2.69 (vsc1p): Nr. 69 Aktennotiz des stellvertretenden Vorsitzenden des ADGB Eggert über eine Unterredung mit dem Reichskanzler am 26. Januar 1933

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Nr. 69
Aktennotiz des stellvertretenden Vorsitzenden des ADGB Eggert über eine Unterredung mit dem Reichskanzler am 26. Januar 1933

ADGB-Akten, NB 112, S 73–771

1

Die Akten befinden sich im Besitz des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. – Die Aktennotiz ist auch abgedruckt als Dok. Nr. 3 im Anhang zu Dieter Emig, Rüdiger Zimmermann: „Das Ende einer Legende: Gewerkschaften, Papen und Schleicher. Gefälschte und echte Protokolle.“ In: IWK, 12. Jg. 1976, S. 19–43.

[Politische Lage.]

Auf unser Ersuchen an den Staatssekretär Dr. Planck [sic], eine Unterredung von Vertretern des Bundesvorstandes mit dem Reichskanzler v. Schleicher zu vermitteln, fand diese am 26. Januar 1933, 12.30 Uhr, in der Reichskanzlei2 statt. Anwesend waren:

2

Eine Parallelüberlieferung in den Akten der Rkei konnte nicht ermittelt werden.

der Reichskanzler v. Schleicher,

unsererseits die Kollegen Graßmann, Eggert.

Gegenstände der Besprechung waren:

die Notlage der Arbeiterschaft, besonders der Erwerbslosen;

unsere Forderung nach energischer Durchführung und Erweiterung des Arbeitsbeschaffungsprogramms;

die Einstellungsprämien;

[301] die Handelspolitik und die Forderungen der Agrarier;

Antrag der Genossenschaften auf 25 Millionen verlorener Zuschüsse;

die Reichsforschungsstelle für landwirtschaftliches Marktwesen.

Graßmann schilderte kurz die verzweifelte wirtschaftliche Lage der Arbeiterschaft, besonders die der Arbeitslosen3. Die Arbeitsbeschaffung durch die öffentliche Hand müsse energisch in Angriff genommen und durchgeführt werden. Nicht erst im Frühling, sondern jetzt sei es nötig, überall dort, wo trotz des Winters gearbeitet werden könne, sofort mit der Arbeitsbeschaffung einzusetzen. Das Arbeitsbeschaffungsprogramm sei in seiner jetzigen Form unzulänglich. Je mehr öffentliche Arbeiten durchgeführt werden, umso mehr sei auch der Landwirtschaft gedient. Eggert ergänzte diese Ausführungen an Hand statistischen Materials.

3

Zum gleichen Sachverhalt, auch zum Folgenden, vgl. Dok. Nr. 63.

Der Reichskanzler antwortete, er halte an dem Arbeitsbeschaffungsprogramm unbedingt fest und werde es durchführen. Wiederholt habe er, erst kürzlich mit Vertretern der Reichsbank, entschieden die Notwendigkeit der öffentlichen Arbeitsbeschaffung und ihrer Finanzierung betont4. Es seien heute etwa eine Milliarde Zahlungsmittel weniger im Umlauf als vor einem Jahre. Die wirtschaftliche Lage von heute gegenüber der vor einem Jahre rechtfertige diesen Zustand seiner Ansicht nach nicht. Als der Reichsbank-Direktor Dreyse ihm entgegnet habe, ein Finanzinstitut könne sich unmöglich von derartigen politischen Erwägungen leiten lassen, habe er ihm darauf geantwortet, wenn der letzte Deutsche verhungert sei, setze man ihm wohl einen Leichenstein mit der Aufschrift: „Hier ruht der letzte Deutsche, aber die Währung ist gerettet!“ Inwieweit eine Erweiterung des Arbeitsbeschaffungsprogramms möglich sei, müsse sich erst später erweisen. Wir dürften jedoch überzeugt sein, daß er gerade diese Frage mit besonderer Aufmerksamkeit verfolge. Er habe nachträglich das Manuskript seines Rundfunkvortrages zur Hand genommen und festgestellt, daß darin 28 Punkte behandelt seien. So wenig er von der Aufstellung großartiger Programme halte, so sehr bemühe er sich, jene 28 Punkte durchzuführen und er kontrolliere von Zeit zu Zeit, welche davon erfüllt sind und gestrichen werden können und welche weiter zu verfolgen seien5. – Unsere Forderung nach Beseitigung der Einstellungsprämien, unterstützt mit dem Hinweis auf die Rede des Vorsitzenden des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Herrn Krupp von Bohlen und Halbach, der solche Art protektionistischer Maßnahme ablehnt6, beantwortete der Reichskanzler mit der Erklärung, daß jene Firmen,[302] die öffentliche Aufträge erhalten und deshalb Neueinstellungen vornehmen, keine Einstellungsprämien mehr empfangen. Das habe der Haushalts-Ausschuß des Reichstages beschlossen7 und danach werde verfahren. Er sei aber nicht der Meinung, die Einstellungsprämien für die anderen Firmen sofort fallen zu lassen. Erstens hätten sich die Firmen in ihrer Kalkulation darauf eingestellt, und zweitens, was für ihn noch wichtiger sei, würde die Reichsbank die für die Einstellungsprämien reservierte Summe sofort für sich reklamieren. Es sei durchaus nicht so, wie wir meinten, daß die 200 Millionen RM für die öffentliche Arbeitsbeschaffung dann zur Verfügung ständen. Die Kräfte gegen die öffentliche Arbeitsbeschaffung seien stark. Er wolle keine Mark sich abknapsen lassen und daher brauche er die Einstellungsprämie für den Teil der Wirtschaft, der keine öffentlichen Aufträge erhalte, noch für einige Zeit aus taktischen Erwägungen. – Wir rieten ihm, die Reichsregierung möge dann möglichst schnell eine Mitteilung an die Öffentlichkeit machen, daß die Einstellungsprämien so bald wie möglich ganz fallen werden. – Der Reichskanzler versprach, sich das noch näher zu überlegen.

