1.86 (bru2p): Nr. 338 Der Reichsverband der Deutschen Industrie zur wirtschaftlichen und politischen Lage. 19. Juni 1931

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Nr. 338
Der Reichsverband der Deutschen Industrie zur wirtschaftlichen und politischen Lage. 19. Juni 1931

R 43 I /2370 , Bl. 115–1171

1

Das vorliegende Dok. befindet sich ohne Anschreiben in den Akten der Rkei; es trägt die Paraphe des RK und den handschriftlichen Vermerk des ORegR Planck vom 22.6.31: „Vom Herrn Reichskanzler“.

Präsidium, Vorstand und Hauptausschuß des Reichsverbandes der Deutschen Industrie haben sich am 18. und 19. Juni 1931 eingehend mit der Zuspitzung der wirtschaftlichen und politischen Lage in den letzten Tagen und dem Inhalt der Zweiten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen2 beschäftigt und bringen folgendes zum Ausdruck:

2

NotVO vom 5.6.31 (RGBl. I, S. 279 ).

Der Reichsverband der Deutschen Industrie ist sich darüber klar, daß die Vermeidung eines völligen wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenbruchs in allererster Linie eine Vertrauensfrage ist, und zwar eine Frage des Vertrauens sowohl des Auslandes wie des Inlandes zur Führung der Reichsgeschäfte. Dieses Vertrauen hat der Reichsverband zu dem Reichskanzler als dem Führer der Reichsregierung. Die persönliche Haltung des Reichskanzlers und die von ihm verfolgte Linie hat erheblich dazu beigetragen, die Krise des ausländischen Vertrauens abzuschwächen. Es ist jedoch mit allem Ernst darauf hinzuweisen, daß es für die zukünftige Entwicklung Deutschlands nicht genügt, die ausländische Vertrauenskrise zu überwinden. Es kommt vielmehr auch entscheidend darauf an, das Vertrauen des Inlandes auf eine feste, zielbewußte und entschlossene Führung der Reichsregierung wiederherzustellen.

Das deutsche Volk und vor allem die deutsche Wirtschaft müssen unbedingt die Gewähr dafür haben, daß die weiteren Schritte der Reichsregierung von dem unbeirrbaren Willen getragen werden, die bisherigen und insbesondere[1226] durch die Zweite Notverordnung ergriffenen Maßnahmen in einer den Wirtschaftsnotwendigkeiten mehr als bisher angepaßten Weise fortzusetzen.

Der Reichsverband der Deutschen Industrie versagt es sich im Augenblick, in eine Einzelkritik des Inhaltes der Zweiten Notverordnung einzutreten. Er behält sich eine solche Kritik und eine Darlegung der einzelnen notwendigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik vor, ganz besonders für den Fall, daß Änderungen an dem Inhalt der Notverordnung vorgenommen werden. Der Reichsverband sieht sich jedoch gezwungen, schon jetzt auf folgende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufmerksam zu machen:

Angesichts der in der letzten Zeit besonders scharf in Erscheinung getretenen Kapitalflucht ist es unerläßlich, mit größter Beschleunigung solche Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind – nicht durch gesetzlichen Zwang, sondern durch die Herstellung des inneren Vertrauens –, diese Bewegung abzudämmen. An erster Stelle steht hier die vom Reichsverband wiederholt betonte und in seinen Druckschriften von 1925 und 19293 eingehend begründete Notwendigkeit, die Wirtschaft in viel stärkerem Maße als bisher von den Fesseln zu befreien, die ihr die ungeheure Überlastung mit öffentlichen Abgaben und die falschen Methoden der früheren Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik auferlegt haben. Es ist anzuerkennen, daß in der Notverordnung manches geschehen ist, was diesem Gesichtspunkt Rechnung trägt. Auf der anderen Seite bringt aber die Notverordnung, insbesondere mit der Krisensteuer4, eine neue zusätzliche Belastung des Unternehmertums und der mit der Wirtschaft eng verbundenen Schicht der verantwortlichen Angestellten. Diese zusätzliche Belastung wirkt zweifellos auf die Kapitalbildung sehr hemmend. Der Reichsverband der Deutschen Industrie vertritt demgegenüber die Auffassung, daß eine endgültige wirtschaftliche Gesundung unmöglich ist, solange eine derartig verschärfte Hemmung der Kapitalbildung besteht. Gerade der Reichskanzler habe im Namen der Reichsregierung die Notwendigkeit der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung wiederholt nachdrücklichst betont.

3

Damit sind die vom RdI herausgegebenen Denkschriften „Deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik“ (1925) und „Aufstieg oder Niedergang?“ (1929) gemeint.

4

3. Teil, Kap. III der NotVO vom 5.6.31 (RGBl. I, S. 298 ).

Eine wichtige Voraussetzung für die Wiederherstellung des Vertrauens des Inlandes zur Reichsregierung ist ferner auch das entschlossene Anfassen der Reparationsfrage. Die Ereignisse der letzten Tage haben bewiesen, daß die offizielle Wiederaufrollung der Reparationsfrage zwecks Herbeiführung einer anderweitigen Reparationsregelung eine außerordentlich drängende Angelegenheit geworden ist. Eine Unentschlossenheit der Reichsregierung in dieser Frage würde von der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes und von der gesamten deutschen Industrie nicht mehr verstanden werden. Der Reichsverband der Deutschen Industrie ist sich gewiß über die bestehenden Schwierigkeiten klar. Er muß aber verlangen, daß die Reichsregierung im geeigneten Augenblick die kraftvolle Initiative ergreift, die notwendig ist, um neue Verhandlungen in Gang zu setzen und eine baldige bessere Lösung der Reparationsfrage und eine Erleichterung der Lasten herbeizuführen.

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