1.8 (bru3p): Nr. 522 Vermerk des Ministerialrats Vogels über eine Reparationsbesprechung im Reichsfinanzministerium am 26. Oktober 1931, 11 Uhr

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Nr. 522
Vermerk des Ministerialrats Vogels über eine Reparationsbesprechung im Reichsfinanzministerium am 26. Oktober 1931, 11 Uhr

R 43 I /330 , Bl. 214–217

Den Vorsitz führte Staatssekretär Schäffer; ferner waren vertreten: das Auswärtige Amt (Ministerialdirektor Ritter, Legationsrat Ulrich) das Reichswirtschaftsministerium (Ministerialdirektor Reichardt, Ministerialrat Ronde und [Oberregierungsrat] Lautenbach) und die Reichsbank (Geheimrat Vocke) sowie der Unterzeichnete.

In der Sitzung wurde zunächst von dem soeben eingegangenen Wortlaut des Communiqués Hoover-Laval Kenntnis genommen1.

1

Dt. Übersetzung des amerik.-frz. Kommuniqués vom 25.10.31 in WTB Nr. 2248 vom 26.10.31 (R 43 I /99 , Bl. 14) und Schultheß 1931, S. 451 (andere Übersetzung als in der WTB-Meldung).

Ministerialdirektor Ritter teilte ergänzend mit, daß der deutsche Botschafter in Washington bisher noch keinen ausführlichen Bericht über die Besprechungen[1838] HooverLaval erstattet habe2; es liege nur ein kurzes Vortelegramm vor, aus dem zu entnehmen sei, daß Amerika und Frankreich sich dahin verständigt haben, daß sie auch ihrerseits gemeinsam Vorbereitungen in der Frage der Reparationszahlungen zu treffen gedenken3.

2

Telegramme des dt. Botschafters v. Prittwitz über den Besuch des frz. MinPräs. Laval in Washington in R 43 I /330 , Bl. 199–202, Bl. 204–209.

3

Es handelt sich wahrscheinlich um das Telegramm Nr. 541 vom 25.10.31 (R 43 I /330 , Bl. 227–228).

Staatssekretär Schäffer führte sodann aus, daß es notwendig sei, im Kreise der Reparationsministerien die Fragen der zukünftigen Reparationspolitik fortlaufend zu erörtern, und daß zu diesem Zweck in kurzen Abständen gemeinsame Besprechungen der Reparationsministerien stattfinden müßten. Für die heutige Sitzung empfehle er, zunächst den Kreis der zu erörternden Fragen kurz zu umreißen. Er unterschied folgende Fragenkomplexe:

1. die mit der Stillhaltung für die nichtpolitische Schuld zusammenhängenden Fragen;

2. die mit den Reparationen zusammenhängenden Fragen.

Jeder dieser beiden Fragenkomplexe müsse einzeln für sich betrachtet werden, sodann aber auch beide Fragenkomplexe im Zusammenhang miteinander.

Stillhaltung.

Zu erörtern sei:

a) Frage des Zeitpunktes für zu unternehmende Schritte;

b) Zielsetzung für die zu unternehmenden Schritte;

c) Taktik der Aufrollung der Frage;

d) Art der Vorbereitung der zu unternehmenden Schritte.

Zu a) (Zeitpunkt):

Zu beachten ist, daß das Stillhalteabkommen4 am 29. Februar abläuft. Die Tatsache dieses Endtermins werfe erfahrungsgemäß ihre Schatten voraus. Wahrscheinlich werde sich wegen des bevorstehenden Schlußtermins schon im Dezember eine große Unruhe bemerkbar machen, wenn bis dahin keine entscheidenden Schritte eingeleitet sein sollten.

4

Vgl. zum Inhalt des Stillhalteabkommens Schultheß 1931, S. 508–509.

