2.58 (bru1p): Nr. 58 Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern der Beamtenschaft am 27. Juni 1930

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Nr. 58
Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern der Beamtenschaft am 27. Juni 1930

R 43 I /2365 , Bl. 148–150

Am Freitag, dem 27. Juni 1930, empfing der Herr Reichskanzler in Gegenwart der Reichsminister von Guérard, Dietrich, Schätzel, Wirth Vertreter der Beamtenschaft1.

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Anlaß zu dieser Besprechung war der einheitliche Widerstand der Beamtenorganisationen gegen das von der RReg. geplante Notopfer der Festbesoldeten. Die in der Rkei eingegangenen Protestschreiben der Beamtenverbände gegen das Vorhaben des Kabinetts befinden sich in R 43 I /2364  u. 2365.

I. Zunächst waren erschienen vom Deutschen Beamtenbund: die Herren Flügel, Lenz, Hesslein, Ehrmann, Kugler.

Der Reichskanzler legte den Herren den Ernst der Finanzlage dar und führte aus, daß das Defizit im Interesse des Staates abgedeckt werden müsse. Die Überprüfung der Finanzlage habe ergeben, daß die Situation dauernd schwierig sei. Bei sinkender Konjunktur könne das Defizit nicht durch Steuern gedeckt werden. Da es nicht möglich sei, neue Steuererhöhungen vorzunehmen, müsse auf der anderen Seite zu Ersparnissen geschritten werden. Als eine solche Ersparnis stelle sich das Notopfer der Beamten dar. Daneben sei die Einführung einer Ledigensteuer sowie die Heranziehung der höheren Einkommen aller Einkommensteuerpflichtigen in Erwägung gezogen worden2. Gegenüber dem Vorschlag Moldenhauers sei das Notopfer erheblich herabgesetzt3.[244] Nach seiner Meinung läge es im Interesse des Berufsbeamtentums, wenn die Beamtenverbände freiwillig ihre Zustimmung zu dem Notopfer geben. Er versichere, daß das Reichskabinett keineswegs durch das Notopfer eine beamtenfeindliche Stellung einnehme. Der Reichsminister Dietrich setzte auseinander, daß er bereits mit Herrn Flügel die ganze Lage durchgesprochen habe. Herr Flügel habe eine Sonderbehandlung der Beamtenschaft ihm gegenüber stets abgelehnt, auf der anderen Seite aber zu erkennen gegeben, daß die Beamtenschaft bereit sei, zu helfen, wenn das Opfer auf alle Schichten der Bevölkerung gleichmäßig verteilt würde. Wenn jetzt nicht die Finanzen saniert würden, dann müsse man im Winter mit unübersehbaren Verhältnissen rechnen, insbesondere wenn die Arbeitslosenziffer weiter ansteige. Nach seinem Vorschlag sei das Notopfer von der Arbeitslosenversicherung losgelöst. Außerdem sei es abgestellt auf dieses Etatsjahr4. Reichsminister Dietrich legte sodann die Grundzüge seines neuen Finanzprogramms dar und verteidigte es politisch. Die Kassenlage bereite vor Ende Juli keine Schwierigkeiten. Wie sich die Verhältnisse Ende September gestalten würden, könne man jetzt noch nicht übersehen. Herr Flügel führte aus, daß die Beamtenschaft die Notlage des Staates klar erkannt habe. Sie sei auch bereit, an der Hilfe teilzunehmen. Sie scheue sich nicht vor Opfern. Eine Verschiedenheit der Auffassungen liege aber in dem „Wie“. Die vorgesehene Sondersteuer sei das Bedenkliche, da die Beamtenschaft keine Sonderbehandlung und keine Sonderstellung verlange. Die vorgesehene unterschiedliche Behandlung empfinde die Beamtenschaft nicht als gerecht, zumal man ihr nicht garantieren könne, daß eine solche Wiederholung erfolgen könne. Er sei nicht in der Lage, seine Zustimmung zu dem Notopfer geben zu können. Er müsse erst das dafür vorgesehene Gremium des Beamtenbundes zusammenberufen, um eine Entscheidung herbeizuführen. Sobald eine Entscheidung vorliege, werde er Mitteilung machen. Der Reichskanzler wies noch einmal darauf hin, daß eine große Gefahr dem Berufsbeamtentum erwachse, wenn jetzt das Defizit nicht gedeckt werde. Im Interesse des Berufsbeamtentums sollte die Beamtenschaft von sich aus eine Geste machen. Die Industrie habe das gleiche hinsichtlich der Industrie-Obligationen zugunsten des Staates getan5. Der Reichsminister des Innern unterstrich als Beamtenminister die letzten Ausführungen des Reichskanzlers und wies auf die beamtenfeindlichen Strömungen hin. Die Beamtenschaft soll von sich aus einen Schritt tun. Herr Flügel erwiderte, daß er sich des Ernstes der Stunde bewußt sei. Trotzdem könne er über die von ihm abgegebene Erklärung zur Zeit nicht hinausgehen.

