2.128.1 (wir1p): 1. Vor Eintritt in die Tagesordnung: [Gemeinsame Sitzung mit den ausscheidenden Ministern.]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 1Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

Extras:

 

Text

RTF

1. Vor Eintritt in die Tagesordnung: [Gemeinsame Sitzung mit den ausscheidenden Ministern.]

Der Reichskanzler führte aus, daß er entsprechend einer guten alten Sitte die ausscheidenden Herren Kollegen1 zur Sitzung des neuen Kabinetts mit eingeladen habe. Er wolle ihnen den Dank für all die Mühen und Sorgen, denen[346] sie sich freiwillig unterworfen hätten, aussprechen. Die Politik erfordere von uns allen schmerzlichste Opfer. Die Mitglieder des früheren Kabinetts hätten mit aufrichtigstem Willen in den Tagen des Ultimatums und später dem Reich gedient und versucht, herauszuholen, was möglich gewesen sei. Wenn auch die territorialen Verluste in Oberschlesien schmerzlich seien2, so müsse man doch sagen, daß nicht ohne Erfolg gearbeitet worden sei. Allen Kollegen, insbesondere dem scheidenden Außenminister, Dr. Rosen, danke er herzlichst für die aufgewendeten Mühen. Die Koalitionsregierung sei dahin. Der Gedanke der Koalition sei aber nicht untergegangen. Das neugebildete Kabinett der Not habe eine ansehnliche Mehrheit erzielt. Man werde die vorgezeichnete Politik weiterführen3 . Er hoffe bestimmt, daß die scheidenden Minister ihre Arbeitskraft dem Dienste des Reichs erhalten würden, sei es im Parlament, sei es an anderer bevorzugter Stelle4.

1

Schiffer, Rathenau, Gradnauer und Rosen kehren nach dem Regierungsrücktritt vom 22.10.1921 nicht wieder in das Kabinett zurück, mit dessen Bildung Wirth am 25.10.21 erneut beauftragt worden war (siehe Dok. Nr. 123).

2

Siehe dazu Dok. Nr. 117, Anm. 1.

3

Auf Antrag von Marx und Wels (RT-Drucks. Nr. 2879, Bd. 369 ) hatte der RT mit großer Mehrheit (mit 230 gegen 130 Stimmen bei 9 Stimmen Enthaltung) für den Regierungsvorschlag gestimmt (RT Bd. 351, S. 4781 ), der darauf hinauslaufen sollte, die Note der Botschafterkonferenz vom 20.10.21 (siehe Dok. Nr. 117 Anm. 1 und 2) zwar mit einer deutschen Protestnote zu beantworten, den in der Botschafternote geforderten Delegierten jedoch zu ernennen.

4

Der Justizminister a. D. Eugen Schiffer wird zum Kommissar für die Wirtschaftsverhandlungen mit Polen, also zum Delegierten des Reiches, ernannt.

Reichsminister Schiffer spricht im Namen der scheidenden Minister dem Reichskanzler den Dank für die gütigen Worte aus. Er habe nicht das Recht, auf die politischen Vorgänge einzugehen. Rein menschlich könne er nur sagen, daß so verantwortungsreich und ernst die Zeit gewesen sei, sie doch alle trotz verschiedener politischer Anschauung einem Ziel zugestrebt hätten. Auch in den höchsten Stellen sei der Wechsel heute nur eine Form. Er sei nicht mehr, wie früher, ein Schicksal, weder für den einzelnen noch für das Volk oder den Staat. Er glaube sagen zu können, daß für uns die hinterliegende Zeit eine bedeutungsvolle gewesen sei. Sie, die Scheidenden würden die Arbeit des neuen Kabinetts nicht nur mit Interesse, sondern mit tiefer Sympathie verfolgen.

Die ausscheidenden Minister verließen darauf den Sitzungssaal des Kabinetts.

Der Reichskanzler eröffnete hierauf die Sitzung des neuen Kabinetts, indem er der Hoffnung Ausdruck gab, daß es in seiner Arbeitskraft nicht erlahmen und an dem Wiederaufbau des Vaterlandes mitarbeiten werde. Gleichzeitig brachte er den Staatssekretären und den ihnen nachgeordneten Beamten seinen Dank zum Ausdruck für all die Mühen, die sie in der letzten Zeit gehabt hätten und bat sie, alles aufzubieten, um das Rettungswerk an Deutschland fortzusetzen.

Er teilte sodann mit, daß er neben dem Kanzleramt das Auswärtige Amt führen werde. Er wolle dies so führen, daß man dort in jeder einzelnen Minute übersehen könne, was geschehe5. Sofern seine Ministerkollegen den Wunsch haben sollten, mit Vertretern fremder Staaten zu verhandeln, so sollte dies[347] grundsätzlich nur mit Wissen des Auswärtigen Amts und seines Chefs geschehen. Wenn gelegentlich eine Verhandlung oder Begegnung ohne Vorwissen erfolge, so bäte er um eine kurze Aufzeichnung über die gewonnenen Eindrücke; nur so könne ein fruchtbares, gemeinsames Arbeiten auch auf dem Gebiete der auswärtigen Politik geschehen. Der Reichskanzler gab der Erwartung Ausdruck, daß die Herren Minister entsprechend verfahren würden.

5

Siehe dazu die kritischen Äußerungen Rosens in seinen Memoiren (Rosen, Wanderleben, Bd. III/IV, S. 403 f.).

Extras (Fußzeile):