2.178 (bru1p): Nr. 178 Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über Besprechungen des Reichskanzlers mit den Parteien. 26. November 1930

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[652] Nr. 178
Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über Besprechungen des Reichskanzlers mit den Parteien. 26. November 1930

R 43 I /1021 , Bl. 144–147

Nach endgültiger Annahme des Wirtschafts- und Finanzplanes durch den Reichsrat begannen sofort die politischen Besprechungen des Herrn Reichskanzlers Dr. Brüning mit den verschiedenen politischen Gruppen des Reichstags über deren Haltung zu dem Plan und die Art seiner Erledigung sowie namentlich auch über die Einstellung im Haushaltsausschuß bei den gegenwärtigen Beratungen über die Notverordnung vom 26. Juli d. Js.

Bei Beginn dieser Besprechungen war eine Mitteilung des Generaldirektors Vögler an den Reichskanzler von Bedeutung über eine soeben stattgehabte Besprechung der maßgeblichsten deutschen Wirtschaftsführer mit dem deutschnationalen Parteiführer Hugenberg1. Sie hatten ihm die Wirtschaftslage Deutschlands in ihrer ganzen Bedrohlichkeit für die ersten Wirtschaftskonzerne und Banken dargelegt und von ihm verlangt, sich der Regierung Brüning ohne politische Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Aus dieser Anregung des Herrn Vögler erwuchs der Gedanke eines etwaigen verfassungsändernden Ermächtigungsgesetzes, das von den Sozialdemokraten bis Deutschnationalen einschließlich angenommen werden könnte, um mit seiner Hilfe den Wirtschafts- und Finanzplan ohne Notverordnung durchzuführen. Ich trat darauf im Auftrage des Herrn Reichskanzlers persönlich mit Geheimrat Hugenberg in Verbindung, der aber zu seinem Bedauern dringend für eine Anzahl von Tagen verreisen mußte und erst – unter Abkürzung dieser seiner Reise – am heutigen Mittwoch, 4 Uhr nachmittags, zur Verfügung stehen konnte.

1

Vgl. Pünder, Politik in der Reichskanzlei, S. 75.

Die eigentlichen politischen Besprechungen begannen infolgedessen mit Vertretern der Zentrumspartei und dem neuen volksparteilichen Führer Dingeldey2. Diese Besprechungen ergaben – abgesehen von der bedeutsamen Feststellung, daß sich diese beiden Fraktionen unter Zurückstellung aller Bedenken der Reichsregierung Brüning auf ihren weiteren Wegen völlig zur Verfügung stellen –, nichts wesentlich Neues. Hinsichtlich der alten Notverordnung hat die Deutsche Volkspartei den dringenden Wunsch nach möglichst keinen Änderungen, jedenfalls keinen sozialpolitischen Verschlechterungen in ihrem Sinne und äußerte sich auch gegen eine Staffelung der Bürgersteuer.

2

Am 11.11.30 hatte der DVP-Vorsitzende und Fraktionsführer Scholz seinen Rücktritt von beiden Ämtern erklärt und der Partei Eduard Dingeldey als seinen Nachfolger empfohlen: DAZ Nr. 539–540 vom 19.11.30. Dingeldey wurde am 30.11.30 durch den Zentralvorstand der DVP einmütig zum Parteivorsitzenden gewählt (Schultheß 1930, S. 230).

Gestern, Dienstag vormittag, empfing der Herr Reichskanzler sodann die Führer des Christlich-Sozialen Volksdienstes und der Konservativen Volkspartei, Abgeordnete Rippel und Simpfendörfer. Diese Gruppen würden bei verschiedenen Punkten eine in ihrem Sinne sozialere Ausgestaltung der Notverordnung und des Wirtschafts- und Finanzplanes begrüßen, zeigten im übrigen[653] aber vollstes Verständnis für die grundsätzliche Auffassung des Herrn Reichskanzlers, so daß mit der Mithilfe dieser Gruppen unter allen Umständen gerechnet werden kann. Im Haushaltsausschuß muß das Ziel sein, alle Verbesserungswünsche in Entschließungen zusammenzufassen, auf Grund deren Annahme dann die Reichsregierung etwaige Verbesserungen im Wege einer neuen Notverordnung in Kraft setzen kann.

