1.213.2 (bru2p): 2. Programm zur Minderung der Arbeitslosigkeit durch Schaffung von Kleinsiedlerstellen.

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2. Programm zur Minderung der Arbeitslosigkeit durch Schaffung von Kleinsiedlerstellen.

Der Reichsminister der Finanzen trug den wesentlichen Inhalt des den Reichsministern zugegangenen Programms zur Minderung der Arbeitslosigkeit durch Schaffung von Kleinsiedlerstellen vor […]5. Er erklärte, daß er versuchen werde, die zur Durchführung des Programms erforderlichen Mittel bereitzustellen, sofern das Programm, über dessen Einzelheiten mit den zuständigen Ressorts noch zu verhandeln sein werde, grundsätzliche Billigung finden sollte. Er rechne mit einem Aufwand von etwa 3000 RM für jede Kleinsiedlung in der Umgebung der Städte.

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Das Programm entstand auf Vorschlag des MinR Poerschke, der diesen Plan dem RFM am 5.8.31 vorgelegt hatte. Er hatte darauf hingewiesen, daß Krisen-Unterstützte und Wohlfahrtserwerbslose im Unterschied zu den eigentlichen Arbeitslosen-Unterstützten praktisch kaum noch Aussicht hätten, wieder in den regulären Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden. Als einzige Möglichkeit, sie wieder in den Wirtschaftsprozeß einzugliedern, erscheine ihre Ansetzung auf Kleinsiedlerstellen. Poerschke hatte vorgeschlagen, bis zum Frühjahr 1932 etwa 100 000 Arbeitslose auf Kleinsiedlerstellen als Pächter anzusetzen. Unter Kleinsiedlung verstand Poerschke einen landwirtschaftlich-gärtnerischen Betrieb von 2–4 Morgen zur Selbstversorgung der Siedler und ihrer Familien. Jede Siedlerstelle sollte ein primitives Wohngebäude nebst Stall erhalten. Die Durchführung des Programms sei einem Rkom. für das Kleinsiedlungswesen zu übertragen. Die Finanzierung sollte durch die Erträge der Hauszinssteuer gesichert werden (Abschrift in R 2 /1921 , Bl. 1–14; Poerschkes Konzept des Schreibens des RFM an den RK vom 3. 9. a.a.O. Bl. 22–23; Ausfertigung und Kleinsiedlungsprogramm in R 43 I /1290 , Bl. 2–18).

Der Reichsminister der Finanzen nahm ferner Bezug auf die den Reichsministern gleichfalls zugegangene Vorlage der Oststelle bei der Reichskanzlei vom 7. September 1931 […], in der um wesentlich stärkere Förderung der ländlichen Siedlung gebeten wird6. Auch diesem Plane gegenüber erklärte er sich grundsätzlich zustimmend und stellte in Aussicht, daß er bereit sein werde,[1665] die erforderlichen Mittel für die Durchführung dieses Planes flüssig zu machen. Für die ländliche Siedlerstelle glaubte er mit einem Aufwand von ca. 7 000 RM je Siedlerstelle auskommen zu können. Er schlug vor, für das erste Jahr mit etwa 100 000 Siedlern in der Nähe der Städte zu rechnen und ferner mit der Schaffung von etwa 50 000 ländlichen Siedlungen. Er meinte, das große finanzielle Risiko, das in der Sache stecke, verantworten zu können, da das Schicksal Deutschlands ausschlaggebend davon abhänge, ob man imstande sei, die brachliegende Arbeitskraft wieder in Arbeit zu bringen.

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Treviranus hatte in seiner Vorlage vom 7.9.31 unter Berufung auf das Projekt des RFM ein Siedlungsprogramm für erwerbslose ländliche Arbeitskräfte vorgeschlagen. Jede landwirtschaftliche Siedlerstelle sollte mit 60–100 Morgen Land ausgestattet werden. Jede Stelle sollte, abgesehen vom Landerwerb, höchstens etwa 8000 RM kosten. Durch die Versteigerung vieler Güter stünde genügend Land für Siedlungszwecke zur Verfügung (Abschrift in R 43 I /1290 , Bl. 32–38). Einen ähnlichen Vorschlag hatte namens der staatsparteilichen Fraktionsgemeinschaft der RT-Abg. Weber dem RK mit Schreiben vom 3.9.31 unterbreitet (R 43 I /1290 , Bl. 30).

