2.101.1 (lut1p): Note über die Voraussetzungen für die Räumung der nördlichen Rheinlandzone.

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Note über die Voraussetzungen für die Räumung der nördlichen Rheinlandzone1.

1

All. Kollektivnote in der Entwaffnungs- und Räumungsfrage („Entwaffnungsnote“) vom 4.6.25. Zur vorangegangenen Beratung s. Dok. Nr. 96, dort auch Anm. 1 und 9.

Einleitend bezeichnete der Reichskanzler als näheren Gegenstand der Tagesordnung die Fragen:

[324] 1) wie weit die Vorarbeiten gediehen seien und

2) welche Probleme etwa zur taktischen Erledigung auftauchten.

Der Reichswehrminister 1) In zwei grundsätzlichen Fragen könne das Reichswehrministerium den Forderungen der Alliierten nicht nachgeben, nämlich

a) in der Frage des Oberbefehls (General v. Seeckt) und der Organisation des Heeres und

b) gegenüber dem Versuch der Entente, auch in die legale Ausbildung der Truppen mit den uns im allgemeinen zugestandenen Waffenarten hineinzureden (Verbot der Infanteriegeschütze sowie der schweren Maschinengewehre für die Kavallerie).

2) Es gebe eine Reihe von Fragen, in denen die Reichswehr den Wünschen der Note sofort nachkommen könne; das eine seien Punkte, in denen der Vertrag tatsächlich verletzt sei (dies seien aber Mängel, die im wesentlichen bereits abgestellt seien), das andere Ausrüstungsfragen von untergeordneter Bedeutung, in denen das Reichswehrministerium zwar der Auffassung sei, daß die Forderungen im Vertrage nicht begründet seien, die aber dennoch erfüllt werden könnten.

3) Eine Reihe sehr wichtiger Punkte, wo noch nähere Aufklärung darüber herbeigeführt werden müsse, was die Note eigentlich verlange; verschiedentlich seien die Forderungen nicht genau genug angegeben, und in anderen Fragen wiederum sei offengelassen, was die Entente eigentlich vorhabe.

Nach seiner Ansicht müßten sich auch bei den übrigen Ressorts die Forderungen der Note nach diesen drei Gesichtspunkten gruppieren lassen. Die Vorarbeiten im Reichswehrministerium seien insoweit fertiggestellt.

Der Reichsminister der Finanzen bezeichnet diesen Weg als für sein Ressort nicht gangbar. Die im Geschäftsbereich des Reichsfinanzministeriums (Zerstörungen industrieller Anlagen usw.) gestellten Forderungen seien so unpräzise, daß vor Aufnahme der eigentlichen Arbeiten erst festgestellt werden müsse, was die Note eigentlich wolle.

Der Reichskanzler hielt folgende Probleme der Klärung für bedürftig:

1) ob im großen überschläglich festgestellt werden solle, was die Erfüllung der Forderungen ungefähr kosten würde und als Unterfrage, ob nicht bei solchen Feststellungen die Forderungen der betroffenen Industriellen unberechtigt wachsen würden,

2) ob nicht unter den Forderungen solche seien, die von vornherein vor aller Welt als unsinnig bezeichnet werden könnten, weil bisher bereits die Entente von den beanstandeten Vorgängen Kenntnis gehabt habe, ohne sie zu beanstanden, wie zum Beispiel in Haselhorst2.

2

Gemeint ist das Werk Haselhorst der Dt. Werke AG, im Kriege Gewehr- und Munitionsfabrik, danach mit allen Betriebseinrichtungen auf Herstellung von Motorrädern und Automobilen umgestellt. Zur diesbez. Stellungnahme der von der RReg. mit der Prüfung der all. Entwaffnungsnote beauftragten Kommission des Generals v. Pawelsz s. Anm. 4 zu Dok. Nr. 110.

Erst nach Klärung dieser Probleme sei festzustellen, ob Deutschland in Verhandlungen mit der Militärkontrollkommission eintreten solle oder nicht.

