2.194.1 (wir1p): [Finanzpolitik des Reiches]

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[Finanzpolitik des Reiches1]

1

Zum Vorangegangenen siehe Dok. Nr. 187 Anm. 1.

Der Reichskanzler Das Finanzprogramm, das wir nach dem Beschluß von Cannes binnen 14 Tagen aufzustellen hätten2, würde sich in den Grundzügen an die Vereinbarungen Lloyd George-Briand3 von London halten. Es sei jetzt unbedingt erforderlich, die inneren Steuerfragen zum Abschluß zu bringen. Das Kompromiß unter den Parteien sei noch nicht abschließend zu Stande gekommen. Die Verhandlungen würden durch den Reichsminister der Finanzen seit langer Zeit geführt. Nach dem Laufe der bisherigen Besprechungen mit den Parteien habe er den Eindruck, daß ein Kompromiß etwa auf der Grundlage zustande kommen könne, daß bei der Vermögenssteuer der Ertragswert als Wertmesser mit berücksichtigt werde. Auch die Einziehung eines weiteren Teils des Reichsnotopfers werde sich voraussichtlich ermöglichen lassen. Im übrigen müsse er nochmals betonen, daß auf die Geschäftslage bei den Finanzämtern unbedingt Rücksicht genommen werden müsse und daß die Veranlagung zur Einkommensteuer auf das empfindlichste gestört werden würde, wenn jetzt neue Steuern beschlossen würden, die wiederum andere Veranlagungen erforderlich machten. Eine Sachwerterfassung, die auf eine Substanzveräußerung hinauslaufe, scheide nach Lage der Dinge aus.

2

Gemeint ist die aus Cannes datierte Note der Repko vom 13.1.22 (siehe Dok. Nr. 190 Anm. 1).

3

Siehe Dok. Nr. 190 Anm. 3.

Wissel: Die Gewerkschaften hätten in der Zwischenzeit Fühlung mit der SPD und der USPD genommen. Gestern sei man zu einem gewissen Abschluß gelangt. Es bestehe Einmütigkeit, daß ohne einen Eingriff in den Besitz, der durch die Geldentwertung nicht getroffen sei, ein Steuerkompromiß nicht zu erzielen sei. Dieser Eingriff sei auch zur Balancierung des Haushalts nötig. Der Gedanke des ursprünglichen Reichsnotopfers sei der gewesen, daß ein Jeder einen Teil seines Vermögens abgeben solle. Damals hätte man die später eintretende Entwertung der Mark nicht voraussehen können. Wie die Dinge sich entwickelt hätten, hätte niemand etwas aus dem Besitz gezahlt, die Zahlungen auf das Reichsnotopfer seien vielmehr aus dem Einkommen erfolgt. Diese Lage widerspreche jedem rechtlichen Gefühl. Daher müsse sich nach Ansicht der Gewerkschaften das Reich in den Besitz realer Werte setzen; ein entsprechendes ausdrückliches Verlangen werde voraussichtlich in wenigen Tagen an den[521] Reichskanzler gerichtet werden. Zu prüfen sei, ob durch eine solche Maßnahme eine innere Goldanleihe ausgeschlossen werde.

Der Reichskanzler Die Notwendigkeit, den Besitz zu erfassen, werde bis weit in die bürgerlichen Kreise hinein verstanden. Man müsse sich aber fragen, was erfaßt werden solle und zu welchem Ziel.

Wissel: In erster Linie werde an das Ziel der Balancierung des Etats gedacht. Eine Übertragung der Substanzwerte an das Ausland würde auch von den Gewerkschaften nicht gewünscht, denn hierdurch würden die Arbeiter zu Lohnsklaven des Auslandes und die zukünftige Volkseinnahme verkleinert werden. Wohl aber könne eine solche Übertragung erfolgen, wenn Deutschland dadurch dauernd oder wenigstens für lange Zeit von den Reparationslasten befreit werde.

Der Reichskanzler Die Abdeckung der Reparationslasten durch eine einmalige Hingabe von Substanz hänge mit der Frage des Erlasses der amerikanischen Forderungen an die Entente zusammen. Dies Problem würde frühestens nach vielen Monaten spruchreif werden. Wolle man den Besitz erfassen, beispielsweise durch eine Aktienbeteiligung des Reichs, nur um diesen Betrag wie eine Steuerquelle fließen zu lassen, so sei dieses Ziel ebenso gut auf rein steuerlichem Wege zu erreichen.