4

Einzelheiten nicht zu ermitteln; vgl. dazu jedoch Dok. Nr. 34. – Zur nachfolgend geschilderten Kontroverse RReg. – Rbk vgl. Dok. Nr. 67, Anm. 1.

5

Zur Erledigung des in der Rundfunkrede vom 15.12.1932 (Dok. Nr. 25) vom RK angekündigten Programms s. Dok. Nr. 56, Anm. 3.

6

Zur Diskussion über die Beseitigung der Einstellungsprämien vgl. Dok. Nr. 32, P. 2. – Krupp redete vor dem Präsidium des RdI, das am 19.1.1933 zu einer Aussprache über die Wirtschaftspolitik des Kab. v. Schleicher zusammengetreten war (Nachl. Silverberg , Nr. 233, Bl. 3–6). In diesbezüglichen Presseverlautbarungen war die Warnung des RdI vor den vom RLB geforderten zollpolitischen Maßnahmen herausgestellt worden, deren Ankündigung bereits jetzt zu schweren Rückschlägen für die dt. Ausfuhr und damit für die Arbeitsmarktlage geführt hätte (Horckenbach 1933, S. 21).

7

Einzelheiten dazu s. Dok. Nr. 56, Anm. 21.

Zur Handelspolitik übergehend, wurde unsererseits dargelegt, daß Deutschland bei seinem Export von 6 Milliarden die handelspolitische Aufgabe habe, seine weltwirtschaftlichen Beziehungen mit größter Sorgfalt zu pflegen, denn von den 6 Milliarden Ausfuhrwerten entfielen etwa 30% auf Rohstoffe und Steuern, 70% auf Arbeitsleistung und Gewinne. Je mehr die deutsche Ausfuhr zurückgehe, desto größer würden die Schwierigkeiten auch in der Landwirtschaft. Man müsse, auch um der Landwirtschaft willen, den deutschen Export gegen Autarkiebestrebungen schützen.

Der Reichskanzler entgegnete, er sei über die Zusammenhänge der hier vorherrschenden Frage durchaus orientiert. Der Wirtschaftsminister Warmbold habe ihm wiederholt ähnliche Darlegungen gemacht wie wir8. Seine Überzeugung festige sich immer mehr, daß nur von der Kaufkraftseite her der Landwirtschaft geholfen werden könne. Wenn die großen Massen des Volkes keine Kaufkraft besäßen, nützten [weder] bessere Zölle noch gesunkene Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse etwas. Er zitierte das bekannte, nach seiner Ansicht durchaus wahre Sprichwort: „Hat der Bauer Geld, hat es die ganze Welt“ und „Arbeiternot ist Bauerntod!“ Einseitigen Bestrebungen irgendwelcher Berufsgruppen widersetzte er sich. Den Begriff „autoritäre Regierung“ lehne er ab. Er wende lieber das Wort „Präsidial-Regierung“ an, und die könne unmöglich extremen Forderungen nachgeben. Nach seinem Amtsantritt habe er sich einige Zeit ganz dem Plan gewidmet, es recht zu machen und durchzukommen; wenn ihm das unmöglich gemacht werde, sei es von welcher Seite es komme, dann trete er zurück.

8

Vgl. dazu die Ausführungen des RK und des RWiM in Dok. Nr. 51.