[325] Der Reichsminister der Finanzen hielt es für ausgeschlossen, die Kosten auch nur annähernd zu schätzen, befürchtete auch von einer Schätzung sachliche Schwierigkeiten, insofern als bei zu geringer Schätzung der Wunsch der Entente auf Erfüllung verstärkt werden, bei zu hoher Schätzung aber eingeworfen werden könne, die Summen seien ja als nötig kalkuliert, daher könne in ihrem Rahmen der Umkreis der Forderungen aufrechterhalten werden.

Der Reichsarbeitsminister hielt für erforderlich, zunächst tatsächlich festzustellen, was im einzelnen gefordert wäre. Dazu würden voraussichtlich Rückfragen bei den einzelnen industriellen Werken erforderlich sein. Diese Rückfragen müßten von einer Stelle aus veranlaßt und durchgeführt werden, damit Doppelarbeit bei den einzelnen Ressorts vermieden werde. Er habe den englischen Arbeitsminister3 bereits darauf hingewiesen, daß die Note mehr eine Konkurrenz- als eine Entwaffnungsnote sei. Ob sich tatsächlich der Charakter der Note als der einer Konkurrenznote nachweisen lasse, müsse festgestellt werden, ehe man über die Art und Weise des Verfahrens Richtlinien festlegen könne. Eine Gegenaktion deutscherseits habe nur Erfolg, soweit es sich um Abwehr von Bestrebungen zur Vernichtung der deutschen Konkurrenz handle.

3

Sir Arthur Steel-Maitland.

Der Reichswirtschaftsminister Die großen Hohlzylinder der Firma Krupp seien entscheidend für die Herstellung von Stickstoff und Methylalkohol. Sie seien zwar früher zur Fertigung von Kanonenrohren benutzt worden, jetzt aber auf jene Fabrikationen eingestellt und Voraussetzung für die Lieferung von Stickstoff und Methylalkohol auch ins Ausland. Die einzige Konkurrenz auf diesem Gebiet sei möglich durch die Firma Armstrong in England. Bei Vernichtung der Hohlzylinder würde also England durch ein Monopol von Armstrong der einzige Gewinner sein. Außer diesem Punkte sei bisher nichts ganz geklärt.

Der Reichswehrminister: Die vorliegende Note stelle den Abschluß der Generalinspektion dar. Unter diesem Gesichtspunkt müsse Stellung genommen werden. Daraus ergäben sich die Richtlinien für die geschäftliche Behandlung bei uns und bei der Gegenseite. Für diese sei bei uns erforderlich:

1) einheitlich die Forderungen festzustellen, danach die aufgeklärten Punkte zu erledigen, insbesondere klarzustellen, welche Forderungen wir erfüllen könnten und welche wir weder erfüllen könnten noch wollten. Etwa bei 90% der Forderungen sei dies alsbald möglich. Die restlichen 10% bedürften genauester Prüfung. Kämen wir hier den Forderungen durch Zerstörung nach, dann würden wir das Vernichtete auch an anderer Stelle nicht mehr aufbauen können. Typisch seien die Zerstörungsforderungen hinsichtlich gewisser Kruppscher Maschinen, bei denen sich Frankreich mit einer Verlegung nach Magdeburg einverstanden erklärt, England aber die Zerstörung verlangt habe. Diese (die Kruppschen Pressen) seien an sich zugestanden, aber rückständig. Krupp habe die Transferierung verweigert. Das deutsche Interesse gehe dahin, verbesserte neue Maschinen dieser Art anderwärts aufzustellen4. Notwendig sei[326] ein Kommissar, der alle Punkte zusammenzustellen und die Verhandlungen mit der Entente zu führen habe. Dieser Kommissar müsse ein Militär sein, da auch die Gegenseite Militärs bestellt habe. Zudem sei das Auswärtige Amt in den Verhandlungen zu weich. Der General von Pawelsz sei bereits früher zum Kommissar gegenüber der Interalliierten Militär-Kontroll-Kommission bestellt worden und habe die Verhandlungen seit vielen Monaten geführt5. Es sei zweckmäßig, ihn auch weiterhin mit der Bearbeitung der einschlägigen Fragen zu beauftragen. Verhandlungen zwischen den Regierungen hätten nur da einzusetzen, wenn von Pawelsz nicht weiterkomme. Dann erst habe die Reichsregierung zu entscheiden, ob nachgegeben werden solle oder nicht. Der Reichskanzler müsse von Pawelsz oder irgend jemand anders beauftragen, nur müsse irgend jemand bestellt und den Franzosen benannt werden, damit diese nicht, wie bisher gelegentlich geschehen, ein Ressort gegen das andere ausspielen könnten.

