1.148 (ma12p): Nr. 360 Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Bracht. 25. November 1924

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Nr. 360
Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Bracht. 25. November 1924

R 43 I /417 , Bl. 384f

[Entwaffnungsforderungen der IMKK]

Die Interalliierte Militärkontrollkommission hat im Verlaufe der Durchführung der Generalinspektion eine Reihe von Noten überreicht, in denen auf Grund der Artikel 204 und 208 des Vertrags von Versailles zahlreiche Einzelforderungen auf Umstellung oder Zerstörung von Fabrikationsanlagen, ehemaligen Heeresanstalten (Munitionsdepots), Artilleriedepots, Sprengstofflager, Bekleidungsämter usw.) und Polizeiwerkstätten gestellt werden1. Eine Durchprüfung dieser Forderungen im Benehmen mit den beteiligten Ressorts hat ergeben, daß ein großer Teil ohne weitere Schwierigkeiten unverzüglich dem Wunsche der IMMK entsprechend zur Erledigung gelangen könnte, wenn die erforderlichen Geldmittel bereitgestellt würden. Auch der Vertreter Bayerns, das als Eigentümer von Grundstücken an dieser Angelegenheit beteiligt ist, hat sich für den ihn angehenden Teil in diesem Sinne geäußert.

1

Vgl. Anlage zu Dok. Nr. 352.

[1193] In verschiedenen Fällen hat jedoch eine Übereinstimmung nicht erzielt werden können, so insbesondere hinsichtlich der – von der IMKK immer als besonders wichtig hervorgehobenen – Forderungen, die sich auf die Umstellungen bzw. Zerstörungen bei den Deutschen Werken in Spandau, bei Krupp, der Dortmunder Union, Rheinmetall und der Pulverfabrik Reinsdorf (Wasag) beziehen. Abgesehen davon, daß die Erfüllung dieser interalliierten Wünsche sehr beträchtliche Geldsummen (nach vorläufiger Schätzung des Reichsfinanzministeriums mindestens 50–60 Millionen) verschlingen würde, stellt sich das Reichsfinanzministerium hierbei auf den Standpunkt, daß ihre Durchführung die völlige Lahmlegung wichtiger Betriebe der deutschen Industrie nach sich ziehen würde und zugleich insofern weit über das zur Aufgabe der IMKK gehörende Ziel hinausschieße, als die in Frage kommenden Einrichtungen zur Herstellung friedenswirtschaftlicher Gegenstände dienten.

Das Reichsfinanzministerium geht aber auch allgemein von der Auffassung aus, daß die Geldmittel für sämtliche jetzt noch von der Interalliierten Militärkontrollkommission geforderten Umstellungen und Zerstörungen als Last, die das Deutsche Reich zur Erfüllung von Verpflichtungen gegenüber den alliierten Regierungen tragen müsse, aus der Annuität entsprechend dem Sachverständigengutachten zu bestreiten seien. Es verlangt daher, wie aus einem von dem Herrn Reichsfinanzminister an den Herrn Außenminister gerichteten Schreiben vom 15. d. M.2 hervorgeht, daß zunächst diese Frage der Deckung geklärt werde. Es hofft damit zugleich zu erreichen, daß die interalliierten Regierungen, sobald sie erkennen würden, daß sie in der Kostenfrage letzten Endes die Leidtragenden seien, ihre Zerstörungsforderungen erheblich mäßigen würden.

2

Dok. Nr. 356.

Ob diese letztere Annahme des Reichsfinanzministeriums zutrifft, mag dahingestellt bleiben. Nach Ansicht des Auswärtigen Amtes ist kaum anzunehmen, daß die Geldfrage bei diesen Forderungen der Entente, die seit Jahren bestehen und in immer dringlicherer Form als eine der Hauptbedingungen für die Entwaffnung wiederholt worden sind, eine ausschlaggebende Rolle spielen wird. Man darf sich auch nicht etwa der Hoffnung hingeben, daß uns, sobald erst einmal der 10. Januar des kommenden Jahres – der Stichtag in der Räumungsfrage – überwunden ist, die Erledigung dieser und der anderen noch ausstehenden Restforderungen auf dem Gebiet der Militärkontrolle erlassen werden wird; die Entente wird immer Mittel und Wege finden, auch in dieser Hinsicht ihren Willen jederzeit durchzusetzen. Im übrigen aber ist die Frage, welche Taktik im gegenwärtigen Augenblick zur Bereinigung der hier in Rede stehenden Forderungen der Interalliierten Militär-Kontrollkommission einzuschlagen ist, in erster Linie eine politische, und zwar eine solche von außerordentlicher Tragweite. Denn nach allen hier vorliegenden Nachrichten wird die Botschafterkonferenz in Paris etwa Mitte Dezember auf Grund des Befundes der Generalinspektion die Frage prüfen, ob Deutschland als entwaffnet anzusehen ist, eine Prüfung, welche für die sich daranknüpfende Entscheidung über die Räumung der[1194] Kölner Zone von ausschlaggebender Bedeutung ist. Bleibt nun bis zu diesem Termin in der Entwaffnungsfrage ein großes Kapitel, wie es die Umstellung der Heeresgutfabriken und Heeresanstalten darstellt, zu einem wesentlichen Teile und zwar gerade in den von der Entente stets als wichtig betonten Punkten offen, so ist zu befürchten, daß namentlich die Franzosen dies zum Anlaß nehmen werden, um das Ergebnis der Generalinspektion für die Bejahung unserer Entwaffnung als nicht ausreichend hinzustellen und das Schlußvotum darüber zu vertagen, bis eine Lösung in der Frage der Umstellung der Fabriken erzielt sei. Daß dies als willkommener Vorwand benutzt werden kann, um auch die Entscheidung über die Räumungsfrage ad libitum zu vertagen, bedarf bei der bekannten Mentalität der Botschafterkonferenz keiner besonderen Hervorhebung. Nach Auffassung des Auswärtigen Amtes wird dieser Gefahr nur in der Weise begegnet werden können, daß wir, und zwar innerhalb kürzester Frist, der Interalliierten Militärkontrollkommission auf ihre Forderungen befriedigende Zusicherungen geben, soweit dies irgendwie im Hinblick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Bedürfnisse der Industrie vertreten werden kann, und daß die Erstattungsfrage, d. h. die Frage, ob die entstehenden Kosten letzten Endes aus Reichsmitteln oder aus der Annuität zu decken wären, als sekundäre dabei zunächst in den Hintergrund tritt. Es würde also diese Taktik darauf hinauslaufen, daß die Kosten zunächst vorschußweise vom Reichsfinanzministerium angewiesen werden würden, während dieses gleichzeitig, aber unabhängig von unserer Aktion gegenüber der Interalliierten Militärkontrollkommission, die Zurückerstattung der bereits verauslagten Beträge bei dem Generalagenten zu betreiben hätte.

Da angesichts der auf dem Spiel stehenden großen politischen Interessen eine sofortige Klärung darüber herbeigeführt werden muß, welche Taktik zu befolgen ist, darf ich bitten, eine Entscheidung des Reichskabinetts hierüber umgehend in die Wege zu leiten3.

3

Die hier aufgeworfenen Fragen werden in einer Chefbesprechung am 28. 11. erörtert (Dok. Nr. 362).

Maltzan

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