2.202 (bau1p): Nr. 200 Entwurf eines Schreibens des „Reichskanzlers“ Kapp an Vizekanzler Schiffer. 17. März 1920

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[701] Nr. 200
Entwurf eines Schreibens des „Reichskanzlers“ Kapp an Vizekanzler Schiffer. 17. März 19201

1

Entw. ohne Unterschrift auf einem Originalbriefbogen der Rkei. Ein Rohentw. mit hschr. Korrekturen Kapps, die in die endgültige Fassung eingegangen sind, liegt vor (Nachl. Kapp , E II 8, Bl. 18).

Nachlaß Kapp, E II 8, Bl. 15 Durchschrift

[Betrifft: Rücktritt Kapps2.]

2

Kapp gibt an, daß von seinen Putschgefährten wiederholt die Voraussetzung, die für seine „politische Beteiligung an dem Unternehmen maßgebend war, nämlich der Schnitt mit der Sozialdemokratie, hinfällig gemacht worden“ sei (Kapp an Schiele, 22.9.20; Nachl. Kapp , E II 27, Bl. 22–24). Infolge der Mission des Gen. Maerckers (vgl. Dok. Nr. 190, insbesondere Anm. 6) seien „die militärischen Stellen“ „in die alten Wahnvorstellungen“ zurückgefallen, indem sie sich, ohne daß er es habe verhindern können, auf Verständigungsverhandlungen mit der nach Stuttgart entwichenen sozialdemokr. geführten RReg. eingelassen hätten. Bei dieser Gelegenheit habe sich „ein zweiter verhängnisvoller Dualismus fühlbar“ gemacht, der schon in dem Vorgehen Lüttwitz’ am 10. März (vgl. Dok. Nr. 210, Anm. 6) und in den Verhandlungen, die Ehrhardt in der Nacht vom 12. zum 13. März mit Olderhausen und Oven geführt hatte (vgl. Dok. Nr. 188, Anm. 2), zum Tragen gekommen sei, „nämlich der Umstand, daß die gesamte Ausführung des Unternehmens nicht in der Hand eines einzigen Mannes […] lag“. Er, Kapp, sei dadurch „in die sehr unangenehme Lage“ gekommen, „nach außen hin eine scheinbare Verantwortung zu tragen, für die [er] in Wirklichkeit nicht aufzukommen hatte“. Das einzige Mittel, um die Verantwortung abzuwenden, sei gewesen, das ihm „von Lüttwitz übertragene Amt als Reichskanzler in dessen Hände zurückzulegen“ (Niederschrift Kapps über das März-Unternehmen, o. D.; Nachl. Kapp, E II 9, Bl. 69–72, hier Bl. 71). An den am 16./17. 3. mit Vizekanzler und RJM Schiffer geführten Verhandlungen (vgl. Dok. Nr. 218, Anm. 29) sei er „in keinem Stadium beteiligt gewesen“. Ein von ihm an Schiffer gerichtetes, „Verhandlungen scharf ablehnendes Schreiben“ sei „leider nicht mehr zur Absendung gelangt“, da er am 17. 3. zurückgetreten sei (Kapp an Schiele, 22.9.20, a.a.O.). Den Rücktritt will Kapp in den frühen Morgenstunden des 17. 3. selbst beschlossen haben, nachdem seitens der Sipo ultimativ sein Rücktritt verlangt worden war. In der letzten „Kabinettssitzung“ der „Regierung Kapp“, an der gegen 8 Uhr außer dem „Reichskanzler“ auch von Lüttwitz, von Trotha, Ludendorff, Oberst Bauer, Pabst, von Jagow, von Wangenheim, Traub, Schiele, Doyé und Ehrhardt teilnahmen, wurde der Rücktrittsabsicht Kapps mit zwei Gegenstimmen (Jagow und Wangenheim) zugestimmt. Die Absendung des vorliegenden Schreibens an Schiffer wurde verworfen (Kapp an von Jagow, 9.3.21, Nachl. Kapp, E II 26, Bl. 193 f.; Anklageschrift im Hochverratsverfahren gegen von Jagow und Genossen vom 11.7.21, Nachl. Luetgebrue, Nr. 26, Bl. 183–250, hier: Bl. 243 f.). Zum Verhalten der Sipo s. Dok. Nr. 210.

E[uer] Exzellenz

beehre ich mich unter Zustimmung Seiner Exzellenz des Herrn Generals der Infanterie Freiherrn von Lüttwitz im Auftrag der Regierung auf Ihre mir durch Major Pabst übermittelten Vorschläge ergebenst zu erwidern:

1. Es ist selbstverständlich, daß die Führer der Regierung bereit sind, ihre Stellen sofort aufzugeben, wenn das Wohl des Staates es erheischt. Sie kleben nicht an ihren Sitzen.

2. Jedwede Änderung des militärischen Oberbefehls in dieser Stunde drohendster Gefahr durch den äußersten Radikalismus ist unmöglich. An der Entstehung dieser ernsten, das Wohl des gesamten Volkes bedrohenden Lage[702] tragen die geflohenen Minister durch ihre unentschuldbaren zu Unrecht abgeleugneten Kundgebungen die alleinige Verantwortung.

3. Die Führer und Mannschaften, welche in letzter Stunde das ideale Ziel zu verwirklichen suchten, das Vaterland vor Hunger und Bolschewismus zu retten, weisen es von sich, als Hochverräter von einigen für die gegenwärtigen furchtbaren Zustände allein verantwortlichen Parteiminister[n] bezeichnet zu werden.

4. In folgenschwerer Schicksalsstunde des Deutschen Reiches erklärt die Regierung feierlich, daß sie jede Verantwortung für das kommende Unheil von sich weist und die geflohenen Minister dafür verantwortlich macht. Die Regierung hat durch die gepflogenen Verhandlungen ihren ernsten Willen bekundet, alle friedlichen Mittel zu erschöpfen, um mit dem geeinten Volk dem drohenden Zusammenbruch entgegenzutreten.

5. Aus der werktätigen Bevölkerung, insbesondere der Landwirtschaft, sind der Regierung tausende von begeisterten Kundgebungen zugegangen mit dem feierlichen Gelöbnis zu höchster produktiver Arbeit. Der Rücktritt des Reichskanzlers wird sie in Mutlosigkeit zurückwerfen und ihre Schaffensfreudigkeit lähmen. Nur die landwirtschaftlichen Maßnahmen der früheren Regierung haben die Mißstimmung der Landbevölkerung verschuldet und damit die Ernährung des gesamten Volkes gefährdet.

Gleichwohl ist der Reichskanzler bereit, von seinem Amte zurückzutreten. Er legt die vollziehende Gewalt hiermit in die Hände des militärischen Oberbefehlshabers, um in dem bevorstehenden Entscheidungskampfe gegen den Bolschewismus den einheitlichen Zusammenschluß aller vorhandenen Kräfte zur Rettung unserer Kultur zu gewährleisten.3

3

Dem Vizekanzler und RJM Schiffer wird am 17. 3. vormittags durch einen Offizier aus der Rkei mitgeteilt, daß Kapp seine Vollmacht in Lüttwitz’ Hände zurückgelegt habe und daß der Gen. die Befugnisse, die Kapp auf ihn zurückübertragen habe, behalten wolle. – (Zum Text der Bekanntgabe des Rücktritts Kapp vgl. u. a. Schultheß 1920, I, S. 55; Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz. Bd. I, Dok. Nr. 64; Ursachen und Folgen. Bd. IV, Dok. Nr. 856a). – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 218, Anm. 35.

Der Reichskanzler

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