1.19.1 (ma12p): Reparationsfragen.

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RTF

Reparationsfragen.

Der Reichsminister der Finanzen begründete die Vorlage1.

1

Als Kabinettsvorlage hatte der RFM am 21. 6. den 24seitigen Entwurf eines „Memorandums“ übersandt (R 43 I /42 , Bl. 204-216). Im Begleitschreiben heißt es: „Das Gutachten der Sachverständigen kann nicht in seiner ursprünglichen Form mit Verbindlichkeit im einzelnen in Wirksamkeit gesetzt werden, sondern muß in verschiedene Teile aufgelöst werden. Ein Teil der Bestimmungen des Gutachtens wird in Gestalt der besonderen Gesetze über die Eisenbahn, Reichsbank und Industrieobligationen übernommen. Ein anderer Teil wird den Gegenstand eines internationalen Paktes zwischen der dt. Reg. und den all. und assoz. Mächten bilden. Alle übrigen Empfehlungen des Gutachtens sollen durch ein Abkommen zwischen der dt. Reg. und der Repko festgelegt werden. Den Entwurf für dieses Abkommen bildet das anliegend übersandte Memorandum.“ Das Memorandum legt fest: I. den Grundsatz, daß die im Sachverständigen-Gutachten festgesetzten Jahresleistungen sämtliche Verpflichtungen Deutschlands gegenüber den Gläubigermächten umfassen; II. die Höhe der Jahresleistungen und die Art ihrer Aufbringung; III. die Berechnung des Wohlstandsindex; IV. die Bestimmung, daß alle Zahlungen in dt. Währung auf das Konto des Reparationsagenten bei der Rbk zu leisten sind; V. die Verwertung der Zahlungen durch das Transferkomitee sowie die Befugnisse des Transferkomitees; VI. die Bestimmung, daß die Verteilung der dt. Zahlungen auf die verschiedenen Gläubiger Sache der Repko ist; VII. die Einzelheiten der Kontrolle der verpfändeten Reichseinnahmen, insbesondere die Befugnisse des hierfür vorgesehenen Kommissars (hierzu eine „Anlage über die Einzahlung und Rückzahlung der verpfändeten Einnahmen“); VIII. die Grundsätze für die Ausführung von Sachlieferungen.

Zu I wies Geheimrat Kastl darauf hin, daß eine Liste aller in Betracht kommenden Einzelverpflichtungen aufgestellt sei2, die jedoch der Gegenseite nicht mitüberreicht werden solle.

2

Als Ergänzung zu P. I des Memorandums (Anm. 1) übersandte der RFM am 23. 6. eine vorläufige Liste, die alle Zahlungs- und Lieferverpflichtungen Deutschlands aufzählt, die in die Jahresleistungen nach dem Sachverständigen-Gutachten einzubeziehen sind (R 43 I /42 , Bl. 217-223).

Der Reichswährungskommissar glaubte, daß die Frage der Bezahlung des Bankkommissars nochmals überprüft werden müsse. Der Bankkommissar sei[733] gleichzeitig Mitglied des Generalrats, und es sei daher zweifelhaft, ob seine Kosten unter die Summe der Jahreszahlungen fallen.

[…]

Zu II warf der Reichsminister der Finanzen die Frage auf, ob es nicht versucht werden solle, den für das 3. und 4. Reparationsjahr vorhergesehenen kleinen Besserungsschein zu beseitigen3. Die augenblickliche Regelung mache eine Erhöhung der indirekten Steuern, soweit sie kontrolliert würden, unmöglich, da jede Mehreinnahme aus diesen Steuern eine Erhöhung der Reparationslast nach sich ziehe. Es entstehe dabei die Frage, ob eine Änderung oder Beseitigung im Rahmen des Memorandums oder außerhalb versucht werden solle.

3

Das bezieht sich auf folgende Bestimmung des Sachverständigen-Gutachtens (S. 25, 77 f.): Wenn die verpfändeten und kontrollierten Reichseinnahmen (Zölle, Abgaben auf Branntwein, Tabak, Bier, Zucker) im 3. Reparationsjahr (1926/27) den Betrag von 1000 Mio GM und im 4. Jahr den Betrag von 1250 Mio GM übersteigen, so sollen die vorgesehenen Zahlungen aus dem Haushalt um ein Drittel dieses Überschusses erhöht werden, jedoch um nicht mehr als 250 Mio GM; wenn dagegen die verpfändeten Einnahmen im 3. Jahr 1000 Mio GM und im 4. Jahr 1250 Mio GM nicht erreichen, so sollen die Zahlungen aus dem Haushalt um ein Drittel dieses Fehlbetrages vermindert werden, jedoch um nicht mehr als 250 Mio GM.