Hierauf ergab sich die Gelegenheit, auch über die allgemeine Lage ein Wort zu sagen. Graßmann benutzte sie und verwies auf die Gerüchte, wonach der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen, entgegen den Bestimmungen der Reichsverfassung,[303] in absehbarer Zeit nicht erfolgen sollten9. Das würde, so sagte Graßmann, wahrscheinlich zu noch größeren Beunruhigungen führen. Der Reichskanzler sagte hierauf, er wolle uns gegenüber ganz offen wiederholen, was er dem Herrn Reichspräsidenten vorgetragen habe10. Das Kabinett brauche eine völlig klare parlamentarische Situation. Er und das Kabinett könnten sich nicht der Gefahr aussetzen, jeden Augenblick gestürzt zu werden. Eine Mehrheit ergäbe sich aus Nationalsozialisten und Kommunisten, die aus ganz entgegengesetzten Erwägungen den Sturz herbeiführten. (Der Reichskanzler dachte hierbei offenbar daran, daß eine Situation entstehen könnte, in welcher der Reichstag aus eigener Machtvollkommenheit gegen die Regierung zusammentritt.) Er habe daher beim Reichspräsidenten befürwortet, den Reichstag aufzulösen. Ferner habe er dem Reichspräsidenten angeraten, die Führer der Wirtschaft – er denke hierbei an die Führer der Arbeiterorganisationen und Unternehmerverbände – zu befragen, ob sie nicht eine Vertagung der Neuwahlen bis zum November oder Oktober ds. Js. für besser hielten, als diese Neuwahl in der jetzigen Zeit durchzuführen. Und wenn die Führer der Wirtschaft die Frage bejahten, weil Neuwahlen in der Jetztzeit doch nichts am allgemeinen Größenverhältnis der Parteien änderten und ein arbeitsfähiger Reichstag nicht zu erwarten sei, dann könnten der Reichspräsident und die Regierung, unterstützt von der Wirtschaft, auf deren Kosten der Wahlkampf doch ausgetragen werde, ruhig die Neuwahlen so lange vertagen. Das sei doch ganz etwas anderes als ein Verfassungsbruch.

9

Einzelheiten dazu s. Dok. Nr. 56 und Dok. Nr. 60, insbesondere Anm. 2. – Als der frühere StS im RFMin. Schäffer Ende März mit v. Schleicher diese Angelegenheit erneut erörtert, soll dieser ausgeführt haben: „Auch die Gewerkschaften hätten diese Sache hingenommen. Ihnen hätte nur an der Möglichkeit ruhigen wirtschaftlichen Arbeitens ohne Konflikt mit den Unternehmern gelegen. Das hätten sie unter ihm haben können, zumal sich in den 7 Wochen die Wirtschaftslage wesentlich gebessert habe und bei weiterer politischer Ruhe auch weiter gebessert geblieben wäre.“ (IfZ, ED 93, Bd. 24 a, Schäffer-Tagebuch, Eintrag vom 29.3.1933).

10

Dok. Nr. 65; vgl. in diesem Zusammenhang auch Dok. Nr. 72, Anm. 4 und 5.

Eggert erklärte: Wir wollen die Proklamierung eines Reichsnotzustandes in keiner Form11. – Dem Antrag des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine, ihn bei der Gewährung von verlorenen Zuschüssen an andere Genossenschaften ebenfalls mit 25 Millionen RM zu bedenken12, nahm der Reichskanzler zur Kenntnis mit den Worten: „Wenn die anderen etwas bekommen, müssen die Konsumvereine auch etwas erhalten.“ Unsere weitere Forderung, die geplante Aufhebung der „Reichsforschungsstelle für landwirtschaftliches Marktwesen“ und ihre beabsichtigte Angliederung an den Deutschen Landwirtschaftsrat zu verhindern, beantwortete der Reichskanzler mit der Bemerkung: „Das könne doch wohl kaum möglich sein.“ Eggert machte auf die Bedeutung einer unabhängigen freien Forschungsstelle für die Wirtschaftspolitik aufmerksam, eine[304] Bedeutung, die vollkommen verloren gehe, wenn dieses freie Forschungsinstitut den landwirtschaftlichen Interessen angegliedert werde.

11

In einer gemeinsamen Sitzung des Parteivorstandes der SPD und des Vorstandes der sozialdemokr. RT-Fraktion war am 25. 1. eine Protestresolution „gegen reaktionäre Staatsstreichpläne“ angenommen worden (Veröffentlichung im „Vorwärts“, Nr. 43 vom 26.1.1933). Auch der PrMinPräs. Braun äußert sich, abweichend von eienr früheren Stellungnahme, jetzt in diesem Sinne (Dok. Nr. 73).

12

Einzelheiten s. Dok. Nr. 57, P. 3, insbesondere Anm. 10.

Der Reichskanzler machte sich entsprechende Notizen und sagte, er könne sich das eigentlich gar nicht denken und werde der Sache nachgehen.

Die Unterredung dauerte 1¼ Stunden.

Berlin, den 27. Januar 1933.

Eg/D.13

13

Erledigungsvermerk hschr. am Kopf des Dokuments: „Leipart – [Bundesvorstands-] Sitzung 8.2.33 – Kenntnisnahme erl. L AW.“

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