2.13 (bau1p): Nr. 13 Der Preußische Minister der öffentlichen Arbeiten an den Reichswehrminister. 4. Juli 1919

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Nr. 13
Der Preußische Minister der öffentlichen Arbeiten an den Reichswehrminister. 4. Juli 1919

R 43 I /2118 , Bl. 97–98 Umdruck

[Betrifft: Politische Streiks und Rätebewegungen.]

Nach dem bereits zur vorläufigen Kenntnis übersandten Telegramm1 des Präsidenten der Eisenbahndirektion Frankfurt (Main) hat sich die Lage im dortigen Bezirk sehr ernst gestaltet. In ihren Wirkungen reicht der Streik und die Betriebseinstellung aber weit über die Grenzen des Bezirks Frankfurt hinaus2.

1

Nicht ermittelt.

2

Ein Eisenbahnerstreik im Direktionsbezirk Berlin hatte seit dem 24. 6. den Verkehr überregional lahmgelegt und auf diese Weise die RReg. und die PrStReg. zu weitgehenden sozialpolitischen Zugeständnissen veranlaßt (Schultheß 1919, I, S. 270; vgl. Dok. Nr. 5, P. 1). Während der Berliner Streik am 3. 7. zu Ende ging, war am Vortag auf einer von über 10 000 Frankfurter Eisenbahnern besuchten Versammlung beschlossen worden, vom 3. 7. ab in den Ausstand zu treten (Vorwärts Nr. 334 vom 3.7.19). Den Ernst des gegenwärtigen Arbeitskampfes charakterisierte der PrFM Südekum mit den Worten, daß man „in Preußen in einem Kampf auf Leben und Tod mit den Eisenbahnern“ stehe (Der PrFM an den RMin-Präs., 5.7.19; R 43 I /2583 , Bl. 9). – Zur Streikbewegung s. auch Dok. Nr. 6.

[52] Die Eisenbahndirektion Frankfurt (Main) war diejenige, bei der sich im Anschluß an die Revolution zuerst ein sogenannter Verkehrsausschuß gebildet hat, der als Organ des kommunalen Arbeiter- und Soldatenrats und somit als „wilder“ Arbeiterrat sich Aufsichts- und Mitwirkungsbefugnisse angemaßt hat. Trotz aller meiner Bemühungen ist es, zumal bei der Nähe der feindlichen Besatzung politische Unruhen vermieden werden mußten, nicht gelungen, seine Tätigkeit zu unterbinden oder auch nur einzudämmen; er hat sie vielmehr immer mehr auszudehnen versucht mit dem Ziel der „restlosen Überführung der Staatseisenbahnen in die Hände der Arbeiter und der Betriebsräte“. Von ihm ist dann die Anregung zur Bildung eines ebenfalls auf der Grundlage des reinen Rätesystems zusammengesetzten Eisenbahner-Zentralrats ausgegangen, der bereits zweimal getagt hat und die Propaganda für das reine Rätesystem in alle Eisenbahnbezirke hineingetragen hat. In eindrucksvollen Flugblättern wird den Bediensteten dies[es] System als „Sozialismus“ und das sich unter seiner Herrschaft für den Arbeiter ergebende Leben als jenem Ideal entsprechend geschildert. Die Mitglieder dieses Zentralrats sind es, welche die seit Monaten schwebenden Verhandlungen mit den gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen wegen Bildung von Arbeitervertretungen auf der Grundlage des Gesetzes vom 23. Dezember 19183 immer wieder zum Scheitern gebracht haben, weil sie nicht diese, auch nicht die auf der Grundlage des kürzlich veröffentlichten Gesetzentwurfs beruhenden Betriebsräte4, sondern ausschließlich solche nach dem reinen Rätesystem unter Ausschaltung der bestehenden Verwaltungsleitung eingeführt zu sehen wünschen. Der Standpunkt der Eisenbahnverwaltung ergab sich aus der Stellungnahme der Reichs- und Staatsregierung zu der Betriebsrätefrage: weitgehendes Mitwirkungsrecht unter Einfügung in die allgemeine gesetzliche Regelung, aber Ablehnung des reinen Rätesystems. Gegen diese vollkommen korrekte Stellungnahme und auf völligen Umsturz zugunsten der Räteherrschaft richten sich im Grunde die jetzigen Eisenbahnerstreiks; die wirtschaftlichen Forderungen dienen nur dazu, die Masse in Bewegung zu bringen. Seit Wochen sind die Zentralratsmitglieder ins Land gegangen, um dort den Boden für den Eisenbahner- und damit den Generalstreik vorzubereiten, nachdem sie angesichts der durch die militärische Macht verhinderten Putsche [in] Berlin5 sich keinen durchschlagenden Erfolg mehr versprechen konnten.