Der Reichsminister des Auswärtigen wünschte die Frage im Memorandum nicht angeschnitten zu sehen. Notwendig sei aber, daß vor Abschluß der zu treffenden Abkommen auf diese Notwendigkeit hingewiesen werde und man versuche, von der Gegenseite eine Erklärung dahingehend zu bekommen, daß sie im gegebenen Augenblick auf die Auswirkung des Besserungsscheins verzichte.

Das Kabinett erklärte sich mit den Ausführungen des Reichsministers des Auswärtigen einverstanden.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß die Öffentlichkeit von der Regierung verlangen werde, sie solle noch einen Versuch machen, die Belastung des Reichshaushalts herabzusetzen. Obwohl die Frage von großer innerpolitischer Bedeutung sei, möchte er einen entsprechenden Schritt nicht nachdrücklich empfehlen.

Der Reichsminister des Auswärtigen glaubte ebenfalls, einen derartigen Schritt nicht für zweckmäßig halten zu sollen.

Das Kabinett schloß sich dieser Auffassung an.

Der Reichsminister der Finanzen äußerte weiter Bedenken bezüglich der Bestimmungen über die Bürgschaft des Reichs gegenüber der Eisenbahn4. Es bestehe die Gefahr, daß unter ausländischem Einfluß die Eisenbahn eine Politik treibe, die darauf gerichtet sei, keine Reparationsleistungen zu zahlen. Die gesamte Summe von 660 Millionen5 falle dann auf den Reichshaushalt. Es müsse die Frage aufgeworfen werden, ob das Reich für diesen Fall nicht die Rückgabe der Eisenbahn verlangen sollte.

4

Das Sachverständigen-Gutachten (S. 29) sieht vor, daß die RReg. die Garantie für den Dienst der RB-Obligationen übernimmt.

5

Betrag, der nach dem Sachverständigen-Gutachten vom 4. Reparationsjahr ab für Verzinsung und Tilgung der RB-Obligationen auf Reparationskonto zu zahlen ist.

[734] Staatssekretär Vogt regte an, die für den Trustee vorgesehene Kann-Vorschrift in eine Muß-Vorschrift abzuändern.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte dies für sehr gefährlich; die Lage des Reichshaushalts werde dadurch noch schwieriger.

Die Anregung Vogts wurde abgelehnt. Von den Bedenken des Reichsministers der Finanzen nahm das Kabinett ohne Stellungnahme Kenntnis.

[…]

Bezüglich des Kommissars für die kontrollierten Einnahmen führte der Reichsminister der Finanzen aus, daß das Gutachten die Regelung der Kontrolle im einzelnen ganz offen lasse, sondern nur in ganz allgemeinen Ausdrücken eine weitgehende Kontrollmöglichkeit vorsehe6. Er habe versucht, durch Aufführung einzelner Befugnisse die Rechte des Kommissars abzugrenzen, wobei gewisse Stufen entsprechend dem Funktionieren der Zahlungen vorgesehen seien7. Nicht zu vermeiden gewesen sei dabei die lange Aufzählung der einzelnen Befugnisse, wodurch die Kontrolle der Einnahmen für die Öffentlichkeit ein schrecklicheres Aussehen bekomme, als es in Wirklichkeit der Fall wäre. Tatsächlich bliebe nämlich das vorgeschlagene Kontrollrecht des Kommissars weit hinter dem zurück, was in dem Sachverständigen-Gutachten – mit allerdings nur wenigen Worten – gefordert sei. Es entstehe daher die Frage, ob man die Einzelheiten der Kontrollberechtigung in das Memorandum aufnehmen solle oder zweckmäßigerweise in eine Anlage verweise.

