1.39.1 (bru2p): Die Reparationsfrage.

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Die Reparationsfrage.

Der Reichskanzler schlug vor, in eine rein theoretische Erörterung über die Möglichkeiten des Reparationssystems einzutreten. Allerdings hätten diese theoretischen Diskussionen zur Voraussetzung, daß man sich ein Bild über die wahre wirtschaftliche Lage mache. Dieses Bild sehe nach seiner Auffassung etwa wie folgt aus: Bei den Reichsfinanzen sei ein Fehlbetrag von rund 750 Millionen RM abzudecken. Für die Deckung lägen bereits gewisse in die Leistungsfähigkeit des Volkes tief einschneidende Vorschläge vor1. Mit einer Besserung im laufenden Jahr sei nicht zu rechnen. Das Jahr 1931 werde noch ein Krisenjahr bleiben. Für Länder und Gemeinden sehe das finanzielle Bild gleich trübe aus. Irgendwelche steuerlichen Reserven seien nicht mehr vorhanden. Je weiter Gehälter und Löhne abgebaut würden, um so mehr sänken die Einkünfte an Steuern. Je mehr wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen würden, je geringer würden die Einnahmen der öffentlichen Hand. Dieser Ring könne nur gesprengt werden durch die Erleichterung auf dem Gebiet der Reparationen, oder durch hereinströmendes befruchtendes Auslandskapital. Andere Maßnahmen, selbst solche drakonischen Charakters, würden kaum zu praktischen[1054] Resultaten führen. Ausfuhrüberschüsse könnten nur erzielt werden auf Kosten anderer Länder. Nach außen hin dürfe man nicht zugeben, daß man sich aus innerpolitischen Gründen zu Schritten auf dem Reparationsgebiet drängen lasse. Allerdings sei es fraglich, wie lange wir noch davon absehen können, die Notleine der Reparationen zu ziehen. Ursprünglich habe man ins Auge gefaßt gehabt, mit Revisionsschritten drei Jahre zu warten, und zwar aus verschiedenen Gründen. Man dürfe auch nicht an die Sache herangehen in einer Zeit, wo wir festgefahren seien. Nach Verkündung der neuen Notverordnung müsse man Freiheit in der Sache behalten bis Frühjahr 1932. Die materielle Änderung müsse aufgeschoben werden bis

1

S. Dok. Nr. 289 und Dok. Nr. 290.

a)

nach der Neuwahl des Präsidenten in Amerika2,

b)

nach der Neuwahl des Parlaments in Frankreich3,

c)

bis nach der Abrüstungskonferenz4.

2

Die Wahl des Präs. der USA fand am 9.11.32 statt (Schultheß 1932, S. 369).

3

Die frz. Kammerwahlen wurden am 1. und 8.5.32 abgehalten (Schultheß 1932, S. 293).

4

Die Abrüstungskonferenz wurde am 2.2.32 eröffnet (Schultheß 1932, S. 444).

Darüber, was jetzt in der Reparationsfrage zu geschehen habe, wolle er einstweilen keine Stellung nehmen. Nur das eine wolle er sagen, daß nicht 1931 das schwerste Jahr auf reparationspolitischem Gebiete sei, sondern das Jahr 1932. Im Jahre 1932 werde man ohne reparationspolitische Schritte nicht mehr durchkommen können. Denn die alsdann innerpolitisch notwendig werdenden Maßnahmen würden unerträglich werden. Klar müsse man sich auch darüber werden, daß unter Umständen die Existenz des gegenwärtigen Kabinetts gefährdet sei, wenn man die Reparationsfrage nicht jetzt anschneide. Der Druck von Rechts werde sehr groß werden. Ein Rechtskabinett werde zweifellos die Reparationsfrage aufgreifen. Ein Rechtskabinett werde die Sache auch weniger vorsichtig in Angriff nehmen wie das jetzige Kabinett. Möglicherweise werde es dann zu einem Ultimatum der Gläubiger kommen; dann aber werde sich keine Regierung der Mitte finden, die bereit sei, dem Rechtskabinett die Verantwortung abzunehmen.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß er die wirtschaftliche Lage genauso beurteile wie der Reichskanzler. Auch die Verhältnisse in Amerika böten keine Aussicht auf Besserung. Ob bei uns die Lage sich bessern werde, sei fraglich. Hierbei handele es sich in erster Linie um eine Vertrauensfrage. Die Finanzlage sei nicht dazu angetan, das Vertrauen zu fördern. Der Kapitalmarkt werde stets der Maßstab des Vertrauens sein. In Deutschland seien die Läger geräumt. An sich erfordere die Deckung des Konsums eine Belebung der Produktion. Es seien auch schon einige Anzeichen einer Produktionsbelebung erkennbar. Allerdings würden mit dem Anziehen der Rohstoffpreise auch die Fertigfabrikatpreise wieder in die Höhe gehen. Auf dem Gebiete des Außenhandels habe man alle Mühe, das jetzige Niveau zu halten. Von seiten der Nachbarländer sperre man sich ab als Gegenmaßnahme gegen unsere Zollpolitik. In Deutschland müsse nach seiner Meinung mehr dafür Sorge getragen werden, den jetzigen Ausfuhrstand zu halten, wie den Export einzuschränken. Im übrigen aber sei die Entwicklung der Dinge schwer zu übersehen.[1055] Die Krise müsse einmal aufhören. Wenn im Jahre 1932 ein Konjunkturanstieg beginne, so werde sich das Steueraufkommen in toto wohl halten.

