1.67 (str2p): Nr. 181 Aufzeichnung des Ministerialrats Kiep über ein Telefonat betreffend die Zustände in der Pfalz. 25 Oktober 1923

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Text

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Nr. 181
Aufzeichnung des Ministerialrats Kiep über ein Telefonat betreffend die Zustände in der Pfalz. 25 Oktober 1923

R 43 I /1840 , Bl. 170/171 Durchschrift1

1

Über dem Text mit Blaustift ausgestrichen: „Herrn stellvertretenden Reichskanzler [Schmidt] vorgelegt.“ Durchschriften wurden zugeleitet dem RMbesGeb., dem RIM, dem AA und dem Gesandten von Preger.

Der Reichstagsabgeordnete Zapf und der Vertreter der bayerischen Staatsregierung in der Pfalz2 teilen aus Heidelberg folgendes telefonisch mit (1 Uhr nachm.):

2

Gemeint ist wahrscheinlich der bayer. Gesandtschaftsrat Knoch.

General de Metz hat zu morgen Nachmittag 4 Uhr eine Versammlung des Kreistages und der Führer der politischen Parteien, der Gewerkschaften, sowie von Industrie und Handel einberufen, welcher er die Verkündung der Pfalz-Republik erneut vorschlagen will3. Findet der Vorschlag keine Annahme, so wird er, wie aus seiner Umgebung versichert wird, ohne diese Zustimmung seine Absicht durchsetzen.

3

Vgl. hierzu Dok. Nr. 180.

[839] Heute morgen hat General de Metz den diplomatischen Vertreter der bayerischen Regierung in der Pfalz zu sich gerufen und ihm folgendes eröffnet: Durch ihr Vorgehen im gegenwärtigen Konflikt mit der Reichsregierung habe die Bayerische Staatsregierung sich außerhalb der Reichsverfassung gestellt und dadurch die Verfassung gebrochen4. Französischerseits müsse man daraus die Folgerung ziehen, daß eine vollziehende Gewalt der Bayerischen Staatsregierung in der Pfalz nicht mehr bestehe. Dementsprechend hätten die in der Pfalz anwesenden bayerischen Beamten keine Hoheitsbefugnisse mehr. Er, General de Metz, verbiete ihnen daher, jegliche weitere Ausübung ihrer amtlichen Funktionen; wenn sie weiter in der Pfalz verbleiben wollten, so könnten sie das nur als Privatpersonen tun. Diese Mitteilung werde er auch den übrigen bayerischen Beamten in der Pfalz zugehen lassen.

4

Zum Konflikt zwischen Bayern und dem Reich s. zuletzt Dok. Nr. 174.

Zu dem Vorgehen des französischen Generals bemerken die beiden Herren, daß Grund zur Annahme bestünde, er handele nicht im vollen Einverständnis mit der französischen Regierung5. Er habe zwar auf die Anfrage, ob diese Mitteilung im Namen der Interalliierten Rheinlandkommission erfolge, geantwortet, sie geschehe im Namen des Herrn Tirard und das sei dasselbe; es kann aber sein, daß diese Behauptung nicht zutreffend ist. Insbesondere ist festzustellen, daß die übrigen französischen Delegierten z. B. in Rheinhessen und in Mainz sich jeglicher Beteiligung an den dortigen Aktionen strengstens enthalten haben. Der Delegierte in Mainz soll auch zu erkennen gegeben haben, daß er das Vorgehen des General de Metz nicht für politisch richtig halte.

5

Poincaré unterrichtete Tirard am 26.10.23: „Je n’ai pas dit à votre représentant que la solution pour la Palatinat fut contraire aux vues du Gouvernement. Je lui ai dit que je ne la connaissais pas et, à l’heure présente, je ne la connais pas encore. – Pour la monnaie, s’il s’agit d’une monnaie palatine, gagée sur place, il n’y a pas d’objection. Pour le statut politique, le ‚Vorwärts‘ a publié une dépêche de son correspondant particulier de Kaiserslautern expliquant que la création d’une République de Palatinat dans le cadre de l’Empire allemand était décidé parce que Munich avait épuisé la patience des populations fidèles à Berlin. Si tel était le sens de la décision, nous aurions simplement fortifié l’autorité de Stresemann, sans avantage réel pour la France. Faute de renseignement, je ne sait ce qu’il en est. Mais là comme partout, il convient de laisser les populations libres de se prononcer. Le ‚Daily Mail‘ annonce que le Major Louis, réprésentant français, à la Commission Interalliée, aurait lu à l’Assemblée Nationale une proclamation se référant à l’autonomie du Palatinat, que l’Assemblée se serait déclarée incompétente et que les partisans de l’autonomie se seraient rendus auprés du Général de Metz. Je ne comprends ni que ces nouvelles m’arrivent par les journaux, ni que le Commandant Louis ait pu prendre l’initiative qui lui est attribuée. Nous aurions un intérêt de sécurité à ce que le Palatinat se détachât de la Bavière, mais à la condition que ce ne fût pas en se rapprochant de Berlin. En tout cas, ce n’est pas à nos agents à se mettre en avant sans que nous le sachions dans la direction d’un mouvement politique“ (zit. bei: O. Jung, Die Oktoberaktion Johannes Hoffmanns 1923; BA: ZSG 105/15, Bl. 19/20).

