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1. Fortsetzung der Aussprache über Maßnahmen zum Schutze der Landwirtschaft1.

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Zur Vorlage des REM vom 16.4.30 s. Dok. Nr. 19, P. 6, Anm. 16.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft gab einen eingehenden Überblick über die gegenwärtige Getreidemarktlage. Die Ausfuhr von Weizen sei auf 1/10 der Menge des Vorjahres zurückgegangen. Es sei zu erwarten, daß darauf hin mehr Roggen verbraucht werden würde.

Der Roggenmarkt mache die Erhöhung des Einfuhrscheinwertes für Roggen nötig. Die Vorräte betrügen 2,3 Millionen t. Davon würden monatlich für die menschliche Ernährung etwa 400 000 t verwendet; nahezu die gleiche Menge würde verfüttert, so daß mit Übernahme eines Vorrates von wiederum etwa 1 Million in die neue Getreidekampagne gerechnet werden müsse. Ein Teil des Überflusses müsse deswegen ins Ausland abgelenkt werden, um wenigstens den Roggenpreis einigermaßen auf der gegenwärtigen Höhe zu halten. Er sei bereits wieder auf rund 160 RM für die Tonne angelangt. Bisher sei es nicht[86] möglich gewesen, vom Weizen, Mais und von der Gerste aus den Roggenpreis zu steigern. Die Vorräte seien übergroß. Auch für den Hafer müsse die Ausfuhr in Aussicht genommen werden. In Bayern, Stettin und Schleswig-Holstein lagerten sehr große Vorräte. Die Ausfuhr von etwa 50 000 t würde dem Markte die notwendige Entlastung bringen. Ähnliches gelte für die Braugerste. An sich sei es nicht erwünscht, die ausländische Konkurrenz mit billiger Ware zu beliefern. Auch hier aber liege ein Notstand vor.

Der Reichswirtschaftsminister stimmte im wesentlichen mit den Ausführungen überein. Bei den Handelsvertragsverhandlungen mit Schweden sei schriftlich zugesagt worden, daß die Ausfuhr von Hafer und Gerste nicht weiter unter Weltmarktpreisen erfolgen würde. Der holländischen Regierung müsse also eine Erklärung dahin abgegeben werden, daß es sich nur um eine engbegrenzte Notmaßnahme handele.

Wenn der Wert des Einfuhrscheines wieder auf gleiche Höhe gebracht würde wie der Zollbetrag, so würde erneut die Abhängigkeit der Preise vom Weltmarkte eintreten. Beim Roggen sei diese Gefahr nach der ganzen Marktlage nicht so groß wie sie es beim Weizen wäre. Immerhin könne nunmehr wieder eine Einfuhr nordamerikanischen Roggens in Frage kommen. Dann müßte nötigenfalls der Zoll wieder erhöht werden, damit der Roggenpreis erneut vom Weltmarktpreise abgesondert würde.

Beim Hafer könnten die Bedenken, die sich aus dem Dumping auf dem Weltmarkte ergeben, nur deswegen zurückgestellt werden, weil ein begrenztes Kontingent in Frage komme. Ähnliches gelte für Braugerste.

Beim Mehl bestehe die Gefahr, daß durch die Steigerung des Ausfuhrscheinwertes die Ausfuhr in unerwartetem Umfange zunehmen werde. Die Schutzspanne für die Mühlen sei stark erweitert worden. Möglicherweise werde dadurch für die Mühlen ein Übergewinn entstehen, der den Anlaß geben könnte, die Ausfuhr so zu steigern, daß für die Reichskasse schwerer Schaden entstände. Bei der Begrenzung des Gesamtwertes der Einfuhrscheine, die im laufenden Jahre ausgegeben werden könnten, würde dann für die anderen Waren unter Umständen ein Betrag übrig bleiben, der zu gering wäre. Vom agrarischen Standpunkt bestehe an der Ausfuhr von Weizenmehl kein Interesse. Die Mühlen hätten sich bisher damit abgefunden, daß sie nicht mehr ausführen könnten.

Die Änderung des Einfuhrscheinwertes für Haferprodukte sei unbedenklich.