Der Reichsarbeitsminister bekannte sich bezüglich der Wirtschaftslage zum gleichen Standpunkt wie der Reichskanzler und Staatssekretär Dr. Trendelenburg. Er ging sodann auf die voraussichtliche Entwicklung der Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr ein. In Übereinstimmung mit dem Institut für Konjunkturforschung schätze er die Durchschnittszahl der Arbeitslosen für das Jahr 1931 auf 4,3 Millionen5. Von dieser Zahl würden rund 1,9 Millionen auf die Reichsanstalt und etwas weniger wie je 1 Million auf die Wohlfahrtsunterstützung entfallen. 5–6000 Erwerbslose blieben erfahrungsgemäß ohne Unterstützung. Für den Wohlfahrtsunterstützten rechne man im Durchschnitt einen Monatsbedarf von 50 RM. Die Reichsanstalt wende 76 RM für jeden Unterstützten auf. In diesem Satz seien 10 RM für Verwaltungskosten und Kosten der Arbeitsvermittlung mitenthalten. In der Krisenfürsorge würden gleichfalls je 66 RM pro Unterstützter aufgewendet. Allerdings seien die Unterstützungssätze in der Versicherung höher wie in der Krisenfürsorge. Es sei zu berücksichtigen, daß in der Versicherung mehr Familienangehörige mitbetreut würden, während in der Krisenfürsorge für die Ledigen nichts bezahlt werde. Bei der Arbeitslosenversicherung fehle bei dem jetzigen Beitragssatz von 6½% für 1931 ein Betrag von 350 Millionen. Dieser Betrag müsse durch Reform und vielleicht durch eine Beitragserhöhung um ½% abgedeckt werden, damit die Reichsanstalt vom Reichsetat abgehängt bleibe. Die weitere Senkung der Leistungen sei allerdings sehr bedenklich. Nach dem Urteil besonders sachverständiger Personen, z. B. von Professor Polligkeit6, kommen man angesichts der lang andauernden Arbeitslosigkeit jetzt in Zeiten, wo man die langfristig Arbeitslosen besser unterstützen müsse wie die kurzfristig Beschäftigungslosen, da die langjährig Arbeitslosen vollständig abgerissen seien. Durch die im Laufe der letzten Monate und Jahre immer wieder vorgenommene Reform sei die Entwicklung dahin gegangen, daß die Sätze der Reichsanstalt und der Krisenunterstützung immer näher an die Sätze der Wohlfahrt herangerückt worden seien. Wenn man jetzt dem Volk die ungeheueren Opfer auferlege, werde man ohne reparationspolitische Schritte kaum durchkommen können. Man werde in der Öffentlichkeit der Regierung den Vorwurf machen, daß sie zwar den Mut habe, nach innen hin dem Volk größte Opfer aufzuerlegen, daß ihr dieser Mut jedoch dem Ausland gegenüber in bezug auf die Reparationszahlungen fehle. Natürlich müsse die Regierung ihre Schritte sehr vorsichtig abwägen, weil man sonst die Wirtschaftsnot unter Umständen noch vermehre.

