1.162 (mu22p): Nr. 418 Aufzeichnung Staatssekretär Pünders über die internationale Beurteilung des Reichsbankpräsidenten. Den Haag, 16. Januar 1930

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Nr. 418
Aufzeichnung Staatssekretär Pünders über die internationale Beurteilung des Reichsbankpräsidenten. Den Haag, 16. Januar 19301

1

Die Aufzeichnung war für den RK und den RAM bestimmt.

R 43 I /300 , Bl. 179-182, hier: Bl. 179-182

Nachstehend einige Notizen über Vorkommisse, deren Weitergabe auch auf dem Wege der geheimen Telegramme, wegen ihrer Intimität einstweilen nicht ratsam erscheint.

Vor der gestrigen 5-Uhr-Sitzung der 6 einladenden Mächte wurde bei Minister Curtius im Auftrage des Ministerpräsidenten Tardieu angerufen, ob es ihm möglich sei, mit ihm alsbald eine vertrauliche Aussprache zu haben. Als Minister Curtius bei Tardieu eintraf, fand er dort außer diesem die Herren Parker Gilbert und Moreau. Das Gesprächsthema war die Einstellung Schachts und das sich daraus etwa ergebende Verhalten der Reichsregierung. Die drei anderen Herren waren übereinstimmend der Auffassung, daß angesichts der Unberechenbarkeit Schachts die Aufnahme einer gesetzlichen Bestimmung über die Verpflichtung der Reichsbank zur Mitarbeit nicht genüge; vielmehr müsse außerdem noch ganz klar und einwandfrei festgestellt werden, daß nach Inkraftsetzung des Young-Plans die Reichsbank nun auch wirklich ihre Einlagen zahle. Reichsminister Curtius erwiderte, daß er anheimgebe, daß der Vorsitzende des Bankkomitees Reynolds in der nächsten Sitzung dem Präsidenten Schacht doch einfach diese Frage vorlegen möchte. Persönlich habe er absolut keinen Zweifel, daß die Reichsbank und ihr Präsident nach gesetzlicher Festlegung ihrer Verpflichtung zur Mitarbeit hinsichtlich keines Einzelpunktes[1376] irgendwelche Schwierigkeiten machen werden. Namentlich Moreau war es dann aber, der doch noch immer dahin drängte, daß auch noch vom Präsidenten Schacht in irgendeiner Weise eine ergänzende offizielle Erklärung abgegeben werden müsse. Als im Lauf der Unterhaltung Minister Curtius einmal einfließen ließ, daß trotz allem nach seiner Meinung das Ansehen Schachts in der internationalen Bankwelt, und namentlich in Amerika, doch noch groß sei, wurde ihm insbesondere von Parker Gilbert mit Heftigkeit widersprochen. Parker Gilbert (der bekanntlich einer der intimsten Vertrauensleute und voraussichtlich künftiger Teilhaber von Morgan ist), sagte geradezu, daß Schacht nach den letzten Vorkommnissen gerade bei der amerikanischen Bankwelt völlig unten durch sei2.