4

Zur Frage der Zerstörung Kruppscher Maschinenanlagen s. auch die Stellungnahme der Kommission des Generals v. Pawelsz in Anm. 4 zu Dok. Nr. 110.

5

Zur Regelung der Modalitäten der im Herbst 1924 anlaufenden Generalinspektion hatte RK Marx am 17.7.24 zunächst den Generalleutnant Strempel, Vorsitzenden des Hauptverbindungsstabes der Heeresfriedenskommission, zum Reichskommissar bestellt und ihn zur Führung der Verhandlungen mit der IMKK bevollmächtigt. An seine Stelle trat am 28.8.24 Generalmajor v. Pawelsz (Aktenmaterial in R 43 I /417 ; s. dazu auch diese Edition: Die Kabinette Marx I/II, Dok. Nr. 256, P. 1 und Nr. 286).

Staatssekretär Weismann: Hinsichtlich der Polizeiforderungen ließen sich die drei Gruppen, die der Reichswehrminister formuliert habe, unschwer zusammenstellen:

1)

Es gebe eine Reihe von Forderungen, die zwar lächerlich seien, aber erfüllt werden könnten, z. B. die hinsichtlich der Beseitigung der Stahlhelme.

2)

Über andere könne man verhandeln.

3)

In drei Punkten könne aber nicht nachgegeben werden:

a)

Die Beseitigung der militärischen Bezeichnungen bei der Schupo sei unmöglich.

b)

Ebenso die Verleihung des Beamtencharakters auf Lebenszeit6.

6

Diese Forderung wird in einer Besprechung mit Polizeireferenten im RIMin. am 13. 6. als einer der „Hauptpunkte der Note“ bezeichnet. Sie mache deutlich, wie sehr die Entente an einer allmählichen Überalterung der dt. Polizei interessiert sei. In anschließender Erörterung der all. Behauptung, daß sich die Stärke der Polizei auf 180 000 statt der in der Boulogner Note (s. Anm. 11 zu Dok. Nr. 96) zugestandenen 150 000 Mann belaufe, wird vorgeschlagen, bei der IMKK anzufragen, „wo die angeblich überzähligen Schutzpolizisten sich befinden sollten.“ (Aufzeichnung Wachsmanns in R 43 I /418 , Bl. 224).

Hinsichtlich dieser beiden Punkte habe Ministerialdirektor Abegg von General Walch erfahren, daß Schwierigkeiten nicht gemacht werden würden.

c) Es sei unerträglich, daß die Entente die Städte bestimme, wo Kasernierung erlaubt sei. Es könne sich nur darum handeln, daß sie deutsche Vorschläge in dieser Richtung zu genehmigen habe7.

7

Zur weiteren Behandlung der Kasernierungsfrage s. Dok. Nr. 152.

Der Reichskanzler erbat ähnliche Gruppierungen vom Reichsfinanzminister.

Der Reichsfinanzminister war dazu noch nicht in der Lage. Die weitaus größte Mehrzahl der Forderungen gegenüber dem Reichsfinanzministerium sei von der Entente noch nicht genau präzisiert. Sie habe sich dies noch vorbehalten. Diese Vorbehalte hätten offenbar zum Zweck, die deutsche Konkurrenz[327] auf wirtschaftlichem Gebiet durch Nachforderungen noch mehr lahmzulegen, als es durch die präzisierten Forderungen bereits geschehen sei. Werde zum Beispiel der Forderung bezüglich der Stillegung von Haselhorst entsprochen, dann würden die Deutschen Werke in ihrer Gesamtheit dadurch erledigt werden, da sie im wesentlichen nur noch durch Haselhorst aufrechterhalten würden. Das offenbar beanstandete D-Rad8 sei jüngst ins Ausland ausgeführt worden; offenbar habe man mit Rücksicht darauf die deutsche Konkurrenz beseitigen wollen.

