1.115.1 (wir2p): Reparation.

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Reparation.

Der Reichskanzler wirft an der Hand einer Aufzeichnung des Reichswirtschaftsministeriums über unsere Devisenverpflichtungen1 die Frage auf, wie wir die kommenden Defizite decken sollen.

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In R 43 I nicht ermittelt.

Exzellenz Havenstein: In einer soeben stattgehabten Direktoriumssitzung der Reichsbank sei beschlossen worden, eine Garantie für das Reich im Betrage von 40–50 Millionen zu übernehmen. Hierüber hinaus wolle er sich stark machen und für eine Garantie bis im ganzen zu 80 Millionen eintreten. Die Getreidekäufe müßten aber seines Erachtens unbedingt gestreckt werden, und das Reich müsse der Reichsbank dafür auch Devisen aus dem Export zur Verfügung stellen.

[1043] Reichsernährungsminister Fehr: Er hätte noch kein vollständiges Bild über die Gestaltung der Brotlage, man könne aber jetzt die Auslandskäufe nicht einstellen. Brot sei ebenso wichtig wie ein Moratorium.

Exzellenz Havenstein glaubt nicht an eine gefährliche Brotlage im September, deshalb könne man die Auslandskäufe verschieben.

Reichsernährungsminister Fehr wird die Lage noch eingehend prüfen.

Staatssekretär Bergmann: Man müsse die Einzelheiten der Pfandfrage zurückstellen; erst müsse man klären, ob die Gegenseite überhaupt darauf eingehen werde2.

2

Zur Politik der produktiven Pfänder siehe Dok. Nr. 349 Anm. 1, zu den Vorschlägen Bergmanns siehe dort insbesondere Anm. 4.

Ganz vertraulich habe er von maßgebender Stelle folgendes gehört:

Die englische Seite erblicke in unserem Angebot einer Pfandsicherung für das Moratorium einen Trick, man glaube aber, daß eine ganz schwache Hoffnung bestehe, daß Frankreich in seiner augenblicklichen Note darauf eingehen werde, um den Schein erhaltener Garantien zu wahren. Scheitere diese Hoffnung, so sehe die betreffende Stelle unübersehbare Zwangsmaßnahmen voraus.

Hieran schließt sich eine Besprechung nur im Kreise der Minister und Staatssekretäre.

Staatssekretär v. Simson: Er habe heute Lord D’Abernon gesprochen, der die Hauptfrage darin sieht, ob ein permanentes Pfand oder nur eines für die Zeit des Moratoriums gegeben werde. Frankreich scheine das Pfand als Dauereinrichtung zu verlangen, und zwar 50 Millionen als Revolving-Pfand.

Staatssekretär Bergmann: Zu seinem größten Bedauern seien diese beiden Gedanken nicht von französischer Seite aufgeworfen, sondern von Bradbury. Minister Dr. Hermes und er hätten gegen das Dauerpfand auf das schärfste protestiert, da auch das Moratorium nur 5 Monate dauern solle. Soeben habe ihm Bradbury mitgeteilt, daß man über die Frage des dauernden Pfandes wohl hinwegkommen werde. Das Auffüllen des Pfandes halte er für bedenklich, aber die Beträge würden begrenzt sein und sich nur auf Kohle und Holz beziehen. Reichsbankgold komme nach Bradbury nicht in Frage, aber als Dekoration für Frankreich würde wohl mit den Devisen in London Gold gekauft werden müssen. Letzten Endes würden uns hierbei wohl sogar die Engländer helfen, was ein schwerer Schlag gegen Frankreich wäre.

Der Reichskanzler meint, daß es im Augenblick bei der jetzigen Stimmung des Volkes möglich sei, Sanktionen auf uns zu nehmen.

Staatssekretär Bergmann: Bradbury, der mit dem Kanzler noch sprechen werde, sagte ihm, wir sollten uns über Englands Stellung nicht täuschen. Es sei im Zerwürfnis mit Frankreich, aber Lloyd George sei in einer Klemme und würde eventuell einen Sündenbock für seine Politik finden, weil er, Bergmann, ihm den Gedanken der Unmöglichkeit einer Verpfändung von Gruben und Forsten suggeriert habe. Bradbury meinte ferner, es sei eine verfehlte Spekulation, anzunehmen, daß die Situation so bleiben werde. Der Bruch zwischen England und Frankreich werde sich nicht fortsetzen. Die Belgier müßten mitmachen, was Frankreich tue. England würde französische Dummheiten nicht verhindern.