Zu b) (Zielsetzung):

In dieser Hinsicht liege eine Reihe von Plänen verschiedener Persönlichkeiten vor. Er nannte die Pläne von Wassermann, von Geheimrat Schmitz, von Otto Wolff, von Herrn Simmonds (bei der Erka5), von Bankier Keesing (Bankhaus Rothschild Wien) und von Herrn Francqui6. Trotz der Verschiedenheiten im einzelnen sei allen diesen Plänen der Grundgedanke gemeinsam, daß die Auslandsverschuldung Deutschlands konsolidiert werden müsse, und daß diese Konsolidierung erfolgen müsse unter starker Sicherstellung der Gläubiger. Ferner seien in der Mehrzahl der Pläne Möglichkeiten vorgesehen, die Forderungen für sich selbst zu mobilisieren.

5

Reichs-Kredit-Gesellschaft AG.

6

Das RFM übersandte der Rkei am 26.10.31 Abschriften der Konsolidierungsvorschläge (R 43 I /316 , Bl. 241–276).

[1839] Zu c) (Taktik der Aufrollung):

Diese Frage sei je nach der Zielsetzung verschieden zu beantworten. Bei den Basler Sachverständigen-Beratungen sei bekanntlich eine Zweiteilung vorgenommen worden. Über die Stillhaltung sei unter Vorsitz des Engländers Tiarks zwischen den beteiligten Bankengruppen unmittelbar verhandelt worden, den Auftrag der Londoner Konferenz7 habe das Wiggin-Komitee durchgeführt. Dieses Wiggin-Komitee habe sich die Beschlüsse des Tiarks-Komitees zu eigen gemacht. Auch jetzt könne man unterscheiden zwischen den Möglichkeiten einer vorwiegend privatwirtschaftlich und einer mehr politisch aufgezogenen Aufrollung, oder schließlich könne man auch das Hauptgewicht auf die mit dem Problem zusammenhängenden Währungsinteressen legen. Denn die Währung sei mit dem Schuldenproblem aufs engste verknüpft. Die Reichsbank müsse die zur Abtragung der Auslandsschulden erforderlichen Devisen beschaffen. Aus diesem Grunde neige er selbst der Auffassung zu, daß das Schwergewicht der Aktion bei der Reichsbank liege.

7

Vgl. Dok. Nr. 434, Anm. 1.

Zu d) (Art der Vorbereitung):

Hierüber sei einstweilen noch nichts zu sagen.

Reparationen.

Der Prüfung dieser Frage müsse man das gleiche Schema zugrunde legen.

a) Zeitpunkt:

Zu bedenken sei, daß das Hoover-Jahr am 1. Juli ablaufe, und ferner die Notwendigkeit, den Reichshaushaltsplan aufzustellen. Der äußerste Termin für die Aufstellung des Etats sei wohl der 1. Februar 1932.

b) Zielsetzung:

Zu prüfen sei, ob man auf eine Endregelung hinauswolle oder auf eine Verlängerung des Hoover-Jahres; mit anderen Worten sei die zu lösende Frage die, wie könnte die Endregelung aussehen, die vor einer Verlängerung des Hoover-Jahres den Vorzug verdient.

c) Taktik der Aufrollung:

Zu prüfen sei die Frage: soll die Reparationsfrage selbständig angefaßt werden oder im Zusammenhang mit der Stillhaltung.

Zur selbständigen Aufrollung sei die Einberufung des Young-Ausschusses notwendig8. Bisher habe man die Einberufung des Young-Ausschusses für unerwünscht gehalten9. Man könne ferner denken an die Aufnahme von direkten Verhandlungen mit Frankreich und auch an die Aufnahme direkter Verhandlungen mit Amerika, ferner an die Einberufung einer Regierungskonferenz mit dem Ziel, zu ähnlichen Beschlüssen zu kommen wie auf der Londoner Konferenz, d. h. zur Einberufung eines neuen Ausschusses nach dem Muster des Wiggin-Ausschusses.

