1.226 (mu22p): Nr. 482 Vermerk über die Unterredung des Reichskanzlers mit dem Präsidenten des Reichslandbundes betr. Agrarmaßnahmen am 22. März 1930

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Nr. 482
Vermerk über die Unterredung des Reichskanzlers mit dem Präsidenten des Reichslandbundes betr. Agrarmaßnahmen am 22. März 1930

R 43 I /2542 , Bl. 340 f., hier: Bl. 340 f.

Der Reichskanzler empfing am 22. März nachmittags im Beisein des Staatssekretärs in der Reichskanzlei den Präsidenten des Reichslandbundes, Reichsminister a. D. Schiele. Dieser erklärte, daß die Maßnahmen, die von den Regierungsparteien beschlossen seien1, das Schicksal der Landwirtschaft nicht durchgreifend bessern könnten und begründete diese Behauptung eingehend. Er[1591] wünschte eine wesentlich weitergehende Ermächtigung der Reichsregierung als vorgesehen ist zur Bestimmung der Zollhöhe, sprach sich, allerdings in vorsichtiger Weise und ohne besonderen Nachdruck, für den Beimahlungszwang aus, den er als Experiment bezeichnete. 1 Million Tonnen Roggen könnten dadurch untergebracht werden. Jedenfalls müsse der Roggenzoll erhöht und der Weizenmehlzoll so bemessen werden, daß er dem doppelten Weizenzoll zuzüglich einer Spanne von 3 Mark gleichkomme. Das Maiszollmonopol halte auch die DNVP grundsätzlich für zweckmäßig. Die Landwirtschaft müsse bei der Verwaltung beteiligt werden.

1

Siehe RT-Bd. 427, S. 4591  ff. für die Haltung der Parteien.

Der Zoll für Gerste dürfe nicht auf 2 M bemessen werden unter der Bedingung der Abnahme von Roggen. Die westlichen Bauern würden dadurch gegenüber den östlichen übermäßig bevorzugt, weil letztere ihren Roggen verfüttern müßten. Auch würde die Gersteeinfuhr durch diese Anordnung gesteigert werden.

Eine Herabsetzung des Zuckerrichtpreises dürfe nicht erfolgen, dagegen müsse auf eine Stützung des Kartoffelflockenpreises hingearbeitet werden.

In politischer Beziehung führte er folgendes aus: Die Stimmung in der Landwirtschaft, insbesondere im Osten, sei so erregt und verzweifelt, daß die besonnenen Führer rasch an Gefolgschaft verlören. Wenn die neuen Maßnahmen nicht durchgreifende Hilfe brächten, wäre die Radikalisierung des Landes nicht mehr aufzuhalten.

Deswegen könne er und seine Partei den Versuch, als den lediglich die Beschlüsse der Regierungsparteien anzusehen seien, nicht mitmachen. Eine wesentliche Besserung und Verstärkung der Schutzbestimmungen müßte erfolgen.

Der Reichskanzler wies auf seine Bemühungen im Interesse der Landwirtschaft hin. Neue Verhandlungen zur Herbeiführung einer Änderung der unter größten Schwierigkeiten gefaßten Beschlüsse der Regierungsparteien würden jedenfalls eine wesentliche Verzögerung der Beschlußfassungen herbeiführen und in ihrem Erfolge äußerst fraglich sein. Auch die Regierung habe dafür Stellung genommen, daß ihre Vollmachten erweitert würden. Sie habe auch sehr stark auf den Beimahlungszwang hingearbeitet; insbesondere sei dies auch von dem Reichsarbeitsminister und vom Reichswirtschaftsminister geschehen. Die Parteien hätten sich aber sämtlich dagegen ausgesprochen. Es wäre allerdings auch ein Rückfall in die Zwangswirtschaft. Die Überwachung von 35 000 bis 40 000 Mühlenbetriebe sei praktisch nicht durchführbar. Allein mit Geldstrafen sei gegen Übertretungen der Bestimmungen nicht anzukämpfen. Caro hätte Ehrenstrafen vorgeschlagen2. Bei den Verhandlungen im Ausschuß des Reichstags über das Brotgesetz habe die DNVP es in der Hand, Anträge wegen des Beimahlungszwangs zu stellen. Die Regierung werde kein Hindernis sein.

2

Caro hatte Zuchthausstrafen bei Nichteinhaltung der Roggenbeimischung verlangt (12.2.30; R 43 I /2542 , Bl. 207-211, hier: Bl. 207-211).

Der Reichskanzler erklärte sich bereit, mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft über die Anregungen von Minister Schiele zu sprechen. Auch er trete dafür ein, daß die Maßnahmen für die Landwirtschaft von einer möglichst breiten Front betroffen würden. Die Frage, inwieweit eine Nachverzollung[1592] der Getreideeinfuhren möglich sei, die nach Bekanntwerden der Zollerhöhungspläne in starkem Maße eingesetzt haben, werde geprüft. Es müsse auch erwogen werden, ob nicht die Drosselung der Einfuhr dadurch erfolgen könnte, daß die Banken den Importeuren den Kredit verweigern, sobald eine gewisse Einfuhrmenge erreicht sei. Auf jeden Fall müsse sichergestellt werden, daß die geplanten Maßnahmen im Reichstag Mehrheiten fänden3.

3

Zur Annahme der Gesetze siehe RT-Bd. 427, S. 4645  ff.

Minister a. D. Schiele erklärte nochmals, daß er zur Reichsregierung das volle Vertrauen habe, sie werde ihr möglichstes für die Landwirtschaft tun. Die Opposition müsse aber so handeln, wie es mit Rücksicht auf die katastrophale Lage der Landwirtschaft und die Stimmung draußen geboten sei4.

4

Siehe die Rede Schieles bei der ersten Lesung der Initiativanträge am 24. 3. (RT-Bd. 427, S. 4596  ff.). Im Kabinett Brüning wurde Schiele REM.

F[eßler]

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