2.97.2 (str1p): b) Lage in Bayern.

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b) Lage in Bayern17.

17

Zur bisherigen Entwicklung s. zuletzt Dok. Nr. 94; vgl. ferner Anhang Nr. 1 sowie die Lagebeurteilung in Dok. Nr. 98.

Der Herr Reichskanzler erörtert die Gründe, die Bayern veranlaßt hätten, den Ausnahmezustand zu verhängen18. Er geht ferner auf die Rechtslage und[423] das Verhältnis des Reichsausnahmezustands zum bayerischen Ausnahmezustand ein19. Er bemerkt, daß er entschlossen sei, bayerische Angriffe auf die Reichsregierung zurückzuweisen. Er bitte den Herrn Reichswehrminister Befehl zu geben, daß der „Völkische Beobachter“ am Erscheinen unbedingt verhindert werde20.

18

Nach der Verkündung der Beendigung des passiven Widerstandes seien von Hitler Massenversammlungen angekündigt worden, hatte StS von Haniel der Rkei am 26.9.23 berichtet und weiter ausgeführt, die Rolle Ludendorffs, in dem die Kreise um Kronprinz Rupprecht die größte Gefahr sähen, sei unklar. Die bayer. Reg. sei unruhig. „Man fürchtet, daß die Reichsregierung trotz festester Vorsätze, ebenso wie sie ihren anfänglichen Entschluß des verstärkten Widerstandes hätte aufgeben müssen, auch weiterhin aus einer Position in die andere gedrängt werden würde, daß insbesondere trotz alles Festhaltens der nationalen und territorialen Ziele sie nicht würde verhindern können, daß unter dem wachsenden französischen Einfluß in dem sich selbst überlassenen Rheinlande die Rheinische Republik ausgerufen würde und daß eine solche Entwicklung den separatistischen Bestrebungen in Bayern den letzten Anstoß geben und Württemberg sowie Baden alsdann mitreißen würde“ (R 43 I /2233 , Bl. 339).

19

Vgl. Dok. Nr. 83, P. b; Dok. Nr. 94 mit Anm. 5.

20

S. dazu Dok. Nr. 94 mit Anm. 2.

Der Reichsminister der Justiz führte aus, daß man das Verbot der Handhabung des Reichsgesetzes zum Schutze der Republik durch den Generalstaatskommissar in Bayern nicht unwidersprochen hinnehmen könne21. In dieser Hinsicht müsse der Weg des Art. 19 der Reichsverfassung22 beschritten werden. Der Staatsgerichtshof habe dann zu entscheiden, ob dieses Vorgehen des St.Kom. verfassungsmäßig sei oder nicht. Im Zusammenhang damit müsse der Staatsgerichtshof außerdem die gesamte Frage der Aufhebung der bayerischen Verordnung einer rechtlichen Nachprüfung unterziehen.

21

S. Dok. Nr. 93.

22

Der Artikel behandelt die Zuständigkeit des Reichsgerichts für Streitfälle zwischen Reich und Ländern.

Der Reichswehrminister berichtet über das Verbot des „Völkischen Beobachters“. Er habe an Herrn von Lossow die Anweisung gegeben, den „Völkischen Beobachter“ zu verbieten. General von Lossow habe dies weitergegeben an den Generalstaatskommissar von Kahr. Ferner habe er den General von Lossow angewiesen, falls der „Völkische Beobachter“ noch weiter erscheine, so solle die Druckerei militärisch besetzt und das Erscheinen gewaltsam verhindert werden23.

23

S. hierzu E. Deuerlein, Der Hitlerputsch, Dok. Nr. 15; vgl. ferner den Bericht v. Pregers in Dok. Nr. 174.

Der Reichsminister der Finanzen führt aus, daß er Bedenken gegen den von dem Herrn Reichsminister der Justiz vorgeschlagenen Weg des Artikel 19 der Reichsverfassung habe. Ein solcher Weg heiße letzten Endes, den Rechtsstandpunkt der Regierung selbst in Zweifel ziehen. Der Rechtsstandpunkt der Regierung in der Frage des Verhältnisses der Reichsverordnung zur bayerischen Verordnung sei so einwandfrei, daß es einer rechtlichen Nachprüfung nicht mehr bedürfe. Bedenklich sei zudem, daß der Herr Reichspräsident dann auch nicht mehr in der Lage sei, während eines schwebenden Verfahrens die Aufhebung der bayerischen Verordnung zu verlangen.

Der Reichsarbeitsminister Er billige das Verhältnis Bayerns keineswegs. Trotzdem aber müsse er betonen, daß er jede Verschärfung oder Vertiefung des Konflikts mit Bayern für nicht zweckmäßig halte. Aus diesem Grunde müsse er auch gegen den vom Herrn Reichsminister der Justiz vorgeschlagenen Weg Bedenken geltend machen.