Es folgte sodann der Empfang der Vertreter der Wirtschaftspartei, Abgeordnete Drewitz und Mollath. Der Herr Reichskanzler teilte zunächst mit, daß Verhandlungen mit anderen Parteien ihm die Möglichkeit gäben, die Gemeindegetränkesteuer aus der alten Notverordnung auszumerzen. Diesen Beginn einer sachlichen Aussprache störte Abgeordneter Drewitz dann mit der inzwischen bereits bekanntgewordenen Mitteilung der Zurückziehung des Reichsministers Bredt, so daß die weitere Erörterung sich eigentlich nur um diesen Punkt drehte. Die Behandlung dieser Angelegenheit und des inzwischen eingegangenen Rücktrittsgesuchs des Ministers Bredt habe ich in einem besonderen Vermerke zu den Akten der Reichskanzlei niedergelegt3. Abschließend äußerte Abgeordneter Drewitz, daß die Wirtschaftspartei keineswegs beabsichtige, in eine bedingungslose Opposition zur Reichsregierung zu treten, sondern sich das Verhältnis ähnlich dächte wie gegenüber der Reichsregierung Luther, an der die Wirtschaftspartei fraktionsmäßig oder durch einen Minister gleichfalls nicht beteiligt gewesen sei, aber dennoch das Kabinett Luther in den wichtigsten Dingen unterstützt hätte.

3

S. Dok. Nr. 177, Anm. 3.

Am Nachmittag erfolgte eine Besprechung mit dem Fraktionsführer des Deutschen Landvolkes, Abgeordneten Döbrich, der sich entgegen der sonstigen Haltung seiner Partei und namentlich einiger aufgeregter landwirtschaftlicher Vertreter sehr maßvoll und ruhig zeigte. Er zeigte gleichfalls durchaus Verständnis dafür, daß Anregungen hinsichtlich Abänderungen der alten Notverordnung nur im Wege von Entschließungen der Reichsregierung als Unterlage für eine neue Notverordnung zu unterbreiten seien. Hinsichtlich des Wirtschafts- und Finanzplanes äußerte er sich im allgemeinen zurückhaltend, betonte aber stark, daß ihm als der einzig mögliche Weg nur scheine, den Wirtschafts- und Finanzplan in einer neuen Notverordnung alsbald in Kraft zu setzen und dem Reichstag zu unterbreiten. Man konnte aus der Aussprache den Eindruck gewinnen, daß sich alsdann das Deutsche Landvolk nicht für die Aufhebung einer solchen neuen Notverordnung, die dann natürlich die neuen agrarischen Maßnahmen mit enthalten müßte, stellen würde.

Am späteren Abend hatte ich noch eine fernmündliche längere Besprechung mit dem früheren Reichskanzler Müller über die Frage der Inkraftsetzung des Wirtschafts- und Finanzplanes im Wege des Artikels 48. Über dieses Gespräch habe ich mich in anliegendem Vermerk gesondert geäußert4.

4

S. Dok. Nr. 177.

Heute vormittag folgte der Empfang des Staatsparteilichen Gruppenführers Abgeordneten Dr. Weber, der in jeder Weise befriedigend verlaufen ist. Schwierigkeiten von der Staatspartei sind offensichtlich in keiner Weise[654] zu erwarten. Dr. Weber äußerte zwar unter Berufung auf sein eigenes Sachverständnis als Gutsbesitzer einige Bedenken gegen die neuen agrarischen Pläne des Reichsernährungsministers Schiele und des Reichskabinetts in der Futtermittelpolitik, ließ aber klar erkennen, daß dieser Umstand bei einheitlicher Gestaltung einer neuen Notverordnung kein Grund für die Staatspartei sein werde, sich gegen eine solche Notverordnung zu stellen. Er betonte noch, daß gerade das gestrige Verhalten der Wirtschaftspartei deutlich gezeigt habe, daß bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Reichstags und der Gemütslage des deutschen Volkes eine sachliche Verhandlung über den Wirtschafts- und Finanzplan im Reichstag überhaupt nicht möglich sei, und daß das Volk eine Lösung auf dem anderen verfassungsmäßigen Wege über Artikel 48 erwarte.