6

S. Sachverständigen-Gutachten, S. 77 ff.: „Vorschläge für die Kontrolle der als Sicherheit dienenden Einnahmen.“

7

In P. VII des Memorandums (Anm. 1) sind die Kontrollbefugnisse des Kommissars für die verpfändeten Haushaltseinnahmen etwa folgendermaßen festgelegt: Solange die verpfändeten Einnahmen zur Deckung der Reparationsverpflichtungen aus dem Haushalt ausreichen, hat der Kommissar lediglich ein Informationsrecht; er erhält die regelmäßigen Nachweisungen über die Eingänge in den verpfändeten Einnahmezweigen, außerdem teilt ihm die RReg. alle einschlägigen Gesetzentwürfe und Verordnungen mit. Sobald das Aufkommen aus den kontrollierten Einnahmen innerhalb eines Vierteljahres um mehr als 10% hinter der jeweils fälligen Zahlungsverpflichtung zurückbleibt, erhält der Kommissar das Recht, den Ursachen des Einnahmerückgangs nachzuforschen und dem RFM Gegenmaßnahmen vorzuschlagen. Lehnt der RFM die Vorschläge des Kommissars ab, erhält der Kommissar die Befugnis, eine verschärfte Verwaltungskontrolle einzurichten. Wenn die Kontrolle ein Jahr lang bestanden hat und es nicht gelungen ist, die Deckung der fälligen Zahlungen sicherzustellen, kann der Kommissar die Repko anrufen.

Der Reichsminister des Auswärtigen hielt die Aufführung der Kontrollrechte in dem doch sicher zu veröffentlichenden Memorandum innenpolitisch für unmöglich und empfahl die Verweisung in eine Anlage.

Der Reichswirtschaftsminister war ebenfalls dieser Auffassung und warf darüber hinaus noch die Frage auf, ob man nicht bei mündlichen Verhandlungen alle diese Peinlichkeiten vermeiden könne.

Der Reichswährungskommissar hielt es ebenfalls für zweckmäßig, die Einzelfragen der Kontrolle ganz offen zu lassen. Es entspreche dies auch dem Geist des Gutachtens, und er sei überzeugt, daß die Gegenseite auf diese Einzelheiten gar keinen Wert lege.

Geheimrat Ernst führte aus, das Reichsfinanzministerium sei davon ausgegangen, daß der Kommissar die Möglichkeit habe, sich mit einem Stabe von[735] Unterkommissaren zu umgeben und es erfahrungsgemäß notwendig sei, diese Persönlichkeiten zu beschäftigen. Der Zweck der Einzelaufführung der Befugnisse sei außerdem gewesen, die Kontrolle des Kommissars auf das Reichsfinanzministerium als solches zu beschränken.

Geheimrat Kastl wies darauf hin, daß nach dem Gutachten die Einzelheiten der Kontrolle festgesetzt werden sollen durch Mitglieder der interessierten Staaten8. Es sei zu beachten, daß noch nicht feststehe, ob Deutschland zu diesen interessierten Staaten gehöre. Es könne sich dabei die Möglichkeit ergeben, daß Deutschland letzten Endes vor einem Diktat der Gegenseite stehe und nur die Wahl zwischen Annehmen und Ablehnen habe. Dies sei für das ganze Gutachten äußerst gefährlich. Außerdem werde dann ein Gesetz dafür notwendig sein, und dieses Gesetz müsse inhaltlich noch vor Annahme des Sachverständigen-Gutachtens festgelegt sein.

8

S. Sachverständigen-Gutachten, S. 80 f.

Der Reichsminister der Finanzen hielt die letzteren Ausführungen an sich für richtig, glaubte aber doch, die geäußerten psychologischen Bedenken für so groß halten zu sollen, daß die gegenwärtige Form der Vorlage kaum zu verantworten sei. Er empfehle, lediglich eine Bestimmung dahingehend aufzunehmen, daß die Art der Kontrolle und die Voraussetzungen für eine Verschärfung durch ein besonderes Abkommen geregelt werden solle. Dabei sei möglich, daß dieses Abkommen auch erst nach der Annahme des Sachverständigen-Gutachtens zustande käme.

Das Kabinett war mit diesem Vorschlag einverstanden.

Das gesamte Memorandum wurde mit den beschlossenen Änderungen, vorbehaltlich einer nochmaligen Nachprüfung durch das Reichsfinanzministerium im Benehmen mit den zuständigen Ressorts und dem Reichsbankpräsidenten bezüglich einiger aufgeworfener Zweifelsfälle, gebilligt9.

9

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 247, P. 5.

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