2.73.2 (bru1p): Anlage 1 Preisbeeinflussung.

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Anlage 1
Preisbeeinflussung.

I. Gesunde Finanzpolitik:

Gesunde Finanzen sind die oberste Bedingung für Gesundung der Wirtschaft. Die Verabschiedung des Deckungsprogramms bedeutet einen entscheidenden Schritt in dieser Richtung, jedoch wahrscheinlich noch nicht den letzten. Wenn nicht in ganz kurzer Zeit der wirtschaftliche Umschwung bereits eintritt, ist mit einer hohen Belastung der Gemeinden durch die Krisenfürsorge für die Ausgesteuerten zu rechnen. Für die Deckung dieses Finanzbedarfs dürfen unter keinen Umständen irgendwelche die Unternehmungen belastende Steuern oder Abgaben herangezogen werden.

II. Gesunde Handelspolitik:

Keine weiteren Zollerhöhungen, weil sie der Tendenz der Preissenkung entgegen wirken, Gegenmaßnahmen anderer Länder hervorrufen und den Industrieabsatz hemmen – Verabschiedung der Handelsverträge mit Polen, Österreich und der Türkei und des Zusatzabkommens mit Finnland – Ratifikation der Genfer Handelskonvention – Beobachtung der Preisentwicklung der Agrarerzeugnisse im Hinblick auf eine etwaige Herabsetzung der Zölle.

[299] III. Lockerung von Hemmungen:

A. Kartellpolitik für Produktion und Teile des Handels:

1. Allgemeine Maßnahmen:

Ausübung eines Druckes im Sinne der Preisherabsetzungen, im Falle des Widerstandes Aufhebung von Preisbindungen und von Bindungen, die gegenüber der folgenden Wirtschaftsstufe durch Kartelle und monopolistische Einzelunternehmer bestehen (Markenartikel). Durchführung auf Grund einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung.

2. Besondere Maßnahmen:

a) Kohle: Herabsetzung der offiziellen Preise des Reichskohlenrates ohne große Bedeutung, da die Preisfestsetzungen nur für einen geringen Teil der Produktion Geltung haben und es sich auch hier zum Teil nur um Verrechnungspreise handelt.

b) Eisen: Nach den auf Grund des Oeynhauser Schiedsspruchs10 erfolgten Preisherabsetzungen wird es zweckmäßig sein, Verhandlungen über weitere Preisherabsetzungen auf die Lieferungen des Arbeitsbeschaffungsprogramms zu konzentrieren, da nach dem Rückgang der Produktion zur Zeit die Selbstkosten kaum durch die jetzt bestehenden Preise gedeckt werden.

10

Verbindlichkeitserklärung des Schiedsspruchs von Oeynhausen durch den RArbM vom 10.6.30 (Schultheß 1930, S. 133 ff.).

c) Aluminium: Preisherabsetzung anzustreben.

d) Zement: Preisherabsetzungen zu erreichen, evtl. unter Drohung einer Aufhebung des Zementzolles.

e) Kali: Preisherabsetzungen auf dem Weg der Einräumung größerer Rabatte für den Inlandsabsatz sind anzustreben.

B. Anregung stärkeren Wettbewerbs:

Die Konsumvereine sind zu beeinflussen, in der Preisstellung nicht auf Dividende und Kapitalansammlung Rücksicht zu nehmen, vielmehr die niedrigsten Preise zu fordern, die bei gesunder Kalkulation möglich sind. – Auf Verringerung der Handelsspanne ist hinzuwirken etwa durch Veröffentlichung einschlägiger Publikationen durch wissenschaftliche Institute (Institut für Konjunkturforschung, Forschungsstelle für den Handel, Forschungsstelle für landwirtschaftliches Marktwesen). Der Wegfall der Bestimmung über das Brotgewicht im Brotgesetz bedauerlich, die Bestimmung ist wieder herzustellen. Zur Erzielung einer schärferen Konkurrenz und zur Verbilligung der Preise ist Aufhebung der Warenhaus-Umsatzsteuer sehr erwünscht.

C. Besondere Kommission:

Es ist zu erwägen, eine besondere Kommission mit der Frage der Angemessenheit der Preise zu befassen, die im Reichswirtschaftsrat zu bilden wäre.

