1.147.4 (bru2p): 4. Außerhalb der Tagesordnung: Fall „Nordwolle“.

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4. Außerhalb der Tagesordnung: Fall „Nordwolle“.

Geheimrat ClaußenClaußen wies erneut darauf hin, daß eine Entscheidung über besondere Maßnahmen zur Abwendung des Konkurses sehr dringlich wäre, falls der Konkurs abgewandt werden sollte4. Dem Konkursrichter läge der Antrag eines holländischen Gläubigers vor, der eine Forderung von 400 000 M habe5. Von diesem wolle der Konkursrichter jedoch erst Sicherheit verlangen. Außerdem läge ein Antrag auf Konkurseröffnung von der „Nordwolle“ selbst vor6. Auf diesen könne der Richter die Entscheidung nicht länger hinausschieben. Wenn durch Konkurseröffnung die Betriebe zum Erliegen kämen, handele es sich um 17–20 000 Arbeiter. Abzuwenden wäre der Konkurs nur durch neue Kapitalmittel, die zur Verfügung zu stellen wären.

4

MinR Claußen hatte in der Chefbesprechung vom 17.7.31 den Erlaß einer NotVO zur Abwendung eines Konkurses des „Nordwolle“-Konzerns vorgeschlagen (Niederschrift des RegR Krebs in R 43 I /2371 , S. 467–474, hier S. 474).

5

In der DAZ Nr. 323–324 vom 19.7.31 war eine Meldung über den Konkursantrag erschienen.

6

Der Konkurs der „Nordwolle“ wurde am 21.7.31 angemeldet und eröffnet (DAZ Nr. 327–328 vom 22.7.31).

Die Möglichkeit für Hilfsmaßnahmen sei dadurch günstiger geworden, daß ein Bankenkonsortium sich zusammenzuschließen bereit sei, um 10 Millionen RM aufzubringen. Dieser Betrag solle die Weiterführung der Betriebe für etwa acht Wochen ermöglichen. In dieser Zeit könnte die Lage weiter geklärt werden. Verschiedene der betreffenden Banken seien bereits endgültig entschlossen. Für die Danat-Bank, die wegen ihrer Forderungen an „Nordwolle“ beteiligt[1396] werden solle, habe Staatssekretär Bergmann7 Bedenken. Auch die Stadt Bremen scheine diesen Plan unterstützen zu wollen.

7

Bergmann war Treuhänder der Danatbank: s. Dok. Nr. 380, Anm. 12.

Als Form einer Hilfsmaßnahme komme in Betracht eine Notverordnung analog der Verordnung für die Danat-Bank. Dagegen bestünden natürlich vielfache Bedenken. Gleichwohl sei das die einzige Möglichkeit.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg meinte, für das Reichswirtschaftsministerium habe er sich in der letzten Sitzung gegen eine solche Notverordnung ausgesprochen. Jetzt sei die Lage aber insofern verändert, als erstens 10 Millionen von dritter Seite aufgebracht werden sollten, und zweitens auch die Wollindustrie ebenso wie die Arbeitnehmer wegen Aufrechterhaltung der Betriebe drängten. Die Wollindustrie sei anfangs gegen eine Stützung gewesen, weil sie gehofft habe, sich des Konkurrenzunternehmens zu entledigen. Mittlerweile sei ihr bewußt geworden, daß sie selbst durch den Konkurs der „Nordwolle“ stark gefährdet werden würde. Dem Reich würde eine Hilfe zunächst also nichts kosten8. Durch eine Notverordnung könnte aber der Konkurs hintangehalten werden. Das würde vor allem auch England gegenüber günstig wirken. England wäre stark beteiligt9. Falls England Verluste haben sollte, würden wir dadurch Nachteile nach anderer Richtung sicherlich zu fühlen haben. Es werde also schließlich doch etwas getan werden müssen.

8

Telegramme und Schreiben von Firmen und Gemeinden, die sich für oder gegen eine Stützung der „Nordwolle“ aussprachen, befinden sich in R 2 /15471 .

9

Nach einem Vermerk des RFMin. vom 19.8.31 hatten insgesamt 15 brit. Banken Forderungen von insgesamt 32 Mio RM gegenüber der „Nordwolle“ (R 3 /15472 ).

Der Reichsminister der Finanzen hielt eine Notverordnung mit Rücksicht auf den Reichspräsidenten [für] ganz unmöglich. Wenn es zum Konkurs komme, würde eine Reihe von Betrieben des „Nordwolle“-Konzerns, die gesund wären, sich halten. Der Konzern würde also dann zurückgebildet werden.