Wissel: Wenn man so vorgehe, wie der Reichskanzler vorschlage, so würde hierdurch eine Durchsichtigmachung der Bilanzen, die unbedingt erforderlich sei, nicht erreicht. Daher müsse man einen stimmberechtigten Aktienbesitz des Reichs schaffen. Weiter müsse eine Kontrolle über die Monopolwirtschaft geschaffen werden. Ihm sei klar, daß zur Zeit für den damaligen Entwurf des Reichswirtschaftsministeriums4 eine parlamentarische Mehrheit nicht zu gewinnen sei. Er wolle aber doch darauf hinweisen, daß die USPD und voraussichtlich auch die KPD sich den Forderungen der Gewerkschaften auf Erfassung der Substanz anschließen würden. Bei dieser Sachlage sei es fraglich, ob ein Widerstand der bürgerlichen Parteien auf die Dauer möglich sei.

4

Siehe Dok. Nr. 6 mit Anm. 1.

Umbreit: Für die Landwirtschaft hätten die Gewerkschaften an eine rein steuerliche Erfassung gedacht, nicht an eine Ergreifung der Substanz. Die Gewinne, die die Landwirtschaft aus den ungeheuer gestiegenen Getreidepreisen zöge, seien Valutagewinne, die durch eine Sondersteuer erfaßt werden müßten. Die entsprechenden Gesetzentwürfe könnten nicht von den Gewerkschaften, sondern müßten von den Parteien und der Regierung vorbereitet werden.

Reichskanzler Auch für die Landwirtschaft treffe zu, was er bereits allgemein gesagt habe: Die Einkommensteuerveranlagung würde behindert und müsse unendlich verzögert werden, wenn die Finanzämter zwischendurch wieder neue Veranlagung machen müßten. Es müsse dabei bleiben, daß das Veranlagungsgeschäft zur Einkommensteuer zunächst zu Ende geführt würde, dann könne man im Sommer beispielsweise an die Einziehung des Notopfers gehen.

Umbreit: Wenn eine Erfassung der Sachwerte aus den vom Reichskanzler angeführten Gründen jetzt nicht möglich sei, dann müßte die Regierung wenigstens[522] in der Zwischenzeit das Problem der Erfassung bis ins einzelne durcharbeiten. Er schlage vor, daß die Sozialisierungskommission beauftragt würde, sich mit diesem Problem jetzt gründlich zu befassen.

Graßmann: Die Argumente des Reichskanzlers könnten ebenso gut gegen jede neue Steuer angewandt werden. Vielleicht sei es besser, bei der Landwirtschaft an eine Goldhypothek, als an eine Erfassung der Substanz zu denken. Jedenfalls müsse das System der Veranlagung auf dem Lande gebessert werden.

Der Reichskanzler Gerade mit aus diesem Grunde sei ja die Steuerhoheit des Reichs eingeführt worden. Die Durchführung der hier zu befolgenden Grundsätze dauere aber 2 bis 3 Jahre.

Schweitzer: Nach dem Plan von Cannes solle anscheinend die Notenausgabe der Reichsbank rationiert, aber trotzdem die Sachleistungen aufgebracht werden. Es sei die Frage, wie dies beides möglich sei.

Staatssekretär Dr. Hirsch äußert sich über die Geschichte der Kreditaktion der Industrie. Mit dem Gesetzentwurf Hachenburg5 sei ein Instrument geschaffen, das vielleicht zur Finanzierung der Reparationen herangezogen werden könne.

5

Siehe Dok. Nr. 115 Anm. 3.

Reichskanzler Der Hachenburg’sche Entwurf spiele in den Kompromißverhandlungen eine gewisse Rolle. Ein Kompromiß müsse jetzt von den Parteien geschlossen werden. Die von den Gewerkschaften vorgetragenen Punkte werde er bei den Besprechungen verwenden, aber das Kompromiß selbst könne natürlich nur mit den politischen Parteien geschlossen werden.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

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