2.77.1 (bru1p): Deckungsvorlagen und politische Lage.

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Deckungsvorlagen und politische Lage.

Der Reichskanzler gab zunächst die in der Anlage 1) zusammengefaßten Mitteilungen der Fraktionen über ihre Stellungnahme zu den Deckungsvorlagen bekannt1.

1

Als Anlage 1 zum vorliegenden Dok. abgedruckt.

Ferner verlas er den anliegenden Brief des Abg. Meyer vom 14. Juli, der die Stellungnahme der Demokratischen Reichstagsfraktion enthält2.

2

S. Anlage 2 des vorliegenden Dok.

Über die Stellungnahme des Zentrums berichtete er, daß die Fraktion ihre Zustimmung nur unter schweren Bedenken, die sich auf die fehlende Staffelung bei der Bürgerabgabe beziehen, erteilt habe, und daß sich die Fraktion vorbehalte, für den Fall der Verweisung des Gesetzentwurfs einer Bürgerabgabe an einen Ausschuß bei der Ausschußberatung einen Antrag auf Einfügung der Staffelung zu stellen3.

3

Vgl. Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 610.

In der Aussprache wurde an der Weigerung der Bayerischen Volkspartei, den Initiativantrag der Parteien4 mitzuunterzeichnen, lebhafte Kritik geübt.

4

Der Initiativantrag, den von der BVP der Abg. Horlacher unterschrieb, wurde am 15.7.30 eingebracht (RT-Bd. 443 , Drucks. Nr. 2363 ).

Der Reichspostminister der ersucht wurde, auf seine Fraktion einzuwirken, bestätigte die dort bestehenden großen Schwierigkeiten. Er erklärte, daß die Bedenken weniger in der Abneigung gegen die Bürgerabgabe bestünden, vielmehr ihr Hauptgrund darauf beruhe, daß die Fraktion nicht mit Initiativgesetzanträgen in die Angelegenheiten der Länder eingreifen will.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß seine Fraktion für den Fall des Beharrens der Bayerischen Volkspartei auf ihrer Weigerung sich an ihren Beschlüssen nicht gebunden halten werde. Die Bedingung der Demokraten, daß im Haushalt 1931 weitere 50–100 Millionen RM eingespart werden sollen5, erklärte er für unbedenklich, da die finanzielle Lage des Reichs im kommenden Rechnungsjahre auch ohne die Forderung der Demokraten zwangsläufig zu weiteren erheblichen Einsparungen führen werde.

5

S. Anlage 2.

Der Reichskanzler erklärte, daß er versuchen wolle, die Frage der gemeinsamen Unterzeichnung des Initiativantrages der Fraktionen am kommenden Vormittag mit den Bayern in Ordnung zu bringen.

[312] Er erörterte sodann die politische Lage und die Notwendigkeit für die Reichsregierung, für alle Eventualitäten der zukünftigen Entwicklung gerüstet zu sein.

Hierzu führte er aus, daß er aus seinen Gesprächen mit führenden Mitgliedern der Fraktionen6 den Eindruck gewonnen habe, daß bei den Sozialdemokraten rein stimmungsgemäß keine Neigung vorhanden sei, die Regierungsvorlagen zu tolerieren.

6

Vgl. Dok. Nr. 74.

Bei den Deutschnationalen herrsche der Wunsch vor, es zur Anwendung des Art. 48 kommen zu lassen. Allerdings glaube man dort, daß die Reichsregierung die Notverordnung erst erlassen werde, wenn der Reichstag in Ferien gegangen sei. Er gedenke jedoch nicht, den Deutschnationalen diesen Gefallen zu tun. Selbstverständlich werde die Reichsregierung die Notverordnungen noch während der Anwesenheit des Reichstags erlassen und darauf drängen, daß über den Einspruch, der zweifellos von der Linken kommen werde, sofort abgestimmt werde.

Die Wirtschaftspartei fordere, daß der Reichskanzler den Reichstag unter Auflösungsdruck setze und daß er sich zu diesem Zwecke von dem Herrn Reichspräsidenten sofort die erforderlichen Vollmachten verschaffe, sobald die Deckungsvorlagen abgelehnt worden seien7. Von einem derartigen Vorgehen verspreche er persönlich sich jedoch kaum einen Erfolg.

7

Einen entsprechenden Antrag brachte die Wirtschaftspartei am 15.7.30 ein (RT-Bd. 443 , Drucks. Nr. 2362 ).

