2.238.2 (cun1p): 2) Finanzlage.

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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2) Finanzlage.

Der Herr Reichsminister der Finanzen erläutert die Finanzlage an Hand der vorliegenden Einnahmentabelle und Ausgabenübersicht3. Es ergäbe sich für das laufende Jahr ein Fehlbetrag von 670 Billionen, der, wenn die Anleihe 500 Goldmillionen erbringe, sich um 125 Billionen verringere4. Es könne erwogen werden, zu den Steuereinnahmen noch eine Lohnsteuer hinzuzunehmen, deren[713] Vervielfachung5 bis auf 60 Millionen Goldmark monatlich6 gebracht werden könne. Dazu müßte allerdings auch ausgleichsweise eine besondere Belastung der Landwirtschaft kommen, die vielleicht ebensoviel einbringen könne, so daß sich hierdurch der Fehlbetrag um weitere 100 Billionen verringern würde7. Auch dann bleibe allerdings noch ein Fehlbetrag von rund 400 Billionen bestehen. Bei weiterer Geldentwertung liefen die Ausgaben wiederum davon. Auf Wertbeständigmachung der Eisenbahn- und Posttarife sei hinzuwirken; für die Post sei anzustreben, daß diese von der Mitwirkung des Reichstags bei der Tariffestsetzung frei werde8.

3

Die Einnahmentabelle beziffert die Einnahmen aus den verschiedenen Steuern, Zöllen und Ausfuhrabgaben jeweils vierteljährlich für das Rechnungsjahr 1923, wobei für das 1. Vierteljahr vom 1. 4.–30.6.23 die Ist-Zahlen, im übrigen nur die Soll-Zahlen angegeben werden. Die Einnahmen für das 1. Vierteljahr belaufen sich danach auf 3,76 Bio M, die Soll-Einnahmen für das 2. Vj. auf 83 Bio M, für das 3. Vj. auf 127,7 Bio M, für das 4. Vj. auf 166,4 Bio M, insgesamt für das Rechnungsjahr 1923 also auf rd. 381 Bio M. In der Ausgabenübersicht sind die Ausgaben für die Monate April, Mai, Juni und Juli angegeben sowie eine Schätzung für die restlichen acht Monate aufgrund des Juli-Ergebnisses und des letzten Dollarkurses von 1 100 000 M. Im einzelnen sind die Ausgaben noch unterteilt in Allgemeine Reichsverwaltung, Betriebsverwaltungen und Ausführung des Friedensvertrags. Daraus ergeben sich die Gesamtausgaben für April–Juli mit 59,5 Bio M, für die restlichen acht Monate mit 990 Bio M (R 43 I /2357 , Bl. 162). Einen monatlichen Überblick über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben des Reiches seit März 1923 gibt der RFM auch vor dem RT am 8.3.23 (RT-Bd. 361, S. 11755 ).

4

Das entspricht einem Dollarkurs von knapp 1,1 Mio M, wie er seit dem 30. 7. in etwa an der New Yorker Börse bestand.

5

StS Hamm schreibt darüber „Ertrag?“.

6

So aufgrund handschriftlicher Verbesserung; ursprünglich: „6 Billionen monatlich“. Diese ursprüngliche Angabe erscheint rechnerisch zutreffender und sachlich wahrscheinlicher.

7

Die Erhöhung des Lohnsteueraufkommens um 6 Bio monatlich würde eine Mehreinnahme von 72 Bio erbringen; zusammen mit einer gleichwertigen Belastung der Landwirtschaft also 144 Bio, so daß damit ein Defizit von rd. 400 Bio verbliebe.

8

Am 15. 8. nimmt der RT einen entsprechenden Gesetzentwurf an (RT-Bd. 361, S. 11876  f.), der am 17.8.23 verkündet wird und den RPM ermächtigt, unter Zugrundelegung bestimmter Schlüsselzahlen zum 1. oder 16. eines Monats Tariferhöhungen vorzunehmen (RGBl. I, S. 797 ). Die bisherige Anhörung des Verkehrsbeirats entfällt damit.

Der Herr Reichsverkehrsminister teilt mit, daß ab 20. August die Güterverkehrstarife um 300%, ab 1. September die Personentarife um 400% für die Normalsätze gesteigert werden sollen. Damit würden die Sätze zu einem erheblichen Teil über den Vorkriegssätzen stehen, während eine große Reihe Postsätze erheblich darunter blieben. Die Reichsbahn habe für das Rechnungsjahr 1922 mit einem Abmangel von nur 370 Milliarden unter Einrechnung der Ruhrschäden abgeschlossen, wobei lediglich die Schäden an Fuhrwerk und Betriebsschäden ausgenommen seien. Ein neuer Festmarktarif werde schleunigst ausgebaut9. Mit der Festmarkfrage würde auch die Frage der Frachtstundung gelöst werden. Die neuen Gehälter und Löhne belasten die Eisenbahn bis Jahresende mit 73 Billionen. Die vorgesehene Tariferhöhung decke vom Ruhrausfall bis Ende August 9 Billionen ab, die Mehrausgaben für englische Kohle betragen nach dem Preisstand Ende Juli bis Jahresende für monatlich 700 000 Tonnen rund 11 Billionen.

