2.30.1 (ma11p): 1. Französisches Rechtshilfeersuchen zur Verfolgung deutscher Kriegsbeschuldigter.

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1. Französisches Rechtshilfeersuchen zur Verfolgung deutscher Kriegsbeschuldigter.

Der Reichsminister des Auswärtigen teilte mit, daß in der Frage des französischen Rechtshilfeersuchens zur Verfolgung deutscher Kriegsbeschuldigter1 die Reichsregierung vor einem Ultimatum Frankreichs stehe, das am Donnerstag [20. 12.] ablaufe. Es sei daher notwendig, heute einen Beschluß zu fassen. Die Lage sei so, daß Frankreich zweifellos nach dem Versailler Vertrage ein Recht zu seiner Forderung habe. Werde seitens der deutschen Regierung die Rechtshilfe verweigert, so würde Frankreich zweifellos ein Manquement feststellen und mit Sanktionen drohen. Das Auswärtige Amt sei der Auffassung,[126] daß das deutsche Prestige bei einer Erfüllung der Forderung nicht verletzt werde. Es sei auch zu bedenken, daß eine Verweigerung der Rechtshilfe als schlechter Wille und schlechtes Gewissen Deutschlands ausgelegt würde.

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In einem vertraulichen Schreiben an sämtliche RM und die Rkei vom 2. 11. hatte das AA (Maltzan) mitgeteilt: Die hiesige frz. Botschaft habe mit Schreiben vom 25. 7. dem AA 36 Rechtshilfeersuchen übermittelt, die sich auf 13 angebliche Straftaten dt. Kriegsbeschuldigter bezögen, gegen die vor frz. Militärgerichten Strafverfahren in contumaciam anhängig seien. Es sei das erste Mal, daß von all. Seite derartige Anträge gestellt würden. Sie stützten sich rechtlich auf Art. 230 VV. Die frz. Anträge seien dem Oberreichsanwalt mit dem Ersuchen übermittelt worden, gemäß Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen (vom 18.12.19, RGBl. 2125) auf Grund des mitgeteilten Materials Untersuchungen anzustellen und über das Ergebnis zu berichten. Am 25. 10. habe nun die frz. Botschaft erneut in dringlicher Weise die schleunige Erledigung ihrer Rechtshilfeersuchen verlangt. Mit einer ausweichenden Antwort würden die Franzosen sich nicht begnügen. „Es ist auch zu berücksichtigen, daß eine Ablehnung der Anträge auf Rechtshilfe dem Ausland gegenüber nicht in gleichem Maße moralisch begründet erscheinen würde, wie dies bei der Ablehnung der Auslieferung Deutscher zur Aburteilung vor fremden Militärgerichten der Fall war.“ Das AA empfiehlt folgende Behandlung der Angelegenheit: Der Oberreichsanwalt solle beauftragt werden, wenigstens einige der Fälle möglichst schnell abzuschließen und das Ergebnis in gesonderten Berichten zusammenzufassen. Diese würden der frz. Botschaft zu übergeben sein. Ein solches Verfahren habe den Vorteil, daß die frz. Anträge nicht direkt abgelehnt würden. Die Franzosen könnten nicht ohne weiteres eine Verfehlung feststellen, sondern nur einwenden, daß ihnen die Form der Erledigung ihrer Ersuchen nicht genüge und daß sie authentische Vernehmungsprotokolle wünschten. „Andererseits kann etwaigen Angriffen der deutschen Öffentlichkeit gegenüber mit Recht vertreten werden, daß es sich nicht um Gewährung von Rechtshilfe für die französischen Verfahren, sondern um ein deutsches, auf deutschem Gesetze beruhendes Verfahren handele, das nur im Ergebnis den Franzosen mitgeteilt sei. Dies sei im Grunde nichts anderes als die Zulassung alliierter Vertreter zu den Prozessen vor dem Reichsgericht in Leipzig.“ Das AA beantragt, die Angelegenheit demnächst vor das Kabinett zu bringen. In der Anlage zu diesem Schreiben befindet sich eine Aufzeichnung des AA über die bisherige Entwicklung der Kriegsbeschuldigtenfrage (R 43 I /341 , Bl. 117-119).

Der Reichsminister der Justiz erklärte, daß es unmöglich sei, dem französischen Ersuchen im vollen Umfange zu entsprechen. Es sei äußerst bedenklich, den Franzosen Material zu übermitteln, das als vollgültiges Beweismaterial angesehen werde, obwohl es dieses gar nicht sei. Der Rechtsanspruch Frankreichs auf Grund des Versailler Vertrages stehe nicht ganz eindeutig fest. Er schlage vor, dem französischen Ersuchen nur insofern zu entsprechen, als seitens der deutschen Regierung das Beweismaterial zur Verfügung gestellt werde, das sich bei Durchführung der deutschen Rechtsverfahren ergeben habe.

Der Reichswehrminister wies darauf hin, daß Frankreich bei Durchführung der deutschen Rechtsverfahren alle Rechtshilfeersuchen unerledigt gelassen habe. Erst nachdem mehrere Fälle vor dem Reichsgericht behandelt worden seien, sei Frankreich dazu übergegangen, von sich aus das Kontumazialverfahren einzuführen. Es müsse befürchtet werden, daß wir mit der Übergabe des Beweismaterials dieses Verfahren rechtlich anerkennten.

Der Reichsminister des Auswärtigen erklärte sich mit dem Vorschlage des Reichsministers der Justiz einverstanden.

Das Kabinett beschloß in diesem Sinne.

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