlich-wirtschaftlich für die Landwirtschaft nicht von erheblicher Bedeutung ist.

4. Führt aber die Einführung von Kontingenten zu einer wesentlichen Hebung der Preise, so sprechen u. E. starke Gründe dafür, Ursache und Wirkung auf einen Zeitpunkt zu verlegen, wo zufolge einer etwas ansteigenden Konjunktur diese Preiserhöhung leichter hingenommen werden kann. Im gegenwärtigen Augenblick wäre sie für nahezu alle Kreise unseres Volkes wirtschaftlich und sozial von sehr schweren Folgen.

5. Die deutsche Ausfuhr hat durch die Ankündigungen der Kontingentsmaßnahmen wie namentlich vorher durch die Buttereinfuhrregelung bereits überaus schweren Schaden gelitten. Wir haben hierüber dem Herrn Reichswirtschaftsminister und dem Herrn Staatssekretär der Reichskanzlei fortlaufend berichtet3. Diese Berichte ergeben ein sehr trübes Bild sowohl vom sachlichen Stande wie auch von dem schweren Druck, der daraus folgend sich auf das Vertrauen in die Erhaltung der deutschen Ausfuhr und der deutschen Wirtschaftskraft gelegt hat. Es könnte so scheinen, als ob der für die Ausfuhr zu besorgende Schaden schon eingetreten wäre und auch durch die autonome Kontingentsverhängung nicht mehr sehr wesentlich gesteigert würde. Eine solche Auffassung wäre u. E. völlig unzutreffend. Devisenmaßnahmen haben da und dort bereits sehr scharf diskriminierend gegen Deutschland gewirkt. Aber es sind noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen. Überall wird mit Aufträgen zurückgehalten. Noch sind sie zum größten Teil nicht schon an Industrien und Handel anderer Länder erteilt. Unsere Ausfuhr leidet unter schwerer Hemmung der Auftragserteilung; eine autonome Verhängung der Kontingente würde zur Folge haben, daß viele Aufträge endgültig nach andern Ländern gelegt werden, und würde so aus gefährlichen Möglichkeiten verderbliche Wirklichkeit machen.

3

Vgl. Dok. Nr. 129; 144, dort auch Anm 2; 174, dort auch Anm 1 und 3.

6. Auch wir sind der Meinung, daß gegen Deutschland verhängte devisenwirt-[862] schaftliche und kontingentswirtschaftliche Absperrungsmaßnahmen nicht einfach hinzunehmen sind. Die Hinweise, daß der deutsche Verkehr nicht notwendigerweise in dem bisherigen Umfange über Holland gehen, sondern da und dort bei Zuspitzung der Verhältnise für das holländische Geschäftsleben schädigende Umlagerungen unvermeidlich sein müßten, haben ihre gute Berechtigung. Wir reden also keineswegs etwa einer pazifistischen Duldensstimmung das Wort. Es wäre u. E. aber für die Durchsetzung notwendiger Maßnahmen erheblich besser gewesen, wenn man sie in Deutschland von vornherein völlig von Wort und Sache der Autarkie getrennt hätte. Da dies nicht geschah und unerfüllbare und verhängnisvolle Vorstellungen von einer Isolierungsmöglichkeit der deutschen Wirtschaft sich mit den Kontingentsforderungen verbunden haben, mußte gegen diese in der bisherigen scharfen Weise Stellung genommen werden. Wir halten es daher nicht für rätlich, aus der gegenwärtigen außenwirtschaftspolitischen Lage zu einer endgültigen Maßnahme zu kommen.

7. Das beherrschende Gesetz dieser Stunde scheint uns zu sein, Arbeitslosigkeit besonders da zu bekämpfen, wo sie wirtschaftlich, sozial und politisch die schwersten Gefahren mit sich bringt. Das gebietet Förderung der industriellen Ausfuhr und verbietet jede sie störende Maßnahme. Nachweise darüber, wie durch Einfuhrhemmung die landwirtschaftliche Produktionsleistung und insbesondere die in der Landwirtschaft anzusetzende menschliche Arbeitsbeschäftigung gesteigert werden könnte, liegen in keiner Weise vor. Sicher aber ist, daß, wenn eine Steigerung der Arbeitsbeschäftigung auf landwirtschaftlicher Seite als Folge erwartet wird, diese Folge zahlenmäßig nur in einem sehr beschränkten Umfange möglich sein wird und daß sie erst spät eintritt.

8. Das Regierungsprogramm, das auf Steigerung der Arbeitsbeschäftigung abgestellt ist, würde hiernach u. E. durch eine autonome Kontingentsregelung und die daraus folgende schwere Schädigung unserer Ausfuhr eine überaus ernst zu nehmende Durchkreuzung erfahren. Das Vertrauen in die Folgerichtigkeit und Einheitlichkeit der Wirtschaftspolitik der Reichsregierung würde in weiten Kreisen, und zwar gerade in denjenigen, die diese Wirtschaftspolitik in ihren Grundzügen bejahen, schwer beeinträchtigt werden, ohne daß dieser Einbuße auf einer anderen Seite ein erheblicher Gewinn gegenüberstünde4.