Eine der taktischen Fragen, mit der das Reichskabinett sich jetzt zu befassen haben werde, bestehe in der Art der Verbindung der Bürgerabgabe mit den Deckungsvorlagen. Man könne daran denken, die Bürgerabgabe als besonderen Artikel in den Entwurf eines Gesetzes über eine Reichshilfe der Personen des öffentlichen Dienstes usw. einzufügen. Diese Art der Verbindung werde nach seiner Meinung leicht eine Verschärfung der Situation im Gefolge haben. Darum sei es vielleicht richtiger, das Gesetz einer Bürgerabgabe besonders einzubringen und die Verbindung mit den übrigen Deckungsvorlagen in diesem Sondergesetz festzulegen. Auf diese Weise könne man die Entscheidung über die Verbindung bis zur dritten Lesung hinauszögern. Die Deutsche Volkspartei sei bereit, diesen Weg mitzumachen.

Das Hauptinteresse des Kabinetts müsse sich naturgemäß den Eventualitäten für die Anwendung des Art. 48 zuwenden. Nach seiner Überlegung seien folgende Möglichkeiten ins Auge zu fassen:

a)

Die Sozialdemokraten und die Deutschnationalen lassen schon in der Aussprache über die Regierungsvorlage klar erkennen, daß sie dieselbe ablehnen werden, so daß die Durchbringung der Vorlage auf parlamentarischem Wege von vornherein aussichtslos erscheint8.

b)

Artikel 1 der Deckungsvorlage, der die grundsätzliche Notwendigkeit der Deckung des Defizits durch Einführung der Reichshilfe der Personen im [313] öffentlichen Dienst und durch Einführung eines Zuschlages zur Einkommensteuer statuiert, wird abgelehnt.

c)

Artikel 1 der Regierungsvorlage wird angenommen9. Die nachfolgenden materiellen Bestimmungen werden aber abgelehnt10.

8

Der SPD-Abg. Keil ließ in der Sitzung vom 15. 7. die endgültige Stellungnahme offen (RT-Bd. 428, S. 6376 –6380), während das DNVP-MdR Oberfohren die Deckungsvorschläge ablehnte (a.a.O., S. 6380, mit Verweis auf die Sitzung vom 7. 7., a.a.O., S. 6205).

9

Art. I wurde am 15. 7. angenommen (RT-Bd. 428, S. 6391 ).

10

Art. II der Vorlage Nr. 2363 wurde am 16. 7. mit Mehrheit abgelehnt (RT-Bd. 428, S. 6407 ).

Das Kabinett erörterte in eingehender Aussprache diese 3 Kategorien möglicher Fälle.

zu a): Bei allen Kabinettsmitgliedern herrschte die Überzeugung vor, daß die Oppositionsparteien vor der Abstimmung sich nicht so klar festlegen würden, daß ein unbedingt zuverlässiger Schluß auf die Nichtdurchbringbarkeit der Vorlage gezogen werden kann. Ferner glaubte man, daß eine präzise Stellungnahme der Parteien auch dann nicht zu erreichen sein werde, wenn der Reichskanzler bei Beginn der 2. Lesung namens der Reichsregierung eine unzweideutige Erklärung der Parteien fordern würde. Ein solcher Appell des Reichskanzlers werde im Gegenteil dazu führen, daß die wahre Haltung der Parteien verschleiert werde.

Der Reichsminister des Innern warf zunächst die Vorfrage auf, ob man nicht vor der Abstimmung mit den Sozialdemokraten verhandeln wolle, um festzustellen, ob und gegen welche Zugeständnisse sie bereit seien, die Regierungsvorlage zu tolerieren. Er meinte, daß zwar nicht der Reichskanzler, wohl aber ein Kabinettsmitglied ermächtigt werden könne, eine diesbezügliche Fühlungnahme mit den Führern der Sozialdemokratischen Fraktion zu suchen.

Diesem Vorschlage des Reichsministers des Innern gegenüber wurde vom Reichskanzler und den übrigen Mitgliedern des Kabinetts eingewandt, daß ein solcher Versuch von vornherein aussichtslos erscheine. Die von der Sozialdemokratie vermutlich gewünschten Konzessionen könne man ohne weiteres als unerfüllbar unterstellen. Es könne auch ohne weiteres angenommen werden, daß sie in erster Linie auf sozialpolitischem Gebiete liegen würden und zum mindesten von einigen der in der Regierung vertretenen Parteien nicht getragen werden könnten.