5

Die Zahl der Arbeitslosen betrug im Jahre 1931 im Durchschnitt 4 519 704 (Stat. Jb. für das Dt. Reich 51 (1932), S. 291).

6

Wilhelm Polligkeit, Honorarprofessor für Jugendrecht an der Universität Frankfurt am M., Mitherausgeber der Zeitschrift „Soziale Praxis, Zentralblatt für Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege“.

Von weiteren Gehaltskürzungen sei er nicht begeistert wegen der Rückwirkung auf die Lohnpolitik.

[1056] Der Reichskanzler richtete sodann an den Reichsbankpräsidenten die Frage, ob wir weiterhin imstande sein würden, die erforderlichen Devisen zu beschaffen, nachdem wir den Winter mit Hilfe von Auslandskrediten überstanden hätten.

Reichsbankpräsident Dr. LutherLuther erwiderte, daß der Transfer bisher gearbeitet habe unter starker Verelendung des Volks. Deutschland zahle aus Anleihen, die wir verzinsen müssen oder aus Ausfuhrüberschüssen, die erreicht würden durch Rückgang der Einfuhr. Wie in Zukunft die Dinge werden würden, wenn wir keine Anleihe mehr bekämen, könne man nicht sagen. Vielleicht könne man weiter transferieren auf Kosten der Schrumpfung der Einfuhr. Auf uns lastet der Druck der kurzfristigen Kredite. Wenn die Löhne immer weiter abgesenkt würden, die Kaufkraft immer geringer würde, werde ein Zeitpunkt kommen, in dem eine weitere Anpassung nicht mehr möglich sei. Alles, was sichere Renten abwerfe, komme in fremde Hand. Am Ende werde uns dann nichts mehr bleiben, als unsere Arbeitskraft.

Ministerialdirektor Dr. ZardenZarden machte sodann nähere Darlegungen über die voraussichtliche Entwicklung der Steuern im kommenden Jahr. Er führte aus, daß die Steuern immer mehr zurückgingen und daß auch eine wesentliche Besserung der Steuern nicht zu erwarten sei, selbst dann nicht, wenn ein Konjunkturanstieg eintreten sollte.

Ministerialdirektor ErnstErnst äußerte sich zur Frage der voraussichtlichen Entwicklung der Verbrauchssteuern, die er als sehr konjunkturempfindlich kennzeichnete.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß man nach der Verabschiedung des Young-Plans nicht mit alsbaldigen reparationspolitischen Schritten gerechnet habe. Allerdings habe sich die Lage in Deutschland inzwischen außerordentlich kompliziert. In der ganzen Welt habe es einen Erdrutsch gegeben. Durch die BIZ seien günstigere Bedingungen für Deutschland nicht zu erhoffen. Er habe die Angelegenheit schon mit den Botschaftern der Gläubigerländer besprochen. Von den meisten Regierungen habe er aber nichts Günstiges gehört. Amerika sei nicht in der Lage, schon jetzt auf Reparationsverhandlungen einzugehen. Man habe sich im Ausland im allgemeinen wegen der Reparationszahlungen Deutschlands beruhigt. Man rechne dort nicht mit alsbaldigen deutschen Schritten. Wenn wir daher mit irgendwelchen Schritten hervortreten sollten, bedürfe es erst einer psychologischen und politischen Vorbereitung im Ausland, insbesondere in den beteiligten Hauptgläubigerländern und den Vereinigten Staaten von Amerika. Es empfehle sich daher, sich darüber klar zu werden, welche Mittel, Kräfte und Methoden wir nach dieser Richtung einsetzen können.

Der Reichskanzler bemerkte anschließend, daß wir vielleicht den Weg wählen müßten, der uns innerpolitisch schaden, den wir aber im Interesse der außenpolitischen Wirkung gehen müßten. Jedenfalls müsse die Finanzsanierung bis auf das äußerste durchgeführt werden; erst dann könne man handeln. Aber der beabsichtigte Sanierungsschritt bringe uns keine Reserven, im Gegenteil, das schwerste Jahr werde erst folgen. Die neue Notverordnung[1057] müsse nach seiner Meinung vor Chequers7 veröffentlicht werden, damit England sähe, in welcher Lage Deutschland sich befinde. Vielleicht sei auch, in Verbindung mit der Veröffentlichung der Notverordnung, ein organisatorischer Schritt erforderlich. Keinesfalls aber dürfe Deutschland schon jetzt den Zahlungsaufschub erklären; denn ein solcher Schritt werde uns außenpolitisch in eine unmögliche Situation bringen.

