2.170.1 (ma11p): [Wirtschaftslage.]

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[Wirtschaftslage.]

Der Reichswirtschaftsminister gab anhand der Vorlage1 einen Bericht über die Lage und über die zu ergreifenden Maßnahmen.

1

S. Dok. Nr. 165.

Der Reichsminister der Finanzen war der Meinung, daß sehr schnell Abhilfe getroffen werden müsse und daß daher alle Maßnahmen ausschieden, die erst nach längerer Zeit wirksam würden. Was die Umsatzsteuer betreffe, so sei die allgemeine Ermäßigung eine Frage von grundsätzlicher Natur und nicht sogleich zu entscheiden. Die Rückerstattung der Umsatzsteuer bei der Ausfuhr sei ein sehr schwieriges Problem. Es müsse zu diesem Zweck ein Katalog ausgearbeitet werden, der sehr viel Zeit in Anspruch nehme. Er verweise hier auf die Vorgänge in Österreich. Im übrigen läge auch eine ziemliche Gefahr in diesem Verfahren, da sich letzten Endes dieses darstelle als eine Exportprämie, die Gegenmaßnahmen im Ausland bewirken werde.

Zollerhöhungen würden so lange kaum möglich sein, als das Loch im Westen bestände. Zollerhöhungen würden nur bewirken, daß die Ware von den deutschen Zollämtern abgedrängt werde und über das besetzte Gebiet hereinkomme. An sich sei eine Sperre in weitem Umfange, sogar für Getreide, sehr erwünscht.

Durch Steuererhöhungen könne der Verbrauch wirksam getroffen werden. Gerade bei dem Tabak – und das sei das aktuellste Problem – verspreche er sich jedoch davon keine Erleichterung der Lage. Abgesehen davon, daß eine große Erhöhung der Steuer nicht zu erreichen sei, werde eine tatsächliche Erhöhung die Tabakindustrie mit Rücksicht auf die große Wahrscheinlichkeit späterer Rückgängigmachung nicht veranlassen, ihre gekauften Bestände im Ausland abzustoßen und dadurch ihre Devisennachfrage einzustellen. Eine wirksame Maßnahme sei dagegen die Verringerung der Stundung der Steuerbeträge. Zur Zeit sei die Stundung bereits auf 2 Monate herabgesetzt. Es sei zu überlegen, ob diese Frist nicht auf 1 Monat abgekürzt werden sollte. Diese Abkürzung[542] werde die Tabakindustrie ganz außerordentlich schwer treffen; es würde aber damit der zur Zeit erforderliche Zweck erreicht.

Der Reichsbankpräsident war der Meinung, daß vor allem die Erlaubnis zu Devisenzahlungen im Inland wieder aufgehoben werden müsse. Neue Einfuhrverbote seien nicht ganz abzulehnen. Bei der Tabakeinfuhr könnte man vielleicht die Kontingentierung wieder vornehmen. Der Spartrieb liege tatsächlich außerordentlich darnieder. Ende März habe der gesamte Bestand der Sparkassen nur 250 Millionen Goldmark gegenüber 5 Milliarden vor dem Kriege betragen. Die Kreditoren der Banken betrügen schätzungsweise ¼ der Vorkriegszeit, wobei aber zu berücksichtigen sei, daß diese Gelder sich im wesentlichen zusammensetzten aus den Summen, die bei den Banken für Devisenanforderungen bereitgehalten werden müßten. Zu erwägen sei, ob nicht Auslandskredite unter Kontrolle gestellt werden müßten. Man müsse eine Genehmigungspflicht für Auslandskredite einführen. Die Reichsbank habe darauf keinen Einfluß. Bezüglich der Einschränkung und zweckmäßigen Verteilung der Kredite im Inland geschehe bereits alles, was möglich sei. Neuerdings habe er erst angeordnet, daß kein Konto über den derzeitigen Stand hinausgehen dürfe2. Für die nächsten Tage sei in Aussicht genommen, nachzuforschen, welche Rentenmarkkredite sich durch Valutakredite ersetzen ließen. In diesen Fällen sollen Rentenmarkkredite nicht wieder ausgegeben werden. Unbedingt notwendig sei die Einheitlichkeit der Geldpolitik. Leider sei die Reichsbank nicht Herr des Geldmarktes. Er müsse besonders hinweisen auf das Verhalten der Post und Eisenbahn. So lange insbesondere die Post auf eigene Faust Geldpolitik treibe, noch dazu mit so ungeheuer großen Summen, sei es der Reichsbank unmöglich, auf dem Geldmarkt regulierend einzugreifen.