4

In diesem Zusammenhang der Präs. des Dt. Städtetages Mulert in einer Eingabe an den RK vom 3.11.32 u. a.: „In äußerst besorgniserregender Weise haben sich in den letzten Tagen […] die Mitteilungen aus den Städtekreisen über die teilweise geradezu vernichtenden Folgen der erörterten Kontingentierungsmaßnahmen gehäuft. Es handelt sich hier nicht um vage Befürchtungen, sondern um unmittelbare Auswirkungen praktischer Art, die schon jetzt in Erscheinung treten. Ich halte es deshalb für meine Pflicht, ehe die endgültige Entscheidung der Reichsregierung in dieser Frage fällt, den Herrn Reichskanzler über diese Entwicklung auch meinerseits noch einmal zu unterrichten. Es besteht die ernste Befürchtung, daß die erfreulichen Ansätze einer Wirtschaftsbelebung dadurch in weitem Umfange wieder aufgehoben oder zerstört werden können. Besonders schwerwiegende Folgen ergeben sich durch die von der Kontingentierungspolitik hervorgerufenen Absatzstockungen für die in den Städten domizilierenden Exportindustrien der verschiedensten Art und damit zugleich für Verkehrsgewerbe, Schiffahrt usw. Ist schon der Prozentsatz der deutschen Arbeiterschaft, der in diesen Industrien tätig ist, im gesamten Reichsdurchschnitt gerechnet, sehr beträchtlich, so massiert sich seine Zahl und Bedeutung insbesondere in den größeren Städten. Es handelt sich dabei nicht nur um die Küstenstädte wie Hamburg, Altona, Kiel, sondern auch um zahlreiche andere Städte wie insbesondere Berlin, Breslau, Frankfurt a. M., Leipzig, Dresden, München u. a. Die Drosselung erteilter Aufträge, die Unmöglichkeit der Hereinnahme neuer Aufträge selbst unter entgegenkommenderen Bedingungen als die ausländische Konkurrenz muß anstelle einer Wirtschaftsbelebung zu weiteren Einschränkungen der Betriebe führen. Auch die Gefahr rückt in bedrohliche Nähe, daß ein Teil des in den Exportindustrien arbeitenden Kapitals ins Ausland abwandert und dort lohnendere Beschäftigung sucht. Arbeitsentlassungen werden so unvermeidlich sein, während zur gleichen Zeit die umfassenden Bestrebungen der Regierung auf Mehreinstellung von Arbeitskräften gerichtet sind. Es besteht die große Gefahr, daß diese nachteiligen Wirkungen nicht vorübergehender Natur, sondern von langer Dauer sein werden, da es für den deutschen Export sehr schwierig sein wird, die einmal verloren gegangenen Absatzmärkte zu gewinnen. So wird die Wirtschaft gerade an solchen Stellen, an denen sie besonders intensiv zu arbeiten gewohnt und genötigt ist, in erheblichem Umfange lahmgelegt. Mittelbare und unmittelbare Rückwirkungen auch für die ohnedies schon aufs äußerste bedrängte Finanzlage der Gemeinden sind die weiteren Folgen.“ (R 43 I /1177 , Bl. 27–28).

[863] 9. Wir glauben danach, daß es notwendig ist, die Ergebnisse der Verhandlungen der Kommissäre der Reichsregierung5 im Zusammenhang mit der handelspolitischen Lage alsbald einer sachlichen Erörterung, sei es im Reichswirtschaftsrat, sei es in einem hierzu zu berufenden kleinen Beratungskörper aus den in Betracht kommenden Wirtschaftskreisen, zuzuführen, um hierbei zu einer Feststellung des Tatbestandes, zur Herausarbeitung der Fragestellung und zur Beantwortung der Fragen zu kommen; wir glauben, daß eine solche Erörterung durchaus in erheblichem Umfang zu fruchtbaren Ergebnissen führen wird. Jedenfalls bitten wir dringend, diese für Industrie und Handel und das ganze Wirtschafts- und Arbeitsleben des deutschen Volkes überaus bedeutungsvolle Frage nicht unter dem Druck der Stunde und nicht dahin zu entscheiden, daß ohne eingehende Beratung mit Vertretern der beteiligten Wirtschaftskreise eine autonome Regelung erfolgt6.

5

Gemeint sind offenbar die Mitglieder der dt. „Kontingentierungsdelegation“, die seit September 1932 durch Besprechungen mit Vertretern u. a. Hollands, Italiens und Frankreichs die Haltung dieser Länder zu der von Dtld. beabsichtigten Kontingentierung landwirtschaftlicher Einfuhren sondiert hatte. Hierzu vgl. Anm 32 und 33 zu Dok. Nr. 187.

6

Im Auftrage des RK antwortete hierauf Feßler mit Schreiben vom 8. 11. u. a.: „Die eindrucksvollen Ausführungen werden bei den weiteren Verhandlungen des Reichskabinetts Beachtung finden.“ (R 43 I /1177 , Bl. 16).

Hamm

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