1.17.1 (bru2p): 1. Wirtschaftspolitische Angelegenheit (Russengeschäfte).

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1. Wirtschaftspolitische Angelegenheit (Russengeschäfte).

Der Reichsverkehrsminister äußerte ernste Bedenken gegen die Geschäfte. Die Reichsbahn hätte gegen die Russen Forderungen von monatlich 150 000 Dollar. Die Russen zahlten nicht regelmäßig, sondern nur auf Mahnung abschlagsweise.

Auf eine Anfrage erläuterte Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg nochmals die Bedingungen der Geschäfte1. Soweit die Wechsel Reichsgarantie hätten, seien sie diskontierbar, im übrigen könnten sie nur mit großem Verluste verkauft werden. Die Reichsregierung habe mit der Finanzierung der Geschäfte nichts zu tun. Die Industriellen sähen darin keine Schwierigkeiten.

1

Vgl. dazu Dok. Nr. 259 und Dok. Nr. 262.

Es handele sich nicht um eine grundsätzliche Entscheidung. Eine wesentliche Erhöhung der Exportgarantien sei bereits im Etat vorgesehen. Die Beträge würden ausreichen. Es frage sich nur, ob Rußland in der erheblichen Weise bedacht werden solle. Im Vergleich zu anderen Staaten sei die russische Zahlungsfähigkeit allerdings immer noch günstig. Dem Geschäfte müsse der sensationelle Charakter genommen werden.

[975] Für das Geschäft würden die ungünstigsten Zeiten das Frühjahr des nächsten Jahres sein, wenn die gesamten Lieferungen erfolgt seien.

Eine Verzögerung der Entscheidung würde bei den Russen einen merkwürdigen Eindruck machen. Die Ententestaaten würden Deutschland keinen Vorteil gewähren, wenn es die Geschäfte nicht machen würde. In grundsätzliche Unterhaltungen mit den Reparationsmächten einzutreten sei wohl verfrüht.

Jetzt bereits dürfe wohl keiner mehr daran zweifeln, daß das Reich die gewünschte Garantie geben werde.

Im allgemeinen würde noch nicht bekannt sein, welche Firmen die Lieferungen ausführen würden, daher wäre es schwer, die Frage der Finanzierung der Geschäfte im einzelnen zu klären.

Ein Teil der Lieferungen könne vom Lager erfolgen.

Der Reichsbankpräsident wies erneut darauf hin, daß das private Risiko möglichst stark in die Erscheinung treten möchte. Auch er befürchtete ein starkes Anschwellen der in Frage kommenden Summen. Wenn das Inland die Lieferung finanziere, so werde keine zusätzliche Arbeit zu leisten sein. Reparationspolitische Bedenken beständen nicht. Den Ländern müsse durch Taten vor Augen geführt werden, daß Deutschland, um die Reparationen zahlen zu können, Geschäfte dieser Art machen und Geld aus dem Auslande borgen müsse. Bei der Höhe der Garantie bestehe die Gefahr, daß die psychologische Grenze überschritten werde. Auf den Antrag der Industrie müsse immer wieder hingewiesen werden. Die Industriellen, die jetzt kurzfristige Auslandskredite haben möchten, erhöben häufig über Transaktionen dieser Art Vorwürfe. Diese Frage müsse geklärt werden.

Wann mit der BIZ über Finanzierungen dieser Art gesprochen werden könne, sei noch nicht festzustellen. Es bestehe die Gefahr, daß eine Frage danach weitere Möglichkeiten zunichte machen würde. Würde die Frage von Staats wegen gestellt, so würde der Eindruck entstehen, als wenn die Situation künstlich herbeigeführt worden sei. Das müsse vermieden werden.

Auch der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft äußerte Bedenken. Eine Garantie von 300 Millionen könne für den Binnenmarkt nutzbar gemacht werden, beispielsweise für den Kauf landwirtschaftlicher Maschinen, der um 40% zurückgegangen sei, oder von Düngemitteln. Er lehne uneingeschränkte Zustimmung ab.

Mit Rußland müsse verhandelt werden über das Dumping in Getreide. Roggen und Holz2. Deutschland müsse durch einen Modus vivendi von diesem Druck freigehalten werden.

