1.63 (vpa2p): Nr. 192 Der Preußische Ministerpräsident Braun an den Reichspräsidenten. 3. November 1932

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Nr. 192
Der Preußische Ministerpräsident Braun an den Reichspräsidenten. 3. November 19321

1

Das Schreiben (abgedr. auch in Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1870 b; Huber, Dokumente, Bd. 3, Dok. Nr. 476) wurde von Meissner am 4. 11. dem RK „im besonderen Auftrage des Herrn Reichspräsidenten zur Kenntnis- und Stellungnahme“ übersandt (R 43 I /2281 , S. 225). – Zur Beratung über den Entwurf einer Antwort Hindenburgs an Braun s. Dok. Nr. 195 und 201.

R 43 I /2281 , S. 227–233

[Durchführung der Entscheidung des Staatsgerichtshofs in der Streitsache Preußen gegen das Reich vom 25. Oktober 1932]

Hochverehrter Herr Reichspräsident!

Die Preußische Staatsregierung ist übereinstimmend der Auffassung, daß das Reich seine Pflicht, die Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober d. Js. durchzuführen, bisher nicht erfüllt hat2.

2

Hierzu vgl. den Briefwechsel zwischen Bracht und Brecht vom 1./2. 11. (Dok. Nr. 184 und 188). – Am 2. 11. hatte die PrStReg. Braun folgende offizielle Mitteilung veröffentlicht: „In der heutigen Staatsministerialsitzung stellten die Staatsminister übereinstimmend fest, daß die Reichsregierung ihre Pflicht, die nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs zu Unrecht ihres Amtes enthobenen preußischen Staatsminister wieder in ihr Amt als Staatsminister und Landesregierung einzusetzen, nicht erfüllt hat.“ („DAZ“ Nr. 517 vom 3.11.32, Ausschnitt in R 43 I /2281 , S. 237). Hierauf ließ die RReg. am gleichen Tage durch den halbamtlichen Conti-Nachrichtendienst verbreiten: „Die Stellungnahme des preußischen Staatsministeriums ist insofern irreführend, als sie unterstellt, daß nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofes eine Pflicht bestände, die preußischen Staatsminister wieder formell in ihre Ämter einzusetzen. Eine solche Pflicht ergibt sich aus dem Urteil des Staatsgerichtshofes nicht. Die Reichsregierung muß lediglich den preußischen Staatsministern die Ausübung der Befugnisse ermöglichen, die ihnen der Staatsgerichtshof zuerkannt hat. Die Reichsregierung hat der preußischen Staatsregierung die nötigen Vorschläge gemacht; diese ist aber bis jetzt darauf nicht eingegangen.“ (Ebd.; vgl. auch Schultheß 1932, S. 193).

[873] Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs spricht mit aller Deutlichkeit aus, daß eine Pflichtverletzung des Landes Preußen gegenüber dem Reich nicht vorlag und daß daher Artikel 48 Absatz 1 gegen das Land Preußen nicht anwendbar war. Zum Absatz 2 des Artikel 48 erklärt ferner der Staatsgerichtshof mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, daß es unzulässig war, die Preußischen Staatsminister auf Grund dieser Vorschrift auch nur vorübergehend ihrer Ämter zu entheben, daß dies aber tatsächlich geschehen sei, und zwar sogar in der Weise, daß die Minister endgültig ihrer Ämter enthoben werden sollten.

Es heißt ferner in den Entscheidungsgründen (S. 14 des anliegenden Abdruckes)3:

3

Die Anlage fehlt in den Akten der Rkei.

Artikel 17 der Reichsverfassung „gewährleistet jedem Lande den Bestand einer aus dem Lande selbst hervorgehenden eigenwüchsigen Landesregierung. An die Stelle dieser Landesregierung kann, auch vorübergehend, kein anderes Organ gesetzt werden … Hiernach geht es nicht an, einen Reichskommissar als Landesregierung einzusetzen und die verfassungsmäßig bestellten Minister ihrer Ämter zu entheben4.“ Es ist, heißt es weiter, auf Grund des Artikels 48 Absatz 2 lediglich zulässig, Zuständigkeiten – soweit sie nicht unübertragbar sind – von der Landesregierung vorübergehend abzutrennen und auf ein Reichsorgan zu übertragen.

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Diese und die nachfolgenden Zitate stammen aus den von Präs. Bumke am 25. 10. im Staatsgerichtshof vorgetragenen „mündlichen Entscheidungsgründen“ (R 43 I /2281 , S. 116, 128 und 130). Vgl. dazu auch Anm 2 zu Dok. Nr. 177.

Die Staatsminister müssen es nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs zwar dulden, daß Zuständigkeiten des Landes in weitem Umfange vorübergehend auf das Reich übertragen werden, sie haben aber Anspruch darauf, daß sie in ihr Amt als Staatsminister und als Landesregierung ohne jeden Vorbehalt wieder eingesetzt werden. Das ist bisher nicht geschehen.