8

Nähere Einzelheiten hierzu in R 43 I nicht ermittelt.

Der Reichsminister des Auswärtigen schlug vor, alle diese Fälle unter die Rubrik der noch zu klärenden Punkte aufzunehmen.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß bezüglich Haselhorst daran festgehalten werden müsse, daß der Bau der Fabrik formell genehmigt worden sei.

Der Reichswehrminister wies noch darauf hin, daß Haselhorst vor dem Kriege noch gar nicht bestanden habe. Wenn hier nachgegeben werde, so würde das der erste Fall sein, wo die Entente ein industrielles Unternehmen ohne kriegerischen Charakter beseitigt habe. Ähnliche Forderungen würden dann alsbald in großem Ausmaß erscheinen.

Der Reichsminister des Auswärtigen hielt die vom Reichswehrminister einleitend vorgenommene Gliederung für richtig:

1)

müsse festgestellt werden, was wir bereit wären zu erfüllen. Das werde beim Reichswehrministerium und hinsichtlich der Polizei am leichtesten der Fall sein. Diese Dinge könnten alsbald ausgeräumt werden;

2)

müßten die Punkte zusammengestellt werden, bei denen noch Rückfragen und Verhandlungen mit der Gegenseite erforderlich seien. Dies sei hinsichtlich der meisten Forderungen gegenüber dem Reichsfinanzministerium der Fall, wo das meiste noch ungeklärt sei. Diese Klärung müsse aber vor irgendeiner sachlichen Behandlung oder Ernennung eines Kommissars stattfinden.

3)

müsse festgestellt werden, was wir nicht erfüllen wollten. Dazu gehöre die Frage des Kommandos und der Organisation bei der Reichswehr, ferner Haselhorst. Vor Beginn jeglicher Verhandlungen müsse geklärt werden, was Deutschland wolle oder nicht wolle; Rückfragen bei Firmen seien jedoch nicht mehr notwendig, weil diese genau informiert seien und ihre Rechnungen nur unnötig hochschrauben würden.

Erst nach Erledigung dieser drei Fragen sei die Frage der Bestellung eines Kommissars spruchreif. Alle Verhandlungen müßten in einer Hand zusammenlaufen. Die Personenfrage sei dabei gleichgültig. Der zu Ernennende müsse aber auf allen Gebieten Bescheid wissen. In der Hauptsache würde der Kampf um die wirtschaftlichen Zerstörungen gehen, daher sei auch bei der Ernennung darauf Gewicht zu legen. Im Auswärtigen Amt sei heute eine Nachricht eingelaufen, nach der man hoffe, Deutschland mürbe zu machen9. Es sei notwendig, die[328] Presse alsbald mit Material zu versorgen, damit sie ihrerseits Stellung nehmen könne; namentlich bezüglich Haselhorst und des D-Rades müsse die Presse alsbald informiert werden. Den Alliierten müsse dadurch deutlich gemacht werden, daß Deutschland nicht bereit sei, alles zu erfüllen10. Gelegentlich von Besprechungen mit zwei Botschaftern habe er den Eindruck gewonnen, daß Weigerungen Deutschlands in manchen Punkten als selbstverständlich erwartet würden11. Daher müsse die Presse vor allen Dingen mit Material darüber versorgt werden, was wir nicht erfüllen wollten. Vor Ernennung eines Kommissars müsse auch hier erst völlige Klärung Platz greifen. Notwendig sei aber außerdem, vorher den Eingang der Sicherheitsnote abzuwarten12, die voraussichtlich eine Konferenz anregen werde. Im Augenblick, wo der Kommissar ernannt werde, müsse eine offizielle Note an die Gegenseite herausgegangen sein, in der der deutsche Standpunkt in allen Punkten genau festgelegt sei, damit die Gegenseite von vornherein klar erkenne, worauf sich die Vollmacht erstrecke.