7

S. Dok. Nr. 281, Anm. 5.

Ministerialrat BergerBerger erläuterte die Möglichkeiten, die uns nach der bestehenden Regelung auf reparationspolitischem Gebiet gegeben sind8.

8

Vgl. die im Nachl. Dietrich Nr. 214 gesammelten Gutachten zur Revision des Youngplans von StS Schäffer, Präs. Dorn, MinDir. Ritter, MinR Ronde, MinR Berger und ORegR Nathan (RWiMin). Die Stellungnahmen sind im April 1931 verfaßt worden.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß wir uns nicht auf die Hoffnung versteifen dürften, von außen her saniert zu werden. Die letzten Jahre seien durch ausländisches Kapital befruchtet worden. Diese Lage werde nicht wiederkommen. Die zu beantwortende Frage sei daher, ob wir selbst das erforderliche Kapital bilden können, um sowohl die Reparationen zu bezahlen, als auch die deutsche Wirtschaft anzutreiben. Diese Frage sei zu verneinen. Deutschland gerate in einen Schrumpfungsprozeß, aus dem es keinen Ausweg gebe. Wir müßten noch einmal einen scharfen Einschnitt machen, aber er werde nicht endgültig zum Ziele führen. Aus dieser Lage müsse man eben mit anderen Mitteln herauszukommen trachten. Keinesfalls könne er eine Politik mitmachen, die auf die Einsetzung von Ausschüssen und die Schaffung eines Generalstabes hinauslaufe, da derartige Gremien uns doch nichts sagen könnten, was wir nicht schon wüßten. Man müsse versuchen, im Wege unmittelbarer Regierungsverhandlungen einen Zahlungsaufschub herauszuschlagen. Die Gefahr des Abziehens kurzfristiger Schulden schlage er nicht allzu hoch an. Deutschland schulde dem Ausland rund 12 Milliarden. Aus diesem Grunde könnte dem Ausland nichts daran gelegen sein, uns zahlungsunfähig zu machen, weil das Ausland sonst von uns gar nichts erhalten werde. Er widerrate auch Schritten außerhalb des Youngplans. Vielmehr müsse man von den Möglichkeiten des Youngplans Gebrauch machen, wenn der Zustand derart werde, daß wir keinen anderen Ausweg mehr sähen; aber vorher müsse man dem Volk alles zumuten. Nicht durch die Stimmung allein dürfe man sich zu Schritten verleiten lassen. Wenn wir aber die Schraube nur weiterdrehen könnten um den Preis, daß uns nur noch die Arbeitskraft bleibe, dann wolle man im Ausland eben etwas anderes als die Reparationen. Wenn der Finanzminister nicht mehr weiter wisse, dann werde man zum Handeln genötigt sein. Von dem Aufbringungsaufschub solle man erst im nächsten Jahre Gebrauch machen und dann die ganze Frage zur Entscheidung bringen.

Der Reichsbankpräsident erwiderte darauf, daß die kurzfristige Belastung doch wohl eine ernstere Gefahr sei, als der Reichsminister der Finanzen sie sähe. Betont werden müsse die Kurzfristigkeit, und diese Kurzfristigkeit könne uns derart treffen, daß wir sehr bald aktionsunfähig würden, wenn eine Bewegung gegen uns einsetze.

[1058] Demgegenüber meinte der Reichsminister der Finanzen daß durch Anziehen der Diskontschraube Auslandskapital in genügendem Maße wieder angezogen werden könne.

Der Reichskanzler erklärte, daß der Prozentsatz der Verzinsung der Auslandsschulden um so empfindlicher werde, je mehr unsere Kaufkraft sinke.

