2.244.4 (bru1p): 4. Agrarpolitik.

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4. Agrarpolitik.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft gab eine ausführliche Darstellung der gesamtpolitischen Zusammenhänge der Agrarprobleme, der Verhältnisse und ihrer Forderungen. Er brachte zum Belege für seine Ausführungen ein eingehendes Zahlenmaterial, das später an die Mitglieder des Kabinetts verteilt wurde (Anlage)15.

15

Das Zahlenmaterial war in der Anlage zum Kabinettsprotokoll nicht vorhanden. Der REM übersandte am 18.2.31 der Rkei „Zahlen zur Ernährungspolitik über die erlahmende Kaufkraft der Landwirtschaft“. Diese Zusammenstellung enthielt Angaben über den Rückgang des Düngemittelabsatzes im Inlande, den Rückgang des Landmaschinenabsatzes, die Entwicklung des Agrarindex im Vergleich zu den anderen Wirtschaftsindices, die Entwicklung der Jahresdurchschnittspreise 1913–Januar 1931 für landwirtschaftliche Produkte, die Entwicklung der Zwischenhandelsspanne seit März 1930, sowie eine Aufstellung über agrarpolitische Maßnahmen des Auslands (R 43 I /2546 , Bl. 282–301).

Im übrigen erörterte er die Kabinettsvorlage und den von ihm vorgelegten Gesetzentwurf16.

16

Die Kabinettsvorlage und der GesEntw. über Zolländerungen waren vom REM am 4.2.31 der Rkei zugeschickt worden. Der REM hatte folgende Forderungen erhoben:

1. Verlängerung der Ermächtigung der RReg., die Getreidezölle je nach der Wirtschaftslage herab- oder heraufzusetzen;

2. die freie Gestaltung des Erbsenzolls auf sämtliche Hülsenfrüchte auszudehnen;

3. unbefristete Verlängerung der Ermächtigung zur Regelung des Einfuhrscheinwesens;

4. labile Zölle für Tiere und tierische Produkte aller Art;

5. Lösung der handelspolitischen Bindungen, besonders der Holzzölle und Einführung eines Holzeinfuhrscheins (R 43 I /2546 , Bl. 125–134).

Der Reichskanzler dankte ihm für seine ausführlichen Ausführungen. Er wies auf die Notwendigkeit hin, die Handelspolitik in der bisherigen Weise weiterzuführen und Gefahren für den Export zu vermeiden. Unter diesen Voraussetzungen[875] habe er der Grünen Front zugesagt, sich für ihre Forderungen im Kabinett einzusetzen17.

17

S. Dok. Nr. 231.

Auf dem Gebiete des Genossenschaftswesens müßten sofortige Aktionen eingeleitet werden. Es bestehe die Gefahr, daß die eigenen Kräfte der Landwirtschaft einschlafen würden, wenn ihre Wünsche wegen der labilen Zölle erfüllt würden. Diese Frage müßte mit dem Einheitsverband und insbesondere mit Minister a. D. Hermes besprochen werden18. Die Anstellung von Sachverständigen sei noch keine Gewähr dafür, daß etwas Durchgreifendes geschehe. Besondere Beachtung bedürfe die Zinspolitik der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Die Denkschrift des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft19 und die Stellungnahme des Reichswirtschaftsministers zu dem Agrarproblem20 seien bereits im Reichstag bekanntgewesen und auch in die Presse gekommen21. Er bitte, die Verhandlungen vollkommen vertraulich zu behandeln, da sonst eine Einigung nicht möglich sei.

18

Vgl. dazu Dok. Nr. 249, Anm. 1.

19

Der REM hatte am 7.2.31 der Rkei die Denkschrift „Ziele der Agrarpolitik und Wege zu ihrer Durchführung“ überreicht. Wie MinR Feßler in seinem Referentenvortrag festgestellt hatte, faßte die Denkschrift im wesentlichen das Ergebnis der agrarpolitischen Auseinandersetzungen mit der Grünen Front und Prof. Warmbold zusammen (vgl. Dok. Nr. 225, Dok. Nr. 228 und Dok. Nr. 231). Kritisch hatte Feßler angemerkt, daß es nicht Aufgabe der RReg. sein könne, „alle Maßnahmen zu treffen, die von der Landwirtschaft gefordert werden. Denn kein Berufsstand hat ein Recht auf Sicherung seiner Ertragsfähigkeit. Das freie Wirtschaftsleben verlangt von jedem Betriebsleiter, daß er weitgehende Risiken übernimmt und auch ohne Versprechungen von sich aus Maßnahmen ergreift, um offenkundige Verlustgeschäfte zu vermeiden. Es wäre danach auch ohne Staatshilfe, vielleicht gerade dann, für die Landwirtschaft eine Notwendigkeit, sich rasch und entschlossen auf die Marktbedürfnisse umzustellen“ (Denkschrift des REM in R 43 I /2546 , Bl. 198–229; Referentenvortrag Feßlers vom 16.2.31, a.a.O., Bl. 230–236, Zitat Bl. 231).