9

Der Gesandte Müller hatte am 11. 6. aus Bern berichtet, in Bundesratskreisen würden die Aussichten des Sicherheitspaktes sehr skeptisch beurteilt, es sei denn, „daß Deutschland sich von Briand den Strick umlegen lasse.“ Deutschland sollte sich auf keinen Fall von der frz. Propaganda „zermürben“ lassen und dem frz. Drängen nachgeben. Man sei in Bern überrascht, „daß die nationalistische Presse in ihrer Opposition gegen Entwaffnungsforderungen so schnell abgeflaut ist, was ein an der Spitze der Propaganda stehendes Mitglied hiesiger französischer Militärmission bereits zum Ausspruch veranlaßte, ‚sie hören schon auf zu toben […], Hindenburg wird alles schlucken‘.“ (Telegramm Nr. 139, Pol. Arch. des AA, Büro RM, 30 Entwaffnung und Internationale Kommissionen, Bd. 5).

10

„Tägliche Rundschau“ warnt am 14. 6. vor dem Versuch einer politischen Demütigung Deutschlands, der in dem „Ansinnen der Zerstörung industrieller Anlagen“, die der ausländischen Konkurrenz lästig werden könnten, besonders deutlich zum Ausdruck komme. „Auf solche Forderungen kann es nur ein Nein geben. […] Haben die Amerikaner Deutschland die Kredite gegeben, damit Frankreich ihre wirtschaftliche Ausnutzung verhindert, oder haben sie sie gegeben, damit Deutschland leistungs- und zahlungsfähig wird? Die französische Politik drängt Deutschland zur wirtschaftlichen Katastrophe; sie treibt aber auch ganz Europa in die Katastrophe. Wird Präsident Coolidge dieser Politik auch weiter untätig zusehen, nachdem sie durch die Entwaffnungsnote aller Welt unverblümt und mit unverkennbarem Hohne dargelegt hat, daß sie den Dawes-Plan zu einer Farce zu machen gedenkt.“

11

Bei einem dieser Gespräche handelt es sich möglicherweise um die Unterredung mit D’Abernon vom 10. 6. Stresemann vermerkt dazu in einer Aufzeichnung gleichen Datums, der Botschafter habe durchblicken lassen, „daß die ganze Frage der Entwaffnung sekundärer Natur sein würde, wenn wir uns in den anderen Fragen zu einigen verständen.“ (Stresemann, Vermächtnis, Bd. II, S. 102).

12

Zur frz. Sicherheitsnote, die am 16. 6. in Berlin überreicht wird, s. Anm. 3 zu Dok. Nr. 110.

Der Reichsarbeitsminister hielt demgegenüber für nützlich, den Kommissar alsbald zu ernennen; nur dürfe er nicht den Auftrag erhalten, mit der Gegenseite zu verhandeln, sondern nur den, das Material zu sichten und zu sammeln und die Verhandlungen innerhalb der Ressorts zu fördern. Für den Kommissar, der später mit den Verhandlungen betraut werde, sei allerdings von Wichtigkeit, daß er auch die Vorarbeiten genau kenne, da er nur durch sie richtig ins Bild kommen könne. Bevor die Presse eingeschaltet werde, müsse ganz genau festgelegt werden, wo wir nein und wo wir ja sagen wollten. Unter allen Umständen sei zu vermeiden, daß man sich vorher festlege, um hernach umzufallen. Daher müßten die Untersuchungen über den wahren Sachverhalt abgeschlossen sein, ehe die Presse über Einzelheiten informiert werden könne. Alles komme darauf an, nachzuweisen, daß es sich nicht um eine Abrüstungs-, sondern um eine Konkurrenzfrage handle. Überall, wo nachgewiesen sei, daß Konkurrenzfurcht der einzig ausschlaggebende Gesichtspunkt sei, werde die Entente ihren Standpunkt nicht aufrechterhalten können. Das gelte namentlich von[329] England. Ehe eine offizielle Note an die Gegenseite abgehe, müsse der Eingang der neuen Note abgewartet werden.