Der Reichskanzler führte insbesondere aus, daß der einzige Minister, der mit den Sozialdemokraten verhandeln könnte, der Reichsarbeitsminister sein werde; dieser aber werde durch die Aufnahme von Verhandlungen in eine schwierige Lage kommen.

Der Reichsminister des Innern erklärte darauf, daß er sich mit dieser Stellungnahme des Kabinetts gegenüber seiner Anregung abfinden wolle.

Er erklärte weiter, daß er es als Verfassungsminister am liebsten sehen werde, daß die Reichsregierung von dem Art. 48 schon vor der Abstimmung Gebrauch mache, und zwar unverzüglich, nachdem eindeutig feststehe, daß die Perspektiven für eine Abstimmung hoffnungslos seien. Es widerstrebe ihm, einer Notverordnung zuzustimmen, zu deren Inhalt der Reichstag in einer Abstimmung schon negativ Stellung genommen habe.

[314] Die Staatssekretäre Joël und Zweigert erklärten auf Befragen des Reichskanzlers ausdrücklich, daß es verfassungsmäßig durchaus möglich sei, die Deckungsvorlage auch ohne Abstimmung im Reichstage durch eine Notverordnung in Kraft zu setzen, wenn die parlamentarische Erledigung aussichtslos erscheine.

Zu der Frage des Inhaltes der Notverordnung führte die Aussprache zu dem Ergebnis, daß in erster Linie nur die ursprüngliche Deckungsvorlage Gegenstand der Verordnung sein könne. Das Osthilfegesetz müsse unter allen Umständen von der Regelung auf Grund des Art. 48 ausgeschlossen werden. Hierüber dürfe insbesondere den Deutschnationalen kein Zweifel gelassen werden11. Vielleicht gelinge es, die Deutschnationalen, die auf das Osthilfegesetz entscheidendes Gewicht legen, durch eine rechtzeitige Unterrichtung über diese Einstellung der Reichsregierung, in ihrer Haltung gegenüber der Deckungsvorlage in positivem Sinne zu beeinflussen.

11

Die DNVP forderte, das Osthilfeprogramm auf dem Wege der NotVO in Kraft zu setzen (vgl. Dok. Nr. 88).

Hinsichtlich der Einbeziehung der Bürgersteuer in die Notverordnung waren die Auffassungen geteilt..

Der Reichskanzler und der Reichsminister der Finanzen neigten der Auffassung zu, sie aus der Notverordnung herauszulassen. Bindende Beschlüsse nach dieser Richtung wurden jedoch nicht gefaßt.

zu b): Für den Fall der Ablehnung des Art. 1 der Deckungsvorlage stellte der Reichskanzler auf Grund der Aussprache fest, daß das Reichskabinett nach dieser Abstimmung den Zeitpunkt für gekommen erachte, dem Reichstage zu erklären, daß die Reichsregierung auf eine Weiterberatung der Vorlage keinen Wert lege. Die Deckungsvorlage soll sodann auf Grund der bereits vorliegenden Vollmachten des Reichspräsidenten12 unverzüglich im Wege der Notverordnung in Kraft gesetzt werden.

12

In den Akten der Rkei nicht zu ermitteln.

Die Staatssekretäre Joël und Zweigert betonten auf die ausdrückliche Frage des Reichskanzlers die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Weges.

zu c): Für den Fall, daß Artikel 1 der Deckungsvorlage vom Reichstag angenommen werden sollte, die nachfolgende Abstimmung über einen der materiellen Artikel jedoch negativ ausfallen würde, stellte der Reichskanzler auf Grund der Aussprache die Auffassung des Reichskabinetts dahin fest, daß unverzüglich nach der ersten negativen Abstimmung wie im vorstehenden Falle b) verfahren werden solle.

Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Vorgehens wurde von den Staatssekretären Joël und Zweigert übereinstimmend als gegeben bestätigt.

Gegenüber den verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Reichsminister des Innern bei Erörterung dieser Möglichkeit anfänglich äußerte, stellte der Reichskanzler durch Befragen des Reichsministers Dr. Wirth ausdrücklich fest, daß er bereit sein werde, gegebenenfalls nach außen hin nur die Meinung der Mehrheit des Reichskabinetts zu vertreten.

