2.113.1 (ma31p): Die am heutigen Tage durch die Abstimmungen im sozialpolitischen Ausschuß und im Haushaltsausschuß entstandene Lage.

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Die am heutigen Tage durch die Abstimmungen im sozialpolitischen Ausschuß und im Haushaltsausschuß entstandene Lage.

Der Reichskanzler berichtete über die Lage.

1. Im Sozialpolitischen Ausschuß haben sich bei der Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Krisenfürsorge für Erwerbslose1 die Sozialdemokraten und Deutschnationalen einem Antrage der Kommunistischen Partei angeschlossen und damit die Regierung in die Minderheit gebracht. Der Antrag ist für die Regierung gänzlich unannehmbar. Die Abstimmung der Sozialdemokraten und Deutschnationalen erfolgte offensichtlich nicht aus sachlichen, sondern aus taktischen Gründen2.

1

Nachdem die RReg. dem „Entwurf eines Gesetzes über eine Krisenfürsorge für Erwerbslose“ im schriftlichen Umlaufverfahren zugestimmt hatte (R 43 I /2032 , Bl. 189–193; vgl. Dok. Nr. 104, Anm. 1), war der GesEntw. am 6. 11. dem RR vorgelegt (RR-Drucks. 1926, Nr. 172) und danach auch dem Sozialpolitischen Ausschuß des RT zur Vorberatung zugeleitet worden.

2

Vgl. hierzu Politisches Jahrbuch 1926, S. 264 f.

Hierdurch ist eine Weiterberatung im Sozialpolitischen Ausschuß unmöglich geworden.

2. Im Haushaltsausschuß hat sich bei der Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den ersten Nachtrag zum Haushalt 1926 beim Punkt „Personaletat des Reichsverkehrsministeriums“ ein Teil der Regierungsparteien (Zentrum und Demokraten) von der Regierungsvorlage entfernt3. Daraufhin haben sich Sozialdemokraten und Deutschnationale, die ursprünglich für die Regierungsvorlage stimmen wollten, den ablehnenden Regierungsparteien angeschlossen. Da eine sachliche Weiterarbeit nicht möglich war, hat sich der Haushaltsausschuß gleichfalls vertagt.

3

Zur Haltung des Zentrums in dieser Frage siehe Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 67 und 69.

Die beiden akuten Fälle sollen durch Besprechungen des Reichskanzlers unter Zuziehung der Ressortminister mit den Parteiführern ausgeglichen werden4.

4

Die anschließende Besprechung, an der der RK, der RArbM, der RVM sowie Vertreter der Regierungsparteien teilnahmen, hatte folgendes Ergebnis: „I. Wegen der im Sozialpolitischen Ausschuß entstandenen Lage soll der Vorsitzende des Sozialpolitischen Ausschusses Abgeordneter Esser namens der Regierungsparteien mit den Sozialdemokraten in Verbindung treten und nach Möglichkeit eine Verständigung vereinbaren. II. Die Aussprache über die Haltung der Zentrumspartei und der Demokratischen Partei im Haushaltsausschuß konnte nicht zu dem Ergebnis geführt werden, daß die Zentrumspartei für die Regierungsvorlage gewonnen wurde. Die Demokraten waren bereit, für den Etat zu stimmen. Abgeordneter von Guérard berief sich auf eine Besprechung im Interfraktionellen Ausschuß, in der sämtliche Regierungsparteien sich bereits dahin geeinigt hätten, die Regierungsvorlage abzulehnen. Der Reichskanzler erklärte, daß er unter diesen Umständen die Lage zunächst mit dem Kabinett beraten müsse“. (Vermerk des MinR Vogels in R 43 I /1416 , Bl. 211).

[319] In der eingehenden Debatte kam einmütig zum Ausdruck, daß beide Fälle über ihre spezielle Bedeutung hinaus die Regierung zu einer grundsätzlichen Stellungnahme über die Zukunftspolitik nötigen. Das Für und Wider sowie die Möglichkeiten einer Verbreiterung der Regierungskoalition durch Beteiligung entweder der Deutschnationalen oder der Sozialdemokraten an der Regierung wurde eingehend beraten. Es wurde auch ferner erwogen, ob nicht eine Auflösung des Reichstages ins Auge zu fassen sei.

Man einigte sich dahin, daß der Reichskanzler alsbald mit dem Führer der Sozialdemokratie, Hermann Müller (Franken) Fühlung nehmen solle, um zu versuchen, mit den Sozialdemokraten zu einer Verständigung über einen Modus vivendi zu kommen5.

5

Siehe hierzu den Bericht des RK in der Ministerbesprechung vom 11. 11. (Dok. Nr. 114, P. 5).

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