Heute nachmittag fand dann die Besprechung des Herrn Reichskanzlers mit Geheimrat Hugenberg statt, die sich 2½ Stunden hinzog. Eine eingehendere Aufzeichnung über die bedeutsame Besprechung folgt vielleicht später5. Einstweilen kann ich, der ich an dieser Besprechung nicht teilgenommen hatte, nur das Ergebnis festlegen, das völlig negativ ist. Der Reichskanzler hatte bekanntlich die Absicht, mit dem deutschnationalen Parteiführer den, allerdings von vornherein unwahrscheinlichen, Fall zu erörtern, ob die deutschnationale Zustimmung zu einem verfassungsändernden Ermächtigungsgesetz ohne jede weiteren politischen Bedingungen zu erhalten sei, in der Erkenntnis, alle eiteren politischen Entwicklungen der Zukunft zu überlassen. Umgekehrt kam Geheimrat Hugenberg in die Besprechung offensichtlich in dem Gedanken, daß der Reichskanzler mit seiner Politik nunmehr endgültig festsitze und absolut auf die deutschnationale Zustimmung und Bedingungen angewiesen sei. Die Unterhaltung gestaltete sich daher trotz äußerlich verbindlichen Formen ungemein schwierig. Einen breiten Raum nahm infolgedessen natürlich die Beteiligung der Sozialdemokraten in irgendeiner Form und die preußische Koalition in der Erörterung ein. Da der Reichskanzler nach dieser Richtung hin selbstverständlich keinerlei Erklärungen und Zusicherungen für die Zukunft abgeben konnte, endete die Aussprache schließlich mit der Feststellung des Geheimrats Hugenberg, daß die deutschnationale Opposition nunmehr noch in verstärkter Form in Erscheinung treten müsse. Infolgedessen ist nach dieser Aussprache eine Fortsetzung der Fühlungnahme mit der Deutschnationalen Partei zwecklos und nicht mehr beabsichtigt.

5

Eine derartige Aufzeichnung war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln. Vgl. aber Brüning, Memoiren, S. 210–211.

Gegen Abend folgte noch eine kurze Aussprache mit dem Führer der Bayerischen Volkspartei, Prälaten Leicht, die durchaus zufriedenstellend verlief. Die Bayerische Volkspartei ist offensichtlich gewillt, im Interesse des großen Zieles Einzelbedenken gegen den Wirtschafts- und Finanzplan zurückzustellen und der Regierung bei jeder Art verfassungsmäßiger Durchführung des Wirtschafts- und Finanzplanes Gefolgschaft zu leisten.

Gleichfalls am Abend fand dann noch unter zeitweiliger Hinzuziehung der Reichsminister Dietrich und Stegerwald eine Besprechung mit den sozialdemokratischen[655] Führern Dr. Breitscheid, Hilferding und Dr. Hertz statt. Die Besprechung drehte sich im wesentlichen um praktische Fragen, die bei der Behandlung der alten Notverordnung im Haushaltsausschuß gegenwärtig eine Rolle spielen. Es handelt sich hierbei im wesentlichen um die Frage des Krankenscheines, der Erleichterung des Bezuges der Medikamente, um einige Änderungen in der Arbeitslosenversicherung und namentlich um Fragen der Bürgersteuer. Bei den vorgenannten sozialpolitischen Fragen steht der Krankenschein im Vordergrund. Es hat den Anschein, daß die Sozialdemokraten, wenn sie hier einen gewissen Erfolg verbuchen können, im übrigen zu weitem Entgegenkommen bereit sind. Über die sozialpolitischen Fragen wird infolgedessen morgen, den 27. November vormittags, bei Minister Stegerwald eine abschließende Besprechung mit den Sozialdemokraten stattfinden6. Hinsichtlich der Bürgersteuer wird im Reichsfinanzministerium der Versuch gemacht, gewisse Abänderungen zu formulieren, die den Sozialdemokraten in gewisser Weise entgegenkommen, ohne die Regelung damit für die Deutsche Volkspartei unmöglich zu machen.

6

Ein Vermerk über diese Besprechung fehlt in den Akten der Rkei.

Pünder

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