Ministerialdirektor Ernst betonte, daß der Gesamtwert der Einfuhrscheinwerte keinesfalls höher sein dürfe als 1929 (102 Millionen). Auch höhere Zolleinnahmen dürften daran nichts ändern. Es handele sich also nur um eine Umlagerung innerhalb der verschiedenen Waren, für die Einfuhrscheine erteilt würden. Bei Roggen und Hafer seien die Mengen kontingentiert, für welche Einfuhrscheine in erhöhtem Werte erteilt werden sollten. Nach Erschöpfung dieser Kontingente dürften keine Einfuhrscheine, auch nicht zum niedrigeren Werte, ausgestellt werden. Dann würde allerdings eine neue Prüfung der Lage notwendig werden.

[87] Beim Weizenmehl werde mit einer Steigerung der Ausfuhr auf insgesamt etwa 120 000 t im Jahre gerechnet. Die Bedenken des Reichswirtschaftsministers würden also nicht in vollem Umfange geteilt.

Die Entscheidung darüber, wann für Roggen und Hafer keine Einfuhrscheine mehr erteilt werden könnten, müßte beim Reichsfinanzministerium liegen. Es handele sich dabei lediglich um eine rechnerische Prüfung und die Folgerung daraus. Keinesfalls dürfe der Wert der Einfuhrscheine höher sein als der Zoll der Waren2.

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MinDir. Ernst hatte bereits am 28.4.30 in einem Schreiben an StS Pünder Bedenken gegen die Neuregelung der Einfuhrscheine erhoben (R 43 I /2543 , Bl. 174–189).

Der Reichsarbeitsminister bezweifelte, ob ein Kontingent von 70 000 t bei einem Roggenüberschuß von 1 Million t auf den Preis wirken würde. Im übrigen teilte er die Ansicht des Reichswirtschaftsministers. Die Steigerung des Einfuhrscheinwertes für Weizenmehl hielt er für bedenklich. Die Gefahr der Monopolpreise für Müllereierzeugnisse werde in die Nähe gerückt.

Die Roggenmehlausfuhr sei allerdings mehr erwünscht als die Roggenausfuhr.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trat dafür ein, daß alle Mittel zur Stützung des Roggenpreises ausgenützt werden müßten. Bei dem Kontingent hoffe er mindestens die Preise für Roggen halten zu können. Durch die Steigerung der Preise für Gerste und Mais werde es möglich sein, den Absatz von Roggen- und Kartoffelflocken zu forcieren.

Die Mühlen hätten durch den Vermahlungszwang große Schwierigkeiten. Ein Entgegenkommen in der Weizenausfuhr rechtfertige sich daraus. Sie sollten in die Möglichkeit versetzt werden, in dieser Richtung ihre Ausfuhrverbindungen zu pflegen. Die Gefahr einer übermäßigen Steigerung des Ausfuhrpreises verkenne er nicht. Er sei aber jederzeit in der Lage, ihr durch Einstellung der Erteilung von Ausfuhrscheinen zu begegnen.

Zur Begründung der Steigerung der Einfuhrscheinwerte für Schweine, Schweinefleisch und Dosenschinken wies der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft auf die Verschlechterung der Lage auf den Schweinemärkten und die Einfuhr von Schweinen hin. Die Preise für Schweine seien bereits unter die Rentabilitätsgrenze von 65 RM gesunken. Die Ausfuhr von Schweinen sei nur im begrenzten Umfange möglich. Die Auslandsmärkte wären von ständigen Lieferanten belegt. Aber die Möglichkeit müsse gegeben sein, einigermaßen günstige Ausfuhrgelegenheiten zu benutzen. Auf den Rindviehmarkt drücke das Schwedenkontingent und die Einfuhr aus Österreich jetzt über die bisherige durchschnittliche Einfuhr hinaus3. Für die Ausfuhr käme die Schweiz und Italien in Betracht. Auch die Schiffahrtsgesellschaften würden ihren Bedarf von jährlich 28 000 Rindern in Deutschland decken können, wenn[88] die Ausfuhr durch Erhöhung der Einfuhrscheine erleichtert würde4. Ähnliches gelte für Schafe und Schaffleisch.

