2.77 (ma11p): Nr. 77 Entwurf einer Dritten Steuernotverordnung. [29. Januar 1924]

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[291] Nr. 77
Entwurf einer Dritten Steuernotverordnung. [29. Januar 1924]1

1

Nach einem hschr. Vermerk des Bürodirektors Ostertag vom 29. 1. wurde der Entwurf vom RFMin. „für die heutige Kabinettssitzung“ vorgelegt (s. Dok. Nr. 78, P. 1). Eine Begründung ist nicht beigefügt. Der Entwurf ist am Kopf als „2. Fassung“ bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich aber bereits um die 3. Fassung des Entwurfs einer dritten SteuerNotVO. Zur 1. Fassung s. Dok. Nr. 25, P. I; zur 2. Fassung s. Dok. Nr. 67, P. 3.

Abgedr. werden hier nur Art. I und II, die die Aufwertung regeln. Es ist der letzte Regierungsentwurf der dritten SteuerNotVO, der in den Akten der Rkei ermittelt werden konnte. Vgl. damit den endgültigen Text der VO, die am 14.2.24 erlassen wird (RGBl. I, S. 74 –90). Ausführliche Darstellung bei Netzband u. Widmaier, Währungs- und Finanzpolitik der Ära Luther, S. 188 ff.

R 43 I /2395 , Bl. 20-42 Umdruck

[Aufwertung]

Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 (Reichsgesetzbl. I S. 1179) wird nach Anhörung eines Ausschusses des Reichstags und eines Ausschusses des Reichsrats von der Reichsregierung folgendes verordnet:

Artikel I

Aufwertung.

§ 1

Ansprüche auf Zahlung einer in Reichswährung ausgedrückten Geldsumme, die nicht bis zum 31. Dezember 1923 getilgt sind, werden nach Maßgabe der §§ 2 bis 6 abgewickelt, soweit es sich um eine der nachstehenden Vermögensanlagen handelt:

1.

Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden,

2.

Reallasten, wenn sie die Zahlung von Geld zum Gegenstand haben,

3.

Pfandrechte an im Schiffsregister eingetragenen Schiffen und Bahnpfandrechte,

4.

durch Hypothek, Schiffspfandrecht oder Bahnpfandrecht gesicherte Forderungen,

5.

Ansprüche aus Pfandbriefen der Grundkreditanstalten und Schiffsbeleihungsbanken,

6.

Ansprüche aus anderen Schuldverschreibungen, wenn sie von natürlichen Personen, Personenvereinigungen oder juristischen Personen des Privatrechts ausgegeben sind, mit Ausnahme der im § 41 des Hypothekenbankgesetzes bezeichneten Schuldverschreibungen,

7.

Darlehensansprüche, soweit sie nicht unter Ziffer 4 fallen, wenn das Darlehen von einer natürlichen Person, Personenvereinigung oder juristischen Person des Privatrechts aufgenommen und nicht früher als 6 Monate nach der Hingabe rückzahlbar ist oder gekündigt werden kann.

[292] § 2

(1) Mit Rücksicht auf die Geldentwertung kann ein höherer Betrag als der Nennbetrag nur verlangt werden (Aufwertung):

1.

auf Grund einer Vereinbarung, die bis zum 31. Dezember 1924 bei der Aufwertungsstelle (§ 6) angemeldet ist,

2.

auf Grund einer Entscheidung der Aufwertungsstelle oder auf Grund eines von ihr abgeschlossenen Vergleiches, sofern das Verfahren vom Gläubiger oder Schuldner vor dem 31. Dezember 1924 bei dieser Stelle anhängig gemacht ist.

(2) Ist die Aufwertung durch ein Sondergesetz, durch eine ausdrücklich bei der Begründung des Rechts getroffene Vereinbarung oder durch ein Urteil, das beim Inkrafttreten dieser Verordnung rechtskräftig war, geregelt, so behält es hierbei sein Bewenden.

(3) Rechte, deren Aufwertung nicht mehr verlangt werden kann, erlöschen.

§ 3

(1) Bei Ansprüchen der im § 1 Ziffer 1, 2, 3, 4, 6, 7 bezeichneten Art bestimmt die Aufwertungstelle die Höhe der Aufwertung auf Grund der allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Dabei ist davon auszugehen, daß in der Regel eine Aufwertung auf 10 v. H. des Goldmarkbetrages den Anforderungen von Treu und Glauben entspricht. Eine Aufwertung über 10 v. H. darf nur ausnahmsweise bewilligt werden, wenn dies mit Rücksicht auf die Vermögenslage des Schuldners zur Abwendung einer offenbar groben Unbilligkeit unabwendbar erscheint.

(2) Als Goldmarkbetrag gilt bei Ansprüchen, die der Gläubiger vor dem 1. Januar 1919 erworben hat, der Nennbetrag. Der Goldmarkbetrag von Ansprüchen, die der Gläubiger seit diesem Zeitpunkt erworben hat, wird dadurch festgestellt, daß der Nennbetrag nach dem Mittelkurs der amtlichen Notiz der Berliner Börse für den nordamerikanischen Dollar am Tage des Erwerbes in Goldmark umgerechnet wird; an die Stelle des Nennbetrages tritt der Erwerbspreis, wenn er niedriger ist.