Staatssekretär Dr. MeissnerMeissner äußerte gleichfalls starke Bedenken gegen eine Notverordnung zugunsten der „Nordwolle“. Er meinte, das würde derart beunruhigend wirken, daß Donnerstag die Reichstagseröffnung sicher wäre.

Staatssekretär Dr. JoëlJoël wies auf die Möglichkeit hin, eine Notverordnung nicht zugunsten der „Nordwolle“, sondern zugunsten der Gläubiger der „Nordwolle“ zu erlassen. Wenn die neu einzuschießenden 10 Millionen eine bevorrechtigte Stellung haben sollten, müßten auch die übrigen, d. h. die bisherigen Gläubiger zustimmen. Es wäre ein Ausschuß von etwa drei Treuhändern einzusetzen. Die Notverordnung könne die Reichsregierung vielleicht ermächtigen, zum Schutz der Gläubiger von „Nordwolle“ ein Moratorium von zwei Wochen zu erklären. Das wäre ein technischer Weg. Die endgültige Entscheidung wäre damit nur vorbehalten.

Reichsminister TreviranusTreviranus teilte mit, daß Rechtsanwalt Lejeune10, der die Interessen der Wollindustrie vertrete, ihm den Konkurs als die einzige Lösungsmöglichkeit bezeichnet habe.

10

Paul Lejeune-Jung, Vertrauensmann der dt. Wollkämmereien und des dt. Wollhandels. Vgl. auch Dok. Nr. 193, Anm. 11.

[1397] Staatssekretär Dr. MeissnerMeissner äußerte sehr starke Bedenken gegen eine Notverordnung, die sich irgendwie mit der „Nordwolle“ befasse, erstens wegen der Person des Herrn Reichspräsidenten, die damit in die Mißstimmung der Bevölkerung wegen der „Nordwolle“ hineingezogen werde, und zweitens, weil dann auch andere Betriebe und vor allem die Landwirtschaft im Osten ein Moratorium verlangen könnten.

Staatssekretär Dr. Meissner meinte, daß eine Hilfsmaßnahme nur dann Zweck habe, wenn durch sie die 10 Millionen des Banken-Konsortiums hereingebracht würden. Das sei bei dem von Staatssekretär Joël vorgeschlagenen Schema nicht der Fall. Danach scheine auch ihm nur der Konkurs übrig zu bleiben.

Der Reichsverkehrsminister äußerte Bedenken gegen den Erlaß einer Notverordnung auch deswegen, weil der Artikel 48 der Reichsverfassung dazu nicht berechtige.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg und Staatssekretär Dr. JoëlJoël stimmten dann dahin überein, daß die Banken wegen ihrer Interessen an der Fortführung der Betriebe vielleicht auch ohne Moratorium die 10 Millionen hergeben würden, um ihr Geld zu retten.

Der Reichsminister der Finanzen stellte noch fest, daß alle die Folgen, die man von dem Fall „Nordwolle“ befürchtet habe, vor allem auf die Stadt Bremen und die Schröder-Bank11, doch eingetreten seien, so daß diese nicht mehr abzuwenden seien.

11

S. unten P. 6 und Dok. Nr. 400.

Das Kabinett beschloß, in der Sache „Nordwolle“ nichts zu tun. Insbesondere solle auf die Frage einer Notverordnung nicht wieder zurückgekommen werden12.

12

Das Reich hat sich an der Konkursabwicklung der „Nordwolle“ nicht beteiligt. Fünf Wollkämmereien des Konzerns wurden am 14.7.32 in zwei neugegründete Aktiengesellschaften eingebracht (Presseberichte in R 2 /15473 ). G. Carl LahusenLahusen, der am 17.7.31 verhaftet worden war (s. Dok. Nr. 360, Anm. 3), wurde am 12.10.32 gegen eine Kaution von 1 Mio RM aus der Untersuchungshaft entlassen (Schreiben des Bürgermeisters Donandt an RFM Schwerin v. Krosigk vom 13.10.32, R 2 /15473 ). Der Prozeß gegen die Brüder LahusenLahusen wegen Konkursverbrechen, Bilanzverschleierung, Untreue und Kreditbetrug war auf Februar 1933 angesetzt worden, wurde jedoch verschoben (Leipziger Neueste Nachrichten vom 23.6.33, R 2 /15473 ).

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