9

Am 3. 8. teilte das RVMin. mit, daß die Einführung wertbeständiger Tarife am 6. 8. mit den Ländervertretern und am 10./11. 8. im Reichseisenbahnrat beraten werden solle. Die entsprechende Vorlage sieht die Einführung eines Grundtarifs vor, der in etwa dem Friedenstarif entspricht und je nach Markkurs mit einer entsprechenden Schlüsselzahl zu multiplizieren ist (R 43 I /1067 , Bl. 292-303). Am 8. 8. teilt der RVM mit, daß die Einführung wertbeständiger Tarife zum 20. 8. bzw. 1. 9. aufgrund der fortschreitenden Geldentwertung wesentlich höhere Schlüsselzahlen erfordere, als er am 4. 8. im Kabinett vorgeschlagen habe. „Hierbei ist dem Beschluß des Reichskabinetts, wonach die Reichsbahnverwaltung nicht nur ihre eigenen Angaben voll zu decken, sondern auch noch einen Teil des Ruhrschadens zu tragen hat, Rechnung getragen.“ (R 43 I /1067 , Bl. 305). Vgl. Anm. 7 zu Dok. Nr. 218.

Der Herr Reichsarbeitsminister hält es für notwendig, daß im Steuerprogramm auch eine sehr erhebliche Besitzbelastung erscheine.

Der Herr Reichsminister für Wiederaufbau veranschlagt bei einem Einnahmedurchschnitt für das 3. Vierteljahr von 127 Billionen und einem Ausgabeansatz von 990 Billionen für die kommenden 8 Monate den monatlichen Fehlbetrag auf 75 Billionen, selbst mit den neuen Steuern. Die verschiedentlich vorbesprochene Arbeitgebersteuer würde geeignet sein, diesen Fehlbetrag beträchtlich[714] zu mindern10; sie neben dem Ruhropfer noch aufzulegen, sei seiner Meinung nach allerdings unmöglich. Auch dürfe die Steuergesetzgebung nicht so gemacht werden, daß sie die Aussichten der Goldanleihe, auf deren Höhe und raschen Ertrag für die Finanzierung der nächsten Monate es außerordentlich ankomme, zu sehr schädige. Man könne die Arbeitgebersteuer, deren offenkundige Mängel und Fehler außer jedem Zweifel stehen, nicht selbst wohl von regierungswegen mehr vorschlagen, wolle sie aber annehmen, wenn sie aus dem Reichstag gebracht werde11.

10

Vgl. Dok. Nr. 235, insbes. Anm. 7. REM Luther hatte seine Stellungnahme zur vorgesehenen Arbeitgebersteuer am 3. 8. schriftlich an den RK gegeben, da er an der Ministerbesprechung nicht teilnehmen konnte. Eine Heranziehung der Landwirtschaft aufgrund der Zahl der Beschäftigten schien ihm trotz aller Vorbehalte weniger bedenklich als eine Heranziehung aufgrund der Flächengröße der Betriebe. Abschließend stellte er fest, „daß vom Standpunkte der Intensität des landwirtschaftlichen Betriebes naturgemäß gegen alle obenstehend berührten Maßnahmen wichtige Bedenken bestehen, daß ich aber angesichts des Ernstes der gegenwärtigen politischen Gesamtlage glaube, meine sich hierauf gründenden Bedenken zurückstellen zu sollen, falls der Weg der Kopfsteuer grundsätzlich beschritten wird.“ (R 43 I /2410 , Bl. 268 f.).

11

Im RT wird am 10. 8. nach Beratungen im 11. Ausschuß ein von allen Parteien mit Ausnahme der KPD unterstützter Antrag eingebracht, der eine Besteuerung der industriellen und gewerblichen Betriebe nicht nach der Kopfzahl, sondern in zweifacher Höhe der vom 1.9.23 bis 29.2.24 zu zahlenden Einkommensteuer bzw. der landwirtschaftlichen Betriebe in Anlehnung an die Höhe des Wehrbeitragswertes vorsieht (RT-Drucks. Nr. 6148 Anlage B, Bd. 379 ). Den Ausschußbericht gibt der Abg. Oberfohren am 10. 8. vor dem Plenum (RT-Bd. 361, S. 11828  f.), das dem Entwurf zustimmt. Am 11.8.23 wird das „Gesetz über die Besteuerung der Betriebe“ erlassen (RGBl. I, S. 769  f.).

Der Herr Reichsminister der Finanzen betont, daß man in der Steuererhebung möglichst weit gehen solle, aber man solle nicht zu viel nebeneinander versuchen. Für diskutabel halte er lediglich den Gedanken Brauns’, durch eine Neuerhebung veränderter Zwangsanleihe den Besitz zu belasten.

Der Herr Reichskanzler betont ebenfalls die Notwendigkeit einer sehr raschen und durchgreifenden Steuererhebung, die der Wirtschaft die Mittel für Anleihezeichnungen nicht benehme und hinter welcher dann die grundsätzliche Steuerreform durchgearbeitet werden könne. Man müsse nehmen, was man an rasch wirkenden Steuern bekommen könne.

Der Herr Reichsminister der Finanzen stimmt dem zu, hält aber die Arbeitgebersteuer für unmöglich und möchte sich auch nicht dadurch etwa mit ihr identifizieren, daß er bei sich einen Entwurf ausarbeiten lasse. Er sagt indes auf den dringenden Wunsch des Reichskanzlers zu, diesem morgen zum persönlichen Gebrauch eine unverbindliche Fassung eines solchen Gesetzes zu ermitteln12. Wir hätten nur noch beschränkte Frist für die außenpolitische Entwicklung.

12

Ein derartiger Gesetzentwurf war in R 43 I nicht zu ermitteln, doch fand sich eine sechsseitige Stellungnahme, die ihrer ablehnenden Tendenz nach vom RFMin. stammen könnte. Sie ist weder unterzeichnet noch datiert (R 43 I /1134 , Bl. 163-168).

Der Herr Reichsarbeitsminister wirft die Frage auf, ob nicht die im Memorandum in Aussicht gestellten Garantien nun für die Finanzierung der Ruhraktion herangezogen werden sollen13.

13

Vgl. Anm. 21 zu Dok. Nr. 227.

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