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Am 16. 1. forderte der frz. MinPräs. Tardieu in einem Interview mit dem „Vorwärts“-Redakteur Viktor Schiff, das Reich solle stärker gegen Schacht vorgehen, der von Frankreich als Saboteur betrachtet werde. Daraufhin sagte Schiff: „Sie dürfen nicht vergessen, daß Schacht die amerikanische Hochfinanz hinter sich hat.“ Tardieu: „Ich weiß, daß Schacht diese Version durch seine Freunde verbreiten läßt. Ich kann Ihnen aber auf das bestimmteste sagen, daß dies absolut unwahr ist.“ Schiff: „Es ist doch nicht aus der Welt zu schaffen, daß Morgan ihm zu seinem Memorandum bereits gratuliert hatte.“ Tardieu: „Sind Sie dessen sicher, was Sie hier behaupten?“ Schiff: „So ziemlich. Es ist übrigens in der englischen Presse gedruckt und nicht dementiert worden.“ Tardieu: „Nun, ich kann Ihnen mit Sicherheit erklären, daß das Gegenteil der Fall ist. Aus meiner gestrigen Unterredung mit Reynolds und Parker Gilbert weiß ich, daß im Gegenteil die amerikanische Finanz einschließlich von Morgan auf das schärfste gegen Schacht Stellung nimmt und daß die amerikanischen Finanziers es sogar sind, die uns hier scharf machen, damit wir uns hier nicht mit der jetzigen Lösung zufrieden geben.“ Schiff: „Vielleicht treibt die amerikanische Finanz in diesem Punkt ein doppeltes Spiel.“ Tardieu: „Das glaube ich nicht und zwar aus einem Grunde, den ich Ihnen jetzt unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit mitteilen will. Vorhin hat mir Herr Reynolds ein Telegramm der amerikanischen Regierung vorgelegt, in dem es heißt, daß die Washingtoner Regierung sich vom ganzen Young-Plan lossagen würde, wenn den Quertreibereien von Schacht nicht definitiv ein Ende bereitet werde“ (R 43 I /480 , Bl. 48-50, hier: Bl. 48-50).

Das obige Thema wurde dann gelegentlich der deutsch-französischen Abendveranstaltung zwischen den beiderseitigen Delegationsführern nochmals besprochen. Tardieu, in diesem Punkt von vornherein ruhiger als sein Bankpräsident Moreau, schien gleichfalls die Lösung am einfachsten darin zu liegen, daß im Bankkomitee der Vorsitzende Reynolds die Frage der künftigen aktiven Teilnahme der Reichsbank in allen Einzelstadien durch Fragestellung einwandfrei klären sollte.

Beide Herren kamen dahin überein, daß sie das Thema heute 9 Uhr vormittags unter vier Augen weiterbesprechen wollten.

Diese Besprechung hat denn auch heute früh stattgefunden, jedoch bemerkenswerterweise, ohne daß Tardieu auf diesen Personalpunkt zurückkam. Die Erörterung drehte sich vielmehr gleich um das deutsch-französische Mobilisierungsabkommen3. Diese und die dann im Laufe des heutigen Tages sich anschließenden Besprechungen über dieses Thema ließen den Schluß zu, daß Tardieu inzwischen nicht nur sich, sondern auch die anderen Teilhaber an der ersten Besprechung beruhigt hatte. Reichsminister Curtius stieß bei Tardieu heute früh im Vorbeigehen auf Reynolds, mit dem zuvor schon Tardieu gesprochen hatte. Man wird annehmen können, daß sie sich dahin verständigt haben,[1377] soweit überhaupt noch erforderlich, die Frage der völligen Sicherung der Beteiligung der Reichsbank in allen Stadien durch unmittelbare Aussprache im Bankkomitee zu erledigen.

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Siehe Dok. Nr. 419.

Wie ernst im übrigen der Fall Schacht für die ganze Konferenz gewesen ist, zeigt folgendes: wir waren heute Mittag Gäste der italienischen Delegation. Hierbei erzählte Pirelli Herrn Reichsminister Curtius, daß unmittelbar nach dem bekannten Eklat im Bankkomitee auf Betreiben Parker Gilberts eine intime Besprechung der Gläubigermächte stattgefunden habe. Hierbei wäre allen Ernstes die Frage erörtert worden, ob nicht der deutschen Delegation sofort mitgeteilt werden solle, daß die Haager Konferenz abgebrochen werde und nunmehr der Dawes-Plan im vollen Umfang zu gelten habe. Parker Gilbert hätte sich – übrigens unter begleitenden heftigen Äußerungen über Präsident Schacht – sehr scharf hierfür ausgesprochen. Die Gefahr sei dann aber durch das schnelle Eingreifen der deutschen Delegation beseitigt worden.

Pünder

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