Die Preußischen Staatsminister sind am 20. Juli aus ihren Ämtern mit Gewalt oder unter Androhung von Gewalt entfernt worden. Gleichzeitig sind sie in einer Rundfunkrede des Reichskanzlers5 vor ganz Deutschland und vor dem Ausland der Pflichtverletzung gegen das Reich beschuldigt und öffentlich angeprangert worden.

5

Rundfunkrede Papens vom 20. 7., vgl. Anm 15 zu Dok. Nr. 73.

Wenn nunmehr nach drei Monaten der Staatsgerichtshof die Unzulässigkeit dieses Verfahrens feststellt, so wäre es die Pflicht der Reichsregierung, ihr damaliges Verhalten durch klare und eindeutige Handlungen wieder gut zu machen.

In erster Linie habe ich namens der Staatsregierung den Wunsch ausgesprochen, daß nunmehr die Verordnung vom 20. Juli aufgehoben und von allen Sondermaßnahmen in Preußen abgesehen wird. Wenn Sie, Herr Reichspräsident,[874] es nicht für möglich gehalten haben, diesem Wunsche zu entsprechen, so bedauert dies die Staatsregierung aufrichtig, fügt sich aber selbstverständlich denjenigen Anordnungen, zu denen Sie nach der Verfassung und der Auslegung der Verfassung durch die Entscheidung des Staatsgerichtshofs befugt sind.

Umsomehr war es aber unter diesen Umständen die Pflicht der Kommissare des Reichs, der verfassungsmäßigen Landesregierung mit der erforderlichen sachlichen und formellen Achtung ihrer Rechte zu begegnen, dies umsomehr, als der Staatsgerichtshof (Seite 16) ausdrücklich erklärt:

„Bei einem jeden Diktatureingriff entsteht die Gefahr von Reibungen zwischen dem Reichskommissar und der Landesregierung. Aufgabe beider Stellen ist es, diese Reibungen durch ein verträgliches Zusammenarbeiten zum Wohle des Landes und des Reiches zu überwinden.“

In derselben Stunde, in der ich mit dem Herrn Reichskommissar bei Ihnen, Herr Reichspräsident, weilte und in der Sie selbst eine loyale Zusammenarbeit forderten, zu der ich mich rückhaltslos bereiterklärte6, hat der Herr Reichskommissar eine tief in die Organisation der preußischen Ministerien einschneidende Verordnung in der Preußischen Gesetzsammlung ausdrucken lassen, ohne auch nur den Versuch zu einer vorherigen Fühlungnahme zu machen7.

6

Vgl. Dok. Nr. 182.

7

Vgl. Dok. Nr. 181, dort auch Anm 3.

Diese Verordnung wurde überdies, ebenso wie spätere Verordnungen, wieder mit der Unterschrift „Preußisches Staatsministerium, mit Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt“ versehen, obwohl die Entscheidung des Staatsgerichtshofs die Unzulässigkeit einer solchen Zeichnung mit klaren Worten ausspricht. Denn sie sagt ausdrücklich, daß an die Stelle der Landesregierung auch vorübergehend kein anderes Organ gesetzt werden kann und daß die Reichskommissare nur als Reichsorgane handeln dürfen.

Die Stellung als Regierung des größten deutschen Landes und die Aufgaben der Vertretung des Landes gegenüber dem Reich und den anderen Ländern, die Behandlung der Angelegenheiten des Reichsrats, Staatsrats und Landtags machen es notwendig, daß die Staatsminister die damit zusammenhängenden Geschäfte in dem geordneten Apparat erledigen können, der dazu bestimmt ist. Die Herren Reichskommissare machen aber den Herren Staatsministern in dieser Beziehung die größten Schwierigkeiten. Der Verkehr der Minister mit ihren eigenen Beamten, selbst derjenige mit den stellvertretenden Bevollmächtigten zum Reichsrat, ebenso ihre Arbeit mit den amtlichen Akten wird von den Kommissaren kontrolliert und überwacht. Er wird äußerlich so schwierig gestaltet, daß er an diesen technischen Schwierigkeiten geradezu scheitern muß.

Zur Wiedereinsetzung in die Ämter gehört es der Natur der Sache nach, daß jedem Minister seine Amtsräume zur Ausübung der ihm zustehenden Befugnisse als Landesminister zur Verfügung gestellt werden. Den Vorschlag, dem unterzeichneten Preußischen Ministerpräsidenten, dem Herrn Staatsminister Severing und anderen Ministern Diensträume in den Räumen des Ministeriums für Volkswohlfahrt bereitzustellen8, kann die Landesregierung nicht als genügende[875] Wiedereinsetzung der Minister in ihre Ämter ansehen. Sie entnimmt hieraus im Gegenteil den Willen, sie von ihren Ämtern fernzuhalten.

8

Vgl. Dok. Nr. 184.

Es ist eine grundsätzlich falsche Auffassung, daß der Reichskommissar den Landesministern Diensträume zuweist. Es ist vielmehr Sache der Landesregierung, dem Reichskommissar die erforderlichen Räume zur Verfügung zu stellen. Dabei verbietet es sich von selbst, daß der Herr Reichskommissar die Räume der Minister selbst in Anspruch nimmt.