[300] In England wurde 1925, als eine Vergrößerung der Preisspanne zwischen Groß- und Kleinhandelspreisen beobachtet wurde, das food council als eine wissenschaftliche und beratende Kommission gebildet, die keine Exekutivbefugnisse hatte. Sie führte wissenschaftliche Untersuchungen aus, die einen gewissen moralischen Einfluß ausgeübt haben sollen, doch sind die Meinungen über die praktische Bedeutung des food council und ihrer Untersuchungen geteilt. Die im Frühjahr dieses Jahres eingebrachte Bill, die den Zweck hatte, das food council mit größeren Vollmachten auszustatten, wurde abgelehnt, sie soll aber durch ihre Einbringung einen gewissen Einfluß auf die Preisgestaltung ausgeübt haben. Nach neueren Untersuchungen von Bowley soll die Handelsspanne in England bei den meisten Nahrungsmitteln zur Zeit normal sein.

Nach der anliegenden Aufstellung ist in Deutschland der Kleinhandelspreis dem Großhandelspreis gefolgt. Eine wesentliche Vergrößerung der Preisspanne ist also in den letzten Jahren nicht eingetreten. Zur Untersuchung steht die Frage, ob die Spanne als solche zu hoch ist.

C. Besondere Kommission:

Es muß weiter versucht werden, die Zinsspanne zwischen Kapitalmarkt und Geldmarkt durch Einwirkung auf die Emissionsinstitute zu verkleinern. Möglichst baldige Aufhebung der Kapitalertragssteuer, Abbau der Börsenumsatzsteuer. Keine Hemmung in der Aufnahme von Auslandsanleihen durch die Beratungsstelle, d. h. Änderung der Praxis dahin, daß absolut notwendige Arbeiten nicht abgelehnt werden, wenn der Anleiheträger als zahlungsfähig und der Zinsfuß als angemessen angesehen wird.

E. Lohnpolitik:

Die Frage der Lohnsenkung gehört zum Bereich des Reichsarbeitsministeriums. Ein Vorgehen muß diesem überlassen bleiben.

F. Arbeitsbeschaffungsprogramm:

Die öffentliche Hand als solche muß auf starke Preisherabsetzung drängen, bei solchen Waren und Werkstoffen, deren Markt unmittelbar oder mittelbar durch Auftragserteilungen der Beschaffungsressorts beeinflußt wird.

Im Rahmen des zusätzlichen Arbeitsbeschaffungsprogramms ist ein Vorgehen in diesem Sinne zum Teil im Gange, zum Teil in Vorbereitung. Die Verhandlungen mit den in Betracht kommenden Industriegruppen sollen geführt werden:

A. soweit es sich um Beschaffung eines Spezialbedarfs (Aufträge z. B. für die Schwachstromindustrie, Kabelindustrie im Bereich der Postverwaltung) handelt: von den zuständigen Beschaffungsressorts in Fühlungnahme mit dem R.W.M.

Die Reichspostverwaltung hat in derartigen Verhandlungen bereits Erfolge erzielt;

B. soweit es sich um die Beschaffung von unmittelbarem oder solchem (mittelbarem) Bedarf an Werkstoffen und marktgängigen Waren handelt, der[301] durch unmittelbar mit Aufträgen bedachte Firmen beschafft wird: durch das R.W.M. unter Beteiligung der Beschaffungsressorts. Die Verhandlungen mit den betreffenden Industriegruppen sollen aufgenommen werden, sobald die zum Teil noch ausstehenden Angaben der Beschaffungsressorts über Art und Umfang der hier in Betracht kommenden Waren und Werkstoffe vorliegen. Sie werden im wesentlichen auf Waren und Werkstoffe mit gebundenen Preisen zu beschränken sein. Es wird vorgeschlagen, daß der Herr Reichskanzler vor Aufnahme der Verhandlungen mit den einzelnen Industriegruppen die grundsätzliche Frage einer Preissenkung der Waren und Werkstoffe, deren Markt durch Auftragserteilung der Beschaffungsressorts unmittelbar oder mittelbar berührt wird, mit Vertretern des Reichsverbandes der Deutschen Industrie erörtert und diese mit dem Anheimgeben, seinerseits die in Betracht kommenden Industrien zuzuziehen, zu einer Besprechung einlädt.

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