2.76.3 (bru1p): 3. Erledigung der handelspolitischen Vorlagen.

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3. Erledigung der handelspolitischen Vorlagen.

Der Reichsminister der Finanzen gab einen Überblick über die Lage11. Im Handelspolitischen Ausschuß des Reichstags beständen starke Strömungen für weitergehende Erhöhung industrieller Zölle. Wenn auch die neuen Zollvorschläge des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft zur Verhandlung kämen12, so würde der Kampf um den ganzen Zolltarif beginnen.

11

In R 43 I war nicht zu ermitteln, welche handelspolitischen Vorlagen auf der TO des HPA standen. Offenbar hat der Ausschuß lediglich den GesEntw. über den dt.-finnischen Handelsvertrag angenommen: s. RT-Bd. 443 , Drucks. Nr. 2373 .

12

Der REM hatte in einer Kabinettsvorlage vom 5.7.30 die Einführung von Gleitzöllen für Milch und Molkereierzeugnisse gefordert; außerdem hatte Schiele die Beseitigung der Zwischenzölle für Speck und Schmalz sowie Zollerhöhungen für Hirse, Tabak, Schnittholz, rohes Schweinefett, Eiweiß und Eigelb und Kleie vorgeschlagen. Die Zollfreiheit für Stroh zur Herstellung von Strohstoff sollte aufgehoben werden (R 43 I /2426 , Bl. 4–11).

Über die Annahme des Genfer Handelsabkommens13 müsse jetzt bereits entschieden werden, da die Erklärung hierzu bis 1. November erfolgen müsse und der Reichstag voraussichtlich im Oktober nicht zusammentreten werde. Die SPD mache die Zustimmung zu den vorliegenden Handelsverträgen von der Annahme des Genfer Abkommens abhängig14. Er halte die Annahme dieses Abkommens für notwendig, weil sonst eine starke Unruhe in die europäische Wirtschaft hineingetragen werde. Die Landwirtschaft könne sich damit abfinden, weil ihre Lage sich allmählich bessere. Die starke Senkung der Rohstoffpreise werde ihr in absehbarer Zeit zugute kommen. Sie bedeute eine erhebliche Kapitalersparnis und in der Übergangszeit große Gewinne für die Industrie. Ähnliches gelte für die starke Senkung der Zinsen auf dem Weltkapitalmarkt.

13

Der RWiM und der RAM hatten am 7.5.30 der Rkei einen GesEntw. über das Genfer Handelsabkommen vom 24.3.30 übersandt (R 43 I /2428 , Bl. 130–162; Ergänzungen zum Ges.Entw. vom 22.7.30, a.a.O., Bl. 184–233).

14

MinDir. Ritter hatte mitgeteilt, daß die SPD unter der Bedingung, daß das Genfer Handelsabkommen ratifiziert würde, bereit sei, den Handelsverträgen mit Polen, Finnland und Rumänien zuzustimmen (Vermerk Feßlers vom 11.7.30, R 43 I /2428 , Bl. 169).

Dadurch habe sich die deutsche Konkurrenzfähigkeit gehoben. Die Lebenshaltung und die Löhne würden sich verbilligen müssen.

Ministerialdirektor Ernst gab einen kurzen Überblick auf die bisherigen Verhandlungen wegen der Industriezölle15. Er hielt es für notwendig, daß die Reichsregierung bei den Verhandlungen des Handelspolitischen Ausschusses[308] am 15. Juli Stellung nehme. Nötigenfalls werde sie sich damit abfinden können, daß die Zollanträge angenommen würden, denen der Reichswirtschaftsrat zugestimmt habe. Besser aber sei es, wenn damit bis Herbst gewartet werden könnte. Keinesfalls werde es möglich sein, sich auf einen von den Abgeordneten gewünschten Teilausschnitt zu beschränken, weil dann andere Wünsche mit gleicher Dringlichkeit zu erwarten seien.