[424] Der Reichsminister des Innern ist der Auffassung, daß der Generalstaatskommissar von Kahr nicht die Mehrheit des bayerischen Volkes hinter sich habe. Der Vorschlag des Ministers Radbruch sei seines Erachtens keineswegs geeignet, den Konflikt mit Bayern zu vertiefen24.

24

Aus: „beseitigen“.

Der Reichswirtschaftsminister Die Frage könne erst dann vor den Staatsgerichtshof gebracht werden, wenn Bayern offiziell erklärt habe, den Rechtsstandpunkt der Reichsregierung nicht anzuerkennen.

Der Reichsarbeitsminister Das ganze Vorgehen gegen Bayern sei eine Frage des Zeitpunktes und der Taktik. Gegenwärtig handle es sich seines Erachtens nur darum, unter allen Umständen das Verbot des „Völkischen Beobachters“ durchzusetzen25 und in dieser Frage Konsequenz zu zeigen.

25

Aus: „aufrecht zu erhalten“.

Der Reichswehrminister geht in längeren Ausführungen nochmals auf das Verhältnis der beiden Ausnahmeverordnungen in Bayern u. im Reich ein. Er erwähnt dabei ein Ferngespräch des Herrn Reichskanzlers mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, worin der Herr Reichskanzler erklärt habe, die beiden Ausnahmeverordnungen bestünden neben einander, und er hoffe, daß zwischen dem General von Lossow und Herrn von Kahr ein loyales Zusammenarbeiten möglich sei. Tatsächlich sei dies aber nicht der Fall, denn Herr von Kahr handle nicht loyal.

Der Reichskanzler verliest eine Niederschrift seines Ferngesprächs mit dem bayerischen Ministerpräsidenten26 und bemerkt ausdrücklich, daß der Ausdruck von einem „Nebeneinanderbestehen“ der beiden Verordnungen nicht gefallen sei.

26

S. Vermächtnis I, S. 132 f.

Der Reichspräsident erörtert den Vorschlag des Herrn Reichsministers der Justiz. Die Verordnung über das Verbot der Handhabung des Republikschutzgesetzes in Bayern sei eine Nebenerscheinung der bayerischen Ausnahmeverordnung. Er halte es vielleicht für besser, den Weg des Reichsministers der Justiz nicht zu gehen, sondern zunächst einmal den in der gestrigen Sitzung besprochenen Brief an den Bayerischen Ministerpräsidenten abzusenden27. Der Weg, den der Herr Reichsminister der Justiz vorschlage enthalte unter Umständen eine Einschränkung des Briefes. Er bitte den Herrn Reichsminister der Justiz, unter diesem Gesichtspunkte seinen Vorschlag nochmals einer Prüfung zu unterziehen.

27

S. Anm. 5 zu Dok. Nr. 94.

Der Reichsminister der Justiz entgegnet hierauf28, daß er es für unmöglich halte, die bayerische Verordnung über die Außerkraftsetzung des Schutzgesetzes in Bayern stillschweigend hinzunehmen. Er müsse an seinem Vorschlage festhalten. Eine Erwähnung seines Vorschlages in der Erklärung des Herrn Reichskanzlers halte er nicht für notwendig.

28

Aus: „betont nochmals“.

Er wisse auch sonst nicht, was er antworten solle, wenn er vor die Frage gestellt werde, was das Reich gegen die bayerische Ausnahmeverordnung getan habe.

[425] Der Reichsminister des Innern unterstreicht nochmals seine Auffassung, daß man sich wahrscheinlich einer Täuschung über die Stellung der bayerischen Bevölkerung hingebe. Ein kräftiger Entschluß der Reichsregierung Bayern gegenüber könne unter Umständen klärend und befreiend wirken.

<Der Reichspräsident hält es für zweckmäßig, daß der Herr Reichskanzler in seiner Erklärung erwähne, daß man beabsichtige, einen Brief an die bayerische Regierung über das Verhältnis des Bayer. Ausnahmezustandes zum Reichsausnahmezustand abzusenden. Von der Absendung des Briefes selbst könne ja zunächst noch Abstand genommen werden29.>

29

Dieser Absatz lautete zunächst: „Der Reichspräsident hält es für zweckmäßig, daß man in der morgigen Erklärung den beabsichtigten Brief an die bayerische Regierung erwähne, daß man den Brief aber zunächst noch nicht absende.“

Der Reichspräsident stellte die Zustimmung des Kabinetts zu dieser Formulierung fest30.

30

Zur weiteren Entwicklung des Verhältnisses zwischen Reich und Bayern s. Dok. Nr. 99; Dok. Nr. 102 u. 117, P. 3.

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