2.163.4 (bru1p): Anlage 4:

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RTF

Anlage 4:

Der Reichswehrminister an den Reichsinnenminister. 1. August 1930

R 43 I /2682 , S. 209–213 Abschrift

Betr[ifft]: Wehrbewegung in der rechtsradikalen Studentenschaft.

Aus der mir übersandten Ausarbeitung über die Wehrbewegung in der rechtsradikalen Studentenschaft20 geht hervor, daß sich die in Frage stehenden Organisationen u. a. mit folgenden Dingen befassen: Übungen im Winken, Morsen, Schanzen, im Nachrichtendienst, Schwärmen, Erstatten von Meldungen, Anfertigen von Skizzen, Anschleichen, Brückenbau, Kriechübungen, Kleinkaliberschießen, Entfernungsschätzen, Gepäckmärschen usw. Alle diese Dinge können mit militärischen Aufgabengebieten in Beziehung gebracht werden, denn es gibt keine der geschilderten Übungen, die nicht auch in das Gebiet der Ausbildung des Soldaten gehörten. Für die Entscheidung, ob solche Übungen zulässig sind, kann aber m. E. nicht die Frage maßgebend sein, ob sie mit spezifisch militärischen Aufgabengebieten in Verbindung gebracht werden können, sondern nur die Frage, ob sie als ein „Befassen mit militärischen Dingen“ im Sinne des Artikels 177 des Versailler Vertrags21 angesehen werden müssen; d. h. der Zweck der Übung kein anderer als ein rein militärischer sein kann.

20

Diese Denkschrift ist in den Akten der Rkei nicht vorhanden.

21

Art. 177 VV lautet: „Die Unterrichtsanstalten, Universitäten, Kriegervereine, Schützengilden, die Sport- und Wandervereine, überhaupt Vereinigungen jeder Art, ohne Rücksicht auf das Alter ihrer Mitglieder, dürfen sich mit keinen militärischen Dingen befassen. Es ist ihnen namentlich untersagt, ihre Mitglieder im Waffenhandwerk oder im Gebrauch von Kriegswaffen auszubilden oder zu üben oder ausbilden oder üben zu lassen. Diese Vereine, Gesellschaften, Unterrichtsanstalten und Universitäten dürfen in keinerlei Verbindung mit dem Kriegsministerium oder irgendeiner anderen militärischen Behörde stehen.“

Ob dies im einzelnen auf die geschilderten Übungen zutrifft, will ich zunächst unerörtert lassen. Denn ich halte die Frage, ob die eine oder die andere Übung als eine rein militärische anzusehen ist, für weniger wichtig, als die Feststellung, daß für die grundsätzliche Beurteilung der geschilderten Betätigung der einzelnen Vereine noch immer verschiedene Gesichtspunkte maßgebend sind. Die zuletzt im Rundschreiben vom 19.12.29 […] den Landesregierungen[612] mitgeteilte Auslegung des Gesetzes zur Durchführung der Art. 177, 17822 des Friedensvertrages – vom 22.3.2123 – gibt zwar einen gewissen Anhalt hinsichtlich der sachlichen Grenzziehung zwischen dem „Befassen mit militärischen Dingen“ und anderen Ausbildungszweigen. Die Zusammenstellung über die Wehrbewegung bei den Studenten und Pfadfindern läßt aber Auffassungen erkennen, die m. E. über die in dem Gesetz vom 22.3.21 gegebene Auslegung hinausgehen und mit denen ich mich nicht einverstanden erklären kann. Wenn wir – wie es in der Denkschrift zum Ausdruck kommt – bereits alle Übungen, die dem Zweck der Pflege und Erhaltung der Wehrhaftigkeit veranstaltet werden, alsmilitärische Ausbildungansehen, so ist das auf die Dauer ein unhaltbarer Zustand.

22

Art. 178 VV: „Alle Mobilmachungsmaßnahmen oder solche, die auf eine Mobilmachung hinzielen, sind untersagt. In keinem Falle dürfen bei Truppenteilen, Behörden oder Stäben Stämme für Ergänzungsformationen vorhanden sein.“

23

Das Ges. zur Durchführung der Artikel 177, 178 des Friedensvertrages vom 22.3.21 (RGBl., S. 235 ) bestimmte in § 1, daß eine Vereinigung aufgelöst werden mußte, deren Satzung oder Verhalten im Widerspruch zu den Artikeln 177 und 178 VV stand. Die Auflösung erfolgte durch die oberste Landesbehörde oder die RReg. Den Mitgliedern einer aufgelösten Vereinigung wurde in § 4 Geldstrafe bis zu 50 000 RM oder Festungshaft bzw. Gefängnisstrafe bis zu 3 Monaten angedroht.