3

Gemeint ist die VO über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23.12.18 (RGBl. S. 1456 ).

4

Einzelheiten s. Dok. Nr. 36, Anm. 1.

5

Am 6.1.19 war in Berlin die „Regierung Ebert-Scheidemann“ von einem aus Vertretern der USPD und des Spartakusbundes zusammengesetzten Revolutionsausschuß für abgesetzt erklärt worden. Im Verlauf des am 3.3.19 von den Berliner A.u.S.-Räten beschlossenen Generalstreiks hatten spartakistische Kräfte unter der Parole „Alle Macht den Arbeiterräten“ erneut zum Sturz der RReg. aufgerufen. In beiden Fällen sah sich der Oberbefehlshaber in den Marken, Gustav Noske, gezwungen, die putschistischen Aktionen durch Truppen des GenKdo von Lüttwitz unterdrücken zu lassen (Schultheß 1919, I, S. 4 ff.; 109 ff.; Ursachen und Folgen. Bd. III, Dok. Nr. 563 a–l, 567 a–d). Der am 3.3.19 über Berlin und die angrenzenden Stadt- und Landkreise verhängte Belagerungszustand war z. Z. noch in Kraft (s. dazu Dok. Nr. 70).

[Es folgen Einzelheiten über die Frankfurter Streikleitung.]

[53] Die Bewegung droht auf die Nachbarbezirke überzugreifen. Aus Hannover, wo sich die Arbeiterschaft bisher stets durch ihre Besonnenheit auszeichnete, sind bei der Organisation bereits Streikabsichten laut geworden; nach einer neueren, allerdings unverbürgten Nachricht soll der Streik bereits unmittelbar bevorstehen. Ebenso wird aus dem Bezirk Elberfeld nach glaubwürdigen Mitteilungen unter Leitung des Zentralratsmitgliedes Menche mit Hochdruck gearbeitet, um jetzt Anschluß an den Frankfurter Streik zu bekommen. Zur Verbreitung von Propagandareden für die Vertrauensleute werden die Rückseiten von Flugblättern durchaus einwandfreien Inhalts benützt, um auf diese Weise den Versand und die Verteilung sicherer zu gestalten. Aus Hamburg melden sich die Eisenbahner bereits wieder mit Protestaktionen gegen meine in Berlin getroffene Anordnung, betreffend Entlassung aller nicht bis zum 3. Juli d[ieses] J[ahres] zum Dienst Zurückgekehrten6.

6

Vgl. Dok. Nr. 12, Anm. 5.

Die Bewegung ist also überall zu erkennen, und ich sehe sie als die Einleitung zu dem für das ganze Staatsgebiet beabsichtigten Generalstreik an. Gegen sie wird, da sie die Diktatur des Proletariats zum Ziele hat und somit den Bestand des Staates und die Lebensmöglichkeiten aller Volksgenossen bedroht, mit unnachsichtlicher Strenge eingeschritten werden müssen. Da aber der Streik und die Betriebseinstellung in Frankfurt nach seinem ganzen Verlauf zweifellos vorzüglich vorbereitet wurde, ist es von entscheidender Bedeutung, alle militärischen Maßnahmen von vornherein derart zu treffen, daß der Erfolg sichergestellt ist und Rückschläge irgendwelcher Art vermieden werden7.

7

Unterlagen dazu in den Akten der Rkei nicht ermittelt. Über die Reaktion des in Berlin eingesetzten Garde-Kavallerie-Schützenkorps auf die von der politischen Linken für den 21. 7. angekündigten Streik- und Protestaktionen gegen den VV s. Dok. Nr. 32, Anm. 3. Der Frankfurter Eisenbahnerstreik wird am 6. 7. abgebrochen. Diese Maßnahme wird von den Streikenden als „Waffenstillstand“ betrachtet, denn die Forderungen, „besonders das Verlangen nach dem Rätesystem als innere Betriebseinrichtung“, bleiben aufrechterhalten (Vorwärts Nr. 341 vom 7.7.19). – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 82, P. 6.

Abschrift erhält der Herr Präsident des Reichs- und der des Preußischen Staatsministeriums, der Herr Reichsarbeitsminister sowie die preußischen Ministerien.

In Vertretung

Bodenstein

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