2

S. hierzu Dok. Nr. 57, Anm. 5.

3

Der von RFM Moldenhauer eingebrachte GesEntw. (s. Dok. Nr. 46, Anm. 7) sah ein Notopfer der Beamten von 4% des Einkommens vor (§ 5). RFM Dietrich hatte den Betrag auf 2½% gesenkt (Dok. Nr. 57, Anm. 5).

4

Während nach dem GesEntw. Moldenhauers von den arbeitslosenversicherungspflichtigen Angestellten lediglich ein Notopfer von 2% erhoben werden sollte (§ 5), war die Reichshilfe im abgeänderten GesEntw. Dietrichs einheitlich auf 2½% festgesetzt. Nach den Vorstellungen Moldenhauers hatte die Reichshilfe „bis auf weiteres“ (§ 1) in Kraft bleiben sollen.

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Das Gesetz vom 15.4.30 (RGBl. I, S. 141 ) bestimmte, daß die Industrieaufbringungsumlage, die einen Teil der Reparationszahlungen nach dem Dawesplan gedeckt hatte (Ges. vom 30.8.24, RGBl. I, S. 269 ), zugunsten des Reiches weiter erhoben werden sollte. Zur Entstehung des Gesetzes s. diese Edition, Das Kabinett Müller II, Dok. Nr. 469.

II. Im Anschluß hieran wurden die Vertreter des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes, die Herren Falkenberg und Völter, empfangen. Der Reichs[245]kanzler legte den Genannten ebenfalls den Ernst der Finanzlage dar und setzte ihnen die Absichten der Reichsregierung hinsichtlich des Notopfers, der Ledigensteuer und des Zuschlages zur Einkommensteuer auseinander. Er betonte auch ihnen gegenüber, daß die Maßnahmen der Regierung sich nicht als ein Angriff gegen das Berufsbeamtentum darstellen. Bei der schweren langandauernden Krise der Wirtschaft – und zwar der Weltwirtschaft – müsse man nun auch an Ersparnismaßnahmen herantreten. Die neuen Deckungsvorschläge müßten im Interesse des Staates verwirklicht werden, insbesondere auch um die Kreditfähigkeit des Reichs zu heben. Herr Falkenberg brachte dem Reichskanzler gegenüber den Dank des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes für den Empfang zum Ausdruck und erklärte, daß er nicht in der Lage sei, eine Zusage für das Notopfer zu geben. Bei dem Gedanken eines Notopfers müßten alle Schichten der Bevölkerung, soweit sie kapitalkräftig seien, herangezogen werden. Herr Völter regte an, den Prozentsatz des Notopfers zu staffeln, um die geringeren Einkommen zu schonen. Der Reichskanzler erwiderte, daß der Gedanke der Staffelung eingehend durchgeprüft worden sei, daß er es aber kaum für möglich halte, hier eine Änderung eintreten zu lassen. Sodann kam Herr Völter auf den Abbau der Sonderzuschläge zu sprechen und regte an, hier für die Beamten des besetzten Gebiets in der Übergangszeit eine Milderung eintreten zu lassen, weil die Beamten doppelt getroffen würden. Einmal durch das Notopfer, sodann durch den Wegfall der örtlichen Sonderzuschläge. Der Reichskanzler sagte Prüfung zu6.

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S. dazu Dok. Nr. 60, P. 4.

III. Schließlich wurden die Vertreter des Reichsbundes der höheren Beamten, Herr Studienrat Bohlen und Herr Oberpostrat Wagner empfangen. Der Reichskanzler legte auch diesen gegenüber den Standpunkt der Reichsregierung zu den neuen Deckungsvorschlägen dar. Studienrat Bohlen erwiderte, daß nach Auffassung des Reichsbundes der höheren Beamten die nichtbeamteten Kräfte nicht genügend zur Steuer herangezogen würden. Nach Mitteilung von Finanzbeamten würden diesen Kräften gegenüber bei Eintreibung der Steuern zu weitgehende Erlasse eingeräumt. Sodann fehle es daran, die Ersparnismöglichkeiten im Interesse des Staates, insbesondere durch Vereinfachung der Verwaltung, auszuschöpfen. In den Kreisen der Beamten herrsche die Auffassung, daß jetzt wieder neue Steuern erhoben würden, sodann aber nichts Weiteres geschehe. Aus allen diesen Erwägungen heraus könne der Reichsbund der höheren Beamten seine Zustimmung zu den Maßnahmen nicht erteilen. In erster Linie müsse man daran gehen, die Löhne in dem notwendigen Maße zu senken. Der Reichskanzler widerlegte die Auffassung des Vertreters des Reichsbundes der höheren Beamten im einzelnen und führte aus, daß bereits auf dem Gebiete der Lohnsenkung wesentliche Änderungen eingetreten seien.

H[a]g[enow]

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