[315] Der Reichsminister der Finanzen erklärte noch, daß nach seiner Auffassung die unter c) erörterte Möglichkeit die günstigste Entwicklung der Dinge für das Reichskabinett bedeuten werde. Der Reichstag habe alsdann nämlich durch seine Abstimmungen die grundsätzliche Notwendigkeit der Deckungsvorlage der Reichsregierung anerkannt, darüber hinaus aber auch offenkundig bewiesen, daß er zur Regelung des als notwendig Anerkannten außerstande sei.

Das Kabinett erörterte sodann auch die Frage der Auflösung des Reichstags. Die übereinstimmende Auffassung ging dahin, daß die Auflösung erst nach der Anwendung des Art. 48 der Reichsverfassung in Frage kommen könne.

Der Reichskanzler bemerkte hierzu, daß er für eine Auflösung vor der Anwendung des Art. 48 eine Vollmacht des Herrn Reichspräsidenten nicht besitze.

Es bestand ferner Einverständnis darüber, daß die Auflösung des Reichstags erfolgen müsse, sofern der Reichstag die ihm selbstverständlich unverzüglich vorzulegende Notverordnung aufheben sollte13.

13

Sofort nach der Aufhebung der NotVO vom 16. 7. durch den RT am 18. 7. löste der RK den RT auf (RT-Bd. 428, S. 6407 ).

Die Staatssekretäre Joël und Zweigert äußerten sich gutachtlich dahin, daß die Reichsregierung nach Aufhebung der Notverordnung und Auflösung des Reichstages verfassungsrechtlich in der Lage ist, dieselbe Notverordnung alsdann erneut zu erlassen.

Der Reichskanzler stellte zusammenfassend fest, daß das Reichskabinett einmütig auf dem Standpunkt steht, daß die Staatsnotwendigkeiten unter allen Umständen durchgeführt werden müssen und daß es hierzu entschlossen ist, sowohl bei präsentem Reichstag wie auch nach der Auflösung des Reichstags.

Um bei der zweiten Beratung der Regierungsvorlage möglichst bald Klarheit über die Abstimmung herbeizuführen, hielt es das Reichskabinett für richtig, dahin zu wirken, daß entgegen dem sonstigen Brauch des Reichstags bei den Beratungen zweiter Lesung gemäß § 40 Abs. 2 der Geschäftsordnung für den Reichstag verfahren wird. Diese Vorschrift lautet:

„Die Einzelbesprechung wird der Reihenfolge nach über jede selbständige Bestimmung, die Abschnittsüberschriften und … eröffnet und geschlossen. Nach Schluß jeder Einzelberatung wird abgestimmt.“14

14

Der Abg. Esser (Z) brachte am 15. 7. den Antrag ein, der RT möge die Artikel der Vorlage Nr. 2363 einzeln beraten und gesondert über sie abstimmen (RT-Bd. 428, S. 6376 ).

Nach Erledigung dieses Teiles der Beratung gab der Reichskanzler bekannt, daß er am 13. Juli ein offenes Telegramm des Reichsbankpräsidenten Dr. Luther erhalten habe, in dem dieser auf der Reise zum Verwaltungsrat der BIZ in Basel von Stuttgart aus schwere Bedenken gegen eine etwaige Anwendung des Art. 48 zur Regelung einzelner Steuerprobleme in jetziger Zeit zum Ausdruck gebracht hat15. Der Reichskanzler verlas dieses Telegramm[316] […] und bemerkte hierzu, daß das Reichskabinett in seiner heutigen Sitzung alle Wege durchgesprochen habe, um zu einer parlamentarischen Lösung zu kommen. Er dürfe wohl feststellen, daß niemand einen Zweifel daran habe, daß die parlamentarische Lösung der bestehenden Schwierigkeiten besser sei als der Weg des Art. 48. Darüber hinaus bitte er aber weiter feststellen zu dürfen, daß sämtliche Kabinettsmitglieder auch nach Kenntnisnahme der Auffassung des Reichsbankpräsidenten an den vorgefaßten Beschlüssen festhalten. Er habe Dr. Luther vor seiner Abreise befragt, ob er es für richtig halte, die Deckung des Defizits im Reichshaushaltsplan auf eine spätere Zeit zu verschieben, falls sich herausstellen sollte, daß eine parlamentarische Durchbringung der Deckungsvorlage jetzt nicht gelinge. Dr. Luther habe geantwortet, daß ein solcher Weg erst recht nicht gangbar sei. Eine Mitteilung darüber, daß man in amerikanischen Finanzkreisen gegen die Anwendung des Art. 48 sei, liege nicht vor.