15

Die bei der Beratung der Zollnovelle vom 22.12.29 (RGBl. I, S. 227 ) gestellten Anträge des RR und RT auf Erhöhung industrieller Zöllle waren vom HPA nicht erledigt worden. Der RFM und der RWiM hatten am 23.5.30 die Erhöhung einiger Industriezölle beantragt, um damit Beschlüsse des HPA zu verhindern, „die nicht im Rahmen der von der Reichsregierung verfolgten Zoll- und Handelspolitik liegen“. Der Antrag sollte von den Regierungsparteien im HPA eingebracht werden (R 43 I /2423 , Bl. 48–53). Am 2.7.30 hatten RFM und RWiM in einer Anlage zu dem Antrag die Beschlüsse des Vorl.RWiR über Industriezollerhöhungen eingearbeitet. Die Vorschläge betrafen im wesentlichen Textilprodukte, Holzverarbeitungsartikel, Kinofilme, Stein- und Glaswaren, einzelne Werkzeuge, Maschinenteile und Blasinstrumente (R 43 I /2423 , Bl. 58–65).

Auf eine Frage des Reichskanzlers erklärte Ministerialdirektor Ritter, daß seit Abschluß des Genfer Abkommens etwa 6–7 Länder einzelne Zölle erhöht hätten. Es sei aber nicht in dem Ausmaße geschehen, wie der Reichswirtschaftsrat oder der Reichsrat für Deutschland vorgeschlagen habe. Das Abkommen sei von einer Reihe kleinerer Länder ratifiziert worden, von größeren noch nicht. Jedoch sei von einer Anzahl dieser Länder die Ratifizierung zu erwarten.

Die Gefahr eines Überflutens des deutschen Marktes mit Auslandswaren, insbesondere aus den Vereinigten Staaten bei rücksichtsloser Herabsetzung der Löhne dort, sei nach seiner Ansicht nicht sonderlich groß. Im übrigen verbiete das Genfer Abkommen Zollerhöhungen nicht; soweit Zölle vertraglich gebunden seien, bestehe nur die Verpflichtung, in Verhandlungen mit den Ländern einzutreten, die sich durch Zollerhöhungen benachteiligt fühlten. Das Abkommen könne bereits am 1. Februar zum 1. April 1931 gekündigt werden.

Es sei damit zu rechnen, daß das Genfer Abkommen durch einen Initiativantrag verschiedener Parteien im Reichstag eingebracht werde16. Das Kabinett werde sich für diesen Antrag aussprechen müssen.

16

SPD und DDP hatten bereits am 11.7.30 (RT-Bd. 443 , Drucks. Nr. 2320 ) und am 14.7.30 (RT-Bd. 443 , Drucks. Nr. 2348 ) Gesetzentwürfe über das Genfer Handelsabkommen eingebracht.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt die günstigen Zukunftsaussichten nicht für einen ausreichenden Grund dafür, daß die Landwirtschaft dem Genfer Abkommen zustimmte. Eine schnelle Hilfe sei in der verzweifelten Lage nicht zu erwarten.

Der Butterzoll müsse jetzt geregelt werden, und zwar gleitend wie die Getreidezölle, die sich im Grunde bewährt hätten. Die milchwirtschaftlichen Produkte seien ausschlaggebend für die mittleren und kleinen Betriebe, die jetzt bereits darauf hinwiesen, daß den Großbetrieben durch die Maßnahmen auf dem Getreidegebiete wesentliche Hilfe gebracht sei, während ihre Interessen zurückständen.

Der Wegfall der Bindungen hinsichtlich Butter, Käse, Quark und Oleomargarine genüge nicht. Die Auslandskonkurrenz drohe für die Milchprodukte, insbesondere auch aus den englischen Besitzungen. Auch andere europäische Länder hätten ihre Regierung weitgehend Vollmachten zur Regelung der Agrarzölle gegeben, insbesondere Frankreich. Bis Herbst könne nicht mit einem starken Schutz für die deutsche Milchwirtschaft gewartet werden. Von den übrigen Zollforderungen wolle er absehen, wenn dieser Schutz gewährt würde.

[309] Die Ratifizierung des deutsch-polnischen Handelsvertrages sei nicht eilig17. Nach seinen Informationen werde Polen erst im nächsten Frühjahr ratifizieren.

17

Vgl. Dok. Nr. 91, P. 6.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg führte aus, die Ratifizierung des Genfer Abkommens bringe eine gewisse Gemeinsamkeit im Vorgehen und im Tempo der europäischen Zollpolitik. Wenn das amerikanische Dumping ganz Europa bedrohe, dann würde Europa auch zu gemeinsamem Handeln gezwungen sein.