Der Reichsbankpräsident erklärte sich vom Devisenstandpunkt aus gegen die Anwendung der Rechte des Youngplans. Er glaubte, daß durch reparationspolitische Schritte eine schleppende Krise herbeigeführt werde und vielleicht würden wir dann eines Tages nicht mehr in der Lage sein, die erforderlichen Devisen zu beschaffen. Immerhin aber müsse man abwarten, ob eine derartige Situation kommen werde. Außerdem müsse man bedenken, daß die Krise sich im Transferproblem zeigen müsse. Man spreche ja zwar immer von den Transfer-Schwierigkeiten, meine aber in Wirklichkeit die Schwierigkeiten der Aufbringung. Falls nicht eine wirkliche Transferierungsnot eintrete, sei er gegen die Anwendung der Möglichkeiten des Neuen Plans. In der Reparationsfrage arbeite die Zeit für uns. Die Zeit müsse ausgenutzt werden, um Propaganda für unsere Sache zu machen. Keinesfalls dürfe man die Reparationsfrage in Angriff nehmen, ehe sie nicht unbedingt angegriffen werden müsse. Man solle sich auch nicht zu den legal möglichen Wegen zur Unzeit drängen lassen. Für Deutschland arbeite der Gesichtspunkt der Goldentwertung. Für diesen Gesichtspunkt sei die Stimmung in der Welt am meisten reif. Ferner müsse Deutschland sehen, einen möglichst großen Teil der Reparationen in Sachlieferungen zu verwandeln, und müsse zu diesem Zweck danach trachten, zusätzliche Aufträge zu erlangen. Wenn es uns gelingt, mit Rücksicht auf die Goldentwertung, einen 50%igen Nachlaß durchzusetzen, und dazu zusätzliche Sachlieferungen zu erreichen, um Zeit zu gewinnen bis nach den französischen Wahlen. Dies halte er für den Augenblick für die beste Hilfe. Dann aber müsse mit dem Plan radikal aufgeräumt werden.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er in der großen Linie ebenso sehe wie der Reichsbankpräsident. Der Geheimfonds des Auswärtigen Amts müsse erhöht werden zum Zwecke einer vermehrten Propaganda. Für unerläßlich halte er aber auch, daß im Augenblick der Veröffentlichung der Notverordnung ein Auftakt zur Revisionsfrage in die Erscheinung trete, da sonst innerpolitisch nicht durchzukommen sei. Die Meinung von der Erhöhung des Goldwertes hat auch nach seinen Beobachtungen Fortschritte in der Welt gemacht. Im englischen Parlament sei sogar eine besondere Gruppe, die „Currency group“ gebildet, die aus hervorragenden Politikern aller Parteien zusammengesetzt sei.

Zusammenfassend könne er sagen, daß zwei Dinge nötig seien: innerpolitisch sei nötig, daß bei Erlaß der Notverordnung im Volk der Eindruck erweckt werde, daß die Revision schon eingeleitet sei; im Ausland dagegen müsse der Eindruck erweckt werden, daß wir alle Anstrengungen machen, um den Plan zu erfüllen9. Der ganze Fragenkomplex müsse in Bewegung gehalten werden[1059] bis Anfang 1932. Bis dahin dürfe Deutschland es nicht zu entscheidenden Verhandlungen kommen lassen. Man müsse die Stimmung und die Bewegung narkotisieren, wenn sie zu rasch vorandränge oder aber beleben, wenn sie zu stark einzuschlagen drohe.

9

Der Gedanke einer entsprechenden Verlautbarung der RReg. geht anscheinend auf den DVP-Abg. Hoff zurück; Hoff hatte StS Schäffer vorgeschlagen, man solle beim Erlaß der NotVO erklären, jetzt habe man bis zu den Grenzen alles getan, was irgend möglich sei. Wenn bis zum 1.1.32 keine Besserung eintrete, müsse man den Gläubigern sagen, man könne nicht mehr zahlen, und das solle man jetzt schon bekanntgeben. Schäffer hatte am 6.5.31 dem RK diesen Vorschlag vorgetragen, der ihn sofort aufgegriffen und weitergesponnen hatte (Nachl. Schäffer, Tagebuchaufzeichnung vom 6.5.31, IfZ, ED 93, Bd. 10, S. 136, 141–142).

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg meinte noch, daß mit einem Sachlieferungsprogramm nicht allzuviel erreicht werden könne. Er müsse bezweifeln, daß erhöhte Sachlieferungen wirklich zusätzliche Ausfuhr darstellten. In der Frage der kurzfristigen Kredite teile er den Standpunkt des Reichsbankpräsidenten.

Es wurde in Aussicht genommen, die Bespechung demnächst fortzusetzen, nach weiterer Förderung der Probleme im reparationspolitischen Ausschuß der Ressorts10.

10

S. Dok. Nr. 316.

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