2.163 (bru1p): Nr. 163 Der Reichswehrminister an den Reichskanzler. 10. November 1930

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Nr. 163
Der Reichswehrminister an den Reichskanzler. 10. November 1930

R 43 I /2682 , Bl. 201–202

[Legalität der NSDAP]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

In der Anlage beehre ich mich Ihnen Abschrift eines Schriftwechsels zu übersenden1, den ich in der Frage der „Legalität oder Illegalität“ der NSDAP mit dem Herrn Reichsminister des Innern geführt habe.

1

Als Anlagen 1–4 abgedruckt.

Der Herr Reichsinnenminister vertritt in seinem Antwortschreiben vom 21.10.30 auch jetzt noch die Auffassung, daß die NSDAP nach wie vor entschlossen[606] ist, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Allerdings setzt er einschränkend hinzu, „sobald sie erkennt, daß eine gesetzmäßige Erreichung auch mit 107 Abgeordneten unmöglich ist“2.

2

S. Anlage 1.

Dieser Auffassung kann ich nicht ohne weiteres beitreten. Ich teile zwar die Ansicht des Herrn Reichsinnenministers vollauf, daß bei der Beurteilung der Frage, ob die NSDAP als legal oder illegal anzusehen ist, die in den beiliegenden Denkschriften3 zusammengestellten Äußerungen, sowie der Umstand, daß Hitler bereits einmal sein Ehrenwort gebrochen hat4, hinreichend gewürdigt werden müssen, vermisse aber in seiner Antwort leider eine Stellungnahme zu der in meinem Schreiben vom 15. 10. angeführten Tatsache5, daß Sie, sehr geehrter Herr Reichskanzler, zwar nicht mit den Kommunisten, wohl aber mit den Führern der Nationalsozialisten, unter anderem auch mit Hitler selbst offiziell verhandelt haben6, ferner dazu, daß die Durchführung meines Befehls, Angehörige der NSDAP aus den Betrieben der Wehrmacht zu entfernen, wie der Fall „Marinewerft Wilhelmshaven“7 zeigt, immer mehr auf außerordentliche Schwierigkeiten stoßen wird.

3

Hier nicht abgedruckt. Die Denkschrift I „Das hochverräterische Unternehmen der NSDAP“ wurde im RIMin. angefertigt und trägt das Datum 12. 8.[1930]. Die Denkschrift II mit dem Titel „Die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung (§ 129 StGB, § 4 Ziff. 1 RepSchGes., § 86 StGB)“ stammt aus dem PrIMin. Beide Denkschriften wurden der Rkei mit der Abschrift des Schreibens des RIM an den RWeM vom 21.10.30 (Anlage 1) übersandt (R 43 I /2682 : Denkschrift I S. 9–73, Denkschrift II S. 76 a–175). Die Denkschrift II wurde in engl. Übersetzung von Robert M. W. Kempner veröffentlicht: „Blueprint of the Nazi Underground Past and Future Subversive Activities. Research Studies of the State College of Washington, Vol. XIII, Nr. 2 June 1945, p. 56–130.“

4

In einer Unterredung mit dem bayer. IM Schweyer im Jahre 1923 habe Hitler aus freien Stücken erklärt: „Herr Minister, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich werde nie in meinem Leben einen Putsch machen.“ „Hitler hat diese Erklärung zur feierlichen Bekräftigung nochmals wiederholt und einige Zeit später seinen Münchener Putsch gemacht“ (Denkschrift II, R 43 I /2682 , S. 162).

5

Anlage 2.

6

S. Dok. Nr. 130, P. 2 und Anm. 27 und Dok. Nr. 135.

7

S. Anlage 2.

Zu dem Inhalt der vom Herrn Reichsminister des Innern übersandten Denkschriften möchte ich bemerken, daß Hitler inzwischen die Berliner Gruppe um Dr. Otto Strasser aus seiner Partei entfernt hat, gerade die Gruppe, die sich stets am radikalsten gebärdete und die nunmehr unter der Bezeichnung „revolutionäre Nationalsozialisten“ selbständig weiterzuleben versucht. Man kann also Äußerungen dieser Leute gegen die NSDAP nicht mehr gut anführen.

Des weiteren fühle ich mich verpflichtet, darauf aufmerksam zu machen, daß die beiden Denkschriften eine Stellung zur Wehrfreudigkeit der NSDAP einnehmen (vgl. insbesondere Denkschrift I S. 35–40)8, die ich mir als Reichswehrminister unmöglich zu eigen machen kann. Ich sehe nämlich gerade in dieser Wehrfreudigkeit eine der erfreulichen Erscheinungen der nationalsozialistischen[607] Bewegung, jedenfalls aber keinen Umstand, der die Staatsfeindlichkeit der NSDAP zu beweisen geeignet wäre (vgl. auch mein Schreiben Nr. 2659/30 W I d v. 1.8.30)9.

8

Die Denkschrift I behandelt unter den Abschnitten „Studentenbund und Wehrfrage“ und „Militärische Ausbildung“ die paramilitärische Schulung innerhalb der NSDAP (R 43 I /2682 , S. 46–50).

9

S. Anlage 4.

Aus diesen Gründen glaube ich mich mit der mir vom Herrn Reichsminister des Innern erteilten Antwort nicht zufrieden geben zu dürfen und weise dabei nochmals auf die Weiterungen hin, die dann entstehen könnten, wenn die zuständigen Arbeitsgerichte usw. die Kündigung nationalsozialistischer Arbeiter und Angestellter nicht anerkennen.

Die Frage der Legalität oder Illegalität der NSDAP ist augenblicklich eine so hochpolitische Angelegenheit, daß ich mich veranlaßt sehe, um eine eindeutige Entscheidung zu bitten10.

10

In dem Antwortschreiben an den RWeM versicherte StS Pünder, daß der RK die Auffassung des RWeM teile, „daß die Frage der Legalität oder Illegalität der NSDAP augenblicklich einen hochpolitische Angelegenheit ist, welche eine eindeutige Entscheidung erfordert“. Deshalb solle diese Frage möglichst bald in einer Ministerbesprechung geklärt werden (Entw. des Schreibens in R 43 I /2682 , S. 216–217). Zur Behandlung im Kabinett s. Dok. Nr. 206, P. 2.

Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung

Ihr sehr ergebener

Groener

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