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Am 5. 4. hatte die Rbk einen allgemeinen Kreditstop mit Wirkung vom 7. 4. verfügt: die Gesamtmenge der gewährten Wirtschaftskredite durfte über den Stand vom 7. 4. nicht vermehrt werden. Zugleich wurde eine Neuverteilung der Kredite auf die einzelnen Wirtschaftskreise nach produktions- und handelspolitischen Gesichtspunkten in die Wege geleitet. Vgl. hierzu Schacht, Die Stabilisierung der Mark, S. 113 ff., bes. S. 117 ff.; ders., 76 Jahre meines Lebens, S. 265 ff.; Luther, Politiker ohne Partei, S. 253 ff.

Der Schwerpunkt der Frage liege darin, ob es möglich sei, die Kredite an die Industrie noch mehr zu drosseln als bisher. Die Lage sei schon äußerst bedrohlich. Die Konkurse häuften sich von Tag zu Tag mehr; die Börse liege vollständig darnieder. Durch noch so scharfe Restriktionen der Kredite werde es nicht möglich sein, die Auslandskredite einzuschränken. Es räche sich jetzt der Glaube, daß die Rentenmark eine Goldmark sei. Die Industrie und der Handel seien in diesem Glauben größere Auslandsverpflichtungen kurzfristiger Natur eingegangen, die jetzt ihre Abdeckung erheischten, und es zeige sich jetzt, daß diese Abdeckung mit Rentenmark nicht ohne Schwierigkeiten möglich sei. Die Rentenmark werde voraussichtlich an den Auslandsmärkten zunächst noch weiter absinken3. Er hoffe jedoch, daß dieses Stadium überwunden werden könne und die Rentenmark auch im Ausland wieder zu dem Inlandskursstand zurückkehre.

3

Infolge der verstärkten Devisennachfrage und des vermehrten Markangebots war der Kurs der Rentenmark wie auch der Papiermark an den Auslandsbörsen seit Anfang Februar unter den offiziellen Berliner Einheitskurs abgesunken.

[543] Mitteilen möchte er noch, daß wahrscheinlich der Reichsbankdiskontsatz infolge der angespannten Lage hinaufgesetzt werden müsse4. Der Diskontsatz der Golddiskontbank werde voraussichtlich 9% betragen, so daß für die Wirtschaft Kredite zu 11 bis 12% zur Verfügung ständen. Eine Verbilligung des Kredits für die Landwirtschaft zu bewirken, sei die Reichsbank nicht in der Lage. Schuld an der Verteuerung der Kredite an die Landwirtschaft habe die landwirtschaftliche Kreditorganisation. Eine Differenzierung des Diskonts zu dem Zweck der Verbilligung der Kredite für gewisse Berufsschichten sei ausgeschlossen.

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Tatsächlich behält die Rbk den seit dem 29.12.23 geltenden Diskontsatz von 10% auch weiterhin bei.

Staatssekretär Hagedorn wies darauf hin, daß er sich bezüglich der landwirtschaftl. Kredite keine Besserung für die nächste Zeit verspreche. Die Kreditgewährung für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, insbesondere für Mehl und Getreide, müsse beschränkt werden. Eine Unterstützung des Handels sei hier nicht zweckmäßig, im Gegenteil eine Warnung sogar notwendig. Getreidevorräte seien in ausreichendem Maße vorhanden. Durch die Einfuhr der 500 Ford-Traktoren werde der Devisenmarkt nicht belastet, da diese auf dem Umweg einer Beteiligung englischen Kapitals an einer deutschen Firma bezahlt würden.

