2.62 (bru1p): Nr. 62 Vermerk des Ministerialrats Feßler über einen Empfang von Führern des Reichslandbundes beim Reichskanzler am 4. Juli 1930

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[253] Nr. 62
Vermerk des Ministerialrats Feßler über einen Empfang von Führern des Reichslandbundes beim Reichskanzler am 4. Juli 1930

R 43 I /2365 , Bl. 151–152

Anwesend waren:

Herr Reichskanzler Dr. Brüning, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Schiele, Ministerialrat Dr. Feßler.

Vom Reichslandbund die Präsidenten Hepp und Bethge; die Direktoren Kriegsheim und von Sybel; die Landbundführer Strüvy-Ostpreußen, Nicolas-Brandenburg, von Rohr-Pommern1.

1

Feßlers Vermerk stammt vom 7.7.30.

In Gegenwart des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft führte Präsident Hepp vor dem Herrn Reichskanzler folgendes aus:

Der Reichslandbund glaube, daß die schwierigen Verhältnisse der öffentlichen Finanzen nicht durch Steuern gebessert werden könnten. Die Wirtschaft sei nicht mehr leistungsfähig. Er lehne deswegen jede neue Steuer ab, solange nicht andere Wege zur Deckung des Defizits gegangen seien. Insbesondere müßten die Ersparnisse erheblich höher sein als vorgesehen. Auch das Junktim des Ostpreußenprogramms mit den neuen Steuergesetzen lehne der Landbund ab.

Die Agrarpolitik habe zwar einige Erfolge zu verzeichnen. Diese seien aber noch nicht ausreichend. Weitere Zollerhöhungen insbesondere seien notwendig. Alle Zollbindungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse müßten verschwinden. Die volle Zollautonomie sei wiederherzustellen.

Der Reichskanzler erwiderte auf die Ausführungen, es gewinne den Anschein, als wenn die Stellungnahme des Reichslandbunds in Verbindung mit der Rede, die der Abgeordnete v. Sybel am 3. 7. im Reichstage gehalten habe, eine Kampfansage gegen die Regierung bedeute2.

2

Der RT-Abg. v. Sybel (ChrNAG) hatte am 3.7.30 im RT gefordert, die Tilgungsrate der schwebenden Reichsschuld um ein Jahr aufzuschieben, und namens seiner Fraktion „die endgültige Zustimmung zu diesem Etat wie überhaupt zu den Absichten der Regierung“ verweigert (RT-Bd. 428, S. 6138 –6139).

Auch nach seiner Ansicht müsse die Handelsvertragspolitik auf eine andere Grundlage als die Meistbegünstigung gestellt werden. Bei der Lastensenkung müsse das große Ziel, die Realsteuern im nächsten Jahr herabzudrücken, im Auge behalten werden. Eine stärkere Steigerung der Verbrauchssteuern würde den Rückgang des Konsums nach sich ziehen. Bei den Zigaretten und auch bei Bier und Branntwein habe sich dies gezeigt. Die Umsatzsteuer müsse geändert, könne aber jetzt nicht erhöht werden wegen der Absicht der Regierung, einen Druck auf die Preise auszuüben. Später würde die Besteuerung der ersten Einfuhr in Frage kommen. Auch gegen die anderen Vorschläge des Reichslandbunds hinsichtlich der Finanzgestaltung lägen erhebliche Bedenken vor. Die schwierige Lage beruhe auf einer weltwirtschaftlichen[254] Krise besonderer Art. Der Übergang zahlreicher Staaten zur Goldwährung sei auf sie nicht ohne Einfluß gewesen.

Der Reichskanzler erläuterte dann eingehend die Deckungsbeschlüsse des Kabinetts und machte eindringlich auf die großen Gefahren der negativen Einstellung des Reichslandbunds und der ihm nahestehenden Parteien gegen die Deckungsbeschlüsse der Reichsregierung aufmerksam. Ein Zusammenbruch der Reichsfinanzen würde auch gerade für die Landwirtschaft schweren Schaden nach sich ziehen. Sie müsse deswegen für die Gesamtlage Verständnis haben.

Die Reichsregierung habe kein Junktim zwischen Ostprogramm und Deckungsvorschlägen gefordert. Das Ostprogramm aber hänge in der Luft, wenn der Etat nicht in Ordnung komme. Er bitte die Arbeit der Reichsregierung nicht übermäßig zu erschweren und die Forderungen gegen das Erreichbare abzuwägen.

Für den Herbst seien drakonische Maßnahmen zur Ordnung der öffentlichen Finanzen zu erwarten. Die außenpolitische Handlungsfreiheit hänge von ihren Erfolgen ab.

Der Reichskanzler bat, die Aussprache vertraulich zu behandeln.

Der Abgeordnete v. Sybel erwiderte, es handele sich nicht um eine Kampfansage gegen die Regierung, zu der der Reichslandbund Vertrauen habe, sondern um eine Kritik, die fördern solle. Im Ziele sei der Reichslandbund mit der Reichsregierung einig. Meinungsverschiedenheiten bestünden wegen der Wege zu diesem.

Strüvy-Ostpreußen wies dann auf die schweren Schäden hin, die durch die Dürre in Ostpreußen hervorgerufen würden und sprach sich vor allem für eine generelle Lastensenkung in der Provinz aus. Sie möchte möglichst sofort einsetzen. Im Herbst käme sie für viele zu spät.

Präsident Hepp wies nach diesen Ausführungen darauf hin, daß die Reichsregierung sich des Ernstes der Lage und ihrer Verantwortlichkeit bewußt sein möchte. Die Stimmung draußen habe sich gegenüber den Hoffnungen verschlechtert, die vor einigen Monaten aufgekommen seien. Auch er bestritt, daß es sich um eine Kampfansage gegen die Regierung handele. Der Reichslandbund habe kein Interesse daran, die Regierung zu stürzen.

Der Reichskanzler betonte demgegenüber, daß sich die Regierung ihrer schweren Verantwortung voll bewußt sei und daß sie die Lage keineswegs optimistisch, sondern eher pessimistisch beurteile. Er wies auf die aufopfernde Arbeit des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft und seine Erfolge hin und schloß mit der Erklärung, daß die schweren Entschließungen psychologisch vorbereitet werden müßten, die im Herbste zu treffen wären.

F.[eßler]

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