8

Vgl. Dok. Nr. 316, Anm. 4.

9

Siehe Dok. Nr. 316.

Reparationen und Stillhaltung zusammengefaßt.

Auch bei der Verbindung beider Fragen dürfe der Zeitpunkt für die Inangriffnahme nicht später als Dezember liegen.

Eine Vertiefung dieser Fragenkomplexe fand einstweilen nicht statt.

[1840] Geheimrat Vocke erklärte unverbindlich, daß auf dem Gebiet der Privatschulden für Deutschland eine Verpflichtung zur Initiative bestehe, Deutschland müsse seinerseits Vorschläge für die Abtragung seiner Schulden machen. Falls man auf diesem Gebiet zu Resultaten kommen sollte, so würden diese Resultate zwangsläufig die Reparationsfrage präjudizieren. Er sei der Meinung, daß Deutschland in der Reparationsfrage sich möglichst zurückhalten müsse. Bei einer Neuregelung der Privatverschuldung werde sich ohne weiteres herausstellen, daß für die Leistung politischer Zahlungen kaum noch etwas übrig bleibe. Wenn die Reichsregierung der Meinung sei, daß die Reichsbank vom Gesichtspunkt der Währung aus an der Regelung der privaten Schulden besonders interessiert sei und daher das Schwergewicht der zu führenden Verhandlungen die Reichsbank auf sich zu nehmen habe, so sei er persönlich mit der Übernahme dieser Aufgabe einverstanden. Er wolle aber nicht verhehlen, daß er hinsichtlich der Erfolgsaussichten der einzuleitenden Verhandlungen keinerlei Optimismus habe. Notwendig sei es daher für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen, eine eigene autonome deutsche Regelung vorzubereiten. Deutschland müsse jedenfalls eine Regelung vorbereiten, die praktisch durchzuführen sei, wenn bis zum 1. März eine Vereinbarung mit der Gegenseite nicht zustande gekommen sei. Möglicherweise würde das praktisch auf ein deutsches Moratorium hinauslaufen.

Ministerialrat Berger entwickelte sodann kurz die in seiner anliegenden Aufzeichnung vom 24. Oktober skizzierten Gesichtspunkte und machte insbesondere nähere Ausführungen zur Frage der vom Reich möglicherweise zu leistenden Sicherheiten für die Abtragung der Privatverschuldung10.

10

Eine Durchschrift der Aufzeichnung Bergers vom 24.10.31 sowie ein Memorandum vom gleichen Tage zur kurzfristigen dt. Verschuldung gegenüber dem Ausland in R 43 I /316 , Bl. 226–233. Zusammengefaßt bestanden folgende Verbindlichkeiten (Stichtag: 31.8.31): Fälligkeiten bis zu 6 Monaten: 11  234; Fälligkeiten von 6–12 Monaten: 735; Langfristige Verschuldungen: 11 108; zusammen: 23 077. Von den 8192 Verpflichtungen der Banken und Geldinstitute waren 6156 nach 6 Monaten fällig, 385 binnen 6–12 Monaten, 1651 Verschuldungen waren langfristig. Nach einer Schätzung hatte der Wert ausländischer Anlagen in Dtld. von 25,5 Mrd RM im Dezember 1930 auf 23,0 Mrd. RM abgenommen, der Wert dt. Anlagen im Ausland hatte sich im gleichen Zeitraum von 9,7 Mrd. RM auf 8,5 Mrd. RM vermindert (R 43 I /316 , Bl. 232–233). Zu den Ausführungen Bergers vgl. auch StS Schäffers Tagebuch vom 26.10.31, IfZ ED 93, Bd. 14, Bl. 942–944, hier Bl. 943.

Die nächste Sitzung soll Donnerstag, den 29. Oktober nachmittags 4 Uhr, stattfinden11.

11

Siehe Dok. Nr. 528.

Vogels

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