2.23.3 (bru1p): 3. Maßnahmen zum Schutze der Landwirtschaft.

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3. Maßnahmen zum Schutze der Landwirtschaft.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft begründete eingehend die Notwendigkeit, den Zoll für Speiseerbsen zu erhöhen2.

2

Zur Vorlage des REM über Zollerhöhungen und Änderungen des Einfuhrscheinsystems vom 16.4.30 s. Dok. Nr. 19, P. 6, Anm. 16. In der schriftlichen Begründung der Vorlage vom 29.4.30 hatte der REM wegen der abgesunkenen Speiseerbsenpreise eine Erhöhung des Zollsatzes von 4 RM auf 15 RM gefordert (Vorlage in R 43 I /2543 , Bl. 139–172).

Der Reichsminister des Auswärtigen führte hierzu aus, daß er bereit sei, wie bisher zur Hebung des inneren Preisniveaus für die agrarischen Produkte mitzuwirken, daß es aber fraglich sei, ob der gegenwärtige Augenblick zur Ausführung der gewünschten Zollerhöhung für Speiseerbsen günstig sei. Rußland, die Niederlande und insbesondere Polen würden dadurch getroffen. Aus den Durchschnittseinfuhrwerten aus diesen Ländern ergebe sich, daß insbesondere auch aus Polen nicht nur im wesentlichen Futtererbsen eingeführt würden3.

3

Im Jahre 1929 waren aus den Niederlanden 22 594 dz, aus Polen 60 222 dz und aus der UdSSR 211 947 dz Erbsen eingeführt worden (Anlage 1 der Begründung vom 29.4.30, R 43 I /2543 , Bl. 149).

[82] Im russischen Vertrage sei die allgemeine Klausel, daß die russische Einfuhr von Deutschland gefördert werden solle, bei jeder deutschen Zollerhöhung unbequem4. Gleichwohl sei die Sorge wegen Holland noch mehr berechtigt als wegen Rußland.

4

Der RAM spielte wohl auf den Art. I des dt.-russ. Wirtschaftsabkommens innerhalb des dt.-russ. Vertrages vom 12.10.25 (RGBl. 1926 II S. 1 ) an, in dem die Vertragspartner betonen, die wechselseitigen Handelsbeziehungen auf jede Weise zu fördern und den Anteil beider Länder an der gegenseitigen Aus- und Einfuhr auf das Vorkriegsmaß zu bringen. In einem Telegramm aus Moskau vom 27.5.30 berichtete Botschafter v. Dirksen über einen Einspruch beim sowjetischen Außenminister Litwinow; Dirksen hatte sich über einen Kommentar in der Zeitung „Iswestija“ beschwert, der die deutschen Getreidezollerhöhungen für unvereinbar mit Art. I des Handelsabkommens erklärt hatte (R 43 I /1112 , Bl. 270 f.).

Der niederländische Gesandte habe erneut vorgesprochen wegen des Schadensersatzes für Handelsschiffe, die im Kriege versenkt worden seien. Er bringe diese Forderungen in Verbindung mit den deutschen Agrarmaßnahmen und insbesondere auch mit dem erwähnten Zoll, an dem Holland ein großes Interesse habe. Eine Erhöhung des Zolles für ungeschälte Erbsen werde nicht verstanden werden, so lange der Zoll für geschälte Erbsen mit 4 M gegenüber Belgien und Frankreich gebunden sei5. Holland werde sich bei dieser Sachlage mit Recht beschweren können.

5

Der Erbsenzoll von 4 RM war gegenüber Belgien im Handelsvertrag vom 4.4.25, Anlage IV zu Art. 4 (RGBl. II, S. 883 ), gegenüber Frankreich im Handelsvertrag vom 17.8.27, Liste B (RGBl. II, S. 523 ) festgelegt worden.

Auch Polen müsse im engen Kreis die Berechtigung zugesprochen werden, sich über die starke Erhöhung des deutschen Zollniveaus für agrarische Erzeugnisse zu beschweren. Im Handelsvertrag mit Polen seien zwar keine Bindungen der Zölle vereinbart, der damalige Stand der Zölle sei aber die Basis der Verhandlungen gewesen. Die Zukunftshoffnungen der Polen auf Absatz ihrer agrarischen Erzeugnisse in Deutschland würden vernichtet. Teilweise wären die deutschen Zölle jetzt höher als die Kampfzölle vor dem Vertragsschlusse.

Bei dieser Sachlage sei es dringend notwendig, mit der Entscheidung über die Erhöhung des Zolles für Speiseerbsen zu warten, bis der deutsch-polnische Handelsvertrag ratifiziert sei.