Der Reichsminister der Finanzen Neben der Bearbeitung der Presse und der Bevölkerung überhaupt seien auch Instruktionen an die industriellen Verbände erforderlich darüber, wie sie sich zu verhalten hätten. Der Leitgedanke müsse der Nachweis sein, daß es für die deutsche Industrie und Wirtschaft unmöglich sei, den Dawes-Plan zu erfüllen, wenn nach Maßgabe der Note die Industrie zerschlagen werden würde. Für die taktischen Vorbereitungen der Verhandlungen habe er an eine Organisation gedacht, ähnlich der, wie sie im handelspolitischen Ausschuß beim Auswärtigen Amt geschaffen sei13. Vorsitzender müsse jedoch eine Zivilperson sein, da ein Militär in den wirtschaftlichen Fragen nicht genügend eingearbeitet sei, da ferner die Hoffnung bestehe, daß die Gegenseite ebenfalls einen wirtschaftlich orientierten Beamten für die Verhandlungen bevollmächtigen werde, wenn das deutscherseits geschähe. Er behalte sich vor, eine geeignete Persönlichkeit namhaft zu machen.

13

Über Auftrag und Zusammensetzung des im März 1925 eingerichteten „Ständigen Handelspolitischen Ausschusses beim AA“ s. Anm. 8 zu Dok. Nr. 42.

Der Reichskanzler Die Suche nach einem geeigneten Kommissar stehe noch nicht zur Debatte und würde die Vorarbeiten erschweren. Die baldige Bestellung habe zwar viele Vorteile, sei aber nicht ausschlaggebend. Zunächst müsse vor allem der innere Tatbestand geklärt werden. Dazu sei die Zusammenfassung an einer Stelle notwendig. Er rege an, die Reichskanzlei damit zu beauftragen. Hinsichtlich der Bearbeitung der Presse würde die Bekanntgabe der ermittelten Tatbestände genügen, um die Interessenten mobil zu machen. Zu genaue Information der Presse könne unter Umständen – namentlich von der Gegenseite – mißgedeutet werden.

Der Reichswehrminister hielt es für ausgeschlossen, jetzt eine neue Organisation bei der Reichskanzlei zu schaffen. Ehe der in dieser in Aussicht genommene Beamte genügend eingearbeitet sei, um die Vorarbeiten richtig zu leiten, würde zuviel Zeit vergehen. Auch er habe an eine Kommission gedacht, deren Vorsitzender nach seiner Meinung General von Pawelsz sein würde. Eine solche Organisation sei notwendig, genau wie sie in der Kriegslastenkommission14 geschaffen sei. Die Kommission sei aber bereits vorhanden, da General von Pawelsz ja einen Stab von Mitarbeitern habe, der eventuell noch erweitert werden könne. Sein ihm seinerzeit erteilter Auftrag umfasse zudem auch den Auftrag, um den es sich jetzt handle.

14

Gemäß Verfügung des PRräs. vom 31.7.19 (RGBl., S. 1363 ) eingerichtete interministerielle Institution zur Führung von Verhandlungen über die Angelegenheiten des VV. Die Kommission besteht aus Vertretern des AA, des RFMin., des RWiMin. und des RArbMin. Vorsitzender ist z. Z. StS Fischer vom RFMin.

Der Reichsminister des Auswärtigen Die Reichskanzlei könne nur dazu da sein, die Erledigung der Fragen im Kabinett im Auge zu halten. Die in ihr mit diesen Aufgaben zu betrauenden Beamten brauchten sich daher nicht weiter einzuarbeiten, sondern hätten nur zu kontrollieren, wie weit die einzelnen Ressorts in jeder Frage seien, um die entscheidungsreifen dann sofort vor das Kabinett zu bringen.