2

S. dazu Dok. Nr. 246, P. 3.

Staatssekretär SchäfferSchäffer führte auf Anfrage aus, daß die Industrie mit 20% vor dem Reiche und den Ländern hafte. Mit 10% stehe sie im gleichen Range mit diesen. Wenn die Prämienzahlungen einem besonderen Fonds zugeführt würden und dieser die Höhe von 40 Millionen erreicht habe, dann müßten die Reichsbahnvorzugsaktien freigegeben werden. Die Verhaftung der Vorzugsaktien[976] sei ein einfacher Verwaltungsakt, dagegen müßten die Prämien durch Gesetz aus den allgemeinen Etatsmitteln herausgenommen werden.

Dumping und andere Fragen würden mit den Russen nicht abschließend geregelt werden können. Die Verhandlungen müßten dann weitergeführt werden. Bei Ablauf des Berliner Vertrages3 würde eine endgültige Regelung über diese Punkte zweckmäßig sein.

3

Der dt.-russ. Vertrag vom 24.6.26 (RGBl. II, S. 359 ) hatte eine fünfjährige Laufzeit.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, es werde schwer sein, trotz der Bedenken die Garantie abzulehnen. Wie das Ausland die Frage aufnehmen werde, neben dem Vertrage mit Österreich4, sei zweifelhaft. Die Gefahren würden etwas stark gehäuft. Durch Konzessionen wegen der Präferenzzölle an die Donaustaaten5 würde Österreich an Deutschland herangedrückt. Andernfalls bestände die Gefahr, daß Österreich bei den Verhandlungen mit diesen Ländern schlechtere Bedingungen bekäme als Deutschland im Präferenzsystem.

4

S. Dok. Nr. 263 und Dok. Nr. 267, P. 1.

5

In einer Besprechung im AA am 10.11.30 waren AA, REMin., RFMin. und RWiMin. übereingekommen, den südosteuropäischen Staaten eine bevorzugte Zollbehandlung bei Weizen, Gerste und Mais zuzugestehen (Schreiben des RAM vom 18.11.30 in R 43 I /1113 , Bl. 66–67). Vgl. auch Dok. Nr. 111, P. 1.

Vielleicht könne den Russen die Bedingung auferlegt werden, das alte Eisenbahnmaterial zu kaufen. Für Deutschland wäre es totes Kapital.

Für

1930

seien noch

22

Millionen garantiert,

1931

57

Millionen aus alten Geschäften,

1932

54

Millionen aus alten Geschäften,

1933

18

Millionen aus alten Geschäften,

zusammen

151

Millionen.

Ohne die des Jahres 1930 also 129 Millionen. Das Reich würde jetzt außerdem eine Garantie von 280 Millionen übernehmen, so daß die Gesamtsumme auf rd. 400 Millionen anwachse. Jährlich hätte also das Reich allein 130 Millionen zu garantieren, in Gemeinschaft mit den Ländern mindestens 233 Millionen.

Auch Vortr.LegR EisenlohrEisenlohr hielt es für zweckmäßig, weitere Fragen mit den Russen bei der Erneuerung des Berliner Vertrages zu besprechen.

Im Europa-Ausschuß sei kein russisches Zugeständnis zu erwarten6. Die Wirkung von Druckmitteln gegen Rußland sei fraglich. Der Berliner Vertrag laufe am 29. Juni 1931 automatisch ab, wenn er nicht durch besonderes Abkommen erneuert würde7. Der Rapallo-Vertrag enthalte nur eine allgemeine Meistbegünstigung8. Er werde so ausgelegt, daß es sich nur um einen Rahmen handle, der durch den deutsch-russischen Handelsvertrag ausgefüllt werden müsse. Bei Abschluß des Rapallo-Vertrages sei die Handelspolitik noch durch Einfuhrverbote und andere Bestimmungen verwirrt gewesen.

6

Die UdSSR war vom Europäischen Studienkomitee zur Teilnahme an den Beratungen über Wirtschaftsfragen eingeladen worden: vgl. Dok. Nr. 227. Die UdSSR hatte die Einladung am 6.2.31 angenommen (Schultheß 1931, S. 413).