[1044] Der Reichskanzler Diese Ausführungen kämen darauf hinaus, daß wir weich werden sollten, weil Lloyd George in einer Klemme sei. Man könne aus der Situation auch die umgekehrte Folgerung wie Bergmann ziehen und sagen, daß Lloyd George uns vorwerfen würde, daß wir weich würden, wenn er hart bleibe.

Staatssekretär Bergmann auf eine Frage des Reichskanzlers: Er sei überzeugt, daß Frankreich die Gruben des Ruhrreviers zerstören würde. Bei Scheitern der Verhandlungen würde eine Katastrophe eintreten.

Es sei nicht richtig, daß wir weich würden, denn wir lehnten die Verpfändung von Gruben und Forsten ab; es handele sich hier um etwas ganz anderes. Er sei erfreut über die Auffassung von Exzellenz Havenstein, die sich mit seiner decke.

Der Reichskanzler England betreibe eine doppelte Politik. Lord D’Abernon habe ihm seinerzeit gesagt, die vom Garantie-Komitee verlangte Kontrolle sei die definitive Forderung für ein Moratorium. Deshalb habe er im Auftrage seiner Regierung uns geraten, diese Kontrolle anzunehmen. Jetzt verlange Bradbury mehr. Vielleicht stehe die englische Regierung hierin nicht hinter ihm, worauf er D’Abernon hingewiesen habe. Es sei auf den verschiedensten Wegen versucht worden, Lloyd George darin festzumachen, daß die Garantiekomiteeverhandlungen die letzten Bedingungen für das Moratorium seien3. Nunmehr würde ein neues Einlenken von uns verlangt, um Poincaré entgegenzukommen.

3

Die Ergebnisse der genannten Verhandlungen sind festgelegt in einem Memorandum des Garantiekomitees vom 18.7.22 „Über die durch das Garantiekomitee auszuübende Nachprüfung, über die Unterdrückung der Kapitalflucht und über die von der deutschen Regierung aufzustellenden Statistiken“ (siehe Aktenstücke zur Reparationsfrage vom 12. Juli bis 11. Dezember 1922, S. 96).

Staatssekretär v. Simson: Er gäbe zu, daß die englische Politik nicht verläßlich sei, aber Bradbury treibe seines Erachtens keine eigene Politik; England würde hinter ihm stehen. Er stimme Bergmann darin zu, daß wir durch Annahme des Vorschlags Bergmann nicht weich würden. Wir hätten Gruben und Forsten abgelehnt und böten tatsächlich einen Trick an. Wenn die Gegner darauf eingingen, so sei dies ein großer Gewinn. An die Zerstörung der Bergwerke glaube er nicht, aber er fürchte die Deroute bei scheiternder Verhandlung.

Der Reichskanzler verliest ein Telegramm Bergmanns vom 15. August, das seinen heutigen Ausführungen widerspreche4.

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In R 43 I nicht ermittelt.

Der Reichsminister des Innern, Dr. Köster, betont, daß wir heute noch nicht wüßten, welchen Standpunkt die Englische Regierung einnehme.

Staatssekretär Schroeder: Wenn die Verhandlungen scheiterten, käme ein Zusammenbruch der Mark, dies sei für ihn entscheidend. Käme man aber zu einem Arrangement, so würden Anleiheverhandlungen möglich. Er stimme also Bergmann zu.

Der Reichskanzler fürchtet, daß auf dem heute vorgeschlagenen neuen Weg von der Gegenseite weitergegangen werden würde. Er wolle sich jedenfalls heute noch nicht definitiv entscheiden.

[1045] Staatssekretär Bergmann: Es handele sich hier nur um eine Sicherheitsform, nicht um neue Kontrollmaßnahmen. Bradbury sei der Ansicht, daß, wenn man zu einer Einigung komme, das Anleihekomitee erneut zusammentrete.

Exzellenz Havenstein: Ein Moratorium von 5 Monaten sei von der größten Bedeutung, auch für die Mark. Das Pfand müsse aber auf die Dauer des Moratoriums beschränkt sein. Soweit sei er dafür. Er sei aber gegen ein Dauerpfand und hätte auch Bedenken gegen ein Revolving-Pfand. Endlich sei er auch gegen den Goldkauf in London mit Devisen.

Reichsminister Schmidt: Man werde das Pfand wohl akzeptieren müssen, aber nicht als Revolving-Pfand, und er empfehle, in London festzustellen, welchen Standpunkt die Englische Regierung eigentlich einnehme.

Hierauf wurde die Sitzung geschlossen.

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