Butter sei nicht in Handelsverträgen gebunden. Dem Wunsche des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft könne also insoweit entgegengekommen werden. Anders beim Käse. Es sei bedenklich, durch kleine Maßnahmen auf dem Zollgebiet die allgemeine wirtschaftspolitische Richtung zu stören, die auf eine Senkung der Selbstkosten und des Preisniveaus hinziele.

Die industriellen Zollwünsche seien nur einigermaßen erträglich, wenn dem Genfer Abkommen zugestimmt würde. Sonst würde in die handelspolitische Lage der Welt eine außerordentliche Unruhe hineingetragen.

Diesen Ausführungen schloß sich der Reichsarbeitsminister an. Die preiserhöhenden Tendenzen müßten auf allen Gebieten zurückgedrängt werden. Wegen des Butterzolles könne die Entscheidung auf den Herbst vertagt werden. Erst müsse sich der Butterzoll auswirken, der im finnischen Abkommen vereinbart sei18. Das Genfer Abkommen müsse ratifiziert werden. Bis 1. Februar 1931 würden sich daraus keine Schwierigkeiten ergeben. Keinesfalls sei es möglich, den Butterzoll ohne die Beschlüsse des Reichswirtschaftsrats wegen der industriellen Zölle durchzubringen. Er halte diese Beschlüsse des Reichswirtschaftsrats aber bereits für überholt wegen der Preissenkungspolitik, die nun eingehalten werden müsse.

18

S. dazu Dok. Nr. 91, Anm. 5.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte sich bereit, wenn es die Verhandlungen im Haushaltsausschuß zuließen, an den Verhandlungen des Handelspolitischen Ausschusses am 15. Juli teilzunehmen. Er werde dann für die Regierung erklären, daß sie bereit sei, dem Genfer Handelsabkommen zuzustimmen. Verhandlungen wegen der Industriezollerhöhungen müßten auf die Wünsche beschränkt werden, denen der Reichswirtschaftsrat zugestimmt hat. Alle Anträge, die darüber hinaus gingen, müßten zurückgewiesen werden. Dann wäre das Ergebnis der Verhandlungen abzuwarten. Auch gegenüber einem Antrag auf den beweglichen Butterzoll werde Zurückhaltung zunächst notwendig sein.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg wies darauf hin, daß es nötigenfalls möglich sein würde, den Butterzoll mit dem Reichsrat und einem Ausschusse des Reichstags auf Grund von § 4 des Zollgesetzes zu erhöhen19. Gegenüber der Einwendung von Ministerialdirektor Ernst, daß eine derartige Anwendung des § 4 bisher stets grundsätzlich abgelehnt worden sei, und daß es sehr bedenklich sei, von dieser Praxis abzugehen, erwiderte er, wenn der Reichstag[310] vier Monate nicht zusammentrete, so sei gegebenenfalls eine außerordentliche Lage geschaffen, aus der sich rechtfertige, wenn § 4 des Zollsatzes ausnahmsweise angewendet würde.

19

§ 4 des Ges. über Zolländerungen vom 17.8.25 ermächtigte die RReg., im Falle eines dringenden wirtschaftlichen Bedürfnisses mit Zustimmung des RR und eines Ausschusses des RT die Eingangszölle für zollpflichtige Waren zu ändern oder aufzuheben (RGBl. I, S. 262 ).

Nachdem der Reichsminister für die besetzten Gebiete sich noch entschieden für die vom Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft vorgebrachten Wünsche und wie dieser gegen das Genfer Abkommen eingesetzt hatte, stellte der Reichskanzler gegen die Stimme des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft fest, daß im Handelspolitischen Ausschuß des Reichstags für das Genfer Abkommen einzutreten sei.

Gegen die Zollwünsche auf industriellem und landwirtschaftlichem Gebiete seien die Bedenken der Reichsregierung geltend zu machen. Die endgültige Entschließung der Reichsregierung sei insoweit vorzubehalten.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies dann noch auf die Notwendigkeit hin, den Weizen-Kleiezoll zu erhöhen. Der Preis der Weizenkleie sei durch die ausländische Konkurrenz so gedrückt, daß die Mühlen deswegen den Mehlpreis bereits erhöhten, und daß so auch der Brotpreis hinaufgetrieben werde. Er bat, gegen die Erhöhung des Weizenkleiezolles nicht Stellung zu nehmen, zumal andere Futtermittel wie Ölkuchen und Sojabohnenschrot wesentlich billiger seien als Kleie.

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