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Das 2. Zusatzabkommen zum dt.-schwedischen Handelsvertrag vom 30.11.29 hatte den Schweden für 1930 ein Einfuhrkontingent von 5000 Rindern eingeräumt (RGBl. 1930 II, S. 3 ). Für die österr. Einfuhr waren keine Kontingente vereinbart worden (vgl. RGBl. 1925 II, S. 1011 , sowie das dt.-österr. Handelsabkommen vom 12.4.30, RGBl. II, S. 1079 ).

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In der Begründung der Vorlage hatte der REM ausgeführt, daß die Schiffahrtsgesellschaften, die vor dem Ersten Weltkrieg dem dt. Markt jährlich 28 000 Rinder abgenommen hatten, jetzt infolge der erheblich billigeren ausländischen Preise gezwungen seien, ausländisches Vieh zu kaufen. Den Reedereien sei der Bezug inländischen Viehs nur dann zuzumuten, wenn durch den Rindereinfuhrschein die Preise für inländisches und ausländisches Vieh annähernd gleichgestellt würden (R 43 I /2543 , Bl. 146).

Auf Vorstellungen von Ministerialdirektor Ernst erklärte sich der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft damit einverstanden, daß der Wert der Einfuhrscheine für Schweinefleisch nicht generell, sondern nur für den geltenden Schweinezoll festgelegt wird. Ändert sich dieser, so sind weitere Verhandlungen vorbehalten. Der Einfuhrscheinwert soll also für Schweinefleisch zur Zeit 36 RM betragen. Für Büchsenschinken beträgt er 32 und 48 RM, für Rindfleisch 24,50 RM.

Auf die Anfrage des Reichsarbeitsministers wegen der Ersetzung von Gefrierfleisch durch frisches Fleisch erklärte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft daß die Verhandlungen mit den Interessenten unmittelbar bevorständen. Über die zulässige Menge hinaus habe er den Abschluß für weitere 6000 t Gefrierfleisch zugestanden. Wegen des Frischfleisches werde die Einigung der Beteiligten schwierig sein.

Auf die Frage des Reichskanzlers wie es mit der Verbilligung von Mais für die Geflügelhaltung stehe, antwortete der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft daß er an die Genossenschaften und Geflügelzuchtvereine herantreten werde. Zunächst werde er ihnen 100 000 t Donaumais ohne Monopolaufschlag zuführen.

Den Antrag auf Einführung von Einfuhrscheinen für Kartoffelstärke und Dextrin begründete der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft mit den großen unverwertbaren Kartoffelvorräten. 550 000 dz Kartoffelstärke lägen unverkäuflich am Markte. Der Verbrauch von etwa 150 000 käme noch in Frage. Er beabsichtige, etwa 100 000 dz Kartoffelmehl auszuführen. Im Osten würden in diesem Jahre an Kartoffeln etwa 200 Millionen Mark verloren. Für die nächste Kampagne würde mit den Interessenten verhandelt. um durch Verarbeitung zu Kartoffelflocken und Steigerung des Spiritusverbrauchs eine Besserung der Preise herbeizuführen.

Der Reichsminister des Auswärtigen hatte wegen der Einfuhrscheine für Kartoffelstärke Bedenken. Der niederländische Gesandte habe sich bereits über die Heraufsetzung des Zolles beschwert5. Es liege ein besonders krasser Fall der Schädigung eines Industriezweiges des Auslandes vor. Wenn darüber hinaus die Ausfuhr durch eine Prämie gesteigert würde, so wäre das für Holland unerträglich.

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LegR Thorbecke von der niederländischen Gesandtschaft hatte am 24.4.30 im AA seine starke Beunruhigung über den etwaigen Plan ausgedrückt, Einfuhrscheine für Kartoffelmehl einzuführen. Dies würde eine Katastrophe für die niederländische Kartoffelmehlindustrie bedeuten (Durchschrift einer Aufzeichnung des VortrLegR Windel vom 29.4.30 (Pol. Arch. des AA, Büro RM, 42, Akten betr. Niederlande Bd. 1).

