2.16 (mu21p): Nr. 16 Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes an den Reichskanzler. 10. August 1928

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Text

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[65] Nr. 16
Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes an den Reichskanzler. 10. August 19281

1

Über dem Text handschriftl.: „Eingeg. 10/8. 7.30 Uhr Abds. nach Erledigung in der Kab.Stzg.“

R 43 I /2033 , Bl. 243 f.

[Betrifft: Krisenfürsorge.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Die Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter im Unterausschuß des Verwaltungsrates der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat gezeigt, daß die Gewerkschaften keineswegs von dem vom Herrn Reichsarbeitsminister vorgelegten Entwurf einer Verordnung über die Krisenfürsorge befriedigt sind2. Abgesehen von der zu vermissenden Neuregelung der für die Prüfung der Bedürftigkeit anzuwendenden Grundsätze und der ungenügenden Ausdehnung des Personenkreises beklagen die Gewerkschaften, daß die Reichsregierung sich nicht entschließen konnte, die Höchstdauer für den Bezug der Krisenunterstützung generell auf 39 Wochen und in Ausnahmefällen wie bisher über die generelle Frist hinaus zu verlängern. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschafts-Bund hatte diese Forderung nach gewissenhaftester Prüfung aller Verhältnisse gestellt.

2

S. Dok. Nr. 14, P. 3. Die Verordnung sollte der Durchführung des Kabinettsentscheids vom 23. 7. dienen (VO-Entw. in Anlage des Schreibens des RArbM an den RR vom 27.7.28; Umdruck in R 43 I /2033 , Bl. 232-238, hier: Bl. 238). Darin hatte der RArbM festgelegt, zur Krisenunterstützung seien Personen zuzulassen, die in Gärtnereien, in der Glasindustrie, in der Metall- und Maschinenindustrie, in der Lederindustrie, im Holzgewerbe, im Bekleidungsgewerbe und als Bühnenmitglieder tätig seien, sowie ungelernte Arbeiter, die seit Jahren in solchen Betrieben beschäftigt seien, außerdem Angestellte. Außen- und Gelegenheitsarbeiter seien von der Krisenunterstützung ausgeschlossen. Die Zulassung weiterer Berufsgruppen für das Reichsgebiet oder einzelne Notstandsgebiete behalte sich der RArbM vor. Die Vorsitzenden der Landesarbeitsämter seien zur Erweiterung des Personenkreises für die Krisenunterstützung ermächtigt, wo offensichtliche Ungleichheiten eine Abrundung erforderlich machen; wo das Bedürfnis bestehe, Angehörige des Spinnstoffgewerbes aufzunehmen; in Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern, in denen durch außergewöhnliche Umstände ein langanhaltender Notstand herrsche. Die Erweiterung des Personenkreises sei auf drei Monate zu befristen. Wo es die Arbeitsmarktlage entbehrlich mache, seien die Krisenunterstützungen für die genannten Berufsgruppen einzuschränken oder auszuschließen. In der Frage der Dauer der Krisenunterstützung hatte sich der RArbM an die Kabinettsentscheidung v. 23.7.1928 gehalten (Veröffentlichung des Erlasses im RArbBlatt 1928 I, S. 223 f.).

Inzwischen hat der Reichsrat einen Kompromißvorschlag gemacht, wonach der Herr Reichsarbeitsminister zulassen kann, daß für besonders arbeitsmarktgefährdete Bezirke auf Antrag der Präsidenten der Landesarbeitsämter eine generelle Verlängerung und Unterstützungsperiode für Krisenunterstützte eintreten kann. Leider ist uns im Augenblick der genaue Wortlaut des Reichsratsvorschlages noch nicht bekannt. Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes könnte sich mit einer derartigen Teilregelung nur dann[66] einverstanden erklären, wenn Gewißheit bestände, daß auch Anträgen der Landesarbeitsämter auf Verlängerung der Unterstützungsperiode großzügig entgegengekommen würde und wenn die jetzt zu treffende Regelung nur bis zum Wiederzusammentritt des Reichstages befristet würde, um diesem erneut Gelegenheit zu geben, zur Frage Stellung zu nehmen3.

3

Auf das Schreiben des ADGB legte der RArbM am 17. 8. einen Antwortentwurf für den RK vor: Die RReg. habe sich bemüht, den Arbeitnehmern entgegenzukommen, sie müsse aber die Arbeitsmarktlage berücksichtigen. Nach den Richtlinien seien zur Zeit acht Berufsgruppen zur Krisenunterstützung zugelassen, dazu auch im gewissen Umfang un- und angelernte Fabrikarbeiter. Wegen der besonderen Verhältnisse der Textilindustrie hätten die Landesarbeitsämter Vollmacht erhalten, Krisenunterstützung zuzulassen. Über den Kompromißvorschlag des RR habe das RKab. noch nicht beraten. Um die Bedürftigkeitsvorschriften ändern zu können, sei noch „die Stimme der Praxis zu hören“. „Es bedarf keines Hinweises, daß die RReg. die Entwicklung der Arbeitsmarktlage mit aller Sorgfalt verfolgt und einer weiteren Verschlechterung der Lage durch weitere Ausgestaltung der Unterstützungsmaßnahmen Rechnung tragen wird“ (R 43 I /2033 , Bl. 253 f.). – Eine Ausfertigung der Rkei zu diesem Schreiben wurde nicht ermittelt. Doch ist diese Antwort evtl. mündlich erteilt worden. Nach einem Vermerk Feßlers vom 17. 8. fand am gleichen Tag beim RK eine Besprechung mit Vertretern des RArbMin. und Gewerkschaftlern statt. Die Gewerkschaftsvertreter forderten, daß alsbald eine generelle Ausdehnung der Krisenfürsorge ohne Zwischenlösung erfolge. „Sie hielten es für politisch richtiger, wenn nach 3–4 Wochen die endgültige Lösung käme, als wenn durch die vom RArbMin. in der Kabinettsvorlage vorgeschlagenen Maßnahmen die starke Unzufriedenheit draußen nicht behoben und die Kritik gegebenenfalls noch verstärkt würde“ (R 43 I /2033 , Bl. 256). Im RArbMin. fand gleichfalls am 17. 8. eine Besprechung mit den Ressorts über die Krisenunterstützung statt. Es wurde vereinbart, die Entscheidung der Ressorts bis zum 21.8.28 mitzuteilen. „Wenn Zustimmung erfolgt, wird das Reichsarbeitsministerium ohne Verhandlung im Kabinett die vorgesehene Regelung treffen, andernfalls wird die Beratung im Kabinett erforderlich sein“ (Vermerk Feßlers vom 20. 8.; R 43 I /2033 , Bl. 257).

Ergebenst

Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes

Leipart

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