7

In dem dt.-russ. Protokoll vom 24.6.31 wurde der Berliner Vertrag vom 24.4.26 verlängert. Der Vertrag konnte mit einjähriger Frist gekündigt werden, jedoch frühstens am 30.6.33 (Telegramm v. Dirksens Nr. 207 vom 23.6.31, R 43 I /140 , Bl. 56–58).

8

Vgl. Art. 4 des Vertrags von Rapallo vom 16.4.22, RGBl. II, S. 677 .

[977] Die Russen würden die ihnen lebenswichtige Ausfuhr nicht einschränken. Andere Länder würden die Zugeständnisse fordern, die sie Deutschland machen würden, zumal dort Antidumping-Gesetze bestünden.

Der Reichsminister des Auswärtigen hielt es für mißlich, der Russischen Regierung Bedingungen aufzuerlegen, wenn es sich um Aufträge an die deutsche Industrie handle. Diese Aufträge lägen in Höhe von 300 Millionen vor. Im Inlande seien diese Aufträge nicht vorhanden. Es würde nicht so leicht sein, dafür im Inlande Ersatz zu finden. Für diese würden neue gesetzliche Bestimmungen nötig sein. Anderwärts Auslandsaufträge unterzubringen, wäre auch wohl kaum möglich. Die Verträge würden eine gewisse Besserung der Lage herbeiführen können. Würde die Reichsregierung jetzt den Kredit ablehnen, so würde dies im Auslande größtes Aufsehen erregen.

Zur Frage des österreichischen Vertragsschlusses berichtete er, daß der Vizekanzler Schober die Parteiführer bereits am Freitag vertraulich unterrichtet hätte. Das gleiche würde in Deutschland am Sonnabend9 geschehen. Indiskretionen in der Presse hätten den Vorteil, die anderen Länder bereits mit dem Gedanken vertraut zu machen.

9

21.3.31.

Der Reichsarbeitsminister stimmte den Russen-Verträgen aus arbeitsmarktpolitischen Gründen zu, obwohl die Durchführung problematisch sei. Er sprach sich dafür aus, daß die Entscheidung verschoben werden möchte, insbesondere wegen des österreichischen Vertrages und der Pläne hinsichtlich der Reparationen.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß die Formulierung der Pressenotiz über die Entschließung des Reichskabinetts von Bedeutung sein würde10. Es müsse dabei darauf hingewiesen werden, daß die Russische Regierung bereits mit einer Reihe von anderen Ländern weittragende Geschäfte abgeschlossen habe und daß die deutschen Industriellen auf Grund ihrer Verhandlungen mit der Russischen Regierung an die Deutsche Regierung wegen der Garantie herangetreten seien.

10

WTB Nr. 605 vom 20.3.31 meldete lediglich die Tatsache der Kabinettsberatung über die Russenaufträge (R 43 I /139 , Bl. 327).

Bei einer Gesamtforderung von 1 Milliarde sei ein Garantiefonds in Höhe von 40 Millionen Vorzugsaktien sehr gering. Es sei notwendig, das Risiko in der Öffentlichkeit abzuschwächen. Zweckmäßig wäre es gewesen, den Industriellen vor ihrer Reise Bindungen aufzuerlegen. Ihnen hätte unter allen Umständen daran gelegen, Aufträge hereinzubekommen. Bei der Höhe des Risikos sei es zu verstehen, wenn das Reich Klarheit über die Finanzierung fordere. Die kurzfristigen Kredite würden dadurch steigen, eine Folge, die im allgemeinen Rahmen der Kreditpolitik nicht erwünscht sei.

Bei dieser Sachlage wurde beschlossen, daß die Reichsbank in Verbindung mit dem Reichswirtschaftsministerium und dem Reichsfinanzministerium die Frage der Finanzierung mit den Industriellen umgehend klärt. Die Verhandlungen sollen dann in kleinerem Kreise am 24. nachmittags fortgesetzt werden11.

11

Zum Fortgang der Verhandlungen s. Dok. Nr. 270, P. 2.

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