Staatssekretär Dr. WeismannWeismann führte aus, daß der Preußische Ministerpräsident von dem Programm des Reichsministers der Finanzen mit großem Interesse Kenntnis genommen habe und daß er bereit sein werde, die Durchführung eines solchen Programms, soweit die preußischen Stellen in Frage kommen, in jeder Weise zu fördern.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß auch er durchgreifende Maßnahmen zur Lösung des Arbeitslosenproblems für notwendig halte. Nach seiner Überzeugung werde Europa seine frühere Vormachtstellung auf handelspolitischem Gebiet nach den Ereignissen des Weltkrieges und seinen Folgeerscheinungen nicht wieder erlangen. In Deutschland speziell kämpfe man mit einer inneren Krise, der man Herr werden müsse. Das, was bisher auf dem Gebiete der ländlichen Siedlung in Deutschland geschehen sei, sei viel zu kostspielig gewesen. Die eingerichteten Siedlungen seien von vornherein zur Unrentabilität verurteilt gewesen. Die Kleinsiedlungen, so wie der Reichsminister der Finanzen sie vorgeschlagen habe, seien an sich der richtigere Weg. Im Ziel sei er mit dem Reichsminister der Finanzen einig. Wenn man aber daran gehe, in der Nähe der großen Städte zu siedeln, dürfe man kein allzu schnelles Tempo anschlagen; anderenfalls sehe er viel kostspielige Verluste voraus, und er warne schon heute vor Kapitalfehlleitungen großen Stils. Nach allen Erfahrungen, die man bei früheren Siedlungen gemacht habe, müsse man die Leute, die man ansetzen wolle, stark aussuchen. Auch sei es richtiger, in der ersten Zeit langsamer vorzugehen und die Dinge organisch wachsen zu lassen. Am meisten geeignet für eine Siedlung halte er die Umgegend von Berlin. Auch mit der ländlichen Siedlung könne man in größerem Umfange beginnen, denn auf dem Lande seien genügend brachliegende Güter vorhanden.

Reichsminister TreviranusTreviranus meinte, daß man sich hinsichtlich der Größe der einzurichtenden Siedlungsstellen nicht allzu sehr festlegen solle. Man müsse die Größe abhängig machen von den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beschaffung der Mittel könne die Rentenbank-Kreditanstalt mit angespannt werden. Allzu große Hoffnungen dürfe man sich allerdings nicht machen, denn er habe die Erfahrung gemacht, daß es recht zweifelhaft sei, ob auch die Mittel der Bank für deutsche Industrieobligationen für den Osten in dem vorgesehenen Umfange bereit sein würden. Im übrigen bezog er sich auf seine Vorlage.

Der Reichsverkehrsminister führte aus, daß bei dem Problem der Beschäftigung der Arbeitslosen auch die Reichsbahn eine große Rolle spiele. Er stehe bekanntlich schon immer auf dem Standpunkt, daß die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft, abgesehen von der Bestimmung des § 2 des Reichsbahn-Gesetzes,[1666] wonach sie die Tarife nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu gestalten habe7, in erster Linie den volkswirtschaftlichen Interessen der Allgemeinheit zu dienen habe. die Frage der Auftragserteilung durch die Reichsbahn hänge bekanntlich davon ab, ob sie Kredit erhalte. Die Reichsbahn selbst beziffere ihren jährlichen Kreditbedarf in normalen Zeiten auf 200–240 Millionen RM. Daher müsse alles geschehen, um die Reichsbahn kreditfähig zu machen.

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S. RB-Ges. in der Fassung vom 13.3.30, RGBl. II, S. 369 .

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß man bei der Siedlung in der Nähe der großen Städte wahrscheinlich sehr viel schneller zum Ziel kommen werde, wenn man die allzu starke Einengung der Bautätigkeit durch baupolizeiliche Bestimmungen, wenigstens zeitweise, beseitigen könne8.

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Vgl. auch das Schreiben des StS Trendelenburg vom 21.9.31 an die mit Siedlungsfragen befaßten Ressorts, in dem sich Trendelenburg für die Aufhebung bestimmter baupolizeilicher Vorschriften für Schreberlauben einsetzte (Abschrift in R 43 I /1290 , Bl. 68–76). Ebenso forderte der „Vorwärts“ Nr. 427 vom 12.9.31 den Fortfall sämtlicher baupolizeilicher Erschwerungen bei der Errichtung von Schrebergärten (R 43 I /1290 , Bl. 52).

Staatssekretär Dr. HeukampHeukamp führte aus, daß bei der ländlichen Siedlung neben der Geldfrage die Beschaffung geeigneten Landes nicht ganz einfach sei. Man werde jedenfalls ein gutes Stück weiter kommen, wenn Preußen Entgegenkommen bei der Zurverfügungstellung von Domänen zeige. Er befürwortete die Einsetzung eines Reichskommissars mit weitgehenden Vollmachten.

Der Reichsminister der Finanzen der während der Aussprache den Vorsitz übernommen hatte, da der Reichskanzler vorübergehend abberufen wurde9, faßte das Ergebnis der Beratung dahin zusammen, daß das Reichskabinett mit dem von ihm entwickelten Programm grundsätzlich einverstanden ist und daß die zur Durchführung des Programms erforderlichen Vorlagen an das Reichskabinett zunächst in Ressortbesprechungen und sodann in Chefbesprechungen vorbereitet werden sollen. An diesen vorbereitenden Besprechungen sollen beteiligt werden: der Reichsminister der Finanzen, zugleich als Vizekanzler und Vorsitzender, der Reichsarbeitsminister, der Ostkommissar, der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, der Reichswehrminister, der Staatssekretär in der Reichskanzlei, ferner von Preußen: das Preußische Staatsministerium, der Preußische Finanzminister, der Preußische Handelsminister, der Preußische Minister für Volkswohlfahrt10.

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Der RK empfing von 18.30 Uhr–19.20 Uhr „Mr. Firestone aus Amerika, Freund von Hoover, Inhaber der größten Kautschukplantage“ („Tagesnotizen für Reichskanzler und Staatssekretär […]“, Nachl. Pünder, Nr. 43, Bl. 62).

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Zum Fortgang der Beratung s. Dok. Nr. 479.

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