[330] Der Reichskanzler Nur so habe er seine Anregung gemeint. Das Ziel sei, die Tatbestandaufnahme in einer Hand zusammenzufassen, damit das Kabinett möglichst bald zu entscheiden in der Lage sei.

Der Reichsminister der Finanzen Federführend in den vorliegenden Fragen sei das Auswärtige Amt. Der handelspolitische Ausschuß dort gebe ein gutes Vorbild.

Der Reichswehrminister Wenn seinen Vorschlägen stattgegeben würde, bestünden keinerlei Hemmungen. General von Pawelsz unterstehe nicht ihm, sondern sei vom Reichskanzler Marx unmittelbar ernannt und dem Reichskanzler unterstellt. Er könne daher als Kommissar der Reichskanzlei angesehen werden.

Der Reichswirtschaftsminister hielt Pawelsz für durchaus geeignet zur Durchführung der Vorarbeiten, auch vom wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus. Es handle sich ja nur um Materialsammlung, die Pawelsz auch als Soldat durchführen könne.

Der Reichskanzler Es handle sich nur um die zentrale Leitung. Wenn man berücksichtige, daß Pawelsz seit langen Jahren in der Materie gearbeitet habe, und ihm Sachverständige aus anderen Ressorts beigebe, so sei es vielleicht am besten, ihn seinen bisherigen Aufträgen entsprechend auch für die gegenwärtigen Aufgaben in seiner Tätigkeit zu belassen.

Der Reichsverkehrsminister Wenn Pawelsz auch für die Verhandlungen als Kommissar belassen werde, so schließe das den Nachteil in sich, daß der Gegenseite gegenüber das nötige Schwergewicht der Verhandlungen nicht auf die Industrieseite verlegt werde.

Der Reichsminister des Auswärtigen äußerte Bedenken dagegen, Pawelsz später mit den Verhandlungen zu betrauen. Würde er Verhandlungskommissar, dann könnte die Entente daraus entnehmen, daß die Deutsche Regierung die Note als eine Entwaffnungsnote ansehe, während sie doch auch durch die Person des Kommissars darauf hingewiesen werden müsse, daß es sich um eine rein wirtschaftliche Note handle. Wenn Deutschland für die Organisation der Reichswehr, insbesondere für General Seeckt kämpfe, so sei ein Zivilkommissar ganz anders in der Lage, die Interessen der Reichswehr zu vertreten, als wenn die Reichswehr für sich selbst kämpfe.

Der Reichswehrminister Er stehe auf einem gänzlich anderen Standpunkt. Maßgebend sei allein die Persönlichkeit, nicht aber, ob es sich um eine Militär- oder eine Zivilperson handle. Wenn die Verhandlungen nicht dem Militär überlassen würden, dann würde bei diesem der Eindruck verstärkt werden, daß die Regierung bereit sei, militärische Belange hinter wirtschaftlichen Belangen zurückzustellen.

Der Reichskanzler Er sei bereit gewesen, sich für Pawelsz zu entscheiden, wenn die Frage offenbleibe, wer hernach verhandeln solle. Werde aber aus der Bestellung eines Kommissars für die Vorarbeiten ein Präjudiz dafür hergeleitet, wer dann später die Verhandlungen führen solle, so sei ihm die Entscheidung erschwert. Er könne die Personenfrage erst entscheiden, wenn er ein vollständiges Sachbild vor sich habe.

[331] Der Reichswirtschaftsminister legte Wert auf die Mitarbeit von Pawelsz im gegenwärtigen Zustande, weil er auch die Wirtschaftsbetriebe von Haus aus besucht habe und genau kenne. Ein Präjudiz für die Leitung der Verhandlungen dürfe aber aus dieser etwaigen Bestellung nicht hergeleitet werden.