Der Reichswirtschaftsminister wies darauf hin, daß der Kartoffelmarkt durch die beabsichtigte Ausfuhr von Kartoffelmehl nur um etwa 60 000 t entlastet[89] würde bei einer Gesamterzeugung von 40 Millionen t. Würde dem Antrag stattgegeben, so würde das Einfuhrscheinsystem auf das industrielle Gebiet übergreifen. Notleidende Industrien würden dann mit Recht die gleiche Hilfe für sich in Anspruch nehmen.

Kartoffelstärke und Dextrin würden in wichtigen Gewerbezweigen verwendet, in der Textilindustrie, der Papierindustrie und im Handwerk. Diese Gruppen hätten bereits Einspruch erhoben. Auf sie müsse Rücksicht genommen werden.

Auch Ministerialdirektor Ernst erklärte, daß das ganze Einfuhrscheinsystem über den Haufen geworfen würde, wenn diesem Antrage entsprochen würde.

Auf Anregung des Reichsarbeitsministers erklärte sich dann der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft damit einverstanden, daß statt der Einfuhrscheine dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft 1 Million zur Manipulierung der Preise für Kartoffelstärke und Dextrin zur Verfügung gestellt werde. Dieser Betrag solle von dem Gesamtwert der Einfuhrscheine (102 Millionen) abgezogen werden.

Nach eingehender Aussprache stimmte das Kabinett den Vorschlägen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft wegen der Einfuhrscheine für Roggen, Hafer, Braugerste, Malz, Müllereierzeugnisse, Schweine, Schweinefleisch, Dosenschinken, Rindvieh, Rindfleisch, Schafe, Schaffleisch und Fleischkonserven von Rind und Schaf unter folgenden Bedingungen zu:

1. Der gesamte Wert der Einfuhrscheine darf im laufenden Rechnungsjahr den Betrag der Einfuhrscheinbewilligungen im letzten Rechnungsjahre (102 Millionen RM) nicht überschreiten.

2. Der Reichsminister der Finanzen hat die Einhaltung dieser Bestimmung zu überwachen und beim Kabinett rechtzeitig die erforderlichen Anordnungen anzuregen, durch die eine wesentliche Überschreitung dieser Grenze verhindert wird.

3. Der Reichsminister der Finanzen wird ermächtigt, die Einfuhrscheine von Roggen, Hafer und Roggenschrot mit einwöchiger Frist zu sperren, sobald zu erwarten ist, daß die Einfuhrscheinkontingente für diese Waren nach Ablauf dieser Frist erschöpft sein werden. Für Roggen und Hafer dürfen dann Einfuhrscheine auch nicht zu einem niedrigeren als dem vorgesehenen Werte erteilt werden.

4. Der Wert der Einfuhrscheine darf in keinem Falle höher sein, als der niedrigste Zollsatz der Ware. Ausnahmen nur bei Rindvieh hinsichtlich des Schwedenkontingents.

5. Von dem Einfuhrscheinkontingent für Roggen wird Schweden im Hinblick auf frühere Zusicherungen freundschaftlich in Kenntnis gesetzt werden unter Hinweis darauf, daß es sich um eine begrenzte Notmaßnahme handelt.

6. Dem Einfuhrschein für Schweinefleisch und Schweineschinken in luftdichtverschlossenen Behältnissen wird der gegenwärtig geltende Zollsatz für lebende Schweine zugrunde gelegt. Der Wert der Einfuhrscheine wird demgemäß auf 35 RM für Schweinefleisch und 48 RM für Dosenschinken festgesetzt.[90] Über die Wertfestsetzung bei Änderung des zu Grunde liegenden Zollsatzes wird weitere Entscheidung vorbehalten.

7. Im übrigen ist die Höchstgrenze des Einfuhrscheinwertes für Fleischkonserven 60 RM.

8. Von Einfuhrscheinen für Kartoffelstärke und Dextrin wird abgesehen. Dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wird zur Manipulierung der Preise für diese Waren 1 Million RM aus Reichsmitteln zur Verfügung gestellt. Der Betrag wird auf den Höchstbetrag der Einfuhrscheinwerte (102 Millionen RM) angerechnet. Die etatsmäßige Behandlung der Frage wird weiterer Besprechung vorbehalten.

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