Die Herren schlagen folgende Schritte vor:

a)

Eine sofortige Anfrage der Reichsregierung in Paris, ob die französische Regierung mit dem Vorgehen des General de Metz in der Pfalz einverstanden sei. Hierbei sei darauf hinzuweisen, daß dieses Vorgehen eine Einmischung in innerpolitische deutsche Angelegenheiten darstelle und im schroffen Widerspruch zu den wiederholten französischen Erklärungen stehe, daß Frankreich sich solcher enthalten würde. – Eine gleichzeitige Bekanntgabe der Demarche in der Presse würde der französischen Regierung [840] erhebliche Verlegenheit bereiten und sie möglicher Weise veranlassen, den General de Metz zu desavourieren6.

b)

Eine sofortige öffentliche Erklärung der Reichsregierung, daß sie jede Gründung einer selbständigen Staatsbildung in der Pfalz als Verfassungsbruch betrachten und unbedingt ablehnen müsse7.

c)

Sofortige Einwirkung auf die sozialdemokratischen Führer in der Pfalz von Seiten der Berliner Parteileitung dahin, daß sie das Verfassungswidrige ihres Vorgehens einsehen, dem General de Metz eine Absage erteilen und die hinter ihm stehenden Bevölkerungsgruppen entsprechend umorientieren8.

6

In einer Note, die von StS von Maltzan am 25.10.23 der Deutschen Botschaft in Paris zur Übermittlung an das frz. Außenministerium übersandt wurde, wird die Handlungsweise des General de Metz als „eklatante Überschreitung der [der] Besatzungsgewalt] durch das Völkerrecht und den Vertrag von Versailles gezogenen Schranken“ bezeichnet. In Bezug auf die Erklärungen des Major Louis und die Absicht de Metz’, auch gegen den Willen des Kreistages die Autonomie der Pfalz zu proklamieren, verwahrte sich die RReg. gegen die frz. Machenschaften in der Pfalz: „Die Deutsche Regierung protestiert gegen das rechts- und vertragswidrige Verhalten des General de Metz und darf erwarten, daß die Französische Regierung ihn sofort anweisen wird, die durch den Vertrag von Versailles sanktionierten deutschen und bayerischen Hoheitsrechte in der Pfalz zu achten“ (R 43 I /1840 , Bl. 187). In seiner öffentlichen Rede am Abend des 25.10.23 in Hagen teilte der RK mit, daß die Protestnote in Paris übergeben werde (Die Zeit, Nr. 249 vom 27.10.23). Von Poincaré wurde der Protest am 6.11.23 schriftlich zurückgewiesen: „Cette protestation tend à dénaturer la ligne de conduite suivie par les Autorités françaises d’occupation dans cette partie des Territoires Occupés et à leur attribuer la responsabilité d’une situation qui, en réalité, ne leur incombe nullement.“ Poincaré wies alle Verbindungen mit den separatistischen und autonomistischen Bestrebungen im Rheinland und der Pfalz zurück, sie seien aus den innerdeutschen politischen Schwierigkeiten und dem passiven Widerstand erwachsen. „Ces initiatives sont certaines et se sont manifestées d’une façon répétée, et il a été impossible aux Autorités françaises de fermer leur porte aux personnes qui sont venues les en informer. Ce fait prouve simplement que les Autorités françaises d’occupation dans le Palatinat, qui ont sans cesse assuré le maintien de l’ordre public et manifesté leur désir sinçère de voir les populations des Territoires occupés maintenir ou rétablir leur vie économique normale et leur bien-être, ont acquis, par la correction de leur procédés et par l’efficacité des mesures qu’elles ont prises, la confiance générale de ces populations. Il m’est impossible de regretter l’établissement de rapports qui on été et demeurent de puissants facteurs de tranquillité et de paix. Je regrette, au contraire, l’attitude constante, maintes fois signalée par la Haute-Commission interalliée et par la Conférence des Ambassadeurs, qu’ont adoptée certaines autorités allemandes et qui avait pour but de créer des frictions entre les polpulations civiles et nos troupes, de développer une hostilité dangereuse et de s’opposer à l’apaisement des esprits auxquel, pour part et dans l’intérêt général, nous avons toujours tendu“ (R 43 I /1840 , Bl. 186).

7

S. Anm. 1 zu Dok. Nr. 180.

8

S. hierzu Anm. 6 zu Dok. Nr. 171. Unter der hier wiedergegebenen Aufzeichnung ist von Kempner notiert: „Müller-Fr. hat Bericht erhalten. Pfälz. SozDem. unbedingt zum Reich! So Bezirksvorstand! Müller: Im Interesse d. Rh.Pfalz gehandelt gegen Hochverrat Kahr.“

Alle Maßnahmen müßten sofort ergriffen werden, damit sie vor der morgigen Versammlung sich auswirken könnten9.

9

In einer Unterredung Hoffmanns mit Tirard am 25.10.23 stellte sich heraus, daß der Oberkommissar keine festen Zusicherungen über die künftige politische, wirtschaftliche und finanzielle Lage der Pfalz ohne Rückendeckung durch Poincaré geben konnte. Hoffmann war entmutigt, wollte aber noch mit seinen Kollegen sprechen (Telegramm Tirard vom 25.10.23; BA: ZSg 105/15, Bl. 33–35). In einem Überblick über die Entwicklung der Pfälzer Autonomie- und Separatismusbestrebungen schrieb Tirard am 31.10.23, Hoffmanns Bemühungen seien auch mit seinen Parteifreunden nicht genügend abgestimmt worden. Nachdem er auf heftige Opposition der bürgerlichen Parteien gestoßen sei, habe er sein Projekt aufgegeben (BA: ZSg, 105/15, Bl. 31/32). Zur weiteren Entwicklung, s. Die Kabinette Marx I/II, Dok. Nr. 55, P. 2; vgl. auch P. Hüttenberger, Methoden u. Ziele der frz. Besatzungspolitik.

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