20

S. Dok. Nr. 237.

21

In der DAZ Nr. 79–80 vom 18.2.31 erschien ein Artikel über das Schreiben Trendelenburgs an Pünder vom 5.2.31 (s. Dok. Nr. 237).

Der Reichsarbeitsminister erklärte, er habe sich stets bemüht, bei den Arbeitern für eine starke Landwirtschaft Verständnis zu wecken. Sie dürfe nicht, wie in England, zugrunde gehen. Aber in den Mitteln und Wegen zu ihrer Erhaltung weiche er von den Vorschlägen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft in weitem Maße ab.

Die Selbsthilfebestrebungen seien sehr langsam fortgeschritten. Das Genossenschaftswesen sei bürokratisch. Es gelinge ihm nicht, ausreichende Mengen der Erzeugung zu erfassen. Die Aufwendungen, die für die Landwirtschaft mittelbar durch Zölle oder unmittelbar aus Reichsmitteln gemacht würden, belaste die übrige Bevölkerung. Die neuen Vorschläge würden diese Last um etwa 2 Milliarden steigern. Das sei praktisch nicht mehr durchzuführen. Die Landwirtschaft sei nicht in der Lage, die Bevölkerungsteile zu ernähren, die bei dieser Politik ihre Existenz verlören.

Er habe die Lohnsenkungen durchgeführt, um das Reparationssystem zu erschüttern. Eine weitere Forderung der Landwirtschaft im Innern ließe sich aber damit nicht vereinbaren. Die Lohnsenkungen betrügen bereits 10–12%. Die 40stündige Arbeitszeit würde eine weitere Lohnsenkung von etwa 16%[876] bedeuten. Die Sozialversicherung soll abgebaut werden. In diesem Zusammenhang seien Agrarzölle der vorgesehenen Art politisch unmöglich. Wenn die geforderten Beschlüsse gefaßt würden, dann würde er sein Amt nicht weiterführen können.

Ein Rückgang des Exports wäre eine Katastrophe und würde alles zerschlagen. Die Arbeitervertreter gingen zum Reichspräsidenten und erklärten ihm, daß alle Maßnahmen auf ihre Kosten getroffen würden22. Ohne großes Gesamtprogramm sei es ihm nicht möglich, in den Agrarforderungen mitzugehen. Übrigens würde auch keine Mehrheit für die Forderungen im Reichstag zu finden sein.

22

Vgl. Dok. Nr. 238 und Dok. Nr. 251.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg bedauerte, daß sein Schreiben wegen der Agrarprobleme in die politische Diskussion gekommen sei. Es habe sich nur mit einzelnen Punkten des Programms befaßt. Die starke Differenzierung gegenüber den Weltmarktpreisen sei den Landwirten auf Kosten der Nichtlandwirte möglich gewesen. Die künstliche Förderung einer Gruppe müsse stets zu Lasten anderer gehen. Gegen die Erhöhung der Preise landwirtschaftlicher Erzeugnisse könne die übrige Wirtschaft nur durch eine Senkung des Reallohnes reagieren. Die Industrie würde in ihren Absatzmöglichkeiten gestört, die Handelspolitik gefährdet. Die Industrie werde ihre Beschäftigung einschränken. Die Arbeitslosenzahl werde wachsen, der Druck auf die Lebenshaltung werde sich verstärken, die Aufnahmefähigkeit des Inlandes für Veredlungserzeugnisse der Landwirtschaft werde nachlassen. Aus diesem Grunde habe er die schwersten Bedenken gegen das Programm. Auch die Spitzenorganisationen von Industrie und Handel teilten diese Bedenken23.

23

Vgl. Dok. Nr. 237, Anm. 2.

Er habe die Befürchtung, daß der tiefste Punkt der Konjunktur für die Industrie noch nicht gekommen sei, weil die Hauptabnehmer Deutschlands die europäischen Industriestaaten seien. Auch Frankreich komme jetzt in die Weltkrise und werde voraussichtlich nicht mehr in Deutschland so viel kaufen können wie bisher. Bei der Landwirtschaft dürfte gewiß ein Tiefstand der Preise eingetreten sein.

Dies bestätigte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft für Getreide. Bei den Veredlungsprodukten erwartet er weitere Rückgänge24.

24

Das Kabinett setzte am 19. 2. die Besprechung über das Agrarprogramm fort (Dok. Nr. 246, P. 3).

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