§ 4

(1) Pfandbriefe werden nur aufgewertet, wenn der Gläubiger nachweist, daß er sie seit dem 1. Januar 1919 in Besitz oder auf Grund gesetzlichen Zwanges zur mündelsicheren Anlage erworben hat. Dem gesetzlichen Zwang steht der Zwang durch die Vorschriften der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung einer inländischen Personenvereinigung, Körperschaft oder Vermögensmasse gleich, die ausschließlich gemeinnützigen, mildtätigen, ethischen oder religiösen Zwecken dienen.

(2) Die Aufwertung erfolgt in der Weise, daß die zur vorzugsweisen Befriedigung der Pfandbriefgläubiger dienende und nach Maßgabe dieser Verordnung aufgewertete Deckung nach Abzug eines Beitrages zu den Verwaltungskosten gleichmäßig unter die nach Abs. 1 Berechtigten verteilt wird.

(3) Die Reichsregierung trifft die näheren Bestimmungen über die Art und das Verfahren der Verteilung sowie über einen etwaigen vom Schuldner zu der Teilungsmasse zu leistenden Beitrag. Die Reichsregierung oder die von[293] ihr bestimmte Stelle gibt Grundsätze für die Bemessung des Verwaltungskostenbeitrages.

§ 5

(1) Die Zahlung der aufgewerteten Kapitalbeträge kann nicht vor dem 1. Januar 1925 verlangt werden.

(2) Die aufgewerteten Ansprüche sind bis zum 31. Dezember 1924 unverzinslich. Rückständige Zinsen gelten als mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung erlassen. Vom 1. Januar 1925 ab beträgt der Zinssatz 1%; er erhöht sich in jedem weiteren Jahr um je 1% bis zur Erreichung des vereinbarten Zinssatzes. Abweichende Vereinbarungen sind zulässig.

§ 6

Die Reichsregierung bezeichnet die für die Durchführung des Aufwertungsverfahrens zuständigen Stellen (Aufwertungsstelle) und regelt das Verfahren. Die Aufwertungsstelle erhebt nach Maßgabe der Durchführungsbestimmungen eine Gebühr, die für Ansprüche bis zu 10% tunlichst niedrig zu bemessen ist, für höhere Ansprüche und im Falle eines vor der Aufwertungsstelle nach dem 31. Dezember 1924 geschlossenen Vergleichs mindestens das Doppelte der regelmäßigen Gebühr beträgt und nach dem Wert des Streitgegenstandes zu staffeln ist.

§ 7

In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist das Verfahren auf Antrag auszusetzen, soweit die Entscheidung davon abhängt, in welcher Höhe ein Anspruch der im § 1 bezeichneten Art aufzuwerten ist. Dies gilt nicht, soweit die Verpflichtung zur Aufwertung auf einem der im § 2 Abs. 2 bezeichneten Rechtsgründe beruht. Die Vorschrift des § 302 der Zivilprozeßordnung bleibt unberührt. Der Antrag auf Aussetzung kann vor dem Gerichtsschreiber zum Protokoll erklärt werden, wenn die Klage vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung erhoben ist.

§ 8

(1) Für Ansprüche aus Sparkassenguthaben und Lebensversicherungsverträgen gilt die Vorschrift des § 7 entsprechend.

(2) Die Länder haben Vorsorge zu treffen, daß das aufgewertete Vermögen der Sparkassen durch Übertragung auf eine Stiftung oder in anderer Weise möglichst dem Bevölkerungskreise erhalten bleibt, dem die Gläubiger der Sparkasse vorwiegend angehören.

(3) Bei Lebensversicherungsgesellschaften bestimmt die Reichsregierung oder eine von ihr bezeichnete Stelle, in welcher Weise das aufgewertete Vermögen zu Gunsten der Versicherten oder, falls dies mit Rücksicht auf die Geringfügigkeit des Vermögens nicht angezeigt ist, anderweit zu verwenden ist.

§ 9

Die Reichsregierung bestimmt für dingliche Rechte den Rang des Aufwertungsanspruchs in der Zwangsversteigerung; sie kann über die Abwickelung anderer als der im § 1 bezeichneten Vermögensanlagen Bestimmungen treffen.

[294] Artikel II

Öffentliche Anleihen.

§ 10

(1) Vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung aufgenommene und auf Reichsmark lautende Anleihen des Reichs, der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) werden bis zur Erledigung der Reparationsverpflichtungen nicht verzinst und nicht eingelöst.

(2) Bei der Aufnahme neuer Anleihen kann bestimmt werden, daß sie mit Vorrang vor den im Abs. 1 bezeichneten Anleihen zu verzinsen und zu tilgen sind. Bei Anleihen der Gemeinden (Gemeindeverbände) bedarf die Bestimmung der Zustimmung der Landeszentralbehörden.

(3) Die Reichsregierung kann mit Zustimmung des Reichsrats die für Gemeinden geltenden Vorschriften der Abs. 1, 2 auf die Anleihen anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften für anwendbar erklären.

(4) Die Aufnahme des Zinsen- und Tilgungsdienstes wird durch Reichsgesetz geregelt2.

2

Nach den beigefügten „Berichtigungen zum Entwurf einer Dritten SteuerNotVO“ soll Abs. 4 im § 10 folgende Fassung erhalten: „(4) Im übrigen wird die Behandlung der Anleihen durch Reichsgesetz geregelt.“

[…]

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