2.88.1 (bau1p): Strafantrag gegen die „Deutsche Zeitung“ wegen des Artikels „Wie lange noch“.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 3). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett BauerKabinett Bauer Bild 183-R00549Spiegelsaal Versailles B 145 Bild-F051656-1395Gustav Noske mit General von Lüttwitz Bild 183-1989-0718-501Hermann EhrhardtBild 146-1971-037-42

Extras:

 

Text

RTF

Strafantrag gegen die „Deutsche Zeitung“ wegen des Artikels „Wie lange noch“.

Der Reichsminister der Justiz trägt den Inhalt des Artikels vor3 und erstattet ein Gutachten über die Rechtslage und zugleich über die politische Notwendigkeit, gegen den Artikel einzuschreiten. Die Dialektik des Artikels[327] arbeite mit einer plumpen Entstellung. Während der Reichspräsident in seiner Ansprache vom 18. Mai tatsächlich – und zwar auch nach der Wiedergabe in dem Artikel – gesagt habe:

3

Der mit drei Sternen gezeichnete Artikel war in der Abendausgabe der alldt. „Deutschen Zeitung“ Nr. 486 vom 25.10.19 erschienen (Ausschnitt in: R 43 I /1351 , Bl. 1). Darin wird ein Auszug aus einer öffentlichen Rede des RPräs. vom 18.5.19 vor Demonstranten in der Berliner Wilhelmstraße wiedergegeben, in der er die all. Friedensbedingungen für unannehmbar erklärt hatte. Unter Bezugnahme auf die auch im vorliegenden Protokoll zit. Passage aus dieser Rede wird in dem Artikel dann ausgeführt, daß die Voraussetzung, unter der der RPräs. die Ehr- und Würdelosigkeit festgestellt habe, jetzt zur Wirklichkeit geworden sei. Mit der Unterzeichnung des VV hätten der RPräs. und die RReg. sich nach ihren eigenen Aussagen ehr- und würdelos gemacht. Danach wird an das dt. Volk, die Soldaten, die Steuerzahler usw. die wiederkehrende Frage gerichtet, wie lange sie noch einer solchen Reichsspitze zu Diensten sein wollten?

„Wir wären ehrlos und würdelos, wenn wir nicht unsere ganze Kraft aufbieten gegen die Schmach, die uns angedroht wird“,

gehe der Artikel in seinen rethorischen Fragen davon aus, als ob der Präsident die Unterzeichnung selbst in jedem Falle als ehrlos und würdelos bezeichnet habe. Als Privatpersonen brauchten der Reichspräsident und die Reichsminister durch diese Anwürfe sich zu einem Strafantrag nicht veranlaßt zu fühlen. Im öffentlichen Interesse dürften sie aber die Beleidigungen als Träger der Reichsregierung nicht unverfolgt lassen. Ob eine Strafverfolgung aus § 131 des Strafgesetzbuches4 eintrete, sei lediglich Sache der Staatsanwaltschaft und von ihr von Amts wegen zu prüfen. Die Staatsanwaltschaft könne hier nur durch die Reichsregierung oder den Justizminister auf den Artikel hingewiesen werden. Dieser Paragraph sei früher vielfach gegen die Sozialdemokratie angewendet worden, und es sei daher vielleicht nicht zu empfehlen, die Strafverfolgung gerade auf ihn zu stützen. Das Verwerfliche an dem Artikel sei auch nicht die Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen oder -anordnungen, sondern die in der Begründung liegende schwere Beleidigung. Er empfehle daher, daß der Reichspräsident und sämtliche Minister Strafantrag wegen Beleidigung stellten.

4

§ 131 RStGB behandelt die Verächtlichmachung staatlicher Einrichtungen oder Anordnungen durch Behauptung oder Verbreitung „erdichtete(r) oder entstellte(r) Tatsachen“.

Das Kabinett schloß sich nach längerer Aussprache einstimmig dieser Auffassung an, auch der Herr Reichspräsident stimmte ihr zu. Es herrschte Einverständnis darüber, daß keine Bedenken dagegen beständen, wenn das Gericht die Gründe, aus denen die Reichsregierung die Unterzeichnung des Friedensvertrages beschlossen und Mitglieder des früheren Kabinetts von dem Ausscheiden aus der Regierung abgesehen haben, in den Kreis seiner Erörterung und Prüfung ziehe. Im Gegenteil könne dies der Regierung nur erwünscht sein.

Der Reichsminister der Justiz übernahm es, den Strafantrag wegen Beleidigung vorzubereiten5.

5

Abschrift in: R 43 I /1226 , Bl. 18. – Am 17.1.20 findet vor dem Landgericht I Berlin die Hauptverhandlung gegen den verantwortlichen Redakteur der „Deutschen Zeitung“ statt. Das Gericht erkennt in dem Artikel die Absicht der Beleidigung und stellt sich auf den Standpunkt, „daß auch in der Öffentlichkeit der politische Kampf mit vornehmen, nicht verletzenden Mitteln ausgetragen werden könne“. Der Redakteur wird zu einer Geldstrafe von 300 M verurteilt (DAZ Nr. 32 vom 18.1.20).

Das Kabinett hatte keine Bedenken, daß auch der Preußische Justizminister auf den Artikel der „Deutschen Zeitung“ zur Prüfung der Frage einer Verfolgung aus andern Vorschriften des Strafgesetzbuches hingewiesen werde.

Extras (Fußzeile):