In dem Bestreben, eine friedliche Verständigung herbeizuführen, ist mein Vertreter so weit gegangen, vorzuschlagen, daß ich Herrn Reichsminister Dr. Bracht Diensträume im Dienstgebäude Wilhelmstraße 63 überlasse und daß ich selbst das Haus Wilhelmsgasse 64, in dem sich meine Dienstwohnung befindet, in Anspruch nehme9. Ich wäre mit dieser Lösung im Interesse des Friedens einverstanden gewesen. Selbst auf diesen weitgehenden Vermittlungsvorschlag ist jedoch eine abschlägige Antwort erfolgt. Herr Reichskommissar Bracht schreibt hierzu:

9

Dok. Nr. 188.

„Es ist damit zu rechnen, daß die politischen Freunde des Herrn Ministerpräsidenten sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, um ihm in lebhafter Weise auf der Straße vor dem Haus ihre innere Verbundenheit zu äußern. Das wird politischen Gegnern auch zu Gegendemonstrationen Anlaß geben. Gerade zum Besten einer fortschreitenden Beruhigung und damit im Sinne des Leipziger Urteils möchte ich derartige zu erwartende Zusammenstöße, die wahrscheinlich nur durch polizeiliches Eingreifen beendet werden könnten, unter allen Umständen vermeiden10.“

10

Dok. Nr. 189.

Diese Begründung ist in keiner Weise stichhaltig. Mein Vertreter hatte ausdrücklich zugesagt, daß ich ohne äußeres Aufsehen in das Haus zurückkehren würde. Im übrigen gehört die Wilhelmstraße zur Bannmeile, innerhalb deren größere Ansammlungen unzulässig sind. Es müßte schlecht um die polizeiliche Exekutive stehen, wenn sie sich dieser Lage nicht gewachsen fühlt.

Den allgemeinen Gepflogenheiten, ja sogar den internationalen Gepflogenheiten würde es entsprechen, daß eingesetzte Reichskommissare sich zunächst bei der Landesregierung persönlich in ihrer Eigenschaft vorstellen und mit ihr in Fühlung treten. Weder der Herr Reichskanzler als Kommissar noch sein Stellvertreter haben es bisher für nötig gehalten, dieser selbstverständlichen Pflicht unter den neuen Umständen Genüge zu tun. Aber auch die neuernannten Kommissare haben dies nicht getan. Herr Reichsminister Popitz hat am Dienstag im Gebäude des Preußischen Finanzministeriums sogar das Zimmer des vom Staatsgerichtshof als aktiver preußischer Staatsminister anerkannten Staatsministers Klepper in Besitz genommen, ohne sich auch nur mit Herrn Minister Klepper darüber in Verbindung zu setzen, wie dies selbst in Kriegszeiten bei ausländischer Besatzung üblich wäre. Dieses Verhalten des Herrn Reichsministers Popitz, den der zuständige Staatssekretär pflichtmäßig auf die Lage hingewiesen hat, verletzt die einfachsten Regeln des menschlichen und politischen Anstandes im Verkehr zwischen einer Reichsregierung und einer Landesregierung, besonders aber zwischen dem Reich und Preußen.

[876] Nach Artikel 19 Absatz 2 der Reichsverfassung vollstreckt der Reichspräsident das Urteil des Staatsgerichtshofs. Zugleich ist der Reichspräsident diejenige Instanz, welche nachzuprüfen hat, ob der Reichskommissar bei seinen Maßnahmen sachgemäß verfahren ist (vgl. S. 13 der Entscheidung).

Namens der preußischen Staatsregierung bitte ich Sie, Herr Reichspräsident, die loyale Durchführung der Entscheidung des Staatsgerichtshofs zu veranlassen. Zugleich bitten wir Sie, die wenig ritterliche Art und Weise, in der Kommissare des Reichs die Mitglieder der rechtmäßigen Landesregierung Preußens behandeln, abzustellen.

Die preußische Staatsregierung stellt ihre Forderungen nicht, um der Arbeit der Herren Reichskommissare irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten – dieser Gedanke liegt ihr gänzlich fern –, sondern nur deshalb, weil sie verpflichtet ist, die ihr obliegenden Aufgaben ordnungsmäßig und in einer die Würde des Landes Preußen wahrenden Weise zu erfüllen. Die Herren Staatsminister wären zufrieden, wenn sie diese Aufgabe möglichst bald Nachfolgern in einer verfassungsmäßig zustandegekommenen Regierung übergeben könnten. Solange das nicht der Fall ist, müssen sie selber so handeln, wie es zur Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten erforderlich ist.

Wir bitten Sie, Herr Reichspräsident, durch Ihre Anweisung es dem Lande Preußen und dem Reiche zu ersparen, daß nochmals der Staatsgerichtshof angerufen werden muß.

In ausgezeichneter Hochachtung

verbleibe ich, Herr Reichspräsident,

Ihr sehr ergebener

Braun

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