Im gleichen Sinne sprach sich der Reichswirtschaftsminister aus. Es handele sich nur um verhältnismäßig geringfügige Werte. Die Gesamteinfuhr an Erbsen betrage 15 Millionen, die Erzeugung von Speiseerbsen in Deutschland höchstens etwa 6 Millionen Mark. Durch scharfes Vorgehen in Nebensächlichkeiten werde das Ausland ohne Vorteil gegen Deutschland eingenommen. Eine Sanierung Deutschlands ohne Verständigung mit dem Osten und Südosten werde nicht möglich sein.

Der Reichsarbeitsminister war grundsätzlich bereit, für die Erhöhung des Speiseerbsenzolls einzutreten, hielt aber ebenfalls den gegenwärtigen Augenblick für ungeeignet. Der deutsch-polnische Handelsvertrag müsse vor endgültiger Entscheidung wegen des Erbsenzolles zunächst ratifiziert werden.

Auch der Reichsminister der Finanzen sprach sich in diesem Sinne aus. Die Frage der Einfuhrscheine sei wesentlich bedeutsamer als die des Erbsenzolles.[83] Er sei bereit, den wegen der Einfuhrscheine geäußerten Wünschen soweit entgegenzukommen, wie es nach der Etatslage irgend möglich sei. Die Arbeitslosigkeit bereite hinsichtlich der Ausbalancierung des Etats die größte Sorge. Auf die Ausfuhrmöglichkeiten müsse daher Rücksicht genommen werden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft führte demgegenüber aus, daß auch kleine Hilfen bei der gegenwärtigen Notlage der Landwirtschaft gebracht werden müßten. Auf die Stimmung des Auslandes dürfe demgegenüber nicht so weitgehend, wie vorgeschlagen, Rücksicht genommen werden. Polen habe keinen Grund sich zu beschweren. Der Handelsvertrag bringe ihm auch auf agrarischem Gebiete wesentliche Vorteile. Im übrigen sei es zweifelhaft, ob es den Polen mit der Ratifizierung des Vertrages ernst sei.

Die Niederlande hätten auch die Erhöhung des Kartoffelzolles nicht zum Anlaß genommen, gegen Deutschland vorzugehen.

Es sei richtig, daß über das von ihm zunächst bei der Kabinettsbildung vorgelegte Agrarprogramm hinaus bei den Verhandlungen mit den Parteien einige Punkte in dem Gesetzeswerke Aufnahme gefunden hätten, so der Weinzoll und andere Fragen, die von den Parteien in das Programm hineingebracht worden seien6.

6

Vgl. die Beschlüsse der Fraktionsführerbesprechung vom 8.4.30, Dok. Nr. 13.

Zwischen dem Reichsminister des Auswärtigen und dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft kam es zu einer ernsten Auseinandersetzung. Der Reichsminister des Auswärtigen verwahrte sich dagegen, daß er für die Durchführung des Agrarprogramms nicht ausreichend eingetreten wäre und daß seine und des Auswärtigen Amts Stellungnahme gegen Polen es an Entschiedenheit habe fehlen lassen.

Schließlich erklärte sich der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft damit einverstanden, daß die Entscheidung über die Erhöhung des Zolles für Speiseerbsen aufgeschoben werde, bis der deutsch-polnische Handelsvertrag ratifiziert sei7. Eine Zusage, daß dann die Erhöhung des Zolles beschlossen werden würde, wurde nicht gegeben. Die Erhöhung soll dann aber das Ziel der Verhandlungen sein. Unter dieser Voraussetzung und unter der weiteren, daß inzwischen wegen der Aufhebung der Bindung des Zolles für geschälte Erbsen mit Belgien und Frankreich verhandelt werden solle, zog der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft seinen Antrag auf Erhöhung des Zolles für Speiseerbsen zurück. In das Protokoll soll nur aufgenommen werden, daß der Antrag zurückgezogen worden sei. Die Voraussetzungen, unter denen die Zurückziehung erfolgte, sollen in einem besonderen Schreiben niedergelegt werden, das den zuständigen Reichsministern persönlich und vertraulich zugeht8.

7

Der dt.-poln. Handelsvertrag ist nicht ratifiziert worden.

8

Das Schreiben des StS Pünder vom 3.5.30, das an den RAM, den REM, den RWiM und den RFM gerichtet war, hatte folgenden Wortlaut: „Bei Abschluß der Verhandlungen über die Erhöhung des Erbsenzolles in der Kabinettssitzung am Vormittag des 2. Mai bestand Einigkeit darüber, daß die Entscheidung erst nach dem Inkrafttreten des deutsch-polnischen Handelsvertrages erneut beantragt und dann getroffen werden soll. Kommt es dabei zu der Zollerhöhung, für die noch keine bindenden Zusagen gemacht sind, die aber als Ziel ins Auge gefaßt wird, so soll alsdann die Polnische Regierung auf die bevorstehende Veröffentlichung der Entscheidung durch eine freundschaftliche Mitteilung vorbereitet werden. […] (Reinkonzept des MinR Feßler vom 3.5.30 im R 43 I /2543 , Bl. 191).

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