15

Das Telegramm des RbkPräs. hatte folgenden Wortlaut: „Auf Reise nach Basel zur Verwaltungsratssitzung BIZ befindlich lese ich in hiesigen Morgenzeitungen Darstellungen über sehr ungünstige steuerpolitische Lage. So unumgänglich es ist, den Fehlbetrag des Reichshaushalts durch Ausgabesenkungen und Steuererhöhungen sofort abzudecken, bitte ich angesichts der anscheinend ungeheuren Schwierigkeiten im Reichstag doch nochmals auf meine schweren Bedenken gegen Anwendung des Artikels 48 zur Regelung einzelner Steuerprobleme in jetziger Zeit hinweisen zu dürfen. Endgültiges Scheitern einer für Reichsregierung annehmbaren Steuerregelung im Reichstag würde ungünstige Rückwirkungen für Entwicklung deutschen Kredits haben während deutsche Zukunft zum großen Teil davon abhängt, daß wir produktive Kredite zu annehmbaren Bedingungen bekommen. Ich verweise auf das vor einiger Zeit dem Herrn Reichskanzler vertraulich übermittelte amerikanische Kabel, in welchem die Besorgnis vor einer Finanzdiktatur unter den Gründen genannt wurde, die Regelung deutschen Kredits behindern. Das für Kreditgewährung an deutsche Staatswesen und deutsche Wirtschaft in Betracht kommende Ausland erwartet eine durchgreifende Ordnung unserer öffentlichen Finanzen, aber auf normalem Weg. Erzählungen aus dem Ausland entgegengesetzten Inhalts sind ihrem Wesen nach Tischgespräche ohne letzte Verantwortung und betreffen auf keinen Fall Einzelprobleme wie die vorliegenden. Jetzige Verhältnisse können nicht mit Zustand Dezember 23 verglichen werden, wo ich selbst als Finanzminister genötigt war, für Steuerentscheidungen Artikel 48 anzuwenden. Umgekehrt würde die Gefahr bestehen, daß Anwendung jetziger Lage ähnlich bewertet würde wie der durch das Verhalten des alten österreichischen Abgeordnetenhauses häufig herbeigeführte Zwang zur Anwendung des Artikel 14 der alten österreichischen Verfassung, welcher Vergleich unserem Kredit sehr abträglich sein würde. Falls Lage günstiger ist als nach Pressemeldungen scheint oder sich bessert, wäre ich für Nachricht nach Basel dankbar, wo die in Verwaltungsratssitzung vereinigten führenden internationalen Finanzleute bis in die morgigen Abendstunden zusammenbleiben“ (R 43 I /2365 , Bl. 227–231). Zu den SteuernotVOen im Dezember 1923 s. diese Edition, Die Kabinette Marx I/II, Dok. Nr. 4, P. 3; Nr. 20, P. 9; Nr. 25, P. 1; Nr. 30, P. 5.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß der Reichsbankpräsident ihm vor einigen Tagen gesagt habe, er halte den Weg des Art. 48 für den richtigen, wenn ein anderer Weg nicht möglich sei.

Eine gleiche Mitteilung machte Staatssekretär Dr. Trendelenburg über ein von ihm mit Dr. Luther geführtes Gespräch.

Zum Schluß stellte der Reichskanzler noch fest, daß ihm auch sämtliche leitenden Beamten des Reichsfinanzministeriums versichert hätten, daß auch nach ihrer Überzeugung der Weg der Notverordnung der richtige sei, wenn sonst kein anderer Weg übrigbleibe16.

16

StS Pünder ließ am 14. 7. gegen 21.30 Uhr dem RbkPräs. telefonisch mitteilen, „daß der Herr Reichskanzler dem Herrn Reichsbankpräsidenten für seine freundlichen Mitteilungen danke, daß sich die parlamentarische Situation gegenüber der Darstellung in dem Telegramm noch nicht geändert habe und die heutige 2. Lesung der Deckungsvorschläge im Reichstag abgewartet werden müsse; in der Sache stimme die Reichsregierung mit dem Herrn Reichsbankpräsidenten völlig überein und werde nur im Falle äußerster Not beim Scheitern aller anderen parlamentarischen Möglichkeiten zu den dann unbedingt erforderlichen Notmaßnahmen greifen“ (Aufzeichnung Pünders vom 15.7.30 in R 43 I /2365 , Bl. 232).

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