Der Reichswirtschaftsminister wandte sich in der Frage der Einfuhrverbote und Zollerhöhungen gegen den Reichsminister der Finanzen besonders mit dem Hinweis, daß nach Annahme des Sachverständigen-Gutachtens die Westgrenze wieder der deutschen Verwaltung zurückgegeben sei. Selbst aber wenn ein voller Erfolg derartigen Maßnahmen nicht beschieden sei, so müsse doch die Regierung alles tun, was möglich sei. So sollte die Regierung auch vor Steuererhöhungen auf Luxusartikel nicht zurückschrecken. Die Kontrolle der Auslandskredite werde sich nur sehr schwer durchführen lassen. Wo solle dies geschehen? Werde die Reichsbank in der Lage sein, diese Kontrolle durchzuführen? Die Devisenzahlungen im Inland zu verbieten, sei hart in dem Augenblick, wo die Reichsbank zu stärksten Repartierungen in der Devisenzuteilung übergegangen sei5. Die Kontingentierung des Tabaks werde auf den Verbrauch nicht einwirken, wohl aber dazu führen, daß die Preise stiegen, und zwar lediglich zum Nutzen der Kontingentinhaber.

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Seit Anfang März wurden von der Rbk nur noch 1% der angeforderten Devisenbeträge bewilligt; vgl. Schacht, Die Stabilisierung der Mark, S. 113.

Staatssekretär Trendelenburg gab weiteren Aufschluß über die Frage der Kontingentierung der Tabakeinfuhr und bestätigte die Auffassung des Reichswirtschaftsministers. Sehr wirksam werde seiner Meinung nach die Abkürzung der Steuerkredite sein.

Was die Gesamtlage anbetreffe, so scheine ihm die Lösung des Problems von der Ausfuhrseite her gesucht werden zu müssen. Man müsse in Deutschland wieder dazu kommen, vernünftig zu wirtschaften. Dazu sei vor allem auch notwendig, daß der Spartrieb gefördert werde. Wichtig sei die Aufstellung von Richtlinien für die Gewährung von Währungskrediten. Für Kredite, die[544] außerhalb solcher Richtlinien genommen worden seien, müsse jede Hilfe zur Abdeckung abgelehnt werden.

Der Reichsbankpräsident erwiderte dem Reichswirtschaftsminister, daß die Reichsbank zur Kontrolle der Auslandskredite die ungeeignetste Stelle sei. Es komme dafür nur eine von der Verwaltung abhängige Stelle in Betracht. Die Reichsbank dürfe nicht zum Handlanger von Regierungsmaßnahmen werden. Was die Vergebung der Kredite der Golddiskontbank anlange, so habe er schon bei anderer Gelegenheit ausgeführt, daß die Ausschaltung der Banken nicht möglich sei. Er hoffe aber, mit einer sehr bescheidenen Überhöhung des Diskontsatzes auszukommen. Falls die Banken sich damit nicht einverstanden erklären könnten, werde er die Kredite ohne Zuhilfenahme der Banken von sich aus begeben6.

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Einen ausführlichen Bericht über die Währungslage und die währungspolitischen Maßnahmen der Rbk in den ersten Monaten des Jahres 1924 erstattet Schacht in der Sitzung des Rbk-Kuratoriums am 29. 4. (Dok. Nr. 187). S. auch die Ausführungen Schachts in den Verhandlungen der Ausschüsse des Vorl. RWiR vom 9.–11. 4., in: Hauschild, Der vorläufige Reichswirtschaftsrat 1920–1926, S. 107 ff; ferner den Verwaltungsbericht der Rbk für das Jahr 1924.

Der Reichswirtschaftsminister wies noch auf die Bedeutung der Niedrighaltung der Löhne hin und bat das Reichsarbeitsministerium, mit allen Mitteln darauf hinzuwirken, daß unvernünftige Lohnerhöhungen nicht mehr stattfänden.

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