Für die Vertretung dieses Standpunktes sind mir folgende Gesichtspunkte maßgebend:

1. Die unklare und dehnbare Bestimmung des Art. 177 zwingt zu einer Auslegung. Wir haben aber kein Interesse daran, das uns aufgezwungene Gesetz in irgendeiner Beziehung strenger auszulegen, als es aus außenpolitischen Gründen unbedingt notwendig ist. Wird hierbei von den Organen des Reichs und der Länder nicht einheitlich vorgegangen, so erhalten die Vertragsgegner die Möglichkeit, sich bei der Vertretung ihres Standpunktes die unterschiedliche Auffassung deutscher Organe zunutze zu machen.

2. Wir haben ein dringendes Interesse daran, daß die Beschränkungen, die uns der Vers. Vertrag auf militärischem Gebiete auferlegt, nicht zu einer völligen Erdrosselung des Wehrgedankens und der Wehrfähigkeit der Bevölkerung führen. Es kann deshalb nicht allein Aufgabe des Staates sein, die Betätigung der verschiedenen Jugendorganisationen polizeilich zu überwachen, um bei Gesetzesverstößen einzuschreiten, sondern ich halte es auch für notwendig, daß der Staat in bewußter Abkehr von den Methoden des Obrigkeitsstaats helfend und beratend eingreift, wenn die Organisationen durch unüberlegte Maßnahmen außenpolitische Gefahren hervorrufen. Worauf es mir dabei ankommt, ist die Beseitigung nutzloser und außenpolitisch gefährlicher Soldatenspielerei und die gleichzeitige Förderung der Bestrebungen, durch die die Jugend zur Wehrhaftigkeit erzogen werden soll.

3. Diese beiden Aufgaben sind allerdings nur dann miteinander in Einklang zu bringen, wenn an die Frage, ob ein „Befassen mit militärischen Dingen“ vorliegt, nicht von innerpolitischen Gesichtspunkten, sondern vom Gedanken der außenpolitischen Notlage des Staates herangegangen wird. Ich will hier unerörtert lassen, wieweit dies bisher geschehen ist, aber ganz klar aussprechen, daß ich es für einen unmöglichen und staatspolitisch gefährlichen Zustand[613] halte, wenn eine Regierung einen innerpolitischen Gegner mit Mitteln bekämpft, die ihr nur durch den Vers. Vertrag zur Verfügung stehen. Der Schaden, der hierdurch dem Ansehen des Staates entsteht, wird in den meisten Fällen ungleich größer sein als der, der durch die „militärische“ Betätigung entstehen kann.

Von diesen Grundsätzen gehe ich auch in der Beurteilung der geschilderten Wehrbewegung in der rechtsradikalen Studentenschaft aus. Die staatsfeindlichen, innerpolitischen Tendenzen der Organisationen werden einer besonders sorgfältigen Beobachtung bedürfen, denn ich halte die Radikalisierung der akademischen Jugend für eine sehr ernste Gefahr. Ich möchte aber davor warnen, etwa notwendig werdende polizeiliche Maßnahmen gerade gegenüber der Wehrbetätigung anzusetzen. Denn nichts wäre geeigneter, die Studenten in die Arme des Radikalismus zu treiben, als Hoheitsakte, die sich gegen ihren natürlichen Willen zur Wehrhaftigkeit richten. Die zitierten Artikel aus der Zeitschrift „Die Bewegung“ und der Beschluß des Studentenausschusses in Freiburg i. B. machen den Eindruck undurchdachter Ideen und Maßnahmen, deren außenpolitische Tragweite den jungen Leuten offenbar gar nicht klar geworden ist. Wenn sich fast die Hälfte der Asta-Mitglieder in Freiburg für eine Verletzung des Versailler Vertrages ausspricht, so ist das eine jugendliche Dummheit.

Gegenüber solchen Entgleisungen und Gesetzesüberschreitungen auf dem behandelten Gebiete ist in erster Linie eine Erziehungsarbeit notwendig, die gemeinsam von Staat und Lehrerschaft geleitet werden muß. Nur durch sie kann das doppelte Ziel der Regierung gegenüber der Bewegung erreicht werden: Die Unterbindung außenpolitisch gefährlicher Handlungen auf das Herausführen der Jugend aus dem Lager des Radikalismus.

gez. Groener

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