Der Reichskanzler schlug vor, folgenden Beschluß zu fassen:

a)

Es werde ausdrücklich festgestellt, daß darüber, von wem und wie nach außen die Verhandlungen geführt werden sollten, ein Kabinettsbeschluß nicht gefaßt worden sei.

b)

Das Kabinett entscheide sich für die Bestellung des Generals von Pawelsz als Kommissar für die innere Prüfung des gesamten Sachverhalts und für die Sammlung des Materials im Zusammenhang mit den übrigen Ressorts.

Der Reichswehrminister hatte gegen diese Formulierung sachlich nichts zu erwidern, hielt es aber nicht für nötig, einen Beschluß über die Bestellung von Pawelsz zu fassen, da er ja bereits bestellt sei und unter ihm eine Kommission auch bereits arbeite, deren Vorsitz er führe. Daher genüge es, wenn Pawelsz jetzt vom Herrn Reichskanzler beauftragt werde, gemäß der Formulierung des Herrn Reichskanzlers zu verfahren. Ein Präjudiz könne daraus nicht hergeleitet werden.

Der Reichsminister der Finanzen hielt die Schaffung eines Präjudiz für unvermeidlich, da die Liste nur nach Verhandlungen mit der Gegenseite ordnungsmäßig zusammengestellt werden könnte und sachgemäße Materialsammlung daher Verhandlungen mit der Gegenseite zur Voraussetzung habe. Dadurch müsse unvermeidlich ein Präjudiz für die späteren Verhandlungen geschaffen werden. Er halte für richtig, wie bisher weiterzuarbeiten, das heißt dem Auswärtigen Amt die Federführung zu belassen und ihm aufzugeben, sich mit den Ressorts in Verbindung zu setzen.

Der Reichswehrminister hielt das nicht für angängig, da ja bereits vor Jahren dem General von Pawelsz sein Auftrag erteilt worden sei und er mit der ihm unterstellten Kommission bereits arbeite. Von ihm könne sofort ein abschließender Bericht über die Forderungen der Gegenseite verlangt werden. Dazu bedürfe es nur eines Auftrages des Reichskanzlers. Es sei unmöglich, die allgemeine Vollmacht, die Pawelsz habe, jetzt zu beschränken. Er stehe täglich in Verbindung mit der Gegenseite; ihm könne das jetzt nicht plötzlich untersagt werden. Die tägliche Verbindung sei notwendig, weil die Kontrolle ja auch gegenwärtig noch ausgeübt werde.

Der Reichskanzler stellte die Frage, ob die Kommission, der Pawelsz vorsitze, als eine von der Reichskanzlei eingesetzte Kommission noch bestehe.

Die Frage wurde bejaht.

Der Reichskanzler stellte daraufhin fest, daß es sich dann für ihn jetzt nur darum handeln könne, welchen Auftrag er im gegenwärtigen Augenblick dieser Kommission zu geben habe.

Der Reichsarbeitsminister erklärte sich damit einverstanden. Entscheidend sei nicht die Wahl dieser oder jener Person; für die Vorarbeiten für spätere Verhandlungen sei derjenige am besten geeignet, der die früheren Verhandlungen geführt habe. Dadurch würde nicht ausgeschlossen, daß für spätere Verhandlungen ein Auftrag trotzdem an jemand anders erteilt werde.

[332] Der Reichswehrminister stimmte dem zu.

Widerspruch wurde von keiner Seite erhoben.

Der Standpunkt des Reichskanzlers wurde also gebilligt15.

15

Der Auftrag des RK an v. Pawelsz, erteilt mit Schreiben vom 12. 6., lautet: Leitung einer aus Vertretern der beteiligten Ressorts (AA, RFMin., RWiMin., RArbMin., RJMin. u. RVMin.) zusammengesetzten Kommission, mit der Aufgabe, die gesamten in der all. Entwaffnungsnote enthaltenden Forderungen auf ihre Durchführbarkeit zu überprüfen. Diese Arbeiten sollen mit größter Beschleunigung durchgeführt und ihre Ergebnisse bis spätestens 25. 6. vorgelegt werden (R 43 I /418 , Bl. 221). S. dazu Dok. Nr. 110, dort bes. Anm. 4.

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