1.140 (mu22p): Nr. 396 Das Bayerische Staatsministerium des Äußeren an den Reichskanzler. München, 19. Dezember 1929

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Nr. 396
Das Bayerische Staatsministerium des Äußeren an den Reichskanzler. München, 19. Dezember 1929

R 43 I /1033 , Bl. 80-84, hier: Bl. 80-84

Betreff: Finanzprogramm.

Die Reichsregierung hat dem Reichstag ein Finanzprogramm vorgelegt, das u. a. eine Senkung der Einkommensteuer, der Vermögensteuer, der Realsteuern sowie einiger anderer Steuern, die Aufhebung der Zuckersteuer und dagegen andererseits eine Erhöhung der Biersteuer und der Tabaksteuer vorsieht. Bestandteil dieses Programmes ist weiter eine einschneidende Änderung des Finanzausgleichs, eine Verstärkung der Aufsicht über die Finanzgebarung der Gemeinden, die Vorlage eines Gesetzes über die zwischen Reich und Ländern schwebenden Entschädigungs- und Aufwertungsansprüche und endlich die Heraufsetzung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung. Für dieses ganze Programm hat die Reichsregierung die grundsätzliche Zustimmung des Reichstags erbeten1. Die zur Verwirklichung der Maßnahmen des sogen. Sofort-Programms – Erhöhung der Tabaksteuer und der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung[1295] – erforderlichen Gesetzesvorlagen sollen aus der Mitte des Reichstags eingebracht werden2.

1

Siehe die Regierungserklärung des RK vom 12.12.29 in RT-Bd. 426, S. 3535  ff.

2

Siehe die RT-Drucks. Nr. 1506 und 1507, Bd. 438 , die von den Koalitionsparteien mit Ausnahme der BVP eingebracht worden waren.

Auf den sachlichen Inhalt des Programms will ich heute nicht eingehen; namens der Bayerischen Staatsregierung muß ich aber mit allem Nachdruck schärfste Verwahrung einlegen gegen den Weg, den die Reichsregierung gewählt hat, und ihr Finanzprogramm durchzuführen.

Das Programm berührt in allen seinen Teilen wichtige Lebensinteressen der Länder; einige der Vorlagen sind von entscheidender Bedeutung für ihre Lebensfähigkeit. Trotzdem hat es die Reichsregierung unterlassen, dem Reichsrat die Möglichkeit zu der ihm nach der Verfassung zustehenden Einwirkung auf die Gestaltung dieses Gesetzgebungswerkes zu eröffnen und hat es entgegen einer ausdrücklichen Zusage auch unterlassen, nochmals in eine Besprechung dieses Programms mit den Ländern einzutreten. Dieses Verfahren steht mit Sinn und Zweck der Verfassungsbestimmungen über die Mitwirkung des Reichsrates bei der Gesetzgebung in schroffem Widerspruch. Die Ausführungen in dem Schreiben des Herrn Reichsministers der Finanzen vom 13.12.19293 […] vermögen die Bayerische Regierung nicht davon überzeugen, daß es der Reichsregierung nicht möglich gewesen wäre, den Ländern vor der Bekanntgabe des Reformprogramms im Reichstag die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben.

3

Siehe Dok. Nr. 382.

Es liegt auf der Hand, daß die in Art. 68 der RV vorgesehene Gesetzesinitiative des Reichstags diesem die Möglichkeit geben soll, den aus den Anträgen seiner Mitglieder und seinen Beratungen erwachsenden Willensakten ohne Mitwirkung der Reichsregierung gesetzmäßige Form und gesetzliche Geltung zu verschaffen. Diese Bestimmung der Verfassung darf also nicht dazu mißbraucht werden, bei der Beschlußfassung über Gesetzesvorlagen, deren sachlicher Inhalt nicht auf den Willen des Reichstags, sondern auf den Willen der Reichsregierung zurückgeht, auf dem Wege der Initiativgesetzgebung die verfassungsmäßige Mitwirkung des Reichsrates auszuschalten. So sind die Dinge aber gelagert bei den beiden Vorlagen des Sofort-Programms; hier hat die Reichsregierung dem Reichstag vorgeschlagen, was die beiden Gesetze enthalten sollen; sie hat sich darüber ausgesprochen, um welchen Hundertsatz die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen sind, sie hat auch bestimmt, welche Arten von Tabak und in welchem Maße diese einer erhöhten Besteuerung unterliegen soll. Den Koalitionsparteien blieb nur übrig, wohl im engen Benehmen mit der Reichsregierung diese Vorschläge in die Firma eines Initiativantrages zu kleiden. Das bedeutet vielleicht nicht der äußeren Erscheinung nach, sachlich aber ohne allen Zweifel eine Verletzung der dem Reichsrat zustehenden Rechte auf dem Gebiet der Reichsgesetzgebung. Die gebotene Eile des Vorgehens ist kein stichhaltiger Grund für das eingeschlagene Verfahren, denn der Reichsrat hat sich, wenn eine innere Notwendigkeit hierfür bestand, zu einer beschleunigten Beschlußfassung stets bereitfinden lassen.

[1296] Die Behandlung der Vorlage des Sofort-Programms ist aber in diesem Fall nicht die einzige Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte des Reichsrats. Auch der Inhalt der für später vorgesehenen Vorlagen, für die anscheinend der normale Weg der Einbringung durch die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrates gewählt werden soll, ist in dem Programm, das die Reichsregierung dem Reichstag mitgeteilt hat, in allen wichtigen Punkten genau und im einzelnen festgelegt. Damit, daß die Reichsregierung für dieses Programm ohne vorheriges Benehmen mit dem Reichsrat die grundsätzliche Zustimmung des Reichstages erbeten hat, hat sie den Reichsrat praktisch auch bei der Gestaltung dieser späteren Vorlagen ausgeschaltet. Heute liegen freilich noch keine formellen Gesetzentwürfe vor.

Durch die Art und Weise, wie sich die Reichsregierung der Billigung der Grundzüge ihres Reformprogramms durch den Reichstag versichert hat, wird aber der Einflußnahme der Länder auf die Gestaltung der für ihr finanzielles Weiterleben entscheidenden Gesetzesvorlage in einer gegen den Grundgedanken des Art. 69 der Reichsverfassung verstoßenden Weise vorgegriffen4. Dies bedeutet in der Wirkung unbestreitbar eine Umgehung der Reichsverfassung und damit ein Verfahren, das nicht vereinbar ist mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, die in einem Rechtsstaat auch das öffentliche Leben beherrschen müssen.

4

Der Artikel enthielt die Bestimmung, daß Gesetzesvorlagen der Zustimmung des RR bedürften. Seine abweichende Meinung sei gegebenenfalls von der RReg. dem RT vorzutragen.

Aus diesen Gründen legt die Bayerische Regierung gegen das Verfahren der Reichsregierung ernste und nachdrückliche Verwahrung ein. Sie weiß sich dabei eins mit anderen deutschen Ländern, die wie sie bestrebt sind, mit der Reichsregierung loyal zusammenzuarbeiten zum Besten des Reiches, die aber auch verlangen können und verlangen müssen, daß die Reichsregierung ihre Rechte nicht nur nach dem Buchstaben der Verfassung, sondern nach ihrem Geiste achtet und ihnen damit auch die Möglichkeit zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit eröffnet5.

5

Der bayer. Gesandte v. Preger brachte die Initiativgesetze in der RR-Sitzung vom 22.12.29 zur Sprache. Der RR beschloß eine Deputation an den RK zu entsenden, um seinen Wunsch auf ausreichende Benachrichtigung und Berücksichtigung vorzutragen (Mitteilung von StS Zweigert am 23.12.29; R 43 I /1033 , Bl. 91, hier: Bl. 91). Da sich Preußen an dieser Deputation nicht beteiligen wollte, kam es schließlich zu einer schriftlichen Regelung (